Die Kunst der Kommunikation

mato | bilderwelt
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Wenn ich mich mit den Dingen in der Außenwelt beschäftige, habe ich in mir zwei verschiedene „Aufmerksamkeitspolaritäten“, welche Hand und Herz voneinander trennt. Die Tätigkeiten, die ich jetzt gerade tue, ist der eine Pol und die Gedanken und Vorstellungen, die ich mir im gleichen Moment daraus bilde, der andere. Was ich als Interesse bezeichne, verbindet diese beiden Pole.

Der Anspruch des Interesses besteht darin, Übereinstimmung zu erreichen, diese Pole quasi synchron zu machen. Interesse heißt: «in den Dingen sein», anwesend und mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei einer Sache zu sein.

Wenn ich gelernt habe, genau zu beobachten während dem ich handle, werde ich bemerken, dass sich innere Bilder wie ein Schleier vor die äußere Wahrnehmung stellen. Die Handlung werde ich zwar, in gewisser Weise automatisiert, weiter ausführen, aber meine Gedanken befinden sich an einem ganz anderen Ort. Die Augen sind auf ein Objekt gerichtet, welches fokussiert wird, aber sie «sehen» das Objekt selbst nicht mehr, weil sie das innere Auge auf dieses vorgestellte «Schleiergebilde» gelenkt haben.

Es ist aber nicht nur ein Bild, sondern ein vielfältiger Wechsel von Bilderfluten und Vorstellungen, einem Film gleich, welche am «inneren Auge» vorbei ziehen. Die Gedanken sind dann nicht mehr mit dem anvisierten Objekt verbunden, auch wenn die physischen Augen es durchaus noch anstarren, sondern auf diese inneren Bilderwelten fokussiert. Wer das nicht nacherleben kann, für den wird dies abstraktes Geschwätz sein. Zugleich automatisiert sich dabei der Handlungsimpuls. Daraus entsteht die Trennung des Bewusstseins in zwei Ebenen. Wir bemerken diese Bilder nur deshalb nicht, weil wir mit ihnen eins geworden sind, mit ihnen verhaftet, identifiziert sind, das heißt, weil unsere Persönlichkeit damit Eins geworden ist. Wir sind der Gedanke selbst geworden.

Aus diesen passiven Vorstellungsbildern sondern sich gleichzeitig Energien ab, welche unser Gefühlsleben vereinnahmen und beeinflussen. Der depressive Mensch hat in der Regel viele solche Bilderfluten mit negativen Inhalten. Dadurch trübt sich sein Seelenleben entsprechend melancholisch. Dazu kommt die Identifikation mit diesen Bildern. Sie lässt keinen Ausweg aus der Negativität mehr zu. Ich werde der Zustand selbst. Ich wird Es.

Es gibt jedoch eine Form von Aufmerksamkeit, die den Schleier zu durchbrechen vermag und das volle Bewusstsein und die Wachheit auf das Objekt richtet. Hand und Herz gehen erst so wieder gemeinsame Wege. Die eigene «Ich-Organisation» wird dann als Einheit erlebt. Die Energie bleibt am Beobachter gebunden und verleiht der Aufmerksamkeit, und damit der Handlung, die nötige Intensität.

Der Zustand der Trennung von Bewusstsein und Selbst-Bewusstsein ist unser alltägliche Normalzustand. Wir können das an uns selbst beobachten. Wie viel Aufmerksamkeit bringen wir auf ein betrachtetes Objekt und wie oft stellen sich schnell wieder solche passive Vorstellungsbilder vor unser inneres Auge?
Vielleicht ist das gerade jetzt, in diesem Augenblick wo Sie diese Zeilen lesen, der Fall und Sie wachen auf und denken, oh, was habe ich eben gelesen!
Vielleicht werden Sie durch das Lesen oder weil es fett gedruckt ist, aufwachen und denken: «Bitte, was schreibt er da, jetzt muss ich diese Zeile noch einmal lesen!» Ihr Auge war auf die Buchstaben gerichtet. Und weil Sie gelernt haben, automatisiert zu lesen, gingen diese Zeilen über Sie hinweg, ohne den Inhalt mit aktivem Denken aufzunehmen und zu verarbeiten! Es kann durchaus sein, dass Sie an bevorstehende Feste gedacht haben und den Gänsebraten vor Ihren Augen «gesehen» haben, während Sie gleichzeitig die Buchstaben zu Worten zusammenfügten! Nur der Inhalt des Gelesenen ist Ihnen nicht präsent. Somit hätten Sie das Erlebnis, was ich oben angesprochen habe!

Wir werden bemerken, dass die Frequenzen der Aufmerksamkeit auf die Handlungen oft nur sehr geringe Zeit aufrechterhalten werden können. Das dualistische und trennende System ist so lange eine Realität, bis wir den inneren Standpunkt wechseln können! Vorher soll niemand über Kant schimpfen! Die Kunst der Beobachtung besteht indes noch aus einer anderen Qualität. Statt dass sich der Vorgang nun ins Objekt hinein fixiert und dort haften bleibt, wacht im Hintergrund eine Präsenz, welche gleichzeitig auch die inneren Vorgänge während des Handlungs-Aktes beobachtet, ohne nun aber wieder von ihm abzugleiten!

Die Inhalte, die wir vermitteln und mit der Welt kommunizieren, sind immer an Begriffe gebunden. Nonverbale Kommunikationsformen werden auf einer unbewussteren Ebene gebildet. Letztlich müssen diese, um wieder ins wache Bewusstsein transformiert zu werden, erneut zu einem Begriff umgeformt werden. Alle diese Formen, ob verbal oder nonverbal, schaffen immer etwas Verbindendes. Begriffe bilden eine Art Überbau, ein Symbol für die wahrgenommenen Inhalte. Damit diese Inhalte nicht ständig neu umschrieben und wiederholt werden müssen, werden ihnen die Begriffe, zur allgemeinen Verständigung, angeheftet.

Es ist dennoch schwierig, das Verbindende der Begriffe in einheitlichen Formen aufrecht zu erhalten. Begriffe werden zu potenziellen Kampfwerkzeugen, zu Abgrenzungsmechansimen. Je komplexer die Wahrnehmungen, welche vom Nutzer mit dem Begriff verwoben sind, desto schwieriger wird es, einen gemeinsamen Nenner dahinter zu finden. In einer dualistischen Welt der Trennung und Abgrenzung, hat der Begriff immer weniger eine universelle Wirkung! Vielmehr umfasst er nur noch das subjektive, persönliche Selbstbild seines Trägers. Begriffe sind nie die Sache selbst. Es ist ähnlich wie mit abstrakten Symbolen. Begriffe sind letztlich Etiketten, die wir an etwas Sichtbares oder Unsichtbares anheften, um einer Erfahrung Ausdruck zu verleihen.

Nehmen wir irgendeinen beliebigen Begriff, sagen wir «Büchse». Wir nennen dieses Ding, was da vor uns steht «Büchse» und meinen damit etwas Bestimmtes. Dieses Etwas ist aber nicht erfassbar mit einem einzigen Begriff, denn es lassen sich viele Büchsenarten unterscheiden. Mit «Büchse» bezeichnen wir die Wahrnehmung sehr oberflächlich. Um es genauer zu beschreiben, so dass ein blinder Mensch das ganz genau gleiche Bild davon haben könnte wie wir, müssten wir sehr viel investieren. Wir müssten einen langen Vortrag halten und die kleinsten Feinheiten umschreiben. Erst so ergäbe sich ein einigermaßen befriedigendes Bild.

Wenn es schon mit der «Büchse» nicht gelingen mag, wie soll dies mit einem Begriff wie «Gott» möglich sein? Es ist nicht nur nicht möglich, sondern sogar äußerst gefährlich. Das sieht man an den Kriegen und an dem Leid und dem vielen Blut, welches in den vergangenen Jahrtausenden und bis in die Gegenwart hinein geflossen ist. Man lernt jahrelang Begriffe kennen und ist damit beschäftigt, diese Begriffe mit Inhalt und Wahrnehmungen zu füttern. Die Gefahr, die eigenen Vorstellungen hinein zu interpretieren und mit dem Wort zu verknüpfen ist groß. Viele solche Bemühungen werden durch Gewalt vollzogen.

Begriffe können in dieser Weise zu riesigen Gedankenkomplexen heranwachsen. Diese Konstruktionen können zurückwirken auf uns selbst und eine machtvolle Eigendynamik erlangen. Dazu kommt wiederum das Problem der Verhaftung. Deshalb wird sehr oft über Inhalte gestritten. In der Kunst, der Religion, in der Politik und in der Wirtschaft, weil den Streitenden das Verbindende und die Ganzheit hinter den Begriffen fehlt. Wir verlieren etwas dadurch, dass der Begriff keine universelle Kraft mehr hat. Man kann sich fragen: Warum ist das so? Und war es früher auch immer so? Begriffe wirkten in früheren Zeiten vielfach noch mantrisch und ganzheitlich, heute sind sie symbolische und abstrakte Worthülsen geworden. Sie wirken oft suggestiv oder haben den Charakter von Schlagworten. Alles Kampfbegriffe, welche das Gesagte bestätigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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