Vogel friss oder stirb…

VogelaquarellDialogbereitschaft oder das Kämpfen für eigene Ideale, was ist wichtiger? Diese Frage stellt sich mir zunehmend, wenn ich versuche, unbefangen in die Welt zu schauen. Sicher, es gibt viel zu tun, um eine „bessere Welt“ zu schaffen!

Nur: eine „bessere Welt“?!? Was ist die „bessere Welt“? Manche Stimmen sagen: „Ja, das liegt doch auf der Hand, diese Welt ist doch voller Abzocker und Egoisten! Jeder schaut nur noch für sich! Vogel friss oder stirb! Das muss die Devise sein…“  Der Spruch war übrigens auch die Devise eines großen europäischen Diktators zu Beginn seines Wirkens in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts… „Wenn du nicht für dich schaust, dann schnappt dir der Andere die besten Brocken weg. Du kommst zu nichts, wenn du dich nicht durchboxt!“ Zumindest bis vor drei, vier Jahrzehnten waren Parolen wie diese, trotz aller Erfahrungen eines fürchterlichen Kriegs, so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche. Heute ist man da schon etwas vorsichtiger geworden mit Aussagen dieser Art. Die Worte werden gewiss immer milder, aber die Taten sind dieselben (oder schlimmer) geworden, nur verdeckter. „Was redest du da von Dialogbereitschaft? Zuerst müssen wir doch die bestehende Welt „verbessern“! Was soll das ganze Geschwafel von Dialog und so, miteinander reden… wenn es doch keine Resultate gibt? Was es braucht, sind doch in erster Linie Taten. Unsere Ideen und Parolen sind die besten!“

Diese Argumente bringen jeden hintergründigen Denker schnell zum Schweigen (oder ins grübeln…). Es scheint tatsächlich so zu sein, dass es oft an Taten mangelt! Die Frage ist nur, weshalb mangelt es daran? Wenn ich auf das globale Finanzsystem schaue und auf die Turbulenzen der letzten Jahre, wo vor allem die mittleren und kleinen Einkommen/Betriebe wieder dran glauben mussten, dann scheint es mir auch so, dass es an Taten mangelt. Aber wie sieht die Lösung des Konfliktes aus? Es gibt eben keine Lösung, es gibt nur immer wieder viele Lösungen! Und da liegt das Kernproblem. Es gibt sehr viele (durchaus gute) Konzepte, Stichwort „Grundeinkommen“, „Vollgeldreform“ bis hin zu interessanten Tauschgeldsystemen, zinslosen Geldsystemen und so weiter und so fort.

Alle wollen im Grunde nur das Eine, aber keiner wird es wohl wirklich schaffen, die vielen Herren (und wenigen Damen) an den Schaltern der Macht zu stürzen. Warum? Weil es zu viele in der Grundausrichtung ähnliche, aber in der Ausführung verschiedene, Ideen gibt! Und dabei glaubt jeder ausschließlich an SEINE Lösung, an SEIN Ideal. Keiner ist bereit, auf das Andere, auf den Anderen, einzugehen. Dies scheint das Grundübel der Zeit zu sein. Und so komme ich halt schon wieder zum Thema Dialog! Es wird letztlich jeder ein Verlierer sein, der nicht bereit ist, sich auf andere Ideen einzulassen. Solches relativiert das: „Ist doch klar, MEINE Lösung ist die Beste, sieht doch jeder ein, der einigermaßen vernünftig denken kann!“

Die Wahrheit liegt nicht im Mein, (haben im Übrigen Schopenhauer, Kant und viele andere bereits erkannt): Die Welt ist meine Vorstellung, sagen sie. Und wenn die Welt nur meine Vorstellung ist, dann sind auch meine Ideale eben NUR meine Ideale. Die große Frage bleibt also bestehen: Wie kommen wir auf diese Weise zu gemeinsamen Lösungen, zu Konsens? Indem sich viele Lösungen zusammenfinden und mischen? Faule Kompromisse also?
Nein! „Wo zwei oder mehr in meinem Namen…“ usw. – „…bin ich mitten unter ihnen…“, so heißt es doch im christlichen Kontext? Und das ist wahr! Damit ist gewiss kein Kompromiss gemeint, und schon gar kein fauler, sondern etwas Neues, was sich aus dem Zusammenwirken vieler ergibt! Und das bedingt eben den Dialog! Das hat nichts mit Friede, Freude, Eierkuchen zu tun. Es kann sogar ein harter Kampf und intensive Auseinandersetzung bedeuten. Das bedingt ein aktives und kreatives Eingehen auf den Anderen, das Andere, das Fremde. Ein „Retreat“ von eigenen Denkmuster und Gedankenkonstrukten sozusagen, von jahrzehntelang gepflegten und einverleibten Idealen, Meinungen und Vorstellungen. Und das ist verdammt schwer!

Warum gibt es denn so viele verschiedene (gute) Lösungen? Und nicht nur für unsere Wirtschaft: Jeden Tag sieht, liest und hört man es doch in den Medien: es wird gestritten und debattiert, unverrückbar auf Standpunkten herumgeritten. Eben: Unverrückbar. Keiner bewegt sich hin zum Anderen, lenkt ein bisschen ein, weil man immer das Gefühl hat, das eigene müsse doch das Beste sein für alle, das Objektive, Urteil des „gesunden Menschenverstandes“. Und man könnte dabei das eigene Gesicht verlieren! „Die anderen kapieren es einfach nicht, aber sie werden schon noch dahinterkommen, wenn…usw.“: Ohne diese Grundhaltung kann man in der Politik einpacken. Doch niemand verliert sein Gesicht, sondern gewinnt unbedingt etwas Wesentliches dazu: Vertrauen…

Ist es so schwierig vorauszusehen, dass sich unter diesen Umständen auf Dauer niemals etwas wirklich und nachhaltig verändern lässt? Sehen wir es nicht seit Jahrzehnten zum Beispiel im nahen Osten oder bei anderen unaufhörlichen Konflikten? Sind die Positionen der Mächtigen dort auch nur ein Mü aneinander gerückt; trotz scheinbaren Zwischenlösungen, Waffenstillständen und akrobatischer rhetorischer Eskapaden? Die Medien berichten im Grunde immer dasselbe, seit Jahrzehnten. Die Entwicklung mag zyklisch sein, aber ohne nachhaltige Aufwärtsbewegung! Und sie wird es solange bleiben, bis man vielleicht irgendwann endlich aufeinander zugeht. Das heißt aber, etwas von sich selbst abgeben zu müssen, einen Standpunkt zu verändern, einen Seitenblick wagen, offen sein. Jeder/jede muss ein Zäckchen aus seiner eigenen Krone picken oder mehrere. Was übrig bleibt, ist vielleicht nur noch eine Kappe, aber die gibt wenigstens warm…

Abgeben?!? Oder gar etwas schenken!?! Was für Unworte! Das ist das Gegenteil von dem, was heute gefordert wird! Wer sich seinen Anteil nicht selber nimmt, dem wird er genommen! Nur ja nicht ABGEBEN oder SCHENKEN! Alles muss stets wachsen (ausser die Löhne der Arbeiter). Wachstum geht über alles, sogar über Leichen! Immer weiter, immer höher, immer schneller – und immer mehr…

Doch auch die Natur kennt nicht nur Wachstum.
Was wäre der Jahreslauf, wenn wir ihn ausschließlich auf Wachstum beschränkten,
wenn die Blätter im Herbst nicht mehr fallen würden,
sondern endlos wachsen müssten?
Meines Wissens nennt man dies Phänomen auch Krebs…

Weniger ist nicht immer ein Verlust?
Ein weniger an materiellem wird mit Sicherheit ein Mehr an Freude,
Glück und Zufriedenheit bringen…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Ich bin: also gibt es keine Freiheit?

Die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, irgendwelchen Gedanken und Vorstellungen nachzujagen, die mir „etwas“ bringen sollen. Es sind Ideen, die mich befeuern oder auch nicht, aus denen ich Nahrung für meine Handlungen erhalte – oder auch nicht. Auch in der Kunst schöpfen wir doch die allermeisten Motive und Taten aus der Ideenwelt. Woraus sollen wir sie denn sonst schaffen?

So wie Goldmund, der Gegenpol des Narziss in Hermann Hesses Roman, fast sein ganzes Leben damit verbringt, den Inbegriff der Schönheit, des Schönen, zu finden und ihn in einem Kunstwerk zu verewigen. Oder Leonardo da Vinci, der Jahrzehnte seines Lebens damit beschäftigt war, seiner Mona Lisa den Hauch des Lebens einzuimpfen, so versuchen wir unseren Idealen nachzugehen und auf irgendeinem Gebiet das „Allerhöchste“, den Gipfel zu erreichen. Sei es in der Kunst oder im alltäglichen Leben: die Taten sind Produkte unserer Vorstellungen. Was ist denn daran falsch, mag man fragen? Nichts natürlich, es ist der Normalzustand unseres Bewusstseins. Nicht falsch, aber problematisch wird es dann, wenn wir den Ursprung unserer Vorstellungen nicht kennen. Wir fühlen uns mit ihnen aufs Innigste verbunden und schöpfen daraus ebenso Freude und Begeisterung, wie auch Leid und Missmut. Solche Vorstellungen können eine große Macht auf uns ausüben und auch tiefste Gefühle hervorlocken, im Sinne beider emotionalen Lagen, der nach „oben“ (in den Himmel) wie nach „unten“ (in die Hölle).

Wenn wir zum Beispiel 500 Euro gewonnen haben und uns dann vornehmen, am Nachmittag in das beste Kleidergeschäft zu gehen, um uns „etwas zu gönnen“, was wir uns sonst nicht leisten würden, dann kann diese Vorstellung ein großes Freude-, ja sogar Glücksgefühl auslösen, welches uns den ganzen Tag beflügelt! Danach, wenn der Kauf getätigt ist, entschwindet diese Freude wieder recht schnell. Der nächste „Kick“ dieser Art wird bald gesucht. In dieser Weise kompensieren wir viele Dinge in unserem Leben, die eigentlich zerstörerisch wären und die uns vielleicht nachdenklich stimmen müssten. Genauso gut kann es nämlich sein, dass uns einen Tag später, wenn wir mit dem neu erstandenen Kleid durch die Stadt gehen, ein unangenehmes Erlebnis begegnet, welches uns den Rest dieses Tages, oder länger, traurig sein lässt.

Unsere Wahrnehmungen und die damit verbundenen Gedanken sind dafür verantwortlich, ob es uns sehr gut, mittelmäßig oder eben schlecht geht. Ein Ausbrechen aus diesem Kreislauf scheint auch gänzlich unmöglich zu sein. Das Verwoben sein mit dem Alltäglichen ist derart groß, dass es für die meisten Menschen undenkbar ist, sich dem zu entziehen. Es ist für die meisten „normal“. Und dennoch muss man konstatieren, dass es so etwas wie Freiheit auf dieser Ebene gar nicht geben kann. Denn frei sein würde bedeuten, dass wir Kontrolle oder vielleicht besser die Beherrschung darüber haben, was uns bedrängt, führt oder leitet. Gefühle und Gedanken, die stets kommen und gehen, müssten uns bewusst sein und wir müssten die Fähigkeit haben, darüber zu entscheiden, ob wir sie annehmen wollen oder nicht, also im positiven Sinne reflektieren.

Das ist aber leider nicht der Fall. Also gibt es keine Freiheit? Wie steht es denn mit Gesetzen, mit Rechten und Pflichten, die wir als Bürger haben? Wenn wir einen Verbrecher verurteilen, gehen wir doch davon aus, dass er „frei“ und vollbewusst gehandelt habe. Das heißt, wir gehen davon aus, dass er wusste, was er tat. Wusste er das? Hat er wirklich in „Freiheit“ darüber entschieden, sein Opfer zu vergewaltigen, zu töten, zu berauben – oder was auch immer? Die Frage ist natürlich sehr heikel und dennoch klar. Denn das Gesetz geht davon aus, dass jeder und jede „zurechnungsfähig“ sei, das heißt, im Bewusstsein der Folgen für alle Beteiligten eine strafbare Handlung begangen habe. Es kann natürlich auch Unzurechnungsfähigkeit attestiert werden, was jedoch eher ein Sonderfall ist. Im Falle der sogenanntem „Zurechnungsfähigkeit“ müsste man davon ausgehen, dass es bei solchen Verbrechen so etwas wie Freiheit tatsächlich gibt!

Wenn es sie gibt, dann liegt sie außerhalb der Verstrickungen unseres alltäglichen Denkens. Und ob jemand aus dieser Ebene heraus handelt, kann nicht so eindeutig beurteilt werden. Wenn meine Freude davon abhängig ist, ob ich im Lotto gewinne oder mir „etwas Gutes“ tue, um glücklich zu sein, dann sind wir in der Abhängigkeit der Vorstellung „Geld“, „Reichtum“, „Ansehen“. Die Frage wäre demnach, ob die Vorstellung eine freie sei? Das können wir (als Betroffene) nur herausfinden, wenn wir versuchen, uns ihr entgegenzustellen. Wenn ich mir sagen kann, ok, heute habe ich 500 Euro gewonnen, aber ich lass das jetzt mit den Kleidern und spare mir das Geld lieber an für schlechtere Zeiten; dann haben wir die eine Vorstellung mit der anderen, vernünftigeren, ersetzt. Ist nun die „Vernünftigere“ frei?

Positive Vorstellungen können uns nicht nur Stunden, sondern Tage, Wochen oder gar Monate lang auf einem bestimmten Level der Freude halten, uns in ein „Hoch“ versetzen, oder uns gar euphorisieren. Das kann der Gedanke an die bevorstehende Rente sein, oder die Vorfreude auf ein Ereignis, welcher Art auch immer. Oder es kann die Erwartung des Urlaubs mit der Familie sein usw.

Im gleichen Maß sind aber auch negative Vorstellungen beherrschend auf unser Gemütsleben. Der Tod eines geliebten Menschen kann dazu führen, oder eine desolate Lebenslage, oder andere, schwierige Umstände und Ereignisse, die anstehen. Die Abhängigkeit unserer Freuden und Leiden von den Gedanken, die uns permanent durchziehen, ist sicherlich unbestritten. Die Frage bleibt bestehen: wie groß ist unsere Einflussnahme darauf?

Im Falle schwerer Depressionen wird man erkennen, wie schwierig es ist, solche destruktiven Vorstellungen nicht nur zu meiden, sondern vor allem, sie überhaupt zu erkennen und damit zu entschärfen! Im Fall der Manie oder von großer Freude will man sich die positiven Vorstellungen hingegen bestimmt nicht nehmen lassen. Wer will da die Stimmung vermiesen durch Infragestellung dieser Gefühle! Auch die Frage, ob man in diesem Moment frei sein, ist uns in solchen Momenten so ziemlich egal. Sie wird bestenfalls erst dann wieder gestellt, wenn das Gegenteil überwiegt, oder wenn die Gefühle nachlassen.

So schwanken wir mit dem Schiffchen unserer Persönlichkeit auf dem Ozean der Emotionen dahin. Auf und ab. Einmal ist es still und friedlich, dann soll niemand kommen und uns stören, und manchmal, oft ganz unverhofft, brausen wilde Stürme und bringen uns in Todesangst.

So wie das kleine Schiffchen auf diesen Wogen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns den Launen des Meeres zu überlassen und das Beste daraus zu machen. Thats it.

Das Leben scheint also insofern etwas unplanbares und unberechenbares zu sein. Da bleibt für die Freiheit des Schiffchens nicht mehr viel Platz übrig. Wo also steckt sie, diese Freiheit und wer sind wir, wenn wir ich sagen?

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Welcher Lehre soll ich folgen?

nirwanaBrief eines Freundes an mich zu Rudolf Steiner und seiner Lehre und der Versuch, eine Antwort geben…

„Lieber Urs, ich wollt dich immer schon was fragen, ganz schnell auf den Punkt gebracht: Ich stehe manchmal – positiv gemeint – etwas zwischen den Inspirationen, Welten und Gedanken eines R. Steiner und den eher ‚radikalen‘ östlichen Lehren der Verwirklichung des Athman, fern ab aller Gegensätze und weltlichen Bedingungen, Kulturbestrebungen usw. – (die Verwirklichung des ICH BIN u.a. – siehe z.B. auch Satsang-Lehre oder auf meiner blogseite den Artikel „Ich BIN“ usw). Siehst du eigentlich eine Brücke, evtl. einen neuen Weg für dich, zwischen Steiners Lehre und diesen Lehren? Steiner wies ja das Nirvanabestreben eher ab habe ich das Gefühl. An seine Stelle wies er den Christusimpuls, die Kultur, die Kunst und das Erleben und Aufzeigen der höheren Welten usw. Was wiederum für östliche Verhälnisse eher nur eine weitere Maya, ein weiteres Hindernis zur Erleuchtung darzustellen scheint (?)… Hast du dich damit schon beschäftigt oder gar diese Dinge textlich verfasst, z.B. auch den Widerspuch darin? Und – Welchen Weg schlägst du ein bzw. bist du eingeschlagen? Hast du eine Synthese all dessen hinbekommen oder war das noch nie eine große Frage für dich…Ich denke manchmal bei mir, dass da noch eine kleine Thomas-seele in mir lebt, die meint sich für etwas GANZ entscheiden zu müssen, es aber nicht kann oder will, eher vielleicht nach einem Mittelweg sucht für sich… Gerade bei den sehr konsequenten, östlichen Lehren befürchte ich u.a. in ein nebulöses Nirgendwo einzugehen, vor allem auch nach dem Tode…also das Ziel ist mir schon wichtig, wo denn letztlich die Reise hingeht und enden soll! Bei Steiners Mitteilungen, die ja wunderschön zur Seele sprechen und vieles Übersinnliche gut erklären, habe ich allerdings auch das Gefühl, man könne sich manchmal auch darin verlieren …“

S. B.

Versuch einer „Antwort“:

Lieber S.
Die Frage nach den westlichen und östlichen spirituellen Ausrichtungen hat schon viele Philosophen und Esoteriker beschäftigt. Dahinter steckt im Grunde immer dieselbe Frage, nämlich jene nach den verschiedenen weltanschaulichen und/oder konfessionellen Lehren und deren Nachfolge. Jede Frage, die in diese Richtung geht, hat grundsätzlich ein und dasselbe Problem: Sie geht davon aus, dass es eine objektive, alleinige Wahrheit und somit auch nur eine Lehre gibt, welche alle anderen Lehren ausschließt. Diese Haltung ist meines Erachtens ausgrenzend und absolutistisch. Sie führt in eine Sackgasse, weil der menschliche Standpunkt immer abgesondert und individuell ist, egal welchen Dogmen er anhängt. Es ist also ein Weg, der nicht über das subjektive des egoistischen Menschen hinausführt. Jede Anhängerschaft, welcher Religion sie auch angehören mag, ist egoistisch gefärbt, solange sie andere Sichtweisen ausgrenzt. Das ist meine feste Überzeugung. Denn was wir ¨Wahrheit¨ nennen, ist doch eine allesumfassende, universelle Kraft, die alles Lebendige integriert. Sie hat verschiedene Facetten, je nach dem, wie sie von einer Persönlichkeit „eingefärbt“ wird.
Welcher spirituellen Ausrichtung soll man sich nun anschließen? Ich denke, es spielt letztlich keine Rolle, welchen Weg man geht, wenn er sich am Lebendigen, sprich an der Quelle selbst, orientiert. Und das Lebendige ist doch das alles Umfassende, an dem wir Anteil haben? Insofern kann man sicher auch ¨falsche¨ Wege gehen. Solche ¨falschen¨oder zumindest ¨kritischen¨ Wege sind für mein Verständnis alle nur analytischen, intellektuellen und ausgrenzenden Modelle. Doch wenn man in die Welt schaut, dann findet man schnell, dass es fast ausschließlich diese Wege sind, die unser Leben bestimmen. Das fängt in der Wissenschaft an, geht über die Kunst, bis hin zu den Religionen. Die Welt ist voll von Abgrenzung! Alles wird analysiert, zerteilt, zerpflückt, abgesondert und somit der Einheit entzogen. Ich erachtet dies zwar für wichtig, aber nur im Sinne eines Zwischenschrittes als bewusstseinsbildender Akt.

Deshalb sind für mich Worte wie ¨falscher Weg¨, ¨Irrweg¨usw. immer problematisch, ja sogar despektierlich und verachtend. Die moderne Bewusstseinshaltung der „Zergliederung“ der Welt (z.B. durch die Wissenschaft), hat einen ganz tiefen Sinn: Sie weckt (etwas) in uns! Erst durch die Abgrenzung dem Anderen gegenüber, erfahre ich, wer ICH BIN! Das ist paradox! Aber auch der Tod ist paradox! So, wie das Leben unseren Körper verlässt, wenn der Tod eintritt, so verlassen wir den universellen Zusammenhang, wenn wir geboren werden. Denn dieses Leben, welches sich dort mit dem Körper verbindet, ist quasi an ihn gebunden. Auch das ist paradox, denn das Lebendige lässt sich niemals binden! Wenn wir sterben, dann stirbt nicht das Lebendige selbst, sondern, das Leben verlässt unseren Körper ganz einfach wieder, etwa so, wie wenn Wasser aus der Erde verdunstet. Deshalb kann man nicht sagen, das Wasser sei nicht mehr da. Es hat sich lediglich in einen anderen Aggregatszustand verwandelt.

So verwandelt sich das Leben und alles, was wir damit verbinden, auch in einen anderen Aggregatszustand nach unserem Tod. Weil wir aber das Lebendige an unseren Körper festbinden, festbinden müssen von der Geburt bis zum Tod, haben wir zwar Anteil an ihm, aber dieser Anteil individualisiert sich quasi in jeden Körper hinein. Das wiederum hängt mit unseren Erfahrungen zusammen, die wir von der Kindheit bis ins hohe Alter durchmachen. Sie prägen die physische Verfassung und werden in entsprechender Weise vom Lebendigen mit geformt.

Meines Erachtens ist es von großer Wichtigkeit, dass wir solange und so gut als möglich flexibel bleiben und uns nicht allzu sehr an fixe Methoden, Systeme und Dogmen anhaften. Aber das ist nicht die einzige Anhaftung, die wir erleben. Auch die besagten Erfahrungen und Erlebnisse prägen sich in unsere neuronalen Datenautobahnen ein und beginnen allmählich mit diesen individuellen Absonderungen. Das All-Eine, von dem die Mystiker und Esoteriker immer sprechen, ist nur partiell erfahrbar und nur in dem Masse, wie es uns gelingt, uns von den Verhaftungen und Fixierungen zu lösen! Hier hilft auch keine Lehre und keine vorgegebene Weltanschauung, denn solche bringen bestenfalls das Wissen eines möglichen Weges. Der Weg kann auch sehr unterschiedlich sein, das Ziel wird dasselbe bleiben: Die Lösung von Verhaftungen und damit die Bemühung, frei zu werden. Manche Menschen und Forscher bestreiten, dass dies überhaupt je möglich sein wird, wie z.B. Thomas Metzinger in seinem spannenden Buch ¨Der Ego-Tunnel¨. Wie weit wir die Frage der Freiheit beantworten können liegt letztlich in der Tat jedes Einzelnen, denn es führt sowieso kein Weg an dieser Tat vorbei. Die Lehre, das Dogma, auch dieser Text gehört dazu! – bringt noch keine persönliche Erfahrung, sondern nur individuelle Wege und Hinweise, Pflöcke auf dem persönlichen Pfad jedes Einzelnen.

Ich selber kann nur immer wieder – (auch wenn es vielleicht langsam langweilig wird) – darauf hinweisen, dass das Werkzeug, welches schließlich aus diesem Tunnel hinausführen kann oder könnte, die Selbst-Reflexion ist, man mag sie auch Selbstbeobachtung nennen. Sie ist ein Werkzeug, aber noch nicht die Erkenntnis bezw. Erfahrung selbst! Erst die Beobachtung führt zur Erkenntnis! In aller Bescheidenheit: ich habe darüber ein Buch geschrieben. Und auch wenn ich heute schon wieder vieles ganz anders beschreiben würde, so stehe ich nach wie vor zu der Kernaussage: ohne die Fähigkeit der Selbstreflexion sind wir nicht in der Lage, unser Bewusstsein zu erweitern, egal welcher spirituellen Lehre wir uns verpflichtet fühlen. Es sollte jetzt klar geworden sein, dass ich mich nicht zu sehr damit aufhalte, welcher Weg für mich persönlich nun der Richtige sein mag, sondern ich möchte vielmehr lernen, was denn das Wesentliche an diesem Weg ist. Wollen wir einfach mehr wissen, ¨was die Welt im Innersten zusammenhält¨, oder wollen wir es real erleben und erfahren? Sicher bringt nun das persönliche Erlebnis noch keine objektiven, für das wissenschaftliche Verständnis relevante Resultate, sie bleiben an meine Person gebunden und werden nach meiner Auffassung verwertet. So drängt sich nun schließlich die alles entscheidende Frage auf: Löst sich jenseits dieses ¨Ego-Tunnels¨ alles persönliche Bewusstsein auf, wie es im Buddhismus gelehrt wird, oder gibt es in diesem ¨All-Einen¨ weiterhin so etwas, wie ein individuelles Bewusstsein, was eher dem christlichen Verständnis entsprechen würde. Für mich persönlich gehört diese Frage zunächst ins Reich der Vermutungen und Spekulationen. So, wie ich im Hier und Jetzt bin, kann ich immer nur von meinem vorhandenen Bewusstsein ausgehen. Dabei führt mich ein innerer Trieb des ¨mich-weiter-entwickeln-wollens¨.

Bislang bin ich noch nie an einen Punkt gekommen, an dem ich sozusagen das Bewusstsein meiner Selbst verloren hätte, wenn ich vom Schlaf absehe. Wäre dies geschehen, so wäre ich also gewissermaßen in eine Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit eingetreten – und trotzdem: es gäbe doch immer wieder eine Kraft, die mich in mein Gegenwartsbewusstsein zurückgeholt hätte und die Erinnerung an mich selbst aufrecht erhielte, wie das beim Aufwachen geschieht. An diese im Verborgenen wirkende Kraft kann ich sozusagen “glauben“, weil ich die Erfahrung von ihr immer wieder habe. Sie ist ein anderer vertrauter ¨Teil¨ in mir, welcher dennoch fest mit mir verbunden und verankert bleibt, selbst im Traum, im Schlaf und ich denke – auch vor der Geburt über den Tod hinaus schon vorhanden ist. Diese Kraft ist eng verbunden mit dem anfangs erlebten Lebendigen. Sie verbündet sich zwar mit meinem Körper, wirkt und lebt aber weit darüber hinaus. Das kann durchaus zu einer von allen Dogmen unabhängigen Erfahrung werden. Insofern steht mir persönlich der christliche Weg näher, denn dort wird dieses Erlebnis einer wirkenden Kraft mit dem Christusstrom in Verbindung gebracht. Dieses Erlebnis hat zwar keine persönlichen, von meinen Verhaftungen gefärbte Identität mehr. Dennoch verschmilzt mein ¨kleines, individuelles¨ Bewusstsein mit einem ¨großen, universellen¨ Bewusstsein. Damit bleibt meine bewusste Identität dennoch vorhanden und verbunden. Sie wird nicht “ausgelöscht¨ und ich kann mein “Glück” erfahren, was ja sonst – leider – nicht möglich wäre … Ich denke aber, um doch noch einmal auf Steiner zurückzukommen, dass dieser mit seiner Anthroposophie eben diesen (christlichen) Ansatz vertritt. Dass diese aber nicht eine neue und zusätzliche Lehre sein möchte, sondern ein absolut integrativer, erweiternder Ansatz, wo es nebst dem bloßen Verstehen und Erkennen, vor allem auch um die Übung und um das Erleben und um spirituelle Erfahrung geht. Dass dabei viele beim Ersteren stehen bleiben, liegt nicht an der Anthroposophie, sondern an jedem Einzelnen. Die Brücke zwischen dem westlichen und dem östlichen Weg liegt für mich nahe bei diesem Ansatz.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Ich gestalte, also bin ich…

„Meditationen eines Bildhauers…“ im Spiegel der Gesellschaft…

wasseroberflächeDies gleich vorab: Nicht die Form trägt die Kraft meiner Skulpturen in sich, sondern die Fläche. Diese „bahnbrechende“ Entdeckung machte ich heute für mich – oder besser und einfacher gesagt, es wurde mir plötzlich klar… und dies sind ganz überraschende, daraus folgende Gedanken dazu.

Die Form des Wassers zum Beispiel, sie ändert sich in jedem Moment. Sie ist niemals gleich. Würde man einen Ausschnitt dieser Oberfläche 100 mal nacheinander im Sekundentakt einfrieren und heraus schneiden können und diese so entstandenen Formen danach miteinander vergleichen, dann hätte man 100 komplett verschiedene Formen neben einander liegen, so eine Art „Relief- Reigen“ von eingefrorenen Wasseroberflächen.

Und obwohl diese Formen sehr unterschiedlich aussehen würden, hätten sie doch denselben ihnen zugrunde liegenden einprägsamen Charakter, die gleiche Grund- Energie in sich. Man sähe die Verwandtschaft all diesen Formen an, weil sie aus derselben Kraft geschaffen wurden. Ähnlich ist es, wenn ich zum Beispiel mit dem Ton arbeite. Ich habe vielleicht auch irgendwann 100 verschiedene Formen gemacht. Und obwohl ich mir sehr viel Mühe damit machte, mein eigentliches Selbst durch konditionierte Vorstellungen (…und eingefleischte Technik), daraus hinaus zu verbannen, würde man doch stets erkennen, dass diese Formen vom gleichen Menschen geschaffen wurden! Die Ähnlichkeit ist nicht mehr so rein wie jene des Wassers, denn das Wasser kennt nur eine Energie, nämlich die seine. Aber es würde etwas wesentliches von mir sichtbar. Mein „Stil“, oder meine Wesensart oder wie man es nennen mag würden dennoch irgendwie sichtbar. Typisch „Mato“ halt…

Der Mensch hat nebst dieser einen und eigentlichen – zentralen, möchte ich jetzt mal sagen – Kraft, noch tausend andere Persönlichkeitsfacetten, „Kräftchen“, in sich geschaffen, mit denen er sein eigentliches Selbst verdeckt (und auch vergisst). Deshalb werden diese inkongruenten Gestaltungen erst sichtbar. Oft betonen die Gestalter ihre Form mehr als die in ihnen liegenden Flächen, weil der Ton (als Beispiel) dies zulässt, weil er nicht „reklamiert“, wenn ich ihn beeinflusse, „beeindrucke“. Würde ich dasselbe mit dem Wasser tun, so hätte ich Probleme, weil die Energie des Wassers immer sogleich seine Rechte einfordert und mich an seine Gesetzmäßigkeiten bindet. Und das ist die Flüssigkeitsstruktur, die Bewegungsstruktur, die Kraftströme und alles, was dazugehört.

Kanten, Bögen und Mulden, was auch immer ein Gestalter der Materie einverleiben und einprägen will und kann, es bleibt immer und unzertrennlich ein Teil von uns selbst, ein von unserer eigenen verwandelten oder unverwandelten Energie geschaffenes. Die Hände sind die Werkzeuge, die sich an die Intentionen und Impulse seines Eigners halten, sich an ihm orientieren. Wir können selbstverständlich immer den Kopf einschalten und die Koordination lediglich aus dem Intellekt und aus der blossen Idee heraus steuern. Wir sagen „Würfel“ – und die Hand führt den Befehl „Würfel“ aus. Was sie daran hindert, dies mit einem gewissen Unvermögen zu tun, ist lediglich ihre Ungeschicklichkeit. Die Steuerung der Hände folgt zwar den „Befehlen“ der Vorstellung, aber sie vermag es meist nicht ganz adäquat umzusetzen. Das ist dann die Schnittstelle zur Maschine (…oder wir lassen es von geschickteren Menschen gestalten). Wir sehen dies vielleicht auch schnell ein und fühlen uns ohnmächtig dieser Tatsache gegenüber. Eine konsequente Schulung vieler Faktoren vermag dieses Manko zu verbessern: Eine Art Kunstförderung mittels Wahrnehmungsschulung an vorderster Front, dann aber auch die rein physische Beweglichkeit der Finger. Weiterhin die genaue Kenntnis des Materials, deren Konsistenz und Formverhalten usw. stehen nun plötzlich der Idee voran.

