Kunst und Freiheit

kinderzeichnungFast jeder Künstler pocht auf seine Freiheitsrechte. Fragt man ihn danach, wie er seine Motive findet, woher er seine Ideen habe, zuckt er mit den Achseln und macht vielleicht seine „Intuition“ geltend. Machen Sie doch, bevor Sie weiter lesen, einen kleinen Selbstversuch!

Nehmen Sie ein Blatt Papier und versuchen sie  einen einzigen wirklich freien Strich zu zeichnen!

Haben Sie das getan? Gut, dann betrachten Sie diesen einen Strich einmal ganz genau! Haben Sie links begonnen? Warum? Vermutlich fangen fast alle solchen Versuche von links nach rechts an. Das ist konditioniert! Wir Westler schreiben ja schließlich auch von links nach rechts.

Vielleicht beginnt ein Japaner oder ein Chinese, je nach Konditionierung oben oder rechts usw. Konditionen sind natürlich nie frei. Sie sind in unserer Kindheit schon früh gebildet oder uns je nach dem sogar eingetrichtert worden. Es mag sein, dass Sie, trotz dieser Prägung, rechts begonnen haben. Das ist schon gut und eher selten. Vielleicht sind Sie Linkshänder? Haben Sie dies frei gewählt? Aber wie sieht denn dieser Strich sonst noch aus? Schauen sie ihn einmal kritisch und möglichst unbefangen an. Vergessen Sie alles, was Sie als „schön“  bezeichnen. Vergessen Sie Ihr Gefühl für Formen, Ihre Vorlieben für Ordnung, Ästhetik, für Rundungen, Kanten, Ecken usw. All diese Präferenzen können Sie schon mal als unfrei abhaken.

Es sind genauso konditionierte und angelernte Vorstellungen, die sich im Laufe des Lebens gebildet haben und die Ihre jetzige Persönlichkeit ausmachen, wie die meisten routinemäßigen Handlungen, die Sie im Alltag verrichten! Wer wirklich ganz ehrlich mit sich selbst sein will, muss erkennen, wie schwierig es ist, nur schon einen einzigen wirklich freien Strich aufs Papier zu kriegen. Wenn Sie jetzt Farben dazu nehmen – oder meinetwegen Ton, oder andere künstlerische Mittel einsetzen, dann werden Sie, mit der nötigen Selbstdistanz erleben, wie wenig Ihr Handeln mit Freiheit zu tun hat!

Die Frage ist berechtigt, ob es Freiheit denn überhaupt gibt? Rudolf Steiner hat in seiner „Philosophie der Freiheit“ versucht, dieser Frage auf den Zahn fühlen. Das vordringen auf den tiefsten Kern der menschlichen Wesenheit spielt dabei eine wichtige, besser gesagt die wichtigste Rolle. Wenn wir unsere Verhaltensweisen, unsere Handlungen und Motive betrachten, müssen wir, uns selbst erkennend, feststellen, dass sie diesen Kern wenig bis gar nicht betreffen oder gar berühren.

Für mich als Kunsttherapeut hat diese Frage der Freiheit des wesentlichen Kerns unseres Menschseins eine hohe, wenn nicht höchste Priorität. Berührt werden kann man nur genau dort. Und um solche Berührung geht es. Alle Intention einer guten Therapie richtet sich nur auf dieses eine. Hier geht es weder Ideen, noch um Methoden oder um persönliche Vorzüge, weder jene des Therapeuten, noch jene des Patienten, sondern einzig und allein um menschliche Begegnung. Beziehung schaffen, Bezug schaffen, ist der Schlüssel.

Durch die Verhaftung mit unseren inneren Lieblingen, machen wir uns verletzbar für jede Kritik, jeden Einwand oder noch so gut gemeinte Intervention. Da wir diese Lieblinge nicht erkennen im Zustand der Identifikation mit ihnen, reagieren wir üblicherweise mit Abwehr oder Unmut, wenn sie von außen angezweifelt werden. Dasselbe ist Ihnen vielleicht auch gerade eben passiert bei meinem Einwand, dass Ihr Strich konditioniert sein könnte…

Manchmal sind Interventionen äußerst delikat und schwierig. Und dennoch sind wir alle darauf angewiesen, dass wir Rückmeldungen bekommen. Das ist in der Therapie nicht anders als im Leben selbst. Und sich jeder Kunstschaffender ist damit konfrontiert. Im Zentrum steht latent immer die Frage nach Freiheit. Welche Handlungen wir auch tun, sie betreffen immer unsere eigene persönliche Freiheit oder jene anderer Menschen.
Dabei wäre die Kunst meines Erachtens eines der vorzüglichsten Mittel, um unsere Verhaftungen sichtbar zu machen. Möglicherweise sitzen Sie jetzt immer noch vor Ihrer Strich-Zeichnung? Nutzen Sie die Chance etwas zu entdecken in Ihnen, was bisher möglicherweise verborgen blieb! Probieren Sie es wieder und wieder! Machen Sie sich auf den Weg… zu sich selbst!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Persönliche Verletzungen

verletztseinDie meisten Menschen kennen das Gefühl, verletzt zu sein. Es sind verschiedene Ursachen, die zu solchen Emotionen führen können. Eine der wichtigsten ist Ablehnung. Schon im Kindesalter wird sie in unzähligen Situationen durch entsprechende Verhaltensweisen des Umfeldes geschürt. Ich denke zum Beispiel an ein Kind, welches mit Begeisterung von seinen Erlebnissen erzählt und dann getadelt oder sogar geschlagen wird, weil es mit schmutzigen Kleidern nach Hause kommt. Dies erzeugt nach und nach Wunden in der Seele, die sich unterschiedlich anfühlen. Jeder von uns entwickelt individuelle Strategien diesen zu begegnen. Manche reagieren mit Wut, andere mit Resignation, wieder andere durch Anpassung usw. Daraus schmieden wir uns unbewusst schon frühzeitig unseren Lebensplan.

Wut z.B. generiert Ehrgeiz im Sinne von „warte nur, ich zeig es euch! Ich beweise euch, wie stark ich bin!“ Viele sportliche oder berufliche Höchstleistungen werden später aus diesem Ehrgeiz genährt. Auf der anderen Seite kann der Rückzug in die Defensive ein Vorläufer für depressive Verstimmungen sein. Aus dem Erlebnis der Ablehnung könnte der Schluss folgen, nichts wert zu sein. Solche Extreme sind natürlich nicht die einzigen Verhaltensmuster, die sich bilden können. Auch Anpassung kann ein solches Muster sein. Sie entsteht aus dem Gefühl „ich will gut sein, damit ich gelobt werde!“. Diese Seelenverfassung kann wiederum positiv oder negativ ausgerichtet werden. Die positiv ausgerichtete Variante wird befriedigt durch die Anerkennung von aussen, nämlich dann wenn wir durch unser Liebsein belohnt werden mit Zuneigung. Solange wird in uns ein Wohlgefühl erzeugt. So gestrickt fühlt man sich gut und sieht keine Veranlassung, etwas an seinem Leben zu ändern. Sobald die äußeren Stützen (des Lobes, der Anerkennung, der Wertschätzung) fallen, ändert sich die Situation schlagartig.
Die negative Variante erfolgt dann, wenn wir resignieren, wenn selbst das Liebsein nicht mehr zum gewünschten Erfolg führt. Hier geraten wir schnell in einen Teufelskreis, weil unsere Bemühung lieb zu sein abnimmt und dadurch weniger Anerkennung erzeugt. Dies wiederum bestärkt uns im Glauben, untauglich für die Welt zu sein, was dazu führt, dass wir auch weniger dafür tun.

In allen Fällen jedoch steht ein Grundgefühl  im Hintergrund (die Ablehnung ist eines davon). Es bildet sich meistens schon im Kindesalter heran. Die „Strategien“, die wir daraus entwickeln, können sehr unterschiedlich ausfallen. Sie hängen im wesentlichen vom Charakter ab, mit dem wir schon von Anfang an die Reise in die Welt antreten. Diese Vorprägung hat wenig zu tun mit der Ursache für die oben genannten Verhaltensweisen. Dies zeigt sich schon bei Geschwistern sehr deutlich, die sich in ähnlichen Situationen sehr verschieden entwickeln können. Der Charakter ist sozusagen ein Wesensgefüge, mit dem wir die Bühne des Lebens betreten. Er bewirkt und beeinflusst unsere Reaktion auf entsprechende Situationen.

Man kann sich fragen, was denn eine „gesunde Entwicklung“ bedeutet und ob es sie in Reinform überhaupt gibt? Da wohl jeder von uns solche Verletzungen kennt, muss ich davon ausgehen, dass es die perfekte Voraussetzung nicht gibt, nicht geben kann. Es gibt stärkere und mildere Formen davon. Daraus lässt sich ableiten, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich mit den Tatsachen auseinander zu setzen. Auch im Herangehen an diese Probleme gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Die Selbstbeobachtung steht auch hier wieder an zentraler Stelle. Denn sie ist das entscheidende Werkzeug der Selbsterkenntnis. Mangelt es daran, verstärken wir den Druck und häufen Last an.

Die Beiträge auf diesem Blog über die Liebe ließen viele Fragen und Reaktionen aufkommen. Insbesondere der Zusammenhang zwischen dem ich und dem es bereiten viel Mühe. Das ist kaum verwunderlich, denn genau in deren Schnittstelle bildet sich die Mauer zu einem Erlebnis, welches sich auf einer anderen Ebene abspielt. Einer der größten Gegenspieler dieses es versteckt sich unter dem Mantel all dieser persönlichen Verletzungen. Es sind die rauen Schalen und die dicken Häute die uns davor schützen – aber auch behindern. Wir verschanzen uns dahinter. Sie verhindern, dass wir das dahinter liegende (den Schmerz) vergessen oder verdrängen. Er verbirgt sich hinter unserem Rücken. Wir wissen wenig von ihm, orientieren uns meist nach vorne in die glitzernde, glamouröse Welt. Der Blick zurück ist uns fremd. Es wäre ein Blick in unser eigenes Innere.

Gelegentlich „trifft“ uns etwas, bedrängt uns, fährt uns in den Rücken. Wir wachen kurz auf, spüren einen unangenehmen Druck, eine „Hexe“, die uns ins Kreuz schiesst. Dies kann seelisch und physisch geschehen. Es lässt uns für kurze Momente aufmerksam werden, inne zu halten. Mulmige Gefühle steigen auf. Da hilft Ablenkung vorzüglich. „Vorne“ (und auf den Bildschirmen) passiert ja so viel, womit wir uns beschäftigen können. So sammelt sich hinter unserem Rücken im Lauf des Lebens eine schwere Last an. Wir tragen diesen Rucksack, der sich durch unser ganzes Leben mit immer mehr „Material“ anfüllt, bis wir davon gebeugt sind. Die Last wird von Jahr zu Jahr schwerer. Unser Ignorieren hilft deren Wachstum.

Jahre vergehen. Was sich angesammelt hat, lässt sich irgendwann nicht mehr verbergen. Wir müssen lernen loszulassen. All die Aufruhr gegen jeden und jede, gegen alles, was von aussen auf uns einwirkt und unser Wohlbefinden stört, beginnt zu zerbröckeln. Nun türmen sich die Lasten hinter unserem Rücken auf. Eine zeitlang verfügen wir noch über schier unendliche Kräfte, um uns gegen sie zur Wehr zu setzen. Unzählige Situationen des Ärgers, der Verbitterung, der Kritik, des Lasters (kommt von dieser Last im Rücken), der Vorurteile und des Rechthabens beflügeln unser Ego, bis es irgendwann zerbricht. Etwas muss zerbrechen, gebrochen werden, zugrunde gehen, wenn wir die Last loswerden wollen. Wenn wir Loslassen scheinen wir für einen Moment zu sterben. Nichts hält uns mehr. Das ist der Moment der Auferstehung, eines neuen lebendigen Gefühls von Wachheit und Zufriedenheit.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

ICH …und die Welt

AussenDer Blick nach aussen ist das „alles-in-Frage-stellende“. Gedanken, Gefühle und Handlungen anderer werden bezweifelt, angefochten, berichtigt, „ergänzt“ (das ist die edle Variante, denn ergänzen kann man immer, alles, ein Leben lang), beurteilt, verurteilt, bevorzugt, benachteiligt und alles, was Berichtigung, Korrektur der anderen („falschen“) Weltbilder ist. Das Eigene ist Zentrum des Bewusstseins, Zentrum des „Für-wahr-haltens“. Die Intelligenz, die Cleverness, Bildung, Wissen usw. sind der Gradmesser dieser Haltung dem Leben und Denken gegenüber.

