Unsere Feindbilder

Aus Mato | Bilderwelt
Aus Mato | Bilderwelt

Es ist Ihnen sicher auch schon passiert, dass Sie sich nicht verstanden fühlten, dass Sie jemand mit einer Sache konfrontierte, von der er meinte, Sie seien ein Vertreter dieser Sache! Es kann sogar sein, dass Sie dem Angreifer in dem, was er verurteilte, vollkommen Recht geben konnten!

So könnten Sie beide für eine Sache gegen dieses Angegriffene in bester Freundschaft kämpfen. Das Dumme ist nur, dass der Angreifer in Ihnen einen Vertreter eben dieses Feindbildes zu sehen glaubt! Er hat sich von Ihnen ein Bild geschmiedet, welches vollkommen an der Realität vorbei zielt, belud es mit seinen persönlichen Vorstellungen und Meinungen und hält Ihnen dieses selbst geschaffene Gespenst nun entgegen. Sie versuchen vielleicht, ihn davon zu überzeugen, dass das, wovon er spricht, nicht Ihr Glaube, Ihre Weltanschauung, Ihre Meinung, oder was auch immer, sei, und bemühen sich den Tatbestand wohlwollend zu erläutern. Ihr Gegenüber „glaubt“ aber Ihren eigenen Wahrnehmungen nicht. Er hat sich so sehr in sein eigenes Bild von Ihnen verbissen, dass jede Rechtfertigung nur noch mehr Nahrung für seinen Angriff bietet. Nun ziehen Sie sich vielleicht zurück, denken, ach was solls, da ist nichts zu machen, soll der glauben, was er will…

Nicht immer läuft es so glimpflich ab…

Solche Situationen gibt es bestimmt nicht selten. Und wenn wir uns selbst ganz genau beobachten merken wir, dass es auch uns, manchmal nur in kleinen Dingen, sehr ähnlich geht mit unseren (Vor-) Urteilen! Manchmal sind es nur die ganz kleinen Schatten: ein Flüchtling zum Beispiel, der am Tor des Asylheimes sitzt und um sein Überleben kämpft. Ein flüchtiger Blick, ein flüchtiger Gedanke, der durch unseren Kopf zieht: „Der taugt ja eh nichts, soll doch zurück in sein Land gehen…“, oder ähnliches. Ein flüchtiger Gedanke nur, der uns kaum oder gar nicht bewusst wird, in sekundenbruchteilen aufblitzt und wieder verschwindet. Schnell, schon im nächsten Sekundennruchteil schalten wir wieder um, unsere nächste Sitzung anvisierend, wo es schließlich „grössere“ Probleme zu behandeln gilt, (z.B., was wir nun mit dem erwirtschafteten Gewinn von fünf Millionen Euro anfangen sollen…).

Feindbilder sind aus dieser Art (Gedanken-) Stoff gemacht. Egal ob sie im Kleinen oder im großen passieren. Es ist oft genug der Stoff UNSERER EIGENEN, persönlichen Vorstellungen, unserem persönlichen Verständnisbild der Welt, dem wir nur immer wieder frische Nahrung geben, um dieses so am Leben zu erhalten und um unser Gewissen damit zu beruhigen. Das Gewissen, welches gebetsmühlenartig predigt: „Ich bin ja ein guter Mensch! Der oder Jener aber verkörpert das Böse!“ Was wir dort zu sehen meinen und vernichten wollen, ist oft nichts anderes als ein selbst kreiertes Schattenbild unserer selbst, ein persönlich geschaffenes Gespenst. Wie viele solche Gespenster geistern in der Welt herum, mich wohlweislich mit einbezogen…

Der Flüchtling war vielleicht, bevor er in die Schweiz einwandern musste, ein ehrbarer Bürger seines Landes gewesen und verurteilte, wie Sie, jede Form von Müßiggang. Er hatte viel Pech in seinem Leben und konnte letztlich auch nichts für die Verhältnisse, die ihn und seine Familie zur Flucht trieben… Überall wurde er abgelehnt, als Nichtsnutz verurteilt… Nun sitzt er da…
Man kann nur hoffen, dass es uns nicht auch einmal so geht. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in Syrien oder anderswo Fuss fassen, sich in deren Kultur einleben, sich mit den dortigen Behörden arrangieren, die für Sie so fremde, exotische Sprache, die seltsamen Schriftzeichen usw. lernen und dies unter grösstem existentiellem Druck für Sie und Ihre Familie… Unter schwierigsten Bedingungen, sich an die Verhaltensregeln dieser fremden Kultur gewöhnen, Sitten und Gebräuche verstehen. Alles Dinge, die komplett neu sind für Sie… Das wäre doch auch einmal eine sehr interessante – und zudem lehrreiche – Vorstellung…

PS: ECOPOP heisst eine Initiative, die derzeit in der Schweiz läuft und am 30.11.2014 zur Abstimmung kommt. «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen». Man kann sich fragen, was in diesem Sinn der Begriff „natürlich“ bedeuten mag…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Fehlerkultur…

FehlerkulturFehler sind das natürlichste im Leben und gehören ebenso dazu, wie das Amen in der Kirche und der Tod. Das ist den meisten Menschen irgendwie klar. Dennoch sieht die Realität, vor allem im Schul- und Berufsalltag, oft sehr anders aus. Wir schwanken oft zwischen den Extremen Perfektionismus und Nachlässigkeit hin und her. Das oft gelobte „Ego“ tümpelt mit einem mehr oder weniger bewussten Umgang mit seinen «Fehlern» dazwischen. 

Die Toleranz gegenüber Fehler hat in den letzten Jahrzehnten sogar noch abgenommen. Missgeschicke schlagen schnell aufs Ansehen (oder auf den Umsatz…). Dabei könnten Fehler zu einem echten kreativen Motor werden, wenn wir lernen würden, konstruktiv mit ihnen umzugehen und unsere Erfahrungen damit anzureichern. Das bedingt die Einsicht in die Entwicklungs-möglichkeiten von konstruktiv genutzten „Fehlentscheiden“ oder Missgeschicken. Und diese Einsicht hat mit Vertrauen zu tun.

Entwicklung läuft immer in Wellenform. Es gibt keine geradlinige Entwicklung. Der kürzeste Weg in einem lebendigen Prozess  ist nicht die Gerade, sondern die gebogene Linie! Egal, was wir im Leben tun, ob bei der Arbeit oder im Privatleben, unsere Bemühungen werden nie fehler-los bleiben. Wieder einmal muss ein Begriff anders definiert werden. Wir neigen dazu, das Wort «Fehler» negativ zu belasten. Oft sind wir von Kindsbeinen an darauf hin getrimmt worden, nur ja keine Fehler zu begehen. Manche entwickelten dabei ihren Skript-bedingten Perfektionismus, der in einen manischen Kontrollzwang ausmündet.

Das hemmt ihr Tun und behindert die Spontanität und die Intuitionsfähigkeit. Und genau dies sind entscheidende Faktoren für eine kreative und flexible Lösungsfindung. Zuviel Hemmung verhindert zwar Fehler, bringt aber keine innovativen, überraschenden Ideen zustande. Andere beginnen, durch eine überbetonte Kontrollhaltung, nachlässig zu werden. Sie können mit Kritik nicht positiv umgehen, ziehen sich zurück und verlieren eine gesunde Tatbereitschaft. Die «negative Aufladung» hemmt ihre Tatbereitschaft, weil sie Angst vor dem Versagen haben. Daraus kann sich eine gewisse Nachlässigkeit entwickeln, eine Art «ist mir alles egal“ -Stimmung.

Eine moderne Gesellschaft müsste dem (positiven) „Irrtum“ mehr Gewicht geben und ihn als Chance werten. Auch kreative Prozesse verlaufen in dieser Wellenform. Das heißt, jedes Tun wird durch die Selbstbeobachtung ständig korrigiert und neu bewertet. Das Hin und Her zwischen Tätigkeit und Selbstbeobachtung schafft lebendige Formen und neue Ideen. Die analytische Form, die bis ins letzte Detail schon (da-) vorgestellt wird, also bevor sie in die Tat kommt, ist das Gegenstück dazu. Dieser Prozess eliminiert möglicherweise gewisse zum Voraus «berechnete» Fehler, die an dieser oder jener Stelle auftreten könnten, aber er lässt keinen Freiraum mehr für das Besondere, Außergewöhnliche, Überraschende zu. Und davon leben alle geniale Lösungen. Es sind nicht die Kinder des Intellekts, sondern der Intuition. Fehler im Vorfeld zu eliminieren bedeutet, dem Prozess den freien Atem zu nehmen und damit «Spiel»-räume zu schaffen.

Fehler nicht mehr negativ zu sehen, sondern als Antrieb für neue Impulse, fördert und stärkt den kreativen Prozess. Dazu gehört auch hier, zum wiederholten Male, die Selbstreflexion. Denn im selben Moment, wo ich den Fehler begehe, muss ein neues, inneres Wahrnehmungsorgan den Vorgang allmählich erkennen und umwandeln lernen, damit wir nicht ständig in dieselbe Falle tappen. Fehler sind nur dann destruktiv, wenn wir sie nicht als Entwicklungsmöglichkeit sehen und aus einer pathologischen Ignoranz davon keinen persönlichen, und letztlich positiven, Nutzen ziehen können…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Müssen wir wirklich „umdenken“?

mato | bild
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Der Spruch ist in aller Munde und weitet sich in der Politszene epidemisch aus: die Menschheit müsse „umdenken“! „Umdenken“ ist im Grunde ein Unwort! Der Literatur Professor Peter von Matt sagte vor kurzem in einem Interview in der basellandschaftlichen Zeitung: „…und hoffnungslos ist nur die Erwartung, dass die ganze Menschheit umdenken soll!“ Es war ein Gespräch über „Das Buch gegen den Tod“ von Elias Canetti. Die Aussage bringt mich dazu, nicht, „um“, aber nachzudenken.

Aus der Perspektive Canettis kann ich es nicht beurteilen, aber mit Sicherheit aus meiner – insofern ich ein freier Mensch bin… Nur, bin ich frei? Bin ich frei, wenn ich mich entschließe, den Kapitalismus durch den Sozialismus zu ersetzen? Gut, ich kann „einsichtig“ werden und plötzlich kapieren (durch umdenken), dass der Kapitalismus einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Kann durch irgendwelche Lebensumstände, die in mir eine soziale Ader weckten zum Sozialisten werden. Insofern beginne ich vielleicht schleichend damit, „umzudenken“…

Der Aufruf des Umdenkens alleine bringt aber noch absolut keine Veränderung mit sich! Denn das „Umdenken“ ist immer Folge einer inneren Umwandlung; meist einer rein persönlichen Umwandlung. Der Ansatz muss also immer in dieser Kraft der Umwandlung liegen. Nur, wie wandelt man Massen um?! Allein durch Argumente, durch Überzeugung?

Meist geschieht dies so: Entweder durch (Massen-) Beeinflussung mit genialen Werbemethoden. Und sonst? Durch Überzeugung? Das ist deshalb so schwierig, weil fast jeder Mensch eine andere, nämlich seine eigene, persönlich zusammengezimmerte Überzeugung mit sich herum trägt. Und weil er diese vehement zu verteidigen sucht, um sein Gesicht nicht zu verlieren, wird dies ein äußerst schwieriges Unterfangen.

Man kann davon überzeugt sein, dass soziales Denken etwas positives ist! Schon auf der nächsttieferen Stufe der Diskussion, wenn es um die reale Umsetzung dieser Ideen geht, werden sich vielfältige Meinungsverschiedenheiten zeigen. Wir werden es ohne dezente oder penetrante Werbemethoden nie schaffen, Massen von etwas zu überzeugen. Es braucht immer eine gewisse Konzentration der Gedanken oder besser Vorstellungen. Bilder müssen geschaffen werden, die sich einbrennen, die uns emotional berühren; eine Art „Schlag-Zeile“ oder ein „Königsargument“, welches viele mit „ins Boot“ holt und entsprechend positiv vermarktet wird. Das ist es, was es braucht. Wenn jemand eine sogenannte  „gute Idee“ hat, dann muss er zur Umsetzung sehr viele Menschen finden, die diese Idee auch gut finden! Aber schon in der Anfangsphase seiner Initiative wird er schnell merken, wie schwierig das ist! Wie viel Arbeit des Überzeugens steckt dahinter!