Dies alles reicht aber immer nur dazu, die technische Seite einer Form, unser Können (Kunst kommt ja scheints von können…) voranzubringen. Damit haben wir aber den entscheidenden Schritt noch nicht getan. Die Verbindung zu unserem Wesenskern, der „Zentrale“ unseres Geistes, können wir mit der besten Technik (und auch nicht mittels blossem Wissen) nicht herstellen. Viel eher vermögen wir dies zu verdecken! Der schöne Schein trügt nur zu oft. Für die Kraft, für den Ausdruck der Form brauchen wir mehr! Wir brauchen zwar AUCH die Technik, zweifellos. Dies wird in der gegenwärtigen Kunstszene manchmal unterschätzt! Aber Technik ist nur Grundlage, noch nicht AUSDRUCK. Um diesen Schritt zu erreichen, benötigen wir eine direkte Verbindung von Herz und Hand, was nicht etwa Kopflosigkeit heisst. Bewusstsein ist aber mehr als Gedanke. Und das Bewusstsein muss erweitert werden auf den ganzen Körper! Nur aus dieser Haltung heraus schaffen wir den Schritt in die eigentlich wesentliche Kraft, die dem Werk erst Leben verleiht! Das wäre ein Quantensprung in der Kunst und im Leben!

Und was hat dies für Konsequenzen? Nicht nur in der Kunst, (aber dort wohl unmittelbarer als anderswo), begreifen wir die Welt ganzheitlich. Die Verbindung des eigenen Tuns mit dem dahinterliegenden Tat-Impuls und einem gleichzeitigen Anwesend-Sein mit der Handlung schafft erst diese Tiefe!

Demgegenüber ist vieles in unserer Welt Form-betont. Der Fokus (in der Kunst, wie auch im Alltag), liegt meistens in der Form. Die Kraft, die sich in der Fläche (der Welt, der Erscheinungen) ausdrückt, ist uns mehr oder weniger egal oder unbewusst. Wir nutzen die „Fläche“ bestenfalls als Strukturgeber, jetzt im übertragenen Sinn (als „Make-up“), machen die Oberfläche glatt oder rauh, bunt oder sonstwie. Wir bedienen uns dieser Oberfläche, dem „schönen Schein“ (smartphone, Computer, Play-Station). Aber das Wellen und Wölben, das Buchten, Stauen Pressen und Stoßen etc. – es findet nie auf der Oberfläche statt; es ist IN DEN DINGEN!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Überdruss eines Materialisten

gustavAus Gustavs Tagebuch, nach seinem Tod entdeckt: „Normalerweise werden wir unser Bewusstsein nur auf die Aktivitäten und Tätigkeiten ausrichten, welche sich zwischen Geburt und Tod befinden. Es ist nicht anzunehmen, dass wir im Laufe des Lebens viele Gedanken über anderweitige Realitäten auskundschaften.“

Und weiter steht da: „Der normale Bürger gibt sich mit der sichtbaren, wägbaren und hörbaren, vielleicht noch spürbaren Welt zufrieden. Der Gedanke, dass es weiter gehen könnte nach dem Tod macht ihm eher Angst. Damit beschäftigt er sich nicht gerne. Und noch viel weniger wird man an einen ähnlichen Prozess denken, welcher sich vor der Geburt zugetragen haben soll. So gesehen ist die Normalperspektive unseres Lebens in der Regel zwischen 50 bis maximal 100 Jahre lang (nehmen wir Johannes Hesters einmal aus). Daraus ergibt sich eine entsprechende Lebensoptik, Lebensperspektive und Lebenslogik, welche dem Zeitzustand und der Vergänglichkeit die grösste Aufmerksamkeit und damit auch jede verfügbare Energie zuwendet. „Schliesslich leben wir nur einmal…“ heisst es dann etwa „…und das müssen wir in vollen Zügen geniessen!“ Eine solche Lebensoptik erwägt keine Gedanken darüber, dass man in irgendeiner Form auf seine Gesundheit oder auf den Lebensstil achten müsse. Höchstens insofern man in mittlerem Alter vielleicht die ersten Bresten zu verspüren beginnt. Schliesslich will man die Lebensqualität der verbleibenden 20-30 Jahre noch „optimieren“ und pflegt seinen Körper mit den üblichen biochemischen Créme’chen und Pülverchen oder durch entsprechende körperliche Ertüchtigung, die sich nur am Faktor „Verjüngung“ ausrichtet. Er, dieser Körper, ist ja nicht viel mehr, als ein abgewandelter Motor, der einfach alle paar Monate seinen normalen Check-Up braucht. So wie beim Auto: da wird geschmiert und geölt und wenn es Winter wird, werden neue Reifen montiert und der Frostschutz nachgefüllt. In ähnlicher Weise füllt man den „medizinischen Frostschutz“ in Form von teuren, vorbeugenden Präparaten in die Bindegewebe, in die Blut- und zu den Nervenbahnen und meint so dem Ungeheuer Grippe, dem Cholesterin, prämenstruellen Syndromen oder anderen ähnlichen Übeln entkommen zu können, um sich dann wieder seinem eigentlichen Kerngeschäft widmen zu können. Das ist schliesslich alles notwendig, damit man sich all die teuren und ausgelassenen Abenteuer leisten kann, die man noch hegt: Angefangen vom tollen BMW-Motorrad bis zur großen Party. Damit kann man(n) sich dann in seiner zweiten Pubertät genüsslich ausleben und weiterhin jeden unnützen Gedanken an den Tod erfolgreich verdrängen. Frau kuriert dieselbe Not mit teuren Wellness- und Schönheitskuren und hält sich so das „Übel Tod“ möglichst lange vom Leibe. Böse Zungen behaupten… aber lassen wir das…“ Gustav war nie ein Kind der Traurigkeit, genoss sein Leben in großen Zügen und ließ auch mal die Fünfe grade sein. Sein Tod kam unerwartet in jungen Jahren, unverhofft verschwand er aus diesem Leben…

Hermann las die Tagebuchzeilen seines Freundes und lobte die eigenen Weleda-Produkte… „Ganz schön deftig, diese „Lebensoptik“ und ganz schön provokativ, diese Gedanken, die ich mir aufzuschreiben erlaube. Dennoch sehe ich das Ganze selber nicht so negativ, wie ich es hier aus dem Tagebuch meines Freundes gelesen habe. Es gibt durchaus sinnvolle Erklärungen für eine materialistische Weltanschauung. Vielleicht ist es der Überdruss und das genug haben, welches die nötigen Impulse für neue Gedanken bringt, die, wer weiß, über diese beiden Tore des Lebens hinausgehen.“
Er versuchte, sich eine Erklärung für die Ambivalenz in Gustavs Verhalten zurechtzulegen: „Das volle Abtauchen in rein materialistisches Gedankengut ist eine Form des Protestes und Kampfes für die Unabhängigkeit und die persönliche Autonomie. Zwar gleitet sie sehr schnell ab in puren Egoismus, aber dennoch braucht es diese Energie, um wach zu werden. Das, so meine ich, ist der „westliche Stil“ der Entwicklung. Sollen wir also die „Flucht nach vorne“ antreiben oder uns in eine abgehobene Spiritualität versenken, die alles Körperliche vermeidet. Ich sehe es nicht so eng, verbrüdere mich mit dem Teufelchen in Gustavs Seele und schaue künftig, dass ich den Dreck vor der eigenen Haustür erst mal wegschaffe…“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Offenheit als Lebenskonzept

offenheitIch selbst bin selbstverständlich der offenste Mensch, den es gibt auf der Welt…  (…Hauptsache, die anderen sind gleicher Meinung wie ich…). Viele Menschen haben einen engen Blick. Wir haben es alle sicher schon öfter erfahren… Meistens sind es ja die anderen, die nicht so klar sehen. Dass wir offenbar die Neigung dazu haben, uns selbst diesbezüglich zu überschätzen oder selbst zu betrügen ist einer mit dem Alter zunehmenden Verengung der Hirnstrukturen zuzuschreiben. Mit Offenheit wird vor allem jenes Erlebnisfeld der persönlichen, individualisierten Meinung jedes Einzelnen angesprochen. Man nennt dies auch Meinungsfreiheit

Alles, was wir im Alltag sehen und erleben, betrachten wir immer durch die Brille des allgemeingültigen. Wir haben einen unheilbaren Drang zum Objektivismus, oder besser, zu einer „subjektiven Objektivierung“! Der besagte enge Blick ist jener der individuellen, persönlichen Erlebniswelt, die wir uns seit unserer Kindheit herangebildet und eingefleischt haben. In der Transaktionsanalyse von Eric Berne, wird dies auch „Eltern-Ich“ beziehungsweise „Kindheits-Ich“ genannt. Die Terminologie spielt aber keine Rolle. Ich könnte auch sagen, zwischen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen; „Teilselbsten“, wie es z.B. im Voice Dialog heisst usw., spielt sich unser bewusstes oder vielmehr halb bewusstes Leben ab.

Diese vorgebildete Welt der Werte und Urteile, die wir oft mit grossem Eifer daraus schaffen, werden aus den gemachten Erfahrungen und Erlebnissen, seit unserer Geburt*, gefestigt und behauptet. Aus diesen resultieren die Gedankenkonstrukte und Denkmodelle, die wir daraus schöpfen. Aus den Denkmodellen entstehen – gleichzeitig mit einer gewissen notwendigen inneren Stabilität – zugleich Einseitigkeiten und Verfestigungen in der emotionalen Struktur der eigenen Persönlichkeit. Die fördert nachhaltig, sowohl Krankheit als auch Krisis, in unserem Leben.

Der Kreislauf, welcher durch die pathologische Situation (…oder eben durch die Krise) entsteht, fixiert und zementiert die Vorstellungen wiederum zusätzlich und lockt exakt diejenigen Kräfte hervor, die wir gerne verhindern möchten, nämlich den ständigen Widerstand gegen die (vermeintlich „böse“) Umwelt (inklusive der Menschen darin und) um uns herum. Dieser Vorgang wiederholt sich spiralförmig bis ins hohe Alter oft so massiv, dass wir nur noch mit einer Demenz-Reaktion das totale Abgleiten in die Verhärtung verhindern können. Die Demenz ist dann sozusagen ein Schutzschild gegen den Schmerz, der aus dem Widerstand gegen die Verhärtungen gebildet wird!

Es gibt Menschen, die bereits so eingeschränkte Anschauungen und Wahrnehmungen haben, dass es kaum mehr möglich ist, über irgendein Thema widerstandslos mit anderen zu kommunizieren (mit Tieren ist es da einfacher…).
Das soll die folgende Skizze verdeutlichen: Dabei stellen die Dreiecke die Blickwinkel dar, ausgehend von einer Person A, B, C oder D:

dreieck

A hat einen festgefahrenen (engen) Blick über ein bestimmtes Thema. B hat einen etwas offeneren und immerhin grundsätzlich gleichgerichteten Blick über dasselbe Thema im Verhältnis zu A. Dennoch ergibt sich eine nur relativ kleine Überschneidungsfläche der Gedankenstrukturen beider, in der sie sich wiederfinden könn(t)en. Ausgangspunkt und Zukunftsperspektiven sind möglicherweise trotzdem wieder sehr unterschiedlich angelegt. A und B können sich gut miteinander unterhalten, solange sie sich in diesem gemeinsamen Raum (der Überschneidung) befinden. Kommunikation kann in dieser Weise sehr gut und sehr lange funktionieren, wenn beide dem anderen den jeweiligen Raum außerhalb des persönlichen Konzeptes (quasi wohlwollend) vollkommen überlassen und ihn nicht antasten (ok-ok-Situation). Geschieht das (wird also der Raum außerhalb dennoch angetastet…), dann gibt es zwingend Knatsch mit gröberen Folgen. Im Idealfall kann sich so (im Endeffekt, d.h. nach einer möglichen Schlägerei) der Blickwinkel beider etwas öffnen – und die Überschneidungsflächen grösser werden lassen (dazu braucht es zwingend – ich sag es einmal mehr, die Fähigkeit der Selbst-Reflexion)!
C hat im Vergleich zu A und B einen etwas grösseren Spielraum in dieser gewählten Thematik und vermag beide zu umfassen. Für A und B gilt C als offener und umgänglicher Typ und dieser wird bei beiden kaum anecken. Aus der Sicht von D wiederum sind aber sowohl A, wie auch B und C, eher Menschen mit einem eingeschränkten Blick (was ja objektiv gesehen auch stimmen könnte…). D vermag sogar alle drei mit seinem Blick zu umfassen und sie zu integrieren! Er ist für A, B und C vielleicht so etwas wie ein Eingeweihter…
Dennoch finden sich alle vier möglicherweise als „offene Menschen“. So relativiert sich die Sache mit der Offenheit beträchtlich, wenn man sie von außen sieht. Jeder möge sich selbst einmal aus dieser Perspektive betrachten und unter die Fittiche nehmen…

*Für alle spirituell denkenden LeserInnen: Ob sie auch aus einer Zeit davor (sprich Reinkarnation) angelegt sind, hat eigentlich keine Relevanz, weil die Grundlagen für unser Leben ja immer dieselben bleiben.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Zweites Leben…

secondliveDas Gegenteil von dem, was ich auf diesem Blog und in meinen Büchern Woche für Woche verkündige, findet auf den Plattformen von second life (z.B. Linden Lab) statt. Eine Versklavung durch Illusionen. Vorstellungen, in die wir förmlich mit Leib und Seele, mindestens 3-4D-mässig abtauchen, hineinkriechen und mit denen wir uns vollkommen identifizieren.