InnenDer Blick nach innen zeigt eine ganz andere Welt, die Eigene! Er benötigt die Haltung des Betrachters, des Beobachters, der die „Eigen-heiten“ erkennt und wahr-nimmt. Das eigene Urteil wird aus dem Blickwinkel des/der Anderen gesehen. Dessen, der vielleicht eine Welt statt in rot, in blau (oder grün, oder rosa…) sieht. Sie ist ebenso richtig und ebenso falsch, wie meine rote Welt. Sie IST halt einfach. Sie beweist NICHTS. Denn die Färbung ist die Färbung der eigenen (beschränkten) Persönlichkeit. „Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein…“

Innen-AussenSo gibt es zwei Welten. In der ersten bin ich Akteur, Beteiligter, Auslöser, Wirkender, Schaffender. Ich tue dies aus dem Behältnis eigener Erfahrungen, Lehren und Intelligenz. In der Zweiten bin ich „nur“ Beschauer, Betrachter, passiv, aber wach: Erkennender dieser anderen Welt in mir. Ich trete ihr wohlwollend gegenüber, sie umfassend, ja liebend! Aber ERKENNEND. Ich BIN NICHT jene Welt, für die ich mich im Normalfall so sehr einsetze, für die ich so sehr kämpfe. Das ist die grösste Erfahrung jedes Suchenden. Denn was er sucht, ist schon längst in ihm…

Das Einzige, was bezweifelt und verurteilt werden kann ist die Sturheit, Abgrenzung und Intoleranz gegenüber dem/den Anderen… Intoleranz gegenüber der Intoleranz ist die einzige Legitimation für Intoleranz…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Egoismus als Vater aller Kriege..

KriegJeder Mensch outet sich in seinem Leben mehr oder weniger für bestimmte Dinge, die er tut, fühlt oder denkt (…und die er sich einhandelt). Der Eine fühlt sich dem Buddhismus zugeneigt, der andere dem Christentum. Einer sympathisiert mit dieser Partei, der andere mit jener und ein dritter wieder mit einer anderen. Manche sind angetan von Eisenbahnen, Panzern und Flugzeugen, wieder andere interessieren sich für Bewusstseinsfragen oder für Philosophie und Psychologie, nennen sich „Sophen“ oder „Isten“ verschiedenster Formen….

Die Zuneigungen und Abneigungen, die wir im Laufe unseres Lebens schaffen werden durch viele Faktoren und Einflüsse gebildet. Zwischenmenschlich entstehen auf diese Weise so manche, oft ungewollte und verdeckte, Konflikte. Durch die Verschiedenheit der eigenen Persönlichkeit zum anderen Mitmenschen, entsteht latent ein grosses Abgrenzungspotential, welches sich in den Vorurteilen jedes Individuums abzeichnet. Diesen Vorurteilen ist man alleine dadurch ausgesetzt, dass man bestimmte Neigungen und Anschauungen öffentlich macht.

Beispiel: Zwei Menschen begegnen sich und finden sich sympathisch. Sie treten offen und vorurteilslos einander gegenüber. Sie treffen sich immer öfter und sie erzählen so nach und nach ihre Geschichten und Erlebnisse, anfangs vorsichtig, später immer tiefer, und lernen sich so besser kennen. Eines Tages erfährt der erste vom anderen, dass dieser in exakt jener Partei ist, mit der sich der erste überhaupt nicht verbinden kann.

Was passiert jetzt? Zwischen den beiden Menschen wird eine virtuelle Wand geschoben. Diese Wand ist gebildet mit den Inhalten von jener Partei (es könnte natürlich auch ebenso gut eine Religion sein, oder eine bestimmte Weltanschauung) und diese werden nun auf den anderen Menschen mit seinem Wesen, welches man bisher ganz gut fand, dem man vorher noch sympathisch und vertraut gegenüber stand, appliziert. Es passiert etwas Ent-Scheidendes: Von diesem Augenblick an kann der erste seinen Freund nicht mehr unabhängig und vorurteilslos anschauen. Er blickt ihn zwar an, wird aber getrennt von ihm durch jene unsichtbare Wand, die sich schlagartig dazwischen geschoben hat.

Augen und Sinne verlieren die Unvoreingenommenheit und Reinheit der Begegnung, mit denen man sich vorher noch gefunden hatten. Und diese Wand ist so stark und so dick, so undurchdringbar, dass die Aufrechterhaltung der Freundschaft unmöglich wird. Die Kraft der Vorstellung bildet eine Art trennenden Schleier für die Wahrnehmung. Der Freund wird zum Feind, weil der erste nur noch kategorisch denkt und fühlt im Sinne von: „Die sind doch alle gleich!“ (Die von eben jener Partei, Religion usw.). Dieses Urteil kann auch im Unbewussten schlummern und muss nicht zwingend so ausgesprochen sein. Seine Wirkung hat es trotzdem. Beispiele dieser Art gibt es viele, sie sind gewiss nicht an den Haaren herbei gezogen…

Diese Denkweise ist im Grunde genommen in den meisten Menschen verankert: Alle Schwarzen oder alle Amerikaner oder alle Türken oder alle Schweizer sind so oder so usw. Alle Anthroposophen, alle Buddhisten, alle Sozis, alle Katholiken usw usf. – die Liste liesse sich unendlich fortsetzen, sind so oder so. Die pauschalisierende Beurteilung verdeckt die Wahrnehmung für andere Mitmenschen und/oder Gruppen. Sie sind so oder so, weil sie Schwarze sind, Deutsche sind, Schweizer sind, Amerikaner sind usw. je nach dem, wo die Sympathien oder Antipathien des jeweiligen Beurteilers liegen.

Die Vernunft sagt zwar oft sehr schnell, man sei ja ein offener Mensch, postuliere einen „offenen Geist“ usw. ABER… und dann kommen die vielen „Abers“, welche meistens auch selbst verdeckt im Schatten der eigenen Persönlichkeit begraben liegen. Es sind oft Verletzungen, die dahinter stehen, persönliche Niederlagen, die damit verbunden waren, schmerzliche Erlebnisse usw. Viele grosse blinde Flecken, die man nicht wahrhaben will, verdecken den unbefangenen Blick zum Mitmenschen und bilden die vielen, vielen kleinen Kriege, die Schattenkämpfe und psychologischen Spiele, die unsere Beziehungen verseuchen, und die wir nur zu oft nicht zu meistern wissen, weil wir den Blick lediglich zum Gegenüber, zum Anderen, zu den Anderen, lenken und nicht in uns hinein!

Es sind die eigentlichen Keime zu den grossen Kriegen, es ist der Zwiespalt und der Konflikt alles Trennenden. Es sind nicht immer nur die offensichtlichen Gegenspieler, die in dieser Weise agieren, sondern im Gegenteil oft die sogenannten „Gleichgesinnten“, die sich in Detailfragen verheddern und spalten. Wie viele grosse Ideen und Projekte sind so zugrunde gegangen, weil man nicht mehr konsensfähig war, weil man das letzte persönliche Teilchen des Idealbildes zur „Rettung der Welt“ verloren glaubte! Wie viele Arten des Buddhismus, des Christentums, des Judentums usw. gibt es. Überlall finden immer mehr Spaltungen statt, die unvereinbar einander gegenüber stehen…

WARUM MUSS DAS SEIN?

Mit welchem Recht nimmt man sich das Urteil zu sagen, meine Botschaft ist besser als deine? Die Verhärtung und Fixierung im Vorstellungskomplex der eigenen Persönlichkeit steht letztlich immer am Ende (oder besser: am Anfang) jedes Konfliktes, persönlich oder global. Die Unvereinbarkeit von (scheinbaren) Gegensätzen, die mangelnde Flexibilität und Lebendigkeit – und als zentrale Kompetenz – das Unvermögen der eigenen Selbstbeobachtung, leiten und führen jeden Konflikt und jeden Krieg: im Kleinen, wie im Grossen. Sein Name: Egoismus…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Kunst, ein kreatives Thema

Moderne KunstHaben Sie schon einmal mit einem Holzfäller übers Bäume fällen diskutiert? Oder mit einem Metzger übers Schlachten? Okay, für Vegetarier ein leidiges Thema. Und wahrscheinlich haben Sie sich auch noch nie mit einem Buchalter über Finanzprobleme gestritten. Vielleicht doch, aber grundlegende Meinungsverschiedenheiten werden Sie dabei kaum gehabt haben.

Es sei denn, er hat neue Methoden entwickelt, wie man Steuern hinterzieht. Gut, aber lassen wir das.

Worauf ich hinaus will? Manche Themen sind ausgesprochen kommunikationsfreundlich, andere gar nicht. Zum Beispiel dann, wenn Sie sich mit einem modernen Künstler über Kunst unterhalten.

Die Chance, dabei zu Meinungsverschiedenheit zu kommen, ist doch relativ grösser, als bei anderen Berufsgattungen. Eigentlich gibt es in allen Berufen Profis und Laien, in der Kunst gibt es das nicht! Denn jeder fühlt sich berufen, Urteile abzugeben, zu wissen, was schön und was hässlich ist, gut und schlecht. Und diskutieren lassen sich diese Attribute sowieso kaum. Sicher, es gibt immer gute Gründe für oder gegen etwas zu sein. Die einen mögens schrill, die anderen soft, reine Geschmackssache, weiter nichts. Und es sind vorwiegend die „Laien“, die uns erklären, was Kunst ist: Ganz einfach, Kunst ist vor allem das, was „in“ ist, verkaufbar ist, was Zaster bringt, eine der vielen „heiligen Kühe“ des Investments… sagen viele…

Gibt es wirklich keine Beurteilungskriterien für die Kunst? Ist alles Kunst? Gibt es so etwas wie „gute“ oder „schlechte“ Kunst, „entartete Kunst“? Nein, dann doch lieber still bleiben und das Kriterium der Verkäuflichkeit an die oberste Stelle tun. Auch das, was eigentlich Nicht-Kunst ist, wäre doch interessant zu wissen? Wie kann denn heute unterschieden werden, ob etwas Kunst ist oder nicht, ohne gleich in eine Falle zu tappen, geächtet zu werden, abgestempelt zu sein, oder gar – im Falle antisemitischer Begriffswahl, verhaftet zu werden…? Und: wer bestimmt das? Alle? Niemand? Also ist doch ALLES Kunst? Alles: ein Strohlager, Steine, Kadaver, Scherben, einfach ALLES, einige vernetzte Schuhe, Schweinsköpfe an einem goldenen Haken; „Spielt überhaupt keine Rolle: wichtig ist die IDEE dahinter?“ so der allgemeine Tenor. Das heisst, dieses oder jenes hat für den Künstler eine „bestimmte Bedeutung“. Er möchte seine Idee „transportieren“, „originell darstellen“. Es muss also etwas zum Objekt dazukommen, etwas erklärendes. Es gehört ein Konzept dazu. Die Übertragung der Idee zum Betrachter muss dabei möglichst originell und transparent ein. Aha, das ist also Kunst…

Beispiel: Ich möchte, wie man heute so schön sagt „zum Denken anregen“. Wir denken ja schon viel (…zu viel?); ja, aber wir denken offenbar nicht das Richtige! Richtig ist es so oder so oder so. Ich zeige dir, wie man richtig denken sollte, deshalb hänge ich den Schweinekopf an den goldenen Haken, möglichst blutig, damit man sieht, was mit uns armen Schweinen passiert, wenn… und wenn ihr es nicht checkt, so seid ihr selber schuld. Okay, ich werde das mit den armen Schweinen jetzt mal lassen… ist ja egal, ich kann doch einfach einige Quadrate an eine Wand malen, Zahlen hinein kritzeln, ein paar durchstreichen usw.: schon habe ich meine „gute Idee“. Das Ganze als ein riesiges Plakat aufhängen, damit jeder und jede sieht, wie vernetzt die Welt ist… hätten wir vorher ja nicht gewusst…. und? Ist das jetzt gut oder schlecht? Oh, das Urteil überlasse ich doch besser meinen Betrachtern…

Ideen, tausende, abertausende, unendliche Ideen! Und wer hat die Ideen?
Ich!
Ja? Wer ist ICH?
Ja, ich der Künstler Paul!
Okay, Du bist Paul, hast dein Leben gelebt, so wie du es nur leben konntest, hattest dies und das durchgemacht. Lass uns doch einmal über dich reden, Paul, über dein Leben! Woher kommst du? Wie kamst du zu deinem Beruf? Wer waren deine Eltern? Hattest du Geschwister?

Dies und jenes käme zutage, manches Leid, manche Enttäuschung. Verletzungen vielleicht hier und dort. Das Ganze konditionierte Konzept nennst du „Paul“! Und? Ist das alles?
Dieser „Paul“  hat jede Sekunde tausend Ideen, er kann sie nur nicht alle miteinander sehen, weil sie so flüchtig sind. Nur die eine oder andere wird in seinem Gedächtnis haften bleiben, weil er etwas mit ihm zu tun hat, weil er halt Paul ist. Hans oder Peter würden ganz andere Ideen/ Konzepte/ Vorstellungen haben. Anderes würde in ihrem Kopf haften bleiben. Jeder hat seine eigene, gefärbte Geschichte. Also haben die Ideen mit der Geschichte jedes Einzelnen zu tun? Ja, gewiss, womit denn sonst? Aber was haben sie denn für eine Bedeutung für die anderen? Eigentlich keine, müssen sie das denn?

Gut, es kann sein, dass Paul total im „Zeitgeist“ mitlebt und viele seine vernetzten Quadrate mit den Zahlen darin auch gut finden, sexy finden, originell finden. Dann hat Paul Glück gehabt! Er wird ein berühmter Künstler werden und viel Geld damit verdienen. Und weil er bald weiss, was den Leuten gefällt, wird er immer mehr solche Sachen machen und alle werden total begeistert sein! Auf Quadrate konditionierte Menschen werden nach mehr Quadraten schreien, weil sie sich „gesehen“ fühlen. Irgendwann wird alles andere ignoriert, nur noch Quadrate werden akzeptiert, mit Zahlen drin oder dies oder das, halt Ideen eines Menschen mit seiner persönlichen Geschichte. Ist das alles? Gibt es überdies keinen Anspruch an die Kunst?

PS: Betrachten Sie diesen Artikel als ein Kunstwerk, welches zum Denken anregen will 😉

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Instabilität als Triebkraft

Gedankenfetzen 2

GrafikImmer auf der Suche sein. Auf der Suche nach neuen Wegen, neuen Werten… neuen Worten für alles. Ist dies der Weg? Oder führt er ab vom Strom?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und alles was ihn instabil macht, meidet er tunlichst. „Auf der Suche sein“ ist nicht „en vogue“. Bestenfalls als esoterischer Kurztrip ins vermeintliche Nirvana, um schon nach dem etwas „ver-rückten“ Weekend mit dem bekannten Guru, wieder in normale Alltagsbahnen einzulenken. Ein Retreat hier, ein Retreat da, um mitreden zu können, um interessant zu sein.

Nichts gegen solche Veranstaltungen. Sie können Wegmarken sein, Hinweise für „das andere“ in uns. Sie können uns auf „etwas“ hinführen, wegweisend sein. Die wirkliche Veränderung geschieht dennoch erst mit der Instabilität. Zurücktreten, innehalten ist gut. Nur, was geschieht danach? Was tun wir damit?

Das Leben selbst ist nie stabil. Es bewegt sich wie die Wellen oder der Wind. Es ist die Kraft hinter den Dingen, hinter allem, was wir sehen, hören, denken und fühlen. Wir sehen es nicht und dennoch existieren wir nur mittels dieser Kraft des Lebendigen. Manche nennen sie Gott, andere Chi oder ähnlich, es bleibt dasselbe, nur mit anderen Worten ausgedrückt…

Wer Veränderung will, muss sich auf das Abenteuer Instabilität voll und ganz einlassen. Erst dann wird das Zentrum in Dir spürbar, das eigentliche Sein, das, was uns trägt. Aber zuvor werden wir von den Wellen hundert mal weggespült, vom Sturm tausend mal geschüttelt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Gedankenfetzen: Wohlstand

Gedankenfetzen 1:

mato | bilder
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Alle unsere Gedanken und Gefühle – und letztlich die Taten, sind darauf ausgerichtet, unseren materiellen Wohlstand zu erhalten.

Schon im Kindesalter werden wir dahingehend erzogen, einen „anständigen“ Beruf zu erlernen, etwas „Gescheites“ zu tun (dazu gehört definitiv nicht der Beruf eines Künstlers oder Schriftstellers), um später gut durchs Leben zu kommen, ein schönes Haus zu kaufen, eine Familie zu begründen, vielleicht ein tolles Auto zu fahren.
Und wir versuchen in den folgenden 40 bis 50 Jahren unseres Arbeitslebens, nachdem wir diese „Grundausbildung“ nach 20 Jahren abgeschlossen haben, stets, diesen materiellen Wohlstand aufrecht zu erhalten, um dann auch im Alter, im sogenanntem Ruhestand, von dem wir nicht wissen, wie lange er dauert, geschweige denn, ob wir ihn überhaupt erleben, davon zehren zu können.

Alles wird nach diesem Ideal ausgerichtet.
Wir geben es unseren Kindern genauso weiter, wie wir es selbst vermittelt bekommen haben. Mögen unsere Beziehungen leiden, unsere wirklichen Interessen und Freuden immer mehr in den Hintergrund rücken: wir klammern uns unerbittlich und fest an diesem Ziel.
Denn es ist zur Massensuggestion geworden, zu einem „Zahir“*, der uns innerlich gefangen hält.
In dieser Art und Weise verbauen wir der wahren Energie des Lebens und der Liebe jede Macht, um uns zu erfüllen…
Und jede Entwicklung, ob persönlich oder global, stockt solange, bis wir begriffen haben, dass sich das „Universum“ nicht an diesem Ideal orientiert…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Im Sinne Paulo Coelhos ist der Zahir (gemäß seinem gleichnamigen Roman) etwas festgefahrenes in unserem Denken, etwas, was uns gefangen hält und über lange Zeit zum handeln verleitet…

Steppenwölfe

WolfrudelSchon Hermann Hesse hat es in seinem „Steppenwolf“ beschrieben und erkannt: In unserem Inneren leben viele Aspekte der Persönlichkeit. Sie zu durchschauen ist eine wichtige Aufgabe unserer Zeit. Dies ist umso schwieriger, als wir meistens so stark verwoben sind mit diesen „Teilselbsten“, dass wir sie, im Identifikationszustand, nicht wahrnehmen können. Oft erkennen wir einzelne, schwierige in der Begegnung mit anderen Menschen.

Die meisten Menschen setzen jedoch einem problematischen Teilselbst lediglich ein etwas weniger problematisches, oft polares, entgegen. Das ist die gängige, und eigentlich logische, Konsequenz eines rein gegenständlichen Weltbildes. Warum? Weil es für ein solches Weltbild keine einheitliche, zusammenfassende Persönlichkeit gibt.

Auf einer alltäglicheren Stufe stellt sich dies so dar. Ich erzähle z.B. dauernd allen Menschen stolz und eifrig von den „großen Taten“, die ich begangen habe und bluffe ständig damit, was für ein toller Kerl ich doch bin. Das Bild von mir ist vielleicht geprägt von einer totalen Selbstüberschätzung. Der Hochmut, in dem ich möglicherweise, (das Urteil darüber fällen vor allem die Anderen…), gefangen bin, wird mir plötzlich, schlagartig bewusst. Ich schäme mich in Grund und Boden und möchte mich nur noch verkriechen. Die „Lehre“, die ich, vielleicht auf Druck der anderen, daraus ziehe ist, bescheiden zu bleiben. Ich ziehe mich vollkommen zurück. Die Konsequenz ist eine andere Fixation, die mich nun im gegenteiligen Gedanken gefangen hält: „Ich bin schlecht, ich tauge nichts“ oder ähnliches.

Das Teilchen-Bild der materialistischen Denkweise setzt diese Teile zusammen, analysiert und kombiniert sie. Und meint, das Ganze in der Summe der Teile zu finden. Diese Anschauung beruht auf der Mechanik. Deshalb können wir selbst in der modernen Medizin keine Ansätze mehr finden, die mehr als die Teile beinhalten. Der Mensch wird auf das mechanisch-funktionelle reduziert. Und dies wiederum legt das ganze Gewicht auf eben diese Teile. Teilchen beschleunigen ist das höchste, was man damit erreichen kann. Leben wird man auch so nicht schaffen können.

„Wie auch immer, was du erzählst ist dein persönlicher Glaube“. Es soll niemand von etwas anderem überzeugt werden. „Das ist Dein persönlicher Glaube…“, sagen viele und unterlassen es, weiter darüber nachzudenken; zum Beispiel darüber, was ihr persönlicher Glaube ist. Worüber soll man denn auch nachdenken? Das mechanische Denken kombiniert nur immer wieder die Teile! Daraus leite ich obige Aussage ab. Und wie sieht es in der Praxis damit aus? Möglicherweise kommt ein Mensch mit einem extremen Verhalten zum Psychiater. Er entwickelt zum Beispiel starke Aggressionen, die so mächtig sind, dass sie für sein Umfeld gefährlich werden können. Was setzen wir nun diesen Aggressionen entgegen? Man kann Medikamente geben, die jene Bereiche des Gehirns zum Stoppen bringen, welche das aggressive Verhalten blockieren. Das ist ein (zu) häufig praktizierter, und für die Medizin relativ einfacher und lukrativer, Weg. Dadurch wird das Bewusstsein des Klienten nicht nur gehemmt, sondern es treten in den meisten Fällen starke Nebenwirkungen auf.

Der andere, etwas schwierigere Weg wird es sein, das Verhalten über eine Psychoanalyse zu steuern. Maßnahmen, die im Gespräch gefunden werden, können eine Linderung sehr wohl unterstützen. Bei diesem Verfahren wird es sinnvoll sein, behutsam vorzugehen. Herauszufinden, was diese Aggressionen auslöst, wird die zentrale Fragestellung sein. Es können aber durchaus auch sinnvolle Begleitmaßnahmen ergriffen werden, welche in ähnlicher Weise dazu beitragen, „das Gemüt zu beruhigen“. Kunsttherapien zum Beispiel sind hier oft sehr sinnvoll. Malen, Plastizieren, Musik, oder andere Mittel, können helfen, das Verhalten in andere Bahnen zu lenken. Immer vorausgesetzt, der Klient erkennt sein Problem selber und ist bereit, aktiv mitzuarbeiten. Das Beispiel ist natürlich für die Anschaulichkeit völlig vereinfacht dargestellt, weil sich Aggressionen oft oder meistens aus einer übergeordneten Belastung ergeben. Hier geht es mir nur darum, das Prinzipielle darzustellen.

All diese Mittel schaffen jedoch noch immer keine Einsicht im Sinne einer Selbst-Erkenntnis. Das Teilselbstkonzept „Aggression“ wird lediglich durch ein anderes ersetzt. Es kann durchaus vernünftig sein, es „austauschen“ und in vielen Fällen wird es sogar unumgänglich sein, das Verhalten so von außen zu steuern. Im Sinne einer akuten Unterstützung, oder wenn Gefährdung der Umwelt damit verbunden ist, muss zuerst einmal Ruhe in die Emotionen hinein gebracht werden. Diese Ruhe kann durch verschiedene Hilfsmittel erfolgreich gestützt werden. Sie wurden jetzt aufgezählt: Medikamente, begleitende künstlerische Therapien, Gespräche und Verhaltenstherapien usw. So kann es, je nach Situation des Klienten, auch Hilfe verschaffen, wenn er sich z.B. einen Hund anschafft, oder beginnt, zu joggen, oder dies oder jenes in seinen Lebensalltag einbaut, was diese Wirkung unterstützt.

Alle diese Formen der Therapie schaffen etwas Neues, einen neuen Lebensaspekt, eine neue Lebensweise oder wie man dies auch nennen mag. In besonders hartnäckigen Fällen wird es nie mit „weichen Mitteln“ gelingen und eine lebenslange medikamentöse „Ruhigstellung“ wird unumgänglich sein. Gegen alle diese Konzepte ist im Grunde nichts einzuwenden und sie müssen wohl immer wieder akut gehandhabt werden. Dennoch haben sie alle eines gemeinsam: Sie bringen den betroffenen Menschen nicht an sein eigenes Zentrum heran, sondern weiter davon weg. Denn zur wirklichen Selbsterkenntnis gehört die Beobachtungsfähigkeit und Wachsamkeit sich selbst gegenüber. Die Fähigkeit, Distanz zu schaffen zu diesen Emotionen und Gedanken, sie zu erkennen und ihnen damit ihre Schärfe zu nehmen. Meines Erachtens müsste die Unterstützung in diese Richtung wesentlich stärker ins Auge gefasst werden. Das Heraustreten aus den mächtigen Gewohnheiten und Steuerungsmechanismen, die wir im Laufe eines Lebens geschaffen haben und immer wieder neu erschaffen, bedeutet, einen neuen, übergeordneten Standpunkt zu finden. Die Erfahrung, dass wir mehr sind als nur sich immer wiederholende, unbelehrbare Automaten ist der erste Schritt dazu. Er kann sich allein schon darin zeigen, dass wir innerhalb der Teil-Selbste den Standpunkt wechseln. Hier bleiben wir jedoch auf einer Ebene stehen. Gleichzeitig wird ein neuer Bewusstseins-Schritt gefordert, der es erst ermöglicht, innere, angelernte Kreisläufe in der Selbstreflexion zu durchbrechen…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Selbst-Reflexion, was ist das eigentlich?

SelbstreflexionWenn man den Begriff Selbstreflexion hört, kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, was das eigentlich bedeutet. Im Kontext der Psychologie meint es in der Regel dies: Zu beobachten, wie man reagiert, wie man handelt, wie man fühlt und denkt. Sich selbstkritisch in manchen Situationen in Frage stellen und die Gedanken, die man äußert, auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Es geht in erster Linie um Wahrheit, um richtiges, wahrheitsgetreues Denken und Wahrnehmen. Selbstreflexion in diesem Sinn, findet auf der Ebene der Gedanken statt. „Ist es wirklich richtig, dass ich dieses oder jenes gesagt, getan habe?“ –  „Habe ich diese Mitarbeiterin richtig behandelt, oder war ich zu streng mit ihr?“ – „War es falsch, dass ich mich aus der Gruppe zurückgezogen habe?“ usw.

Solche und ähnliche Fragen bilden den Inhalt der Reflexion auf sich selbst im psychologischen Zusammenhang. Es macht durchaus Sinn, die eigenen Taten und Gedanken, Emotionen und Gefühle immer wieder zu überprüfen und selbstkritisch zu hinterfragen. Wer dies tut, gewinnt im Laufe der Zeit Abstand zu gewissen Emotionen und bereichert damit gewiss sein Leben.  Die Gedanken, die ich mir dazu gemacht habe, gehen jedoch tiefer und sie berühren eine neue Schicht der Erfahrung.

Die Beurteilung und, je nach dem, Verurteilung, die Kritik an die selbst gebildeten Gedanken, ändern zwar den Standpunkt des Betrachters in mir, wenn ich die Selbstreflexion im psychologischen Kontext betrachte. Ich schreite sozusagen von meinem „Kind-Ich“ zum „Eltern-Ich“ in mir. Das Kind in mir hat etwas Unrealistisches oder Dummes gesagt oder getan. Nun kommt der strenge Vater in mir und verurteilt, oder bestraft sogar diese Tat, diese Gedanken. „So geht das aber nicht, mein Sohn! Bist du nicht ganz bei Trost…!“ Durch diesen Akt der Selbstbeurteilung fühle ich mich vielleicht wohler und bemühe mich, fortan, „vernünftiger“ zu sein. Mein „Vater-Ich“ geht nun erhaben, stolz und kontrolliert durch die Welt und verurteilt vielleicht alle, die sich so kindisch zeigen!

Das kann eine Weile gehen, aber das „Kind-Ich“, der kleine Ursli, regt sich halt von Zeit zu Zeit wieder in mir, bäumt sich auf und treibt schon bald wieder seinen Schabernack.  Es ist ein stetes Spiel in verschiedenen Rollen. Es sind kaum nur zwei solche Rollen. Die beiden erwähnten, und in der Transaktionsanalyse bekannten Rollen, sind aber dennoch beispielhaft und stellvertretend für viele vergleichbare Verhaltensmuster. Es können sich auch andere Teilselbste in uns aufbäumen und sich gegen wieder andere auflehnen oder sich gegenseitig bekämpfen. Was ich nie sehen werde auf der Gedankenebene ist die Herkunft und der Charakter dieser verschiedenen, in mir stattfindenden Auseinandersetzungen und Schlachten.