Viele sind sich einig, die Welt, so wie sie jetzt „funktioniert“, ist nicht gerade ein Musterbeispiel von Gerechtigkeit und Edelmut. Gewiss, manche bestreiten sogar dies. Diejenigen nun, die diese Einsicht aber haben, sind sich nicht einig, wenn es darum geht, etwas daran zu ändern. Das ist die Krux des ganzen „Umdenken“- Problems. Die Heilslösung sieht jeder aus einem anderen, oft ebenfalls nur persönlich erfahrenen, Blickwinkel. Und so bleibt sie, die Welt, halt weiterhin so, wie sie ist, wie sich die Sache nun einmal „eingespielt“ hat.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Wesensverwandt…

Wer mit seinen Überzeugungen an die Öffentlichkeit treten will, sollte den Dunstkreis seiner Wesensverwandten verlassen um nicht Inzucht zu betreiben… es macht ja wenig Sinn, den Mathematik-Professor vom pythagoreischen Lehrsatz zu überzeugen… leider nehmen Dir die Wesensverwandten diesen Exkurs oft übel…

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Steppenwölfe

WolfrudelSchon Hermann Hesse hat es in seinem „Steppenwolf“ beschrieben und erkannt: In unserem Inneren leben viele Aspekte der Persönlichkeit. Sie zu durchschauen ist eine wichtige Aufgabe unserer Zeit. Dies ist umso schwieriger, als wir meistens so stark verwoben sind mit diesen „Teilselbsten“, dass wir sie, im Identifikationszustand, nicht wahrnehmen können. Oft erkennen wir einzelne, schwierige in der Begegnung mit anderen Menschen.

Die meisten Menschen setzen jedoch einem problematischen Teilselbst lediglich ein etwas weniger problematisches, oft polares, entgegen. Das ist die gängige, und eigentlich logische, Konsequenz eines rein gegenständlichen Weltbildes. Warum? Weil es für ein solches Weltbild keine einheitliche, zusammenfassende Persönlichkeit gibt.

Auf einer alltäglicheren Stufe stellt sich dies so dar. Ich erzähle z.B. dauernd allen Menschen stolz und eifrig von den „großen Taten“, die ich begangen habe und bluffe ständig damit, was für ein toller Kerl ich doch bin. Das Bild von mir ist vielleicht geprägt von einer totalen Selbstüberschätzung. Der Hochmut, in dem ich möglicherweise, (das Urteil darüber fällen vor allem die Anderen…), gefangen bin, wird mir plötzlich, schlagartig bewusst. Ich schäme mich in Grund und Boden und möchte mich nur noch verkriechen. Die „Lehre“, die ich, vielleicht auf Druck der anderen, daraus ziehe ist, bescheiden zu bleiben. Ich ziehe mich vollkommen zurück. Die Konsequenz ist eine andere Fixation, die mich nun im gegenteiligen Gedanken gefangen hält: „Ich bin schlecht, ich tauge nichts“ oder ähnliches.

Das Teilchen-Bild der materialistischen Denkweise setzt diese Teile zusammen, analysiert und kombiniert sie. Und meint, das Ganze in der Summe der Teile zu finden. Diese Anschauung beruht auf der Mechanik. Deshalb können wir selbst in der modernen Medizin keine Ansätze mehr finden, die mehr als die Teile beinhalten. Der Mensch wird auf das mechanisch-funktionelle reduziert. Und dies wiederum legt das ganze Gewicht auf eben diese Teile. Teilchen beschleunigen ist das höchste, was man damit erreichen kann. Leben wird man auch so nicht schaffen können.

„Wie auch immer, was du erzählst ist dein persönlicher Glaube“. Es soll niemand von etwas anderem überzeugt werden. „Das ist Dein persönlicher Glaube…“, sagen viele und unterlassen es, weiter darüber nachzudenken; zum Beispiel darüber, was ihr persönlicher Glaube ist. Worüber soll man denn auch nachdenken? Das mechanische Denken kombiniert nur immer wieder die Teile! Daraus leite ich obige Aussage ab. Und wie sieht es in der Praxis damit aus? Möglicherweise kommt ein Mensch mit einem extremen Verhalten zum Psychiater. Er entwickelt zum Beispiel starke Aggressionen, die so mächtig sind, dass sie für sein Umfeld gefährlich werden können. Was setzen wir nun diesen Aggressionen entgegen? Man kann Medikamente geben, die jene Bereiche des Gehirns zum Stoppen bringen, welche das aggressive Verhalten blockieren. Das ist ein (zu) häufig praktizierter, und für die Medizin relativ einfacher und lukrativer, Weg. Dadurch wird das Bewusstsein des Klienten nicht nur gehemmt, sondern es treten in den meisten Fällen starke Nebenwirkungen auf.

Der andere, etwas schwierigere Weg wird es sein, das Verhalten über eine Psychoanalyse zu steuern. Maßnahmen, die im Gespräch gefunden werden, können eine Linderung sehr wohl unterstützen. Bei diesem Verfahren wird es sinnvoll sein, behutsam vorzugehen. Herauszufinden, was diese Aggressionen auslöst, wird die zentrale Fragestellung sein. Es können aber durchaus auch sinnvolle Begleitmaßnahmen ergriffen werden, welche in ähnlicher Weise dazu beitragen, „das Gemüt zu beruhigen“. Kunsttherapien zum Beispiel sind hier oft sehr sinnvoll. Malen, Plastizieren, Musik, oder andere Mittel, können helfen, das Verhalten in andere Bahnen zu lenken. Immer vorausgesetzt, der Klient erkennt sein Problem selber und ist bereit, aktiv mitzuarbeiten. Das Beispiel ist natürlich für die Anschaulichkeit völlig vereinfacht dargestellt, weil sich Aggressionen oft oder meistens aus einer übergeordneten Belastung ergeben. Hier geht es mir nur darum, das Prinzipielle darzustellen.

All diese Mittel schaffen jedoch noch immer keine Einsicht im Sinne einer Selbst-Erkenntnis. Das Teilselbstkonzept „Aggression“ wird lediglich durch ein anderes ersetzt. Es kann durchaus vernünftig sein, es „austauschen“ und in vielen Fällen wird es sogar unumgänglich sein, das Verhalten so von außen zu steuern. Im Sinne einer akuten Unterstützung, oder wenn Gefährdung der Umwelt damit verbunden ist, muss zuerst einmal Ruhe in die Emotionen hinein gebracht werden. Diese Ruhe kann durch verschiedene Hilfsmittel erfolgreich gestützt werden. Sie wurden jetzt aufgezählt: Medikamente, begleitende künstlerische Therapien, Gespräche und Verhaltenstherapien usw. So kann es, je nach Situation des Klienten, auch Hilfe verschaffen, wenn er sich z.B. einen Hund anschafft, oder beginnt, zu joggen, oder dies oder jenes in seinen Lebensalltag einbaut, was diese Wirkung unterstützt.

Alle diese Formen der Therapie schaffen etwas Neues, einen neuen Lebensaspekt, eine neue Lebensweise oder wie man dies auch nennen mag. In besonders hartnäckigen Fällen wird es nie mit „weichen Mitteln“ gelingen und eine lebenslange medikamentöse „Ruhigstellung“ wird unumgänglich sein. Gegen alle diese Konzepte ist im Grunde nichts einzuwenden und sie müssen wohl immer wieder akut gehandhabt werden. Dennoch haben sie alle eines gemeinsam: Sie bringen den betroffenen Menschen nicht an sein eigenes Zentrum heran, sondern weiter davon weg. Denn zur wirklichen Selbsterkenntnis gehört die Beobachtungsfähigkeit und Wachsamkeit sich selbst gegenüber. Die Fähigkeit, Distanz zu schaffen zu diesen Emotionen und Gedanken, sie zu erkennen und ihnen damit ihre Schärfe zu nehmen. Meines Erachtens müsste die Unterstützung in diese Richtung wesentlich stärker ins Auge gefasst werden. Das Heraustreten aus den mächtigen Gewohnheiten und Steuerungsmechanismen, die wir im Laufe eines Lebens geschaffen haben und immer wieder neu erschaffen, bedeutet, einen neuen, übergeordneten Standpunkt zu finden. Die Erfahrung, dass wir mehr sind als nur sich immer wiederholende, unbelehrbare Automaten ist der erste Schritt dazu. Er kann sich allein schon darin zeigen, dass wir innerhalb der Teil-Selbste den Standpunkt wechseln. Hier bleiben wir jedoch auf einer Ebene stehen. Gleichzeitig wird ein neuer Bewusstseins-Schritt gefordert, der es erst ermöglicht, innere, angelernte Kreisläufe in der Selbstreflexion zu durchbrechen…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Selbst-Reflexion, was ist das eigentlich?

SelbstreflexionWenn man den Begriff Selbstreflexion hört, kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, was das eigentlich bedeutet. Im Kontext der Psychologie meint es in der Regel dies: Zu beobachten, wie man reagiert, wie man handelt, wie man fühlt und denkt. Sich selbstkritisch in manchen Situationen in Frage stellen und die Gedanken, die man äußert, auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Es geht in erster Linie um Wahrheit, um richtiges, wahrheitsgetreues Denken und Wahrnehmen. Selbstreflexion in diesem Sinn, findet auf der Ebene der Gedanken statt. „Ist es wirklich richtig, dass ich dieses oder jenes gesagt, getan habe?“ –  „Habe ich diese Mitarbeiterin richtig behandelt, oder war ich zu streng mit ihr?“ – „War es falsch, dass ich mich aus der Gruppe zurückgezogen habe?“ usw.

Solche und ähnliche Fragen bilden den Inhalt der Reflexion auf sich selbst im psychologischen Zusammenhang. Es macht durchaus Sinn, die eigenen Taten und Gedanken, Emotionen und Gefühle immer wieder zu überprüfen und selbstkritisch zu hinterfragen. Wer dies tut, gewinnt im Laufe der Zeit Abstand zu gewissen Emotionen und bereichert damit gewiss sein Leben.  Die Gedanken, die ich mir dazu gemacht habe, gehen jedoch tiefer und sie berühren eine neue Schicht der Erfahrung.

Die Beurteilung und, je nach dem, Verurteilung, die Kritik an die selbst gebildeten Gedanken, ändern zwar den Standpunkt des Betrachters in mir, wenn ich die Selbstreflexion im psychologischen Kontext betrachte. Ich schreite sozusagen von meinem „Kind-Ich“ zum „Eltern-Ich“ in mir. Das Kind in mir hat etwas Unrealistisches oder Dummes gesagt oder getan. Nun kommt der strenge Vater in mir und verurteilt, oder bestraft sogar diese Tat, diese Gedanken. „So geht das aber nicht, mein Sohn! Bist du nicht ganz bei Trost…!“ Durch diesen Akt der Selbstbeurteilung fühle ich mich vielleicht wohler und bemühe mich, fortan, „vernünftiger“ zu sein. Mein „Vater-Ich“ geht nun erhaben, stolz und kontrolliert durch die Welt und verurteilt vielleicht alle, die sich so kindisch zeigen!

Das kann eine Weile gehen, aber das „Kind-Ich“, der kleine Ursli, regt sich halt von Zeit zu Zeit wieder in mir, bäumt sich auf und treibt schon bald wieder seinen Schabernack.  Es ist ein stetes Spiel in verschiedenen Rollen. Es sind kaum nur zwei solche Rollen. Die beiden erwähnten, und in der Transaktionsanalyse bekannten Rollen, sind aber dennoch beispielhaft und stellvertretend für viele vergleichbare Verhaltensmuster. Es können sich auch andere Teilselbste in uns aufbäumen und sich gegen wieder andere auflehnen oder sich gegenseitig bekämpfen. Was ich nie sehen werde auf der Gedankenebene ist die Herkunft und der Charakter dieser verschiedenen, in mir stattfindenden Auseinandersetzungen und Schlachten.

Da kommt meinetwegen das Eifersuchts-Ich plötzlich auf die Bühne. Meine Gedanken sind voll von Eifersucht. Sie werden gepackt und „übermannt“ von einer unsichtbaren und unbekannten Kraft, die mich plötzlich in Beschlag nimmt. Es gibt zwei Dinge, die im „Autopiloten“ meines Selbstes dann auftreten. Entweder ich werde mit Haut und Haaren von diesem „Gespenst“ der Eifersucht aufgesogen und vereinnahmt. Dann bin ich komplett verwoben und verhaftet mit diesen Gedanken und den Gefühlen, den Emotionen, die sich daraus bilden. Ich identifiziere mich als Selbst, als „Ich“ (oder besser als Ego), vollkommen mit diesem „Wesen der Eifersucht“. Oder es könnte sein, dass meine Entwicklung, meine Lebensschule so weit fortgeschritten ist, dass ich dieses „Wesen Eifersucht“ schon im Stadium der Entstehung erkenne und ihm gegenübertrete. Jetzt komm vielleicht wieder eine Art „Vernunft-Ich“ auf den Plan. Es flüstert mir ins Ohr: „Schau, jetzt bist du doch schon ein alter Mann, hast schon so viel Tragisches erlebt, da wird dich dieses Gefühl doch nicht so schnell erschüttern! Sei stark! Sei ein Mann und stelle dich ihm, du bist doch kein Warmduscher…!“

Aber wie schon vorher, stellt sich nun dem einen Gefühl, der einen Emotion, lediglich eine andere entgegen. Dies kann ganz verschiedene Facetten haben. Schlimmer wäre es, wenn es kein solch „vernünftiges“ Ich wäre, sondern vielleicht ein „Rache-Ich“, welches auf den Plan tritt und mich von neuem vereinnahmt. Nur eben von einer anderen Seite! Mag sein, dass es mich sogar soweit treibt, dass ich eine kriminelle Handlung begehe. Statt Eifersucht, Rache, Neid, Hass, Missgunst, Trauer usw. ließen sich hunderte von anderen Emotionen, Gefühlen aufführen, die so interagieren. Alle fordern zur gegebenen Stunde ihren Tribut. Beim einen Menschen sind diese stärker und jene Reaktionen folgen darauf. Beim anderen Menschen wiederum sind andere stärker usw.

Diese ganzen Kämpfe finden in uns selber statt. Und je nachdem, welche Erlebnisse und Erfahrungen wir im Leben durchgemacht haben, konstituieren wir unterschiedliche Teilselbste in uns. Bei der „normalen“ Selbstreflexion, wie ich sie oben kurz skizziert habe, kommen wir lediglich immer wieder „vom Regen in die Traufe“, wie man so schön sagt. Aus der emotionalen Dynamik aber kommen wir nicht heraus! Dazu braucht es nochmal einen anderen, inneren Standpunkt. Und dieser Standpunkt muss außerhalb des Denkens sein! Es ist die wache Präsenz, die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im Menschen, die, nun ohne Beurteilung, ohne Vorurteile und ohne Kritik (denn dies sind alles nur immer wieder NEUE GEDANKEN!) auf einer anderen, tieferen  Ebene lebt.

Das ist der Grundansatz meiner Gedanken im gleichnamigen Buch. In diesem Sinn ist die Selbst-Reflexion gemeint. Deshalb habe ich diese zwei Wörter auch auseinander genommen, weil mit Selbst, ein identifiziertes, verhaftetes Ich gemeint ist, welches reflektiert wird. Im Grunde genommen wird es beobachtet, nicht reflektiert. Aber der Begriff Selbstreflexion ist heute in der anderen Art und Weise so bekannt und „eingebürgert“, dass es wenig Sinn macht, schon von einem höheren Standpunkt auszugehen… Es bedeutet letztlich, diese Anteile in sich nicht zu bekämpfen und zu verdrängen, sondern es geht um deren Integration. Denn im Akt des Erkennens verlieren sie ihre Wirkung. Sie haben den „Herrn im Haus“ ekannt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Die inneren Überzeuger

Überzeuger„Es“ spricht mit mir…

„In Dir wohnt ein Wesen, was sag ich, dutzende, wenn nicht hunderte von Wesen, die Dich, jeder für sich, überzeugen wollen. Sie schustern Argumente für oder gegen dies und jenes und schmieden damit ihre Kampfschwerte, um Dich in ihrem Namen zum Sieg zu führen.

Aber es sind nur scheinbare Siege. In Wirklichkeit schwächen sie Dein eigentliches Selbst. Sie sind hartnäckig und verfolgen Dich solange, bis Du ihnen nachgibst, bis sie Dich voll und ganz in Deinen Besitz genommen haben. Wisse, diese Wesen, nenne sie meinetwegen „Deine inneren Überzeuger“ oder sonst wie, sie sind stark und mächtig.

Unterschätze sie niemals. Versuche nicht, Dich von deren Harmlosigkeit „überzeugen!“ zu lassen. Wer auch immer dies tut, ob von innen oder von außen, von mir in Dir selbst – oder von einem Freund; wisse, dass der Weg der Verharmlosung gefährlich ist, weil er Dich dumpf macht. Er führt Dich immer weiter von Dir selber weg. Alle diese Überzeuger wollen Dich auf ihren Weg führen. Und das heißt, weg von Deinem eigenen.

Sie sind Geschöpfe deiner selbst. Du hast sie einst erschaffen! Durch Verletzungen und durch Irrtum. Jetzt verfolgen sie Dich ständig. Du hast sie durch Vorurteile und Kritik gestärkt. Und solange sie von Dir Nahrung erhalten, werden sie immer grösser und mächtiger – und sie werden Dich quälen bis an Dein Ende.