Sie erzeugen in uns nicht nur ein „zweites Leben“, sondern auch einen „zweiten Menschen“. Dieser Mensch isoliert sich zunehmend und koppelt sich schliesslich von seinem grossen Bruder ab. Dass es bald nicht mehr nur die visuellen Sinne sind die dabei angesprochen werden, sondern auch haptische Sinne, Gerüche, Geräusche etc. ist nichts neues, sondern längst Realität geworden… Was ist es denn, was in uns dieses „zweite Leben“ erschaffen will? Sind es neue Geister, die wir selbst rufen? Was ist deren Absicht? Zerstreuung? Ablenkung? Und wozu das Ganze?

In Wikipedia heisst es zum Thema: „Second Life (deutsch: zweites Leben, abgekürzt „SL“) ist eine Online-3D-Infrastruktur für von Benutzern gestaltete virtuelle Welten, in der Menschen durch Avatare interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können. Das seit 2003 verfügbare System hat rund 36 Millionen registrierte Benutzerkonten, rund um die Uhr sind meist 30.000 bis 65.000 Nutzer gleichzeitig in das System eingeloggt“. (und das war vor 10 Jahren…)

Das Volumen dieser Kraft ist gewaltig! Es ist eine Art Dauer-Bestrahlung auf unser Seelenleben. Da ist der Elektrosmog womöglich noch harmlos dagegen. Es lässt uns die Aufforderung vergessen, weshalb wir uns auf dieses Leben auf dem Planeten Erde überhaupt einlassen.
Wozu? Kann man sicher berechtigt fragen…

In Zeiten so vieler Kriege, wie sie derzeit (real!) auf der Welt stattfinden, tauchen immer mehr Menschen in eine total illusionäre Unterwelt ab, in der sie sich sprichwörtlich selbst vergessen, der sie sich mit Leib und Seele ausliefern. Es mag sein, dass dieses Selbstvergessen eine gewisse Berechtigung hat. Werden doch die Belastungen auf unsere Sinne, unsere Leiden (-schaften) immer grösser, angefangen von den alltäglich wachsenden Pflichten, den Arbeitsmöglichkeiten, zerbröckelnder Freundschaften hin zu kompensierten Handlungen usw. Da wird der Ruf nach ein bisschen „Hirnauslüften“ immer lauter. Früher bedeutete dies, Waldspaziergänge zu tätigen, frische Luft zu schnappen usw. Heute setzt man sich viel lieber virtuell in phantasievolle, teilweise skurrile und oft kalte, spröde Landschaften – und scheint sich darin pudelwohl zu fühlen.

Ich weiss, der Begriff „Vorstellung“ ist ein stetes Hauptwort in meinen Aufsätzen. Spricht man zu oft von etwas, erlahmen die Kräfte, die mit so einem Wort, so einem Gedanken verbunden sind. Das passiert auch in den Nachrichten jeden Tag. Was bedeutet schon der Begriff Krieg, Schlacht, Flucht, Tod, wenn er sich stündlich, minütlich wiederholt! Haben wir noch starke Gefühle dabei? Aber das nur am Rande; zurück zu den Vorstellungen. Es gibt selbstverständlich nicht nur schlechte, sondern auch viele gute Vorstellungen! Ich wettere nicht gegen second life und co.! Solange wir wissen, woher wir sie schaffen und wer sie in uns pflanzt, diese Vorstellungen, haben wir gewiss auch keine Probleme damit.

Der dauernde Aufruf, die eigenen Vorstellungen zu erkennen (und nicht etwa zu verdrängen!), schafft in uns erst eine Art von Freiraum, der unabhängig von der virtuell verkoppelten Persönlichkeit existiert. Und erst dieser Freiraum schafft die Möglichkeit des inneren Gleichgewichts. Damit verbunden ist JEDE spirituelle Entwicklung, egal auf welche Weltbilder oder Lehren sie sich stützt oder bezieht. Der Vorgang ist sozusagen Grundmaxime jeder persönlichen Entwicklung. Und spirituell heißt letztlich nichts anderes, als eine innere Entwicklung die über die 70, 80, 90 Jahre unseres Erdenlebens hinaus zu reichen vermag, die eine Art „Restguthaben“ schafft, welches auch nach unserem Tod weiter wirken kann!

Man kann das Wollen oder nicht. Man kann daran glauben oder nicht. Man kann es bestreiten, verdammen, zertreten (mit unreflektierten Vorstellungen dagegen ankämpfen bekämpfen…). Wer sein Leben nur auf diese Zeitspanne ausrichtet, verpasst das Wesentlichste: Sich selbst. Die Erfahrung dessen kann man aber nur dann machen, wenn man das Erlebnis dieses „zweiten Menschen“ in sich aufrecht erhält. Immer wieder und nachhaltig daran arbeitet. Und das ist umso notwendiger, als unser Verstand in die Vorstellungswelten seiner (Teil-) Persönlichkeit(en) absackt. Das Erkennen dieses „Absackens“ ist unmöglich, wenn man sich nicht dauernd bemüht und anstrengt. Und anstrengen heißt hier, wach bleiben.

Das fühlt sich dann so an, als ob du in einer Kugel sitzend unter Wasser (dem eigentlichen Leben) treibst. Mag diese Kugel noch so gut eingerichtet sein, dir Unterhaltung à la second life im Minutentakt auf die Bildschirme deiner Laptops, smart- und iPhone`s zaubern, damit du ja nie merkst, in welch engem Raum du gefangen bist – egal, du wirst es nie erkennen, wenn du zu bequem bist. Und bequem ist es, im Traum zu bleiben, im Traum des Lebens, den wir alle träumen, der einen unglaublich starken Sog hat. Die Frage, woher diese kontraproduktive Kraft kommt, darüber kann man nur spekulieren. Man spürt sie, jeder spürt sie. Es ist die Kraft, die uns Dinge tun lässt, die wir eigentlich nicht tun wollen. Es ist die Kraft, die uns ermüdet, lähmt, blockiert.

Und dennoch lassen wir uns von ihr leiten. Vermutlich, weil sie uns hilft… wach zu werden…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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