Gibt es ein Leben vor dem Geld?

GeldHaben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was der Mensch wäre, wenn es kein Geld gäbe? Oder wie die Gesellschaft aussehen würde, wenn es kein Geld gäbe? Oder wie Ihr Leben persönlich ohne Geld aussehen würde? Ohne Geld!? Das ist doch gar nicht möglich, werden Sie sagen! Geld wurde in unserer Gesellschaft im Lauf der letzten Jahrhunderte zu einer Lebensnotwendigkeit wie Wasser und Luft! Es gehört quasi zu den Grundelementen der Spezies homo sapiens.

Und trotzdem, das war nicht immer so! Man kennt ja alle die Formen wirtschaftlichen Zusammenlebens aus der Geschichte der Menschheit. Ist denn unser heutiges System, welches wir seit etwa 500 Jahren – mehr oder weniger erfolgreich – pflegen, sakro sankt und unumstösslich? Wie sähe die Menschheit aus, wenn es kein Geld gäbe? Würden wir alle elendiglich zu Grunde gehen?

Gewiss, in einem System, wie wir es kennen, kann man unter Umständen tatsächlich nicht lange überleben, solange man dies als Einzelner tut. Zumindest würden Geldmittel aus anderen Quellen notwendig (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld etc.). Der Grund dafür ist die allgemeine Vernetzung, die uns schleichend vom globalen Geldsystem abhängig gemacht hat. Das Spinnennetz des finanziellen Verbundes befestigt alle Menschen mit einem unsichtbaren Band um ein gemeinsames Zentrum: der Bank. Die Matrazen haben definitiv ausgedient. Sobald jemand geboren wird, ist er kostenpflichtig! (Meist schon vorher…) Leben kostet immer Geld, auch wenn wir jetzt einmal von den Grundbedürfnissen absehen. Allein auf der Welt zu sein, kostet. Dies gilt zumindest für unsere westliche Kultur. Niemand kann sich aus diesem Verbund mehr ausklinken*.

Natürlich kann jeder Einzelne sich dem eingespielten Finanzkoloss verweigern und versuchen,  „geldlos“ zu leben. Es gibt gute Beispiele dafür und ich bewundere sie, einerseits. Andererseits aber wird selbst das immer auf Kosten anderer geschehen müssen. Das Problem ist damit nicht wirklich gelöst. Irgendjemand muss mir einen Schlafplatz geben, mich nähren, die Lebenskosten bezahlen und dergleichen. Ich kann Arbeit als Gegenleistung erbringen, dennoch bleibe ich immer mit der Kette des allgegenwärtigen Geldstromes verbunden. Ansonsten bewege ich mich schnell an der Grenze des Illegalen und werde bald strafrechtlich verfolgt. Arbeiten darf ich natürlich jederzeit, aber sobald ich Geld dafür bekomme, bin ich wieder im System verwoben und steuerpflichtig. Mindestens das zweite Glied bleibt im System eingebunden und übernimmt gewisse Kosten für mich (seien es Freunde, die Familie, das Sozialamt oder andere). Insofern bleibe ich ein „Parasit“ (sprich Abhängiger) des Systems: Keine Rede von Freiheit, bestenfalls im egoistischen Sinn.

Ich frage mich, wie man ein solch dicht vernetztes und global verankertes System überhaupt aushebeln könnte, sei dies durch andere Geldsysteme oder durch neue Handels- und Finanzstrukturen – und; gibt es nicht immer Gewinner und Verlierer dabei? Gibt es so etwas wie ein wirklich gerechtes und absolut bedingungsloses „System“ oder ist es nicht – wie immer – nicht system- sondern bewusstseinsbedingt? Gäbe es grundsätzlich Möglichkeiten globaler Veränderungen, die selbst die heilige Kuh Geld (oder doch zumindest das aktuelle Finanzsystem) in Frage stellen würden und die für alle Menschen gleichermassen ein Gewinn sein könnten? Die Frage ist deswegen so schwierig zu beantworten, weil die Umsetzung immer mit großen materiellen Verlusten gewisser Menschen verbunden bleibt. Jede Umsetzung generiert ihre Opfer, bei den Schmarotzern, die in grossem Stil in diesem System absahnen, ebenso, wie auf der anderen Seite bei den Parasiten, die damit ihre derzeitige Lebensgrundlage verlieren!

Es gibt wohl keine Jetztlösung – und schon gar keine, die eine so breite Akzeptanz fände, dass sie eine Chance zur Umsetzung bringt. Jede Veränderung eines Systems ist IMMER eine Bewusstseinsfrage! Es muss die Einsicht auf Gerechtigkeit in jedem Menschen (bei den Schmarotzern, wie bei den Parasiten) so stark sein, dass sie entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, weil sie wissen, dass es – ganzheitlich betrachtet – letzlich wieder ein Gewinn für ALLE und für die allgemeine Lebensqualität bringen würde. Denn diese kann man nicht mit Geld kaufen…

Und das hiesse für den Einzelnen: Einsehen: „ich bin ein Schmarotzer“, oder „ich bin ein Parasit“, und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen… (Alle nicht davon Betroffenen haben dieses Bewusstsein ja schon, nur sind es bislang wohl viel zu wenige…). Jede nicht bewusstseinsbedingte Veränderung kann bestenfalls auf der Grundlage von Gesetzen beeinflusst werden. Aber Gesetze sind relativ, sie haben den Nachteil, dass sie nicht per se für alle einsichtig sein müssen, sondern nur für die Mehrheit (…und die „Mehrheit“ ist oft nicht einmal 1/4 der Bevölkerung, wenn sie denn überhaupt gefragt wird, wie es in der Schweiz noch der Fall ist…). Und wer wehrt sich gegen diese Gesetze? Die Betroffenen natürlich! Und wer sind in diesem Fall die Betroffenen? Die Mächtigen! Und wer hat letztlich das Sagen? Eben…

…der Kreis schliesst sich und die Welt dreht sich weiter um die Sonne wie vorher. Gelder werden in bankrotte, hochverschuldete Länder gepumpt (…und das sind nicht etwa die vermeintlich schwachen Staaten, sondern prominente wie die USA usw.), es wird gedruckt, was das Zeug hält und das System wird künstlich aufgepumpt; dies obwohl jeder Scolar mittlerweile weiss, dass es so nicht ewig weitergehen kann! Und warum tut man es denn trotzdem? Weil jeder noch einen Gewinn FÜR SICH SELBER abzwacken will. So quasi: Nach mir die Sintflut! Und diese Einzelnen werden mit Sicherheit auch Gewinne machen damit. Ob sie damit persönlich glücklicher sind, bezweifle ich. Der grösste Teil aber wird langfristig nur verlieren. Müssen wir es einfach ertragen? Können wir auf sogenannten „offiziellen“ Wegen (Gesetzesvorlagen, Abstimmungen etc.) überhaupt Erfolg haben? Ist die globale Finanzmacht (und mit ihr die Politik, die Wirtschaft) nicht immer am längeren Hebel? Und verschwenden wir unsere Energien nicht letztlich am falschen Ort?

„Kopfsache“ sagt man mittlerweile auch schon beim Fussball und im Sport. Was damit gemeint ist, ist jedem klar: Die Gedanken und Emotionen prägen unser Tun und Handeln, nicht umgekehrt. Und es nützt nichts, wenn ich der beste Dribbler der Welt bin und fit wie ein Ass, gleichzeitig aber beim Anblick von 50000 tobenden Fans im Stadion in die Hosen mache. Da helfen Gesetze zur Verhinderung der Angst auch nichts. Und es den Spielern bloss zu sagen, hilft ebensowenig. Das Beispiel macht deutlich, wie eng das Bewusstsein an die Emotionen – und damit an die Handlung, gebunden ist und wie fatal oder (je nach dem) auch fördernd es sich auf diese wiederum auswirken kann. Die Angst vor meinem persönlichen Verlust, der persönlichen Arbeit, meiner Familie, Ansehen, Status usw. verhindert letztlich jedes sozialere und menschenfreundlichere Modell für ein besseres wirtschaftliches System bisher noch immer erfolgreich… (und nicht etwa der Mangel an guten Ideen…)

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

*Ich bin offen für andere Hinweise! Hin und wieder gibt es auch durchaus interessante Artikel in der Zeitschrift Zeitpunkt… zum Thema Geld

Fussball-Fieber

FussballSommer, Hitze. Fussball. Herz, was willst du mehr! Alles sitzt, steht, (liegt?, oder steht Kopf…) vor den Fernsehern und Leinwänden der vielen Public Viewing Events, die in allen Ländern der Welt zur größten Show der geliebten Fußballstars einladen.

Wohl kaum einer interessiert sich da für philosophische Themen. Die können im Winter mal ganz interessant sein, wenn die Kugel in den Katakomben der Stadien ruht. Dann, wenn die Langeweile einen überkommt und Schnee und Kälte uns vor größerer Aktivität zurückhalten, dann, ja dann schlägt man vielleicht einmal ein Buch auf, welches man seit Jahren vergessen hatte, Hegel, Fichte, Goethe und wie sie alle heissen…

Gedanken über die Welt, über Leben oder Sinn (und Unsinn) unseres Daseins sind oft unangenehm. Sie kühlen unsere automatisierten Handlungen und Abläufe auf fatale Art und Weise auf den Gefrierpunkt ab. Sie fordern uns vielleicht dazu auf, diese ewigen Fragen des Daseins zu beachten, einmal inne zu halten, zu schweigen, Dinge anzuschauen die wir sonst kaum beachten im Trubel der vielen Aktivitäten einer überbeschleunigten Zeit.

Ich schreibe das nicht etwa ironisch, quasi aus der Position eines Fussballmuffels heraus, sondern – im Gegenteil – als bekennender Fan! Als ehemaliger Junior und Spieler eines mittelmäßigen Thurgauer Fußballvereins, weiß ich um die Faszination dieses wunderbaren Spiels, und um die Anziehungskraft des runden Leders (welches damals in den 70ern noch ziemlich unangenehm ledrig war). Man muss sich ja nicht grundsätzlich ins Abseits stellen um die Welt philosophisch zu betrachten. Gerade das „in den Dingen sein“ (genannt inter-esse), macht das Leben doch so spannend. Egal, was wir tun, das Anteil-nehmen macht die Würze aus!

Philosophie muss nicht belehrend sein, sondern beschreibend.
Sie muss nicht urteilen, sondern erkennen.
Sie soll nicht lähmend sein, sondern begeisternd.

In diesem Sinne lade ich immer wieder zur „philosophischen Unterhaltung“ und zum Mitdenken auf meinem Blog ein. Ähnlich wie im Spiel mit dem Ball, verhält sich doch das ganze Leben. Alle Themen spiegeln sich darin. Von totaler Selbstüberschätzung bis hin zur nüchternen Ungewissheit, von anerkennendem Lob bis zu verachtendem Tadel: Immer wieder wechseln Emotionen, Aggressionen und überschäumende Freude sich ab im Tanze des Ballzaubers. Nichts ist im Grunde berechenbar, nur tendenziell einschätzbar. Die Pässe, Blockaden und Mauern (Hindernisse), die (Frei-) Räume und Attacken, alles entsteht in jedem Moment immer wieder neu und unvergleichlich. Kein Spiel hat denselben Verlauf. Und doch sind die Spielregeln, die Verhältnisse exakt vorgegeben, das Spielfeld um die 100 Meter lang und 65 Meter breit, zweimal 11 spielende Akteure usw. Was innerhalb dieser Einschränkungen passiert ist ungewiss und überraschend wie das Leben selbst, welches ebenfalls gewisse klar gesetzte Rahmen hat.

Hier liegt wohl die grösste Faszination: In dieser relativen und doch planbaren Unsicherheit im Spielverlauf. Auch hier gibt es Stars, Gewinner und Verlierer, wie im Leben auch.

In diesem Sinne: Hopp Schwiiiiiiz!

Schweiz-Flagge

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Fremdbilder sind nie objektiv

fenster„Ein objektives Bild des anderen Menschen gibt es nie.
Jedes Bild, jedes Urteil ist gezwungenermaßen falsch. Nur mit einer einzigen Ausnahme:
In der Liebe erkennen wir die Einheit im Anderen, das Verbindende.“ uw

Haben wir die Liebe nicht, so verzerrt sich dieses Bild und wird abgewandelt nach den Mustern meiner eigenen Vorstellungen und Bilder, die ich in meinem bisherigen Leben aufgebaut und verinnerlicht habe. Verinnerlicht heißt in diesem Falle auch abgetrennt, abgegliedert vom Wesentlichen und Ganzen, ohne den großen Zusammenhang zu behalten. Das Lebendige wurde entfernt, die Kraft des alles durchziehenden Geistes dem goldenen Kalb geopfert.

Das abgetrennte „Ich“, wir nennen es Ego, kann nur sich selbst betrachten und erkennen (in der Selbst-Reflexion). Im Erkenntnisakt selber wächst es aber über sich hinaus und erlebt sich als Einheit, in der Wirklichkeit der Einheit, im Verbindenden, in dem, was oft „Gott“ genannt wird. Schon deshalb kann Gott nichts von mir Abgetrenntes sein. Jede Abtrennung widerspricht sich selbst, weil sie nicht alles mitumfassen kann. Und dieses All-Umfassen ist das einzige Kriterium für den Gottesbegriff. So umfasst es auch mich, aber nicht im gleichen Sinne, wie die Welt der Dinge mich einbettet und umfasst. Vielmehr durchdringt es mich, ähnlich wie die Luft, das Wasser, der Atem mit durchdringt. Tut er es nicht mehr, so stirbt mein Körper. Die Luft, der Atem aber, lebt weiter, er verliert nur einen seiner physischen Träger.

So muss jedes individualisierte Gottesbild, auch wenn es in Kirchen und Religionen institutionalisiert wird, am Ziel wahrer Liebe vorbei schießen. Solche „Götter“ dienen nur den Vorstellungen ihrer Träger. Sie schaffen ein Gefäß von Glaubenslehren und Dogmen, die sich nie durch wirkliche Einsicht, sondern durch Konditionierung und Tradition fortpflanzen.

Das Erkennen des anderen Menschen wird also ohne die Liebe verunmöglicht. Was wir sehen und wahrnehmen, entspricht nie dem wirklichen Kern des Anderen, sondern vielmehr dem persönlichen Konglomerat von selbst geschaffenen Einsichten, die mich in meiner eigenen Entwicklung betreffen.

Es wird eine der größten Aufgaben der Menschheit der nächsten zwei, drei Generationen sein, dies mit letzter Konsequenz zu durchschauen. Das größte Gut menschlichen Daseins, die Liebe, muss vom bloßen Wort zur Tat-Sache werden. Dabei muss sie vom Schlamm festgefahrener Vorstellungen befreit werden. Denn auch sie ist letztlich nur ein Begriff, der gefüllt ist mit den persönlichen Ideen seines Trägers.

Für den Einen ist Liebe schlicht Sex, für den anderen ein Empfinden rein platonischer Art. Wieder für andere ist es eine spezielle Form von Sympathie, ohne genauere Vorstellungen zu haben, wie sie von anderen ähnlichen Gefühlen zu unterscheiden sei. Manche wollen sie gar nicht definiert haben. Und in der Tat ist das Herunterbrechen auf solche Attribute niemals befriedigend. Im oben genannten Sinn verstanden, hat sie immer diesen Aspekt des Umfassenden, einer tieferen Erkenntnis vom göttlichen Kern jedes Menschen.

Erst die Erkenntnis von sich selbst bringt jenes Organ zum Leuchten, welches auch nach außen die reine Wahrnehmung, und somit die Liebe, ermöglicht. Sie ist befreit vom Schlamm der persönlichen vorgeprägten Muster und Strukturen des physischen Gehirns, welches sich nur allzu gern auf die Bequemlichkeit fertiger Ur-Teile stützt – statt Neues zu erkunden. Die befestigten Bahnen dieses äußeren Organs geben uns zugegebenermaßen Halt und Sicherheit im Denken. Sie möchten sich auch gern immer wieder bestätigt wissen und suchen ihre Inhalte immer nur dort, wo sie diese bekommen. Mit entsprechenden Konsequenzen…

Das Opfer jeder ernst gemeinten Selbsterkenntnis besteht also zunächst darin, diesen Halt aufzugeben, die Blasen einer inneren persönlichen Sicherheit platzen zu lassen, um danach das größte aller Geschenke zu erhalten, was es gibt: innere Ruhe und Frieden mit sich selbst. Dieser Weg ist schmerzvoll und hart, denn alles, was wir so sicher glaubten, was so gewiss war und was uns in unserem bisherigen Leben getragen, aber auch verletzt hat, stirbt mit diesem Akt wirklicher Selbstbeobachtung. Zugleich erwacht das neue Gefühl einer nie gekannten Freiheit in uns.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

ART Basel und ein paar neue Gedanken zur Kunst

Mato: Relief in Terracotta

Wer dieser Tage durch Basel wandelt und die sommerliche Stimmung genießt, der kann, wie jedes Jahr, ab und zu durchaus kuriose und originelle Typen antreffen. Ausgefallen sein ist zu einem Markenzeichen, zum Hauptkriterium für Anerkennung geworden.

Was früher Ausdruck war in der Kunst (Expressionismus), oder „Kunst ist, was beeindruckt“ (Impressionismus), entwickelte sich ebenso zum Symbolismus (Kunst ist, was symbolhaft ist), zu einem Ästhetizismus (Kunst ist, was ästhetischen Reiz hat), „Spaßismus“ (Kunst ist, was Spaß macht), „Sensationismus“ oder auch „Exklusivismus“ usw. Das einzig stabile was bleibt, ist der -ismus an sich, das Leitbild sozusagen, welches hinter der Motivation des Tuns steckt. Noch einer ist vielleicht zu nennen, der Egoismus (Ich bin Kunst, siehe Bild…)

Bei allem Normierten und begrenzt durch die vielen persönlichen und weltlichen -ismen (die ja meistens auch mit Geld und öffentlichem Geschmack/Meinung zu tun haben), will doch jeder und jede nicht auf die Originalität verzichten, man kann es schon fast wieder im gleichen Atemzug „Originalismus“ nennen. Welche Intentionen, frage ich mich, hatten denn die „alten Meister“ vor hundert oder vor 500 Jahren und noch ältere? Ging es um dasselbe wie heute? Um das krankhafte Bemühen nach Anerkennung, Prestige, Verkäuflichkeit, Massengeschmack usw.? Es ist sicherlich nicht abzustreiten, dass sich manches auch darum drehte.

Dennoch sehe ich die Sache etwas anders…

Ich bin allerdings sehr vorsichtig geworden mit Kritik an jedwelcher Kunstbemühung der heutigen Zeit. Zum einen kommt man dabei in Teufels Küche und zum anderen wird man gerne als überheblich und arrogant abgestempelt. Schnell wird man als (vermeintlich) Wissender hingestellt, der den „Nichtwissenden“ predigt, was gut und was schlecht ist und der sich auf den Sockel des erhabenen Expertentums stellt. Sicher, genau das tun tausende selbst ernannte Kunstkritiker auch, ohne mit der Wimper zu zucken.

Mir persönlich liegt diese Rolle eigentlich nicht und ich meine gelernt zu haben, dass doch die Bemühung um Toleranz in jedem Urteil über allen Schatten der Gegenwart stehen sollte. Diese Haltung stößt gelegentlich auf Widerstand, nämlich dann, wenn wirkliches Unrecht in der Welt geschieht, wenn es um kriegerische Handlungen geht zum Beispiel, oder um Menschenrechte, die verletzt wurden/werden usw. Immer dann sind wir aufgefordert uns den Ungerechtigkeiten mutig entgegenzustellen, aufzustehen und laut in die Welt hinaus zu schreien, was Sache ist und nicht schweigend zuzusehen und solches geschehen zu lassen! Auch wenn vieles kaum Anlass zu Fehlurteilen gibt, so sind die wirklichen Gründe doch oft tieferliegend. Dasselbe kennen wir auch in unserer eigenen, persönlichen Geschichte und wir lehnen uns (oft zurecht) auf, wenn man undifferenziert oder plakativ mit groben Geschützen unsere Taten verurteilt.

Für die Kunst gilt dies, spätestens seit der allgemeinen und provokativen Aussage, dass „alles Kunst ist“, nicht mehr. Und generell verbindet man mit Kunst nur das Adjektiv „gut“. Es gibt im Sinne der Meinung vieler Kunstexperten keine „böse Kunst“ (höchstens kaufbare und unkaufbare) Mit dem Begriff „Kunst“ verbindet man nicht zum Vornherein Gewalt, Verletzung von Menschenrechten usw. Wenn alles Kunst ist, kann man eben alles hinter diesem Begriff verstecken, einerlei, was es ist. Niemand schreit dann auf und sagt, „was Sache ist“. Einerlei gilt diese Sache oft mehr dem Beurteiler als zum Verurteilten. Auch dieses Urteil hält sich hartnäckig. Also wohin des Wegs? Was lässt sich mehr darüber sagen? Jedes Urteil wird somit im Keime erstickt. Schachmatt sozusagen. Alles ist Kunst. Punkt. Was soll das ganze Geschwafel.

Die Lösung liegt im Begriff selbst. Denn nicht alles ist ein Auto, nicht alles ist ein Kühlschrank, nicht alles ist Gott, nicht alles ist Liebe. Begriffe sind Namen, Symbole, Bezeichnungen für „etwas“, was dahintersteckt. Was als Gott „verkauft“ (oder gepredigt) wird, muss nicht zwingend Gott sein, was als Kühlschrank verkauft wird, muss kein Kühlschrank sein. Immerhin könnte es doch auch eine Attrappe sein? Außen fix und innen nix. Und was als Kunst verkauft wird, muss auch nicht Kunst sein! Denn die Aussage „alles ist Kunst“ ist im Grunde eine unsachgemäße Spielerei mit Begriffen. Denn dann wäre auch der Kühlschrank, Gott, der Mensch, das Wasser usw. Kunst. Die Welt wäre Kunst. Es gäbe Nichts, was NICHT Kunst wäre. In dieser Weise führt jeder Begriff ad absurdum. Er hebt sich selber auf. Gerade so gut könnte man sagen: Nichts ist Kunst! Also können wir wieder von vorn anfangen…

Es gibt eben nicht einfach Kunst oder Nicht-Kunst. Sondern es gibt lediglich unterschiedliche kreative Bemühungen. Wie oben erwähnt, enden sie oft mit übergeordneten Idealen, sprich -ismen. Und manche mögen die Bemühungen, andere eben nicht. Objektive Ansprüche müssen ins Tote laufen. Genau deswegen ist die Beurteilung auch so schwierig. Man kann höchstens dieses oder jenes annehmen oder ablehnen, weil man einen (subjektiven), persönlichen Bezug dazu hat oder gerade nicht. Das gilt auch für Kunstkritiker.

Die Gedanken enden immer wieder am selben Punkt, bei derselben Einsicht, nämlich dass die Geschichte dieser „Gedanken über die Kunst“ einmal mehr urteilsfrei ausgehen muss. Und wer sich ein Urteil zutraut, der sollte sich im Klaren darüber sein, dass es sich um seinen persönlichen Geschmack handelt. Damit ist mein Aufsatz am Ende angelangt. Wie so oft einmal mehr mit der Bemühung um Urteilslosigkeit.

Ich schreite durch die Räume, urteilsfrei selbstverständlich: Fleischhaken an der Decke mit Kadavern, die herunterhängen… Drei Tonnen Kies auf dem nackten Boden der Kunsthalle… Leere, rötlich gefärbte Kartonschachteln ohne irgendwelche erkenntliche Ordnung in der Ecke aufgetürmt…

Ach so, die Schachteln sind kein Kunstobjekt? Was denn? Verstehe! Da waren diese Kleider drin, aus Fäden genäht, die – in Blut getüncht – zu einer Unterhose gewoben wurden… und die jetzt an einer Leine in der Vorhalle hängen…

Auch dieser Aufsatz wie immer ohne Gewähr… ob Frauen Bärte tragen oder Männer Strapse ist doch völlig Wurscht. Kunst ist und bleibt ein umstrittenes Thema…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Gedankenfetzen

Alles hat miteinander zu tun. Je weiter wir die Kreise der Zusammenhänge ziehen können, umso bewusster sind wir. Letztlich ist alles nur eine Frage des gemeinsamen Nenners. Wer den Zusammenhang zwischen zwei unterschiedlichen Dingen nicht sieht, hat lediglich ein Bewusstseinsproblem…

Illusion der Sicherheit

Sonne

„Das eigene Selbst ist gut versteckt; von allen Goldminen ist die eigene die letzte, die man ausgräbt“ (Friedrich Nietzsche)

Erinnern Sie sich noch an Kobe? Oder an Haiti? Vielen Menschen entschwindet sogar das Erdbeben von Neuseeland, dem jüngsten vor Japan, wieder langsam aus dem Gedächtnis. Für direkt Betroffene ist das natürlich anders. Unmittelbare Betroffenheit wird sich wohl erst nach vielen Jahren, im ganzen Leben oder sogar über Generationen hinweg, wenn überhaupt, langsam legen! Das, was die Welt daran wahrnimmt, hat aber eine sehr geringe „Halbwertszeit“.

Medien können heute mit rasanter Geschwindigkeit Informationen verbreiten. Aber ebenso schnell verflachen die Erinnerungen, sobald sich diese wieder anderen Themen zuwenden. Es herrschte z.B. bei der Katastrophe von Japan, in der ganzen Welt spürbare Betroffenheit. Dies umso mehr, als man etwas zu verlieren scheint, was man, zumindest seit den 50er Jahren, gewohnt war und was seither zu einem der wichtigsten Lebensmaximen in der Gesellschaft geworden ist: Die Sicherheit!

Die Tendenz, alles versichern zu wollen, steigt. Wir wollen Sicherheit bezüglich unserer Finanzen, Sicherheit bezüglich unserer Beziehungen, Sicherheit in Wohnsituation, am Arbeitsplatz. Doch die feste, unkündbare Beamtenstelle ist schon seit einigen Jahren nicht mehr vorhanden. Die Lage ist instabil geworden, das haben jetzt wohl auch die letzten Zweifler begriffen. Es gibt keine Sicherheit mehr! Selbst unsere leibliche Sicherheit droht in Gefahr zu geraten. Atomkraftwerke, welche bersten und alles verseuchen, Ölkatastrophen, die unsere Gewässer verschmutzen. Das ganze Natursystem scheint aus dem Gleichgewicht zu geraten. Menschen sterben zu zehn-, zu hundert-tausenden – oder gar zu Millionen in dieser Welt. Ihr Schicksal wird in Kriegen oder solchen erwähnten Katastrophen besiegelt.

Und wir? Sind wir noch in Sicherheit? Was ist denn Sicherheit? Auf welche Faktoren stützten wir uns ein Leben lang? Woher nehmen wir die Kraft, wenn diese Stützen fallen? Gerade jetzt wird diese Frage brennender denn je! Wir waren es nie gewohnt, nach innen zu schauen und unsere eigenen Ressourcen aufzudecken. Zu sehr waren wir um den materiellen Wohlstand besorgt. Wenn ich jetzt nach außen schaue, wie sich alles bewegt, verwandelt und erschüttert wird, dann sehe ich kaum mehr Hoffnung oder Licht. Für viele Menschen auf dieser Welt wird es nie mehr so sein, wie vorher. Der Zusammenhang in der Gesellschaft ist so komplex und vernetzt, dass wir auch nicht mehr so locker ans andere Ende der Welt blicken können, via Spendengelder ein paar Franken abgeben, das Gewissen damit beruhigen und die Sache damit abhaken können.

Für mich stellt sich die ganz grosse Frage: Wieviele Erschütterungen muss es noch geben, bis wir endlich aufwachen! Es war in den letzten 50 Jahren nicht notwendig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Mal abgesehen von der Ölkrise in den Siebzigern, haben wir in den letzten Jahrzehnten kaum Anlass gehabt uns die Frage nach dem Sinn unseres Lebens zu stellen. Der Sinn bestand darin, dass man sein Einfamilienhaus bis zur Pensionierung abbezahlt hatte. Oder dass man sich alle Dinge leisten konnte, um ein angenehmes Leben zu leben: Genung zu Essen hatte, gesunde Kinder, den Hund, vielleicht die Ferien in der Karibik und einige Extras obenddrauf. Heute scheinen sich diese Werte langsam zu verwandeln, die Krise weicht alles auf und setzt es in Relation zum Gewesenen.

Sind wir denn nur diese „Selbstheit“, die sich als „Merkmalsidentität“ (Begriffe von Winfried Wagner) an den äußeren Dingen orientiert? Oder sind wir vielleicht doch etwas mehr? Macht es einen Sinn, das Leben nur an die äußeren Werte zu binden, wenn man sich als zweibeiniges mit Fleisch behangenes Skelett ein Leben lang daran orientiert, wie man nach außen wirkt, um 70 oder 80, vielleicht auch 90 Jahre später wieder dem Erdboden gleich gemacht zu werden?

Erschütterungen sind gut dazu, um uns aufzuwecken! Wir sind nicht nur diese „Merkmalsträger“, sondern haben, wenn wir nach innen schauen noch eine andere Erfahrung: Unser Selbstsein! Die Katastrophen bringen uns näher an diese Fragen und es ist wichtiger denn je, diesem inneren Wesen nachzuspüren! Man muss alle Kraft verwenden, um in den bedrohten Gebieten Leben zu retten und uneingeschränkt alle äußeren Hilfsmittel nutzen, um andern Menschen zu helfen! Es nützt nichts, wenn wir nur hinter den Räucherstäbchen sitzen und stundenlang meditieren, ohne den grössten Wert auf die Hilfe nach außen zu pflegen! Wenn wir uns besinnen, wie viel Potenzial in uns steckt, welche Ressourcen brach liegen, nur weil wir ein Leben lang den Schein statt das Sein pflegten, dann merken wir, was wir verpasst haben.

Diese Kräfte sind da und es ist unsere Aufgabe, sie zu ent-decken. Dazu muss man nicht den ganzen Tag meditieren. Meditation ist nicht eine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Qualität! Ich nenne sie Geistes-Gegenwart. Der erste Schritt ist die Einsicht, dass wir nicht durch unsere Außenwelt bedingt sind, sondern durch uns selbst.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Verliebt

Brief an einen jungen Freund…

philippLieber Philipp

Du hast eine Trennung hinter dir! Gewiss, du hast schon sehr viele Trennungen in deinem jungen Leben erlebt! Ich weiß, du hast in deinen zwanzig Jahren viel Leid, Verlust und Enttäuschung erfahren müssen. Und jetzt wieder ein Verlust! Es ist der schwerste, den du bisher gehabt hast, sagst du. Deine erste große Liebe! Du hast sie im Internet auf einer Online-Plattform kennen gelernt…

Du hast deine Mutter früh verloren. Dein Vater interessierte sich nicht für dich. Dann kamst du früh zu deinen Großeltern, die einen (die anderen wollten dich auch nicht haben), zogst mit ihnen nach England. Eingelebt in eine neue Kultur, neue Menschen kennen gelernt. Dann kam wieder ein Tod: nach langer Krebskrankheit stirbt auch noch der Großvater. Wieder zurück nach Deutschland. Wieder komplette Neuorientierung, Wechsel, Verlust von Vertrautem.

Du sagst auch, du findest dich hässlich und fett. Niemand wollte dich in sein Herz schließen. Keine Freunde, keine Kameraden. Du vergräbst dich in die Play Station und frisst alles in dich hinein. Und nun kommt diese Frau in dein Leben! Über Monate hinweg hast du dich mit ihr virtuell ausgetauscht. Ihr habt zusammen gelacht, habt euch verstanden. Und dann, nach einigen Monaten habt ihr euch zum ersten Mal getroffen! Du hast dabei deine Jungfräulichkeit verloren. Du warst glücklich. Zum ersten Mal in deinem Leben warst du glücklich! Gingst zurück in deine Stadt.
Und dann hat sie dich einfach fallen gelassen wie ein Stück Abfall, hat nichts mehr von sich hören lassen, den Kontakt einfach abgebrochen. Aus, vorbei! Und tschüss!

Du hast keine Lust mehr zu leben, sagst du. Alles hätte keinen Sinn mehr. Es gibt für dich keine Perspektiven mehr, keinen Halt. Du hasst dich selbst. Zerbrochen, ein Scherbenhaufen dein Leben… wofür soll das alles gut sein, fragst du?

Und ich? Was sag ich dir jetzt, mein Freund? Soll ich sagen: Geh, kämpfe um diese Frau! Soll ich sagen, wird alles schon gut, nur Kopf hoch, mein Junge! Soll ich sagen: Nimm das doch alles nicht so ernst! Soll ich dir von meinen eigenen Geschichten und Enttäuschungen erzählen und dich trösten damit?
Nein, ich bin betroffen, erschüttert. Das ist alles.
Ein so junges Leben noch und schon so viel Leid, soviel Schmerz! Und dann kommen diese Gedanken in mir hoch. Ganz langsam kommen sie. Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem eigenen Leben, als ich verliebt war! Es gab Zeiten, da hätte ich alles aufgegeben um nur noch mit dieser geliebten Frau zusammen zu sein! Also doch, sagts du jetzt vielleicht, jetzt kommt die Tröstergeschichte…
Nein, keine Tröstergeschichte. Betroffenheit verdammt!

Die erste Begegnung schon löste einen Schwarm von Gefühlen aus, diese berühmten „Schmetterlinge“ im Bauch, du weißt schon! Es war kein Platz mehr für andere Gefühle in meiner Brust. Es gab nur noch das Eine: dieses geheimnisvolle DU! DU? So frage ich mich heute. War es wirklich ein Gefühl für diesen Menschen, diesem DU gegenüber, welches da jetzt neben mir lag? Und mir doch so fremd war?

Heute muss ich ganz klar sagen: Nein, niemals! Vielmehr war es ein Bild! Mein BILD! Das Bild ist entstanden aus all den Vorstellungen und aus all den verdammt idealisierten Gedanken-gebäuden heraus, die ich diesem „Du“ entgegengebracht, „angeheftet“ und „aufgeklebt“ hatte. Der ganze Komplex dieses Gebäudes war aus Steinen meiner eigenen Vorstellungen aufgebaut worden und mit den Emotionen, die sich daraus bildeten zugepflastert. Es war ein in sich abgeschlossenes Gebilde, eine Form, die ich selbst produziert hatte und die nicht im Geringsten etwas mit dem idealisierten Abbild zu tun hatte! Nicht im Geringsten!

Und welchen Schmerz verursachte das darauf folgende „Erwachen“! Mein Gott! Nicht dass der geliebte Mensch deswegen schlechter gewesen wäre, als ich ihn mir ausgemalt hatte. Nein, in keiner Weise! Er war ganz einfach anders! Das Gegenteil ist wahrscheinlich der Fall!
Und in deinem Fall, lieber Philipp, der du diese Frau über das Internet kennengelernt hast, ist es noch ein bisschen schwieriger. Das ist deshalb so, weil du wirklich nur das von dieser Frau „gekannt“ hast, was sie dir schriftlich mitgeteilt hat. Vielleicht hattest du auch noch ein Foto von ihr. Aber du weißt ja, wie das so ist mit Fotos. Man versucht immer, die Position und die Auswahl so zu treffen, dass ein Bild möglichst vorteilhaft rüberkommt. Und Vorteil schaffen heißt nur auch wieder Illusionen schaffen. Diese Illusionen werden lange Zeit aufrechterhalten und mit anderem „Füllmaterial“ angereichert, eingepflastert.

Diese süße „rosarote Wolke“ wird immer mehr aufgeblasen. Du identifizierst dich schnell und gerne mit diesem inneren Bild. Wir kennen nur noch ein Ziel: Uns diese Wolke anzueignen, sie einzuverleiben, mit Haut und Haaren diesen Menschen an uns zu binden. Wir erleben vor allem auch immer wieder diese „Filmchen“ im Kopf, die den anderen Menschen mit uns verbinden und verkuppeln wollen. Aber nie wird uns ein Mensch gehören können, egal, ob wir verheiratet sind oder nicht. Wir haben keine Rechte auf andere Menschen, nie!

Es sind Phantasiebilder, die uns den Kopf verdrehen und von etwas Besitz ergreifen wollen, es haben möchten, für uns ganz alleine! Und der Verlust dieser Illusionen wird zu großen Schmerzen führen müssen! Du hast es erlebt, ich habe es erlebt, die meisten Menschen haben es schon erlebt und erleben es immer wieder, bis sie eines Tages vielleicht klüger werden. Die Identifikation und die seelische Verschmelzung mit dem geliebten Menschen macht uns vergessen, wer wir selbst im Innersten eigentlich sind. Und der Tod einer solchen Beziehung bedeutet unser eigener kleiner „Tod“! Aber wir haben gar nie diesen Menschen oder diese Frau geliebt, sondern immer nur ein irreales Phantombild davon, welches in dieser Weise gar nicht existiert hat. Es ist nur in unserem Kopf entstanden.

Und jetzt, was meinst du, was mit einem solchen Menschen passiert, wenn du ihm begegnest? Er fühlt sich überhaupt nicht angesprochen! Er fühlt sich nicht einmal verstanden, weil er nicht diesem von dir geschaffenen Bild entspricht, nie entsprechen kann! Er ist ein Fremder! Das ist gar keine Liebe. Denn Liebe ist reine Empathie. Wir lieben nur zu gerne unser Bild, aber nicht den nächsten.
Und der andere Mensch, diese Frau, auch sie hatte sehr wahrscheinlich ein solches Bild von dir erschaffen, welches gar nicht dir, Philipp, entsprach. Das ist die Ent-Täuschung. Die Täuschung des Bildes wird durch den realen Zustand entlarvt! Und das allein ist eigentlich schon ein Heilungsprozess, auch wenn er sehr schmerzt. Aber er ist auch gefährlich, solange man ihn nicht entlarvt!

Mach dir nun nicht auch wieder ein solches Bild von mir, wenn ich dir das alles schreibe! Es wird mit Sicherheit auch nicht der Realität entsprechen! Und du wirst wieder enttäuscht werden müssen! Sieh das als Warnung…
Und was nun? „Was fange ich, Philipp, also damit an?“ wirst du nun fragen. Und: „Auch wenn das alles stimmen mag, ich kann es ja doch nicht ändern! Es bleiben doch nur schöne Worte!“

Da will ich entschieden intervenieren und dir folgendes mit auf den Weg geben: Gewiss kannst du das ändern! Warum denn nicht? Wir müssen nur uns selbst besser kennen lernen, uns beobachten und uns selbst erkennen; erkennen, welcher Teil von uns solche Bilder produziert. Und wenn wir das bemerken, dann sind wir schon auf einem guten Weg, weil wir – nur schon durch die unmittelbare Selbstbeobachtung – uns von der Identifikation ein wenig lösen können.

Das ist ein Weg, ich weiß es, der lange dauern kann. Ich selbst hatte viele ähnliche Erlebnisse und Leiden- (schaften) wie du, bis ich diese eigentlich so banale Tatsache erkannte. Ich entdeckte plötzlich und völlig unspektakulär ein anderes Ich in mir! Einen Menschen, der hinter dieser Fassade, hinter diesem Schleier wohnt. Es war so unspektakulär, daß ich es fast übersehen hätte, weil ich spürte: Das bin Ich auch! Ich bin es! Verstehst du? Hier ist meine tiefe, unsterbliche und wirkliche Identität! Sie hat mich gerettet.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Lebensperspektiven! Lebensperspektiven?

mannEgal zu welcher Zeit ich morgens mit meinem Fahrrad den Rhein entlang zur Arbeit fahre, ob um 8, 9 Uhr oder 10 Uhr: ich treffe dort schon seit Monaten regelmäßig einen Mann an. Er sitzt immer auf derselben Bank. Er sitzt dort mit einer Zigarette im Mund. Daneben stehen zwei Büchsen billiges Bier. Sein Oberkörper ist vornübergebeugt und der Blick krallt sich am Boden fest. Ihm zu Ehren schreibe ich jetzt diesen kleinen Text.

Es ist immer das gleiche Bild, gleicher Ort, gleiche Bank. Es spielt keine Rolle ob es regnet, schneit, ob die Sonne scheint, ob es kalt ist oder warm. Der Mann sitzt einfach dort: träge, resigniert, immer mit denselben abgetragenen Klamotten am Leib.

Es geht mir jeden Morgen, wenn ich ihn sehe, so einiges durch den Kopf: Was mögen seine Lebensperspektiven sein, frage ich mich? Er hat wohl keine mehr. Es sieht so aus, als ob er die Hoffnung an alles, was „wir normalen“ noch hegen und pflegen, begraben hat. Vielleicht hat er viele Enttäuschungen erlebt! Bestimmt hat er auch keine Arbeit mehr, keine Beziehung, keine Freunde, nichts…

Auf der anderen Seite sehe ich mich! Für einen Augenblick sitze ich selbst in Gedanken auf der Bank und betrachte diesen sportlichen Radfahrer, der hier an mir vorbeiflitzt, mit vielen Bildern, Wünschen, Idealen im Kopf; mit vielen Plänen und Projekten! Ich sitze als Jener auf der Bank und betrachte mich selbst: Seltsam, wie das jetzt auf mich wirkt!
Wir beide könnten etwa im gleichen Alter sein. Der eine ohne jegliche Hoffnung, ohne Zukunft, vielleicht auch ohne Chancen! Der andere mit jener positiven Weltsicht die dem Optimisten eigen ist, mit einer offenen, vor sich liegenden Lebensperspektive, die noch einiges an Potential in sich tragen könnte.
Ich erkenne diesen Anderen, erkenne ihn in seinem Schicksal. Schließlich hab ich es schon einmal hautnah miterlebt, als sich mein um vier Jahre älterer Bruder in ähnlicher Lage das Leben nahm: Ohne eine hoffnungsvolle Perspektive, ausgebrannt, mit schwerer Alkoholproblematik. Ich müsste wissen, was jener fühlt…

Jetzt sehe ich jeden Tag, wenn ich vorbeiflitze einen Spiegel dieses Bruders vor mir. Eigentlich sollte ich nun wieder, wie so oft, auf den „Sinn des Lebens“ hinweisen, die Sache mit den Vorstellungen erwähnen, die man sich macht usw., ihm sagen: „Sieh, mein Freund: Du vergräbst dich in deine eigenen Vorstellungen von der Welt und identifizierst dich vollkommen damit. Nicht deine äußere Welt, die böse, sondern deine innere Welt, treiben dich ins Verderben! Du handelst immer so, wie du denkst, wie du dir die Dinge vorstellst. Deine ganzen Emotionen und Gefühle richten sich danach aus und beherrschen dein Leben! Löse dich von diesen Vorstellungen. Sie sind nicht DU! Es sind nur Konstrukte deiner eigenen, gelebten Biographie! Begib dich auf den Weg zu dir SELBST und du findest wieder neue Perspektiven, eine neue Ausrichtung!“

Eigentlich sollte ich ihm das sagen, denk ich. EIGENTLICH. Aber ich kann es jetzt nicht mehr. Es ist, wie wenn mir selbst die Hoffnung für dieses Schicksal abhanden gekommen ist.
Ja, und wo kommen wir denn da hin, wenn wir jedem Typen auf der Strasse ins Gewissen reden wollten? Das denke ich einen Moment und dann bin ich still! Einfach STILL!
Und schäme mich…

Wir sehen jeden Tag diese großen Unruhen, Kriege, Verbrechen, Ungerechtigkeiten auf der ganzen Welt. Sie finden nicht nur weit weg statt, in irgendeinem exotischen Land, sondern ganz nahe: Im Haus nebenan. Auf den Parkbänken der Stadt oder anonym in stillen Ecken, die vom Glimmer der Gesellschaft nicht mehr ausgeleuchtet werden. Wir twittern uns durch tausend Dinge, hin und her, und sind vollgestopft mit News, die uns all diese Ungerechtigkeiten der Welt ins Hirn hämmern und die uns viel Unheil verkünden… und zwei Minuten später: Haben wir sie wieder VERGESSEN!

Und wir empören uns darüber, wenn etwas in Ägypten, Tunesien, Russland, China oder in Nigeria nicht gemäß „unseren Vorstellungen“ läuft. VORSTELLUNGEN prägen unser Weltbild. Es gibt so viele Weltbilder. So viele, wie es Menschen gibt!

Und nun sitzt dieser Mann da am Ufer des Rheins auf dieser Bank! Ich fahre an ihm vorbei, bin längst bei der Dreirosenbrücke angelangt und habe ihn wieder vergessen. Bis zum nächsten Morgen, wenn ich ihn wieder sehe…
Es regnet. Und während dessen drehen sich meine Gedanken schon um andere Themen, währenddem die Räder meines Velos das nasse Pflaster streifen, wie wenn sie kleben würden. Ein sonderbares Geräusch. Ich nehme es nicht wahr, denn meine Gedanken versinken in die Bilder der Zukunft, an die „wichtigen“ Termine des heutigen Tages. Und ich schäme mich jetzt, wo ich gerade wieder daran denke und diesen Text schreibe, ein wenig, weil ich es immer wieder vergesse.

Aber vielleicht ist es gar nicht so, wie man denkt? Vielleicht ist jener glücklicher als ich! Er vergräbt sich nicht mehr in diese tausenden von „Wichtigkeiten“ eines vollen Terminplanes, sitzt nur da, still… und zufrieden… und macht sich keine Vorstellungen mehr…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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