Dennoch sind sie letztlich Deine Freunde, denn sie wollen nichts anderes, als Dich, auf dem Pfad der Selbsterkenntnis, vorwärts bringen. Der Schmerz, der innere Schmerz, soll Dich wecken! Wenn Du das begriffen hast, wird dieser Schmerz nachlassen und Du wirst neu geboren werden.“

Ich sage Dir das alles als Dein „Es“, denn „ich bin der Geist, der stets verneint und am Ende doch das Gute meint„…

Urs Weth: „Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz“

Drei geniale Schweizer

Gotthardpass
Gotthardpass

Schweiz, Anfang des 19. Jahrhunderts. Immer wieder gab es, wie auch in dieser Zeit, schillernde und herausragende Persönlichkeiten, die entscheidendes geleistet haben. Mag man heute dies oder jenes Urteil über diese Menschen haben, so muss man dennoch ihre großartigen, oft wagemutigen und selbstlosen Leistungen unverhohlen anerkennen. Damals gab es drei, die letzthin in Sat 3 vorgestellt wurden: Henry Dufour, Henry Dunant und Alfred Escher. Ohne den ersten gäbe es die Schweiz in der heutigen Form wohl nicht mehr. Der zweite lebte für eine Idee, die damals als vollkommen unrealistisch und idealistisch gegolten hat: Das „Rote Kreuz“. Und ohne den dritten wären der Gotthardtunnel und das Eisenbahnnetz, wie es heute noch besteht, sowie die internationale Anbindung der Schweiz, an den Rest Europas, wohl verloren gegangen.

Alle drei Männer haben sich gegen größten Widerstand und unter Gefährdung ihrer Gesundheit, oder gar ihres Lebens, für eine Sache eingesetzt. Und alle haben dabei den Ruhm ihrer Leistungen anderen überlassen müssen. Henry Dufour war Ingenieur, riss viele Mauern ab, plante und baute dafür sein Leben lang Brücken und vermass die ganze Schweiz, sodass auch heute noch erstklassiges Kartenmaterial vorhanden ist. Nach ihm wurde der höchste Berg Europas, die Dufourspitze, benannt. Er wurde zudem als Oberst der Tagsatzungsarmee, im Sonderbundkrieg 1847, als General eingesetzt. Dieser Krieg, der geprägt war von der Auseinandersetzung einer liberalen Schweiz gegen eine mächtige innerschweizerische, katholische Verschwörung, hatte das Potential, dieses Land zu zerreißen und anderen Mächten zu überlassen. Dass Dufour es schaffte, den Krieg zu seinen Gunsten zu entscheiden und sämtliche Sonderbundkantone kapitulierten, war nur aus seiner tiefen menschlichen Haltung seiner verfeindeten Brüder auf der anderen Seite gegenüber, zu verdanken. Denn er wollte mit seiner Kriegsführung möglichst wenig Blut vergießen, weil er sich selbst mit dem Feind menschlich verbunden fühlte. Sein oberstes Ziel war die Wiedervereinigung aller Kantone und somit der Weiterbestand der Schweiz. Selbst gegen den größten Widerstand seiner eigenen höchsten Offiziere, hielt er Angriffsbefehle zurück, versuchte lediglich den Gegner sozusagen „Schachmatt“ zu stellen, ihn zu umstellen, so dass dieser kapitulieren musste. Dies gelang ihm in fast schon genialer Art und Weise. Nur wenige Menschen starben in diesem, nur wenige Wochen dauernden, Bürgerkrieg. Die Folge war nicht nur die Wiedervereinigung, sondern auch ein verstärktes Zusammenstehen aller Kantone. Als Folge gelang es 1848, aus dem Staatenbund einen Bundesstaat Schweiz zu begründen.

Der zweite, Henry Dunant, ebenfalls in Genf geboren, wie Dufour, wuchs in einer begüterten Familie auf und erlebte bereits in Algerien und später in Norditalien viel Leid, als Napoleon III in der Schlacht von Solferino mit den Franzosen gegen die Österreicher kämpfe. Dunant kam dort in ein Lazarett und erlebte, wie von Kanonen zerrissene Soldaten und Zivilisten beider Kriegsparteien, um ihr Überleben kämpften. Er pflegte und unterstützte, unter schwersten Bedingungen, den Arzt, ohne jede medizinische Kenntnis, jedoch mit größter menschlicher Anteilnahme. Seine Briefe und Berichte, die er einer Freundin in Genf schickte, verbreiteten sich mit deren Hilfe schlagartig über die Genfer Presse in alle Welt, sodass das Tabu unmenschlichster Kriegsführung gebrochen wurde und ans Tageslicht kam. Dunant erntete nicht nur Unmut, sondern geriet in größte Not, und dies nicht nur von Seiten der Feinde, sondern auch von vielen Freunden und von seinen Familienmitgliedern. Sein Vorgehen war für diese so etwas, wie ein politischer Verrat. Gegen die größten Widerstände schrieb er ein Buch, welches schnell in ganz Europa gelesen, ebenso gelobt, wie auch zerrissen wurde. Um die Verletzten aus dem, nun noch stärker von den Franzosen kontrollierten, Lazarett zu bringen, zeichnete er mit seiner blutverschmierten Hand ein großes rotes Kreuz auf die weißen Laken der Kranken. Dunant verstand das Lazarett nie als Gefangenenlager, sondern als Krankenlager für Menschen in Not, egal, welcher Kriegspartei sie angehörten und er konnte nicht verstehen, dass man keine Mittel zur Hilfe bereitstellen wollte. Mit diesem Blutkreuz auf weißem Leinen als Fahne, ritt er mit einem Zug Kriegsverletzter, Pflegern und Zivilisten, voran, und durchquerte so die heißen Feuergefechte einer tobenden Schlacht. Beide Parteien stellten ihre Waffen sofort beiseite als sie die sich nähernde Kolonne mit den roten Kreuzen, dem christlichen Symbol beider, sahen und ließen die Menschen passieren! Aus dieser waghalsigen und wagemutigen Initiative entstand nach langen Wirren und Diskussionen schließlich das internationale rote Kreuz, als kriegsneutrale Organisation, welche von allen Staaten Europas unterzeichnet wurde.