Da kommt meinetwegen das Eifersuchts-Ich plötzlich auf die Bühne. Meine Gedanken sind voll von Eifersucht. Sie werden gepackt und „übermannt“ von einer unsichtbaren und unbekannten Kraft, die mich plötzlich in Beschlag nimmt. Es gibt zwei Dinge, die im „Autopiloten“ meines Selbstes dann auftreten. Entweder ich werde mit Haut und Haaren von diesem „Gespenst“ der Eifersucht aufgesogen und vereinnahmt. Dann bin ich komplett verwoben und verhaftet mit diesen Gedanken und den Gefühlen, den Emotionen, die sich daraus bilden. Ich identifiziere mich als Selbst, als „Ich“ (oder besser als Ego), vollkommen mit diesem „Wesen der Eifersucht“. Oder es könnte sein, dass meine Entwicklung, meine Lebensschule so weit fortgeschritten ist, dass ich dieses „Wesen Eifersucht“ schon im Stadium der Entstehung erkenne und ihm gegenübertrete. Jetzt komm vielleicht wieder eine Art „Vernunft-Ich“ auf den Plan. Es flüstert mir ins Ohr: „Schau, jetzt bist du doch schon ein alter Mann, hast schon so viel Tragisches erlebt, da wird dich dieses Gefühl doch nicht so schnell erschüttern! Sei stark! Sei ein Mann und stelle dich ihm, du bist doch kein Warmduscher…!“

Aber wie schon vorher, stellt sich nun dem einen Gefühl, der einen Emotion, lediglich eine andere entgegen. Dies kann ganz verschiedene Facetten haben. Schlimmer wäre es, wenn es kein solch „vernünftiges“ Ich wäre, sondern vielleicht ein „Rache-Ich“, welches auf den Plan tritt und mich von neuem vereinnahmt. Nur eben von einer anderen Seite! Mag sein, dass es mich sogar soweit treibt, dass ich eine kriminelle Handlung begehe. Statt Eifersucht, Rache, Neid, Hass, Missgunst, Trauer usw. ließen sich hunderte von anderen Emotionen, Gefühlen aufführen, die so interagieren. Alle fordern zur gegebenen Stunde ihren Tribut. Beim einen Menschen sind diese stärker und jene Reaktionen folgen darauf. Beim anderen Menschen wiederum sind andere stärker usw.

Diese ganzen Kämpfe finden in uns selber statt. Und je nachdem, welche Erlebnisse und Erfahrungen wir im Leben durchgemacht haben, konstituieren wir unterschiedliche Teilselbste in uns. Bei der „normalen“ Selbstreflexion, wie ich sie oben kurz skizziert habe, kommen wir lediglich immer wieder „vom Regen in die Traufe“, wie man so schön sagt. Aus der emotionalen Dynamik aber kommen wir nicht heraus! Dazu braucht es nochmal einen anderen, inneren Standpunkt. Und dieser Standpunkt muss außerhalb des Denkens sein! Es ist die wache Präsenz, die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im Menschen, die, nun ohne Beurteilung, ohne Vorurteile und ohne Kritik (denn dies sind alles nur immer wieder NEUE GEDANKEN!) auf einer anderen, tieferen  Ebene lebt.

Das ist der Grundansatz meiner Gedanken im gleichnamigen Buch. In diesem Sinn ist die Selbst-Reflexion gemeint. Deshalb habe ich diese zwei Wörter auch auseinander genommen, weil mit Selbst, ein identifiziertes, verhaftetes Ich gemeint ist, welches reflektiert wird. Im Grunde genommen wird es beobachtet, nicht reflektiert. Aber der Begriff Selbstreflexion ist heute in der anderen Art und Weise so bekannt und „eingebürgert“, dass es wenig Sinn macht, schon von einem höheren Standpunkt auszugehen… Es bedeutet letztlich, diese Anteile in sich nicht zu bekämpfen und zu verdrängen, sondern es geht um deren Integration. Denn im Akt des Erkennens verlieren sie ihre Wirkung. Sie haben den „Herrn im Haus“ ekannt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Die inneren Überzeuger

Überzeuger„Es“ spricht mit mir…

„In Dir wohnt ein Wesen, was sag ich, dutzende, wenn nicht hunderte von Wesen, die Dich, jeder für sich, überzeugen wollen. Sie schustern Argumente für oder gegen dies und jenes und schmieden damit ihre Kampfschwerte, um Dich in ihrem Namen zum Sieg zu führen.

Aber es sind nur scheinbare Siege. In Wirklichkeit schwächen sie Dein eigentliches Selbst. Sie sind hartnäckig und verfolgen Dich solange, bis Du ihnen nachgibst, bis sie Dich voll und ganz in Deinen Besitz genommen haben. Wisse, diese Wesen, nenne sie meinetwegen „Deine inneren Überzeuger“ oder sonst wie, sie sind stark und mächtig.

Unterschätze sie niemals. Versuche nicht, Dich von deren Harmlosigkeit „überzeugen!“ zu lassen. Wer auch immer dies tut, ob von innen oder von außen, von mir in Dir selbst – oder von einem Freund; wisse, dass der Weg der Verharmlosung gefährlich ist, weil er Dich dumpf macht. Er führt Dich immer weiter von Dir selber weg. Alle diese Überzeuger wollen Dich auf ihren Weg führen. Und das heißt, weg von Deinem eigenen.

Sie sind Geschöpfe deiner selbst. Du hast sie einst erschaffen! Durch Verletzungen und durch Irrtum. Jetzt verfolgen sie Dich ständig. Du hast sie durch Vorurteile und Kritik gestärkt. Und solange sie von Dir Nahrung erhalten, werden sie immer grösser und mächtiger – und sie werden Dich quälen bis an Dein Ende.

Dennoch sind sie letztlich Deine Freunde, denn sie wollen nichts anderes, als Dich, auf dem Pfad der Selbsterkenntnis, vorwärts bringen. Der Schmerz, der innere Schmerz, soll Dich wecken! Wenn Du das begriffen hast, wird dieser Schmerz nachlassen und Du wirst neu geboren werden.“

Ich sage Dir das alles als Dein „Es“, denn „ich bin der Geist, der stets verneint und am Ende doch das Gute meint„…

Urs Weth: „Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz“

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