Anthroposophie ist ein Begriff

rudolf-steinerEine Würdigung der Impulse Rudolf Steiners und – gleichzeitig – eine kritische Betrachtung der Bewegung.
Ein Begriff (z.B. „Anthroposophie“) deckt in erster Linie die persönliche, individuelle Vorstellung jedes Fragenden ab, wenn er dich fragt, ob du ein „Anthroposoph“ bist. Dem zuzustimmen ist sehr gefährlich, denn wir kennen die Vorstellungen, die das Gegenüber mit diesem Begriff verbindet, nicht! Und schon sind wir mitten drin…

Die Würdigung gilt dem Menschen Rudolf Steiner und hat durchaus eine persönliche Färbung. Es ist meine Beziehung zu ihm und das Verhältnis, welches sich vor mehr als 33 Jahren zu seinem Werk gebildet hat. Im Frühling 1981 (mit 25), kam mir der Name Steiners zum ersten Mal zu Ohren. Die Annäherung führte über sehr unterschiedliche Stationen schliesslich ins Heute.

Als ich damals mit der Anthroposophie in Kontakt kam, hatte ich einen naiv-kindlichen Zugang und betrachtete alles in einem rosafarbenen Schleier. „Esoterische“ und spirituelle Themen beschäftigen mich schon seit meiner Kindheit. Psychologische Fragen über Mensch, Gott und die Welt, die damit zusammenhängen ebenso wie Fussball und Lesen.

Damals war ich intensiv mit Büchern eines gewissen Carlos Castagneda`s und jenen lebensvollen Romanen von Hermann Hesse beschäftigt. Es prägte sich eine sehr idealisierende Haltung in mein (Unter)-Bewusstsein ein. Von bewusstem Sein kann nicht im Geringsten die Rede sein, weil ich aufgesogen war mit Inhalten aller Art und schnell alles für bare Münze nahm, was mir diesbezüglich in die Hände, oder in den Sinn, kam. Als ich zum ersten Mal Bücher Steiners las, gab es keinen Unterschied zwischen einem Castagneda, Hesse und ihm. Sie sprachen selbstverständlich alle vom gleichen und liessen meinen Interpretationen und Phantasien viel Spielraum.

Was ich gelesen hatte, und das war am Anfang sehr viel, integrierte ich in mein Denken. Ich färbte mein Tun und Handeln danach. Ich sah, dass es anderen auch so erging und es entstanden ähnliche, oft symbiotische Beziehungen im Umfeld von Steiners Anhängern. Man war sich in grundlegenden Fragen wie Reinkarnation und Karma in internen Kreisen meistens einig. Ein Zitat des Meisters galt als unanfechtbares Glaubensgut, was es nach aussen zu verteidigen galt. Differenzierte Fragen wurden hingegen deutlich weniger gleichmütig diskutiert. Ich habe niemals so viele Idealisten an einem Ort erlebt, wie damals.

Dann geschah etwas, was meinem innersten Wesen vollkommen widersprochen hatte: Eine persönliche Absonderung gegen anders Denkende und ein Entwicklungsstillstand wurde spürbar. Das erlebte ich spätestens, als ich die Ausbildung als Werklehrer und Kunsttherapeut am Goetheanum abgeschlossen hatte und wieder in „die Welt da draussen“ eintauchen musste/durfte. Es wurde mir zum innersten Bedürfnis, diese Re-Integration von neuem zu suchen und mich zu öffnen. So kam ich auf kleinen Umwegen schliesslich an die Psychiatrische Universitätsklinik in Basel, wo ich drei Jahre tätig war, bevor ich eine eigene kunsttherapeutische Praxis eröffnete.

Diese Beschreibungen sollen die Beziehung zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie als Entwicklungsprozess, auf einem individuellen Weg, darstellen. Am ersteren blieb alles, an der letzteren wenig, insofern es sich um den Begriff und einer vorgefertigten Vorstellung darüber handelt! Aus dem Verhältnis als Guru und Lehrer, erwachte allmählich eine innere Bruderschaft zu Rudolf Steiner. In den vergangenen 30 Jahren kam es nie zu einem grundsätzlichen Bruch, trotz meines individuellen und unkonventionellen Weges.

Das erwähnte Stehenbleiben bei den vorgefertigten Interpretationen der anthroposophischen Inhalte war mir zunehmend ein Dorn (-ach) im Auge. Davon (von den Interpretationen,nicht von den Inhalten) habe ich mich gelöst. Das ständig neue überdenken und neue formulieren von Erlebnissen und Erfahrungen brachten mich dazu, auch bei anderen Weltbildern wieder den Zugang zu Antworten über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu suchen.

Die Synergien zwischen den verschiedenen Weltbildern und Religionen standen im Mittelpunkt und keine abgeschlossene Glaubensdoktrin. Es wurde mir klar: Begriffe können eine Sache benennen, und ihnen einen Anker geben, an dem man sich festhalten kann. Die Rückaufschlüsselung dieses Ankers ist viel schwieriger, weil derselbe Begriff unterschiedliche Bedeutungen haben kann und somit nicht objektiv ist.

Das Bewusstsein der Begrenztheit unserer Vorstellungen (wir nennen es landläufig „denken“) wurde mir immer klarer. So begann ich nach bewusstem Sein zu suchen, welches sich über die reine gedankliche Ebene erhebt. Ich war davon überzeugt, dass wir grundsätzlich keine Begrenzung in der Erkenntnis haben, wie uns dies Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ nahegebracht hatte. Was ich aber im Denken suchte, offenbarte sich nun bald in der selbstreflektiven, bedingungslosen Schau desselben.

Dieses Erlebnis bedeutete für mich eine neue Wende in meinem persönlichen Entwicklungsweg. Wenn ich, so sagte ich mir, das Bewusstsein des Wahrnehmens der Gedanken erlebe, dann enthebe ich mich gleichzeitig der Identifikation mit diesen Gedanken. Das Erleben im Zustand der Selbstbeobachtung und der „Achtsamkeit“, wie ihn die buddhistische Tradition kennt, war ein Schlüssel zur Freiheit, ohne deswegen dem Buddhismus oder einem anderen „Ismus“ beitreten zu müssen…

Die Dinge widersprechen sich nicht. Man muss nicht Buddhist werden, um dies zu begreifen. Es gibt immer nur ein zu sich selbst finden.

Ich fühle mich heute näher verbunden mit Rudolf Steiner! Näher denn je! Das Beobachten des Denkens in seinem wichtigsten Werk: Der „Philosophie der Freiheit“ zeugt davon und entschlüsselte mir neue Erkenntnisse. Steiner wollte den Begriff „Anthroposophie“ jeden Tag neu definieren!

Was wäre wohl aus der Gesellschaft geworden, wenn die Menschen heute keinen Begriff mehr hätten, an welchen sie sich klammern könnten? Wenn die vermeintliche „Wahrheit“ nicht mehr aus unendlichen Diskussionen herausgepresst werden müsste, sondern bewusstseinsmässig im Jetzt erfahrbar würde. Wenn wir in jeder Situation aus uns selbst die Wahrheit finden müssten, ohne Bezugnahme oder Rezitation von irgendwelchen klugen Sprüchen! Wenn nur noch diese Erfahrungen und Erlebnisse relevant würden auf einer internationalen, vollkommen unabhängigen Plattform, die keinen Namen hat und aus dem Herzen jedes Einzelnen entspringen würde…

Steiners Anthroposophie ist diesem Gedanken sehr nahe gekommen. Nur, wohin steuert dieses zunehmend träge werdende Schiff, welches den Namen heute trägt und verantwortet und welches sich im riesigen Ozean der Ideologien zu verirren droht, sich mehr und mehr spaltet in Untergruppen, Nebengruppen und in feindliche Lager. Wie unabhängig und frei ist die Gesellschaft (…und die damit zusammengeschlossenen Verbände) heute noch?

Solche Fragen bewegen mich unaufhörlich. Ich bin nicht am Ende meiner Weisheit angekommen und werde dies auch nie schaffen. Ich stelle lediglich ehrlich und offen meine persönliche Sicht der Dinge dar. Offenheit im Rucksack tragend, allen ernsthaften Bemühungen gegenüber, seien sie mir ideologisch näher oder ferner… so lautet mein Lebensmotiv.

Die einzige Abhängigkeit, oder besser Verantwortung, habe ich meinem eigenen, inneren geistigen Führer gegenüber. Er aber hat keinen Namen und bleibt für immer unaussprechlich.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und ein KinderbuchUrsli und der Traum vom Schiff

Glaube macht selig?

Glaube, WissenDer Weg von der Information hin zum eigenen Standpunkt ist mit vielen Hindernissen gepflastert. In der Regel werden Gedanken von außen aufgenommen und nur empfindungsmässig „kontrolliert“. Gedanken werden selten umgewandelt und zu Ende gedacht. Weil nun aber viele Informationen von außen mit einem rosafarbenen Mäntelchen daherkommen und in schöne Kleider verpackt sind, ist man nicht mehr geneigt den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.

Sowohl in der Politik, in der Werbeindustrie, in den Medien, kurz: überall wo man die Gunst möglichst vieler Menschen erwerben will, macht man sich deren Tugend der Massen zu nutzen: die Abstumpfung und Lethargie. Verpackung ist alles, Inhalt ist nix! Der grösste Mist wird verkauft, die hinterhältigsten Politiker gewählt, wenn der Wille nicht aufgebracht wird, Tatsachen auf den Grund zu gehen und ihnen auch ungeschminkt in die Augen zu schauen. Nur ist es kaum möglich, immer und zu jeder Zeit hinter alle Fassaden blicken zu können und alles zu hinterfragen. Man bekommt mit der Zeit so etwas wie eine „Empfindungsmeinung“.

Ich erfahre und erlebe sie in der Skepsis oder auch als dumpfe Zustimmung wieder. In vielen Fällen werde ich damit gute Erfahrungen machen. In manchen Fällen greife ich auch daneben. Jede Information, die mich berührt, erzeugt in mir zunächst Zustimmung oder Skepsis. Beide bilden sozusagen meine Arbeitshypothese für die Weiterverarbeitung. Sie kann eine gute erste Grundlage sein für alle erkenntnisbildenden Prozesse. Was danach folgt, ist eigenschöpferische Kraft. Der Erkenntnisakt geht immer durch die Gefühle hindurch bis er, wieder zurück in meinem Kopf angelangt, zur Meinung wird. Verfolge ich diesen Vorgang weiter zurück und frage mich, was liegt denn dem Glauben zu Grunde, so stoße ich zunächst immer auf ein Gefühl! Aber was ist die Grundlage des Gefühles? Gefühle sind Produkte meiner Erlebnisse und Erfahrungen.

Alles, was mich in meinem Leben berührt, was ich verarbeite und innerlich bewege (oder verdränge), bildet an diesen Gefühlen mit. Hinter all den Erfahrungen stehen meine Lebensumstände.

Wo wurde ich hineingeboren, in welche Kultur, in welches Land, in welche Stadt, welches Dorf, welche Landschaft. Was für Menschen umgeben/umgaben mich, prägen mit, trösten, plagen oder bilden, erziehen mich? Freunde, Bekannte, Eltern, aber auch Feinde: es entstehen Feindbilder. Vorlieben oder Neigungen formen mich, schmieden am Glück oder am Leid meines Lebens. Glaube Sie alle bilden an meinen Empfindungen, welche dann dumpf in den Untergrund tauchen und alles Verhalten und Beurteilen in meinem Leben mitbestimmen. Lebensumstände bilden an den Glaubensbekenntnisse.

Diese Lebensumstände sind eingeleitet worden durch die Geburtsumstände. Dahinein spielt die die Vorgeschichte der Geburt ebenso eine Rolle, wie auch der Verlauf der Geburt selber. Wer noch weiter zurück will, wird wieder auf das Problem des Dualismus stoßen und den Ursprung an verschiedenen Orten suchen. So werde ich als Materialist als einzige Bedingungen die Gene und irgendwelche biochemischen Prozesse akzeptieren, währenddem ich als spiritueller Mensch dahinter eine geistige Realität sehen kann. Dieser wird die Ursache des Glaubens letztlich ebenso gewiss als karmischen Ursprung definieren können wie der Materialist den seinen in den Genen und biochemischen Prozessen sucht.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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