Alfred Escher schließlich, der dritte im Bunde, war von der Idee befeuert, einerseits die von den Alpen getrennten, schweizerischen Regionen miteinander zu verbinden. In ganz Europa entstand in jener Zeit ein großes Netzwerk von Eisenbahnen.  Die Schweiz drohte mit seiner einzigen Linie (von Baden nach Zürich), langsam aber sicher, ins Abseits zu geraten. Wozu brauche man denn Eisenbahnen, beschwor vor allem wieder die ländliche Bevölkerung. Bauern und Konservative stellten sich massiv dagegen und verstanden nicht, was ihnen das Ganze bringen würde. Escher kämpfte, mit seinem damaligen Tessiner Freund, Bundesrat Stefano Franscini, um die Idee einer Verbindung vom Norden in den Süden der Schweiz und damit einer Verbindung, die die Schweiz wieder ans internationale Netz anbinden konnte. Es sollte der längste Tunnel der Welt werden! Escher war überzeugt von der Möglichkeit der Realisierung seines Projektes und konnte schließlich auch das Parlament in Bern davon überzeugen. Den Zuschlag erhielt ein gewisser Louis Favre aus Genf. Der versprach, das Projekt in 8 Jahren und zum tiefsten Preis aller Gebote, zu realisieren. Zuvor entstanden schon andere wichtige Bahnverbindungen im Land, für die sich Escher einsetzte. Escher wollte bezüglich Gotthard nicht von ausländischen Banken kontrolliert werden und gründete, ohne jede Kenntnis des Bankenwesens, in Zürich am Paradeplatz, eine kleine Bank. Auch eine Versicherungsanstalt stellte er eigens dafür auf die Beine. Beides, um die Fäden einer später gegründeten Gotthardgenossenschaft, in den landeseigenen Händen zu behalten. Sowohl die Bank, wie auch die Versicherungsgesellschaft  entwickelten sich bis heute zu weltweit renommierten Institutionen mit Namen „Credit Suisse“ und „Swiss Re“. Auch Escher musste später im Alter zusehen, wie ihm das Projekt aus den Händen glitt. Zum einen, weil sich Favre in den Kosten verschätzt hatte, was dann fast zum Stillstand des Projektes führte. Und zum anderen, weil dieser kurz darauf, an Herzversagen, verstarb. Der Bau konnte in letzter Not und nur dadurch weitergeführt werden, weil sich Alfred Escher, mit Druck von aussen, erst aus der Bank und dann auch aus dem Präsidium der Gotthardgesellschaft zurückgezogen hatte. Die Einweihung seines Lebenswerks fand schließlich ohne ihn statt. Er wurde nicht dazu eingeladen! Bundesrat Emil Welti, dem Escher selbst zu seinem Amt verholfen hatte, erntete stattdessen die Lorbeeren.

Die drei biografischen Skizzen haben bei mir einen extrem starken Eindruck hinterlassen. Wie auch immer das politische Urteil dieser Männer aussehen mag, es gibt Dinge, die ich jenseits der Grenze des Beurteilers anerkennen muss. Das eine ist die hohe moralische Kompetenz und das Eintreten für eine menschlichere Welt, welche von allen drei Männern gelebt wurde. Und das andere ist die Fähigkeit, sich in ein Fachwissen und in Verhältnisse einzuarbeiten, auch wenn man darin keinerlei Vorkenntnisse hatte. Sowohl Alfred Escher, wie auch Henry Dunant hatten in den Projekten, für welche sie all ihre Kraft und, man kann wohl sogar sagen, ihr Leben opferten, keinerlei „Professionalität“! Beide arbeiten sich „nur“ aus der Kraft der Begeisterung heraus in die Thematik ein. Sie schufen letztlich Werke, die ihren Einfluss bis in die Gegenwart nachhaltig prägen. Auch Henry Dufour war nicht als General ausgebildet worden. Er erlangte dieses Amt als Oberst einer Milizarmee. Als Ingenieur war er in einem ganz anderen Bereich ein „Profi“. Und dennoch zeigte er in der besagten Situation geniale Fähigkeiten.

Was mich in diesem Zusammenhang insbesondere immer wieder beschäftigt, ist die Frage nach der Bildung. Man beschwört gerne immer wieder die notwendige „Professionalität“ und beharrt in der Beurteilung auf angelernten, studierten, schulischen Kompetenzen. Nur solche Fähigkeiten können, so sagt man, darüber entscheiden, ob jemand imstande ist, eine Aufgabe, was immer es auch sei, zu erfüllen.

Es gibt noch viel mehr Beispiele, als die drei angeführten, die belegen könnten, dass solche Professionalität auch ein Hemmschuh sein kann, um zu wirklich genialen Lösungen zu kommen. Alles, was ich mir an Inhalten aneignen, einstudieren und anlesen kann, mögen wichtige Bausteine und Fertigkeiten sein. Wie oft ist es jedoch so, dass wir im Schulalltag schlicht zu wenig Motivation verspüren, um die nötige Tiefe des Erlernten auszuloten. Umgekehrt kennen wir alle wohl die Situation, wie schnell man lernt, wenn man mit Feuer und Interesse bei einer Sache ist. Die Titel, die wir, oft stolz, durch unser Leben tragen, haben oft nicht mehr wert, als dass sie Freischeine für manche hochdotierten Stellen bedeuten. Ob die Doktorarbeit selbst erdacht, oder bloß ein Plagiat ist, ändert daran auch nicht wirklich viel. Das Papier, welches meine Fähigkeiten ausweist, ist im besten Fall ein gutes Fundament, um in mein Berufsleben einzusteigen. Im Laufe der Jahre kommen Aufgaben an uns heran, die wir nie in einer Schule simuliert haben. Das Erlernte hilft in komplexen Themen oft wenig. Erst das Durchdringen der Aufgabe mit einem aus den Erfahrungen des Lebens geschaffenen Grundverständnis, öffnet die Tore für das Neue, Unbekannte. Eine Kraft, die Intuition genannt werden kann. Aus ihr gebiert die Genialität. Mag es noch so verschroben sein, wenn wir ein Loch durch 15 km Granit-Gestein bohren wollen, damit die Züge einst hindurch fahren können; nichts ist unmöglich, wenn es auch von den meisten Menschen im Vorfeld als verrückt bezeichnet wird.

Urs Weth, Autor von: Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz und andere Bücher…

Meine besten 74 Bilder 1999 – 2014

Diese grossflächigen Bilder wurden nicht mit einem Pinsel, sondern mit Putzfäden von Hand, gemalt. Die meisten sind in einer Mischtechnik von Guache-Farben unterschiedlicher Dichte und Wachsblock-Kreiden bearbeitet. Es ist eine Auswahl von weit über 250 solcher Bilder, die in den Jahren 1999 bis heute entstanden. Weitere Infos zu meinem Werk: http://wirkstatt.jimdo.com/

 

Sind Smartphones lebensnotwendig? Eine (selbst-) kritische Betrachtung…

Skizze, auf dem smartphone gemacht...
Skizze, auf dem smartphone gemacht…

In Baden-Württemberg läuft derzeit ein Test mit Jugendlichen. Sie wollen 7 Wochen auf Handy, Tablet und Spielkonsole verzichten. Schon nach einer Woche scheint es Probleme zu geben und drei der sieben haben heimlich ihr Handy benutzt.

Die meisten von ihnen hatten kurzentschlossen zugesagt, dieses Experiment mitzumachen. Sie glaubten nicht, dass dies grössere Probleme mit sich bringen würde. Mangelnde Selbsteinschätzung? Oder unterschätzt man diese Medien eben doch? Viele von ihnen beschreiben den Zustand ihres handylosen Daseins als quälend. Sie hätten plötzlich viel mehr Zeit für sich. Wissen aber damit nichts anzufangen. Früher hätten sie in solchen Momenten einfach ihr Handy gezückt und mal eben eine SMS geschrieben oder geschaut, was es Neues gäbe. Und jetzt? Die Mutter eines Teilnehmers bemerkte, ihr Sohn hätte sich schon in einer Woche merklich verändert, positiv notabene. Er denke viel mehr über sich selber nach und werde sich erst jetzt langsam bewusst, wie viel Zeit er mit diesen Dingen zugebracht habe. Weil er den Termin einer Online-Anmeldung für die Teilnahme an einem Event im Sommer verpasst hatte, musste er nun einige Kilometer mit dem Rad zum Veranstalter radeln und dort die Teilnahme persönlich auf einem Papier bestätigen. Zum Glück reichte es gerade noch.

Die Zeit, die man offensichtlich plötzlich durch den Nichtkonsum dieser Medien zur Verfügung hat, ist so beträchtlich, dass sie merkliche Löcher in unser Bewusstsein bohren. Nicht nur junge Menschen, sondern zunehmend auch ältere, und ich nehme mich hier nicht aus, bemerken, wie viel Zeit investiert wird für eine Sache, die offenbar (und schleichend) großes (zu großes?) Gewicht bekommen hat.

Im Vordergrund steht die virtuelle Kommunikation auf verschiedenen „sozialen Plattformen“, wie Facebook, Google+, Twitter usw. Da drängt sich immer häufiger die Frage auf, wie sozial sind denn diese Netzwerke, die so viel Zeit unseres Lebens beanspruchen. Sie vernetzen uns zwar, aber verbinden sie uns auch, im Sinne von Verbindlichkeit? Und wofür würden wir diese Zeit denn sonst nutzen? Nicht nur die Jugendlichen dieses Experimentes stellen sich diese Frage, sondern auch ich werde mit ihr, unverhofft stark, konfrontiert. Und inwieweit habe ich die Sache selber noch „im Griff“? Ist es nicht manchmal allzu leicht, das iphone oder smartphone zu zücken, um eben „schnell“ Aktualitäten zu checken?

Wie frei sind wir wirklich im Benutzen dieser Medien? Sind wir nicht eher zunehmend Sklaven derselben?

Es wurden immer wieder viele Studien gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, früher noch über den Fernsehkonsum, dann über die Zeit, welche Jugendliche und Erwachsene am Computer und im Internet verbringen. Mittlerweile sieht man all diese Menschen wieder auf der Strasse! Die technische Entwicklung hat es ermöglicht, das Internet immer bei sich zu haben und fast überall online zu sein. Dadurch kommen wir wieder aus den verstaubten Zimmern und Löchern mit all den vergammelten Hamburgern und mit Cola verklebten Tastaturen zurück in die Zivilisation. Wir werden wieder öffentlich! Doch die Realität täuscht. Wie oft sieht man sie, die „Liebespaare“, vereint am Tisch, im Zug oder auf einer romantischen Gartenbank im Park sitzend, beide online, beide über whatsapp mit ihren (jeweils anderen) Freunden kommunizierend.

Was harmlos erscheint und manche vielleicht bestenfalls zu einem müden Lächeln verlockt, scheint epidemische Ausmasse zu erlangen. Wo man hingeht, mich nicht ausgenommen, der Touchscreen ist immer auf Stand-by in unserer Nähe. Was gibt es doch nicht alles Wichtiges! Man könnte ja etwas verpassen! Wie schrecklich! Was haben wir früher nicht alles verpasst! Mag sein, aber irgendwie stimmt mich die Sache dennoch nicht gerade froh. Es gibt soviel, was man/frau bedienen muss: Man denke an all die Facebook-Gruppen, in denen wir dabei sind. Die zwei oder drei Twitter-Konten, die wir verwalten müssen, die vielen Emails, die uns, meist spam-verdächtig, erreichen. Dann all die Internetseiten, Foren und Wölkchen, sprich clouds, die wir zu bedienen und zu „pflegen“ haben. Und nicht zuletzt den eigenen Blog, wie meinen hier.

Was ist das Motiv all dieses Handelns? Ist es denn wirklich so wichtig, wie wir meinen? Ich denke darüber nach, aber erst muss ich kurz meine Mails checken…

Urs Weth…Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz…
bei Thalia

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