Warum ich schreibe…

Die Gedanken, die hier als Beiträge und Aufsätze veröffentlicht werden, sind aus dem Lebensalltag meiner künstlerischen und kunsttherapeutischen Arbeit heraus entstanden. Auch wenn sie nicht immer, oder für manche sogar selten, einen konkreten Bezug zu Kunst und Kunsttherapie aufzeigen, so gewiss doch ist der Zusammenhang gegeben. Es sind gewissermassen „Abfallprodukte“ meiner therapeutischen Tätigkeit. Dies soll nicht despektierlich gemeint sein. Vielmehr sammeln sie sich, ähnlich wie der Abfall des scheinbar „wertvollen“ Inhalts, am Rande des persönlichen oder gesellschaftlichen Lebens an. Abfall ist etwas, was „abgefallen“ ist vom „normalen“ Leben, ausgesondert. Aus dem Zusammenhang gerissen, dramatisiert es die Verhältnisse, weckt aber gleichzeitig auf, schafft Bewusstsein. Das Pathologische unterzieht sich so einem Heilungsprozess.

Durch Fragen, wie sie in der Auseinandersetzung mit den Menschen, die ich bisher begleiten durfte, sich stellten, weckte sich das (Selbst-) Bewusstsein. Gleichsam am Ursprung ihrer Ängste, Sorgen, Nöte und Probleme, den Lebenssituationen, die sie schaffen, der Tragik ihres Lebens überhaupt und dem sich entgegenstellen, aufrichten, auseinandersetzen; am Rande dieses Wirkens geschieht Heilung. Eine in dieser Weise „abfallende“ Kraft, die sich Raum verschafft und etwas anderes weckt: „Aufrichtende“ Kräfte schöpfend… der Wille zur Tat, zur Wandlungsbereitschaft bildend. Hieraus entsteht Dynamik. Das Schöpferische im kreativen Element wird geweckt. Es „ent – wickelt“ sich.

Gerade in der Kunst – und einer darauf gründenden Therapie – sind die Fragen „am Rande“ des „normalen“ sehr wichtig und ernst aufzufassen. Sie zeigen sich in jedem Werk als Gestaltungswille. Als Stagnation zunächst, als Blockade, als Stauung, als Täuschung, Phantastik usw. Deren Verwandlung im Brennpunkt des ICH ist etwas heiliges/heilendes. Es steht zentral im (Reifungs-) Prozess, gleichsam als Heiler selbst.

Nicht die Fragen nach Regeln, Konzepten, Informationen und der ganze Wissensballast, stimmen mich in dieses seltsame Geheimnis „Mensch“ ein, entschlüsseln es, deuten es, enthüllen es, sondern allein die Fähigkeit der Selbsterkenntnis und Selbstbeobachtung.
In diesem Kontext möchten meine Beiträge verstanden werden. Ich plädiere nicht auf „meins ist richtig – versteht das doch und begreift“, sondern auf empathisches Mitfühlen, Mitfragen und Mitgehen. Was daraus entsteht, kann wiederum schöpferisch (zurück-) wirken. Dies soll hier immer am Anfang stehen. Alles hat mit Allem zu tun. Insofern gibt es gar keinen „Abfall“… das versteht sich von selbst…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Kunst kommt von Kopf

Moderne Kunst„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgend etwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können“
(Christoph Schlingensief)

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“
(J. W. Goethe)

Alle Jahr wieder – ist ART in Basel. Eine der renommiertesten, wenn nicht DIE Kunstmesse der Welt, ist seit gestern eröffnet. Zeit, sich wieder einmal mit dem Thema auseinander zu setzen. Die Bilder der Werke gleichen sich immer, genauso wie die kuriosen Gestalten, die das Stadtbild Basels erfrischen. Solche und ähnliche Installationen und Performances überwiegen das Geschehen der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler. Manche inszenieren sich selbst als (nackte) Tatsache auf den Plätzen der Stadt. Zum Glück im Kontext der Kunst, ansonsten würden sie wohl schnell von den hiesigen Ordnungshütern abgeführt. Aber so finden das alle obercool. Sicher, das sind die Ausnahmen, denn das Überwiegende sind, zunehmend, und im weiteren Sinne aufgefasst, „Installationen“. Die Installation ist eine Zusammenstellung von möglichst alltäglichen Gegenständen in einem ungewöhnlichen Rahmen.  Kunst kommt von Kopf weiterlesen

Zusammenbruch des Systems…

ZusammenbruchDas klingt bombastisch: Der Zusammenbruch des Systems! Zunächst ist hier aber „nur“ das „persönliche System“ eines Einzelnen gemeint. Und das kann durchaus dramatisch sein. Dennoch stellt sich mit jeglichem „System“, was geschaffen wird, auch die Frage nach der Freiheit und die ist immer auch überpersönlich aufzufassen!

Alban W. hat alles verloren, oder fast alles. Da war die Trennung von seiner Frau im letzten Jahr, dann die Abwendung der eigenen Kinder von ihm und – als ob das allein noch nicht genug war – verlor er beinahe alle seine engsten Freunde, weil diese sich mit der Frau „loyalisierten“. Dazu kamen situationsbedingte Alkoholprobleme. Und es kam noch schlimmer. Seine selbständige Erwerbstätigkeit kam ebenfalls bald ins Wanken und er erlag schließlich dem Druck. Die Zeiten hatten sich eben geändert und er spürte den Einbruch der Konjunkturlage in den letzten Jahren so schmerzlich und hart, dass er seine Tätigkeit, die er übrigens immer mit großer Begeisterung und Freude über 20 Jahre lang ausgeführt hatte, aufgeben musste. Bisher brachte seine Ex-Frau den besseren Teil des gemeinsamen Einkommens auf und schuf damit eine sehr stabile, finanziell unabhängige Situation.

Eine Stelle bekam er mit seinen 59 Jahren nicht mehr. Es war in diesem Alter nicht daran zu denken, noch irgendwo unterzukommen. Überall werden „junge, dynamische“ Leute bevorzugt, solche die zwar noch wenig Lebenserfahrung hatten, aber auch weniger kosteten (und besser lenkbar waren). Nicht dass Alban etwa stur gewesen wäre, was man umgekehrt den Alten, oft berechtigt, vorwerfen kann; im Gegenteil, er war das sanfteste Lamm, das man sich vorstellen konnte und dabei war er immer äußerst flexibel und sensibel gewesen. Selbst enge Freunde, die er noch zu haben glaubte, kümmerten sich nicht um ihn, sahen seine aussichtslose Situation nicht oder wollten sie nicht wahr haben. Es wäre für manch einen von ihnen ein leichtes gewesen, dem „Freund“ irgendeinen Billig-Job anzubieten und sei es als Chauffeur oder Laufbursche in einer Bank, was er selbst dankend angenommen hätte. Stattdessen entfernten sie sich stillschweigend aus dessen Gesichtskreis, da seine Anwesenheit ihnen meistens unpassend oder sogar peinlich erschien.

Er selbst hatte längst gelernt mit 1500.- CHF im Monat auszukommen, was für Schweizer Verhältnisse mit einem durchschnittlichen Einkommen von 4000.- CHF und einer „Existenzuntergrenze“ von 3000.- CHF schon eine sehr akrobatische Leistung war. Ihm machte es nichts aus. Er verwendete sein letztes „Erspartes“, um so wenigsten noch ein paar Monate überleben zu können – bis alles aufgebraucht war. Da gab es noch einige Minijobs, die ihm immer wieder ein paar Franken einbrachten. So lebte er „von der Hand in den Mund“, wie man so schön sagt.

Er musste auf seine vielen und hochkarätigen Talente, die er unter anderem in leitender Funktion und in zahlreichen Jobs genügend bestätigt hatte, und die er über einige Jahrzehnte im Dienste der Öffentlichkeit und mit hohem Idealismus und sozialem Engagement erbracht hatte, fortan verzichten. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Aus, fertig, Schluss. Seine „erste Karriere“ als führende Kraft in der Baubranche, hatte er vor bald 30 Jahren hinter sich gelassen, um fortan diesen im Laufe der Jahre gewachsenen Idealen nachzukommen. Er pflegte sie immer behutsam. Nun war er am Nullpunkt angelangt. Sein persönliches „System“ war zusammengebrochen.

Nun galt es, sich in solcher Weise am Leben zu erhalten, um wenigstens nicht in die bürokratischen Räder des „Sozialstaates“ zu gelangen; in die Fänge der Sozialwölfe, die ihm die letzte Achtung rauben würden und ihm das Gefühl gäben, für nichts mehr nütze zu sein. Er wollte unter allen Umständen wenigstens diese letzte Ehre seiner selbst aufrechterhalten und sich nicht untertänigst in finanzielle Abhängigkeit eines solchen Molochs begeben. Das würde nichts anderes heißen als, Sozialgeld zu beziehen und in einen Teufelskreis, den er bisher niemandem gewünscht hatte, zu gelangen. Das würde aber auch heissen, an irgendwelchen Arbeitsprogrammen teilnehmen zu müssen, die in ihm jede Möglichkeit aushöhlten, sich selbst wieder auf die Beine zu stellen, weil sie ihm die Energie und die Zeit raubten, die er dafür benötigen würde, um etwas Neues aufbauen zu können. Und all diese sinnlosen „Arbeitsbeschäftigungsprogramme“, die nur im Dienste der knapp bemessenen und gut kontrollierten „Almosen des Staates“ geschaffen wurden, und aus deren Spinnennetz sich zu befreien jede noch verbleibende Motivation untergraben würde.

Item: Sein persönliches System war also zerbrochen. Das System, in dem er eingebettet war, in dem er seine Vorstellungen verwirklichte, in dem er sein (dem Stand entsprechendes) soziales Umfeld schuf, seinen Status pflegte. War es sein Traum gewesen? Sein Traum? Er begann zu zweifeln. War es nicht richtig, daraus auszubrechen, als er fühlte, dass es ihn nicht mehr wirklich innerlich weiterbrachte? Hätte er das Spiel der ewigen Maskeraden weitertreiben sollen, die ihm auferlegt wurden, oder denen er sich mehr oder weniger unfrei stellte, nur um nicht in diese Situation zu kommen? War es so erstrebenswert, diesem (äußerlichen) aufgeputzten und geschminkten Weltbild nachzujagen, um ständig nur den erreichten Status aufrecht zu halten und weiterzutreiben?

Der Zusammenbruch des persönlichen Systems blieb ihm, bei aller Dramatik, die damit verbunden war, kein persönlicher Verlust. Im Gegenteil, er (der Verlust) konnte ihm dazu verhelfen, den persönlichen, inneren Durchbruch zu schaffen! Nicht im äußeren Sinne, aber in seiner inneren Entwicklung wurde er dadurch reifer und authentischer! Er schuf sich einen neuen, erstaunlich freien Raum, in dem er, unabhängig vom materiellen Reichtum und unabhängig vom Spiel des persönlichen Ansehens, er selbst bleiben konnte. Es ist nicht das Materielle, was seine innere Entwicklung trug und stützte, dessen wurde er sich jetzt voll bewusst. Je stärker die Verkettung mit dieser äußeren Welt blieb, umso schwieriger schien es ihm, das Wesentliche in ihm selbst zu finden, um das es ihm immer ging.

Andere schaufelten sich in ähnlichen Situationen ihr eigenes Grab. Alban W. schuf (und schaufelte) sich den inneren Freiraum, den er als begüterter Mann niemals hatte, erst in Armut. Man kann sich fragen, ob ein Zusammenbruch jeden Systems, auch eines weltweit geschaffenen (Finanz- und Gesellschafts) Systems, nicht heilende Wirkung auf die Gesamtsituation in der Welt haben würde.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mit fremden Augen sehen…

Fremde AugenSehr gerne würde ich einmal in die Augen anderer Menschen hineinschlüpfen. Wie würde ich die Welt aus deren Blickwinkel wohl sehen? Ganz banale Dinge, wie einen Stuhl, einen Tisch, einen Baum durch ihren Blick wahrnehmen. Auch wenn es dasselbe Objekt ist, was ich da vor Augen hätte, so würde ich mit Sicherheit doch nicht dasselbe sehen.

Es wäre sicher falsch davon auszugehen, dass wir dasselbe sehen würden. Denn mit den Augen sind unsere Vorstellungen und unsere Gedanken über die Dinge, die wir sehen, eng verknüpft . Wir sehen nie wirklich objektiv!
Der mit der Wahrnehmung verknüpfte Gedanke entstellt jedes Objekt und bringt es in einen rein subjektiven, persönlichen Zusammenhang. Ich würde vermutlich sehr erstaunt sein darüber, was ich mit den Augen des anderen sehen würde. Ja, ich würde schon gar nicht dieselben Dinge anschauen, wenn ich durch die Stadt gehen würde. Vielleicht würde ich plötzlich Objekte erkennen, die ich vorher noch nie gesehen habe, die mir bisher niemals aufgefallen sind, weil ich ganz einfach den Sinn dafür nicht hatte. Es wäre mir z.B. wichtig, welche Schuhe die Menschen anhaben, oder ob ihre Fingernägel gepflegt seien!
Ich würde Läden entdecken, von denen ich keine Ahnung hatte, dass es sie überhaupt gibt. Und selbstverständlich würde mir alles vollkommen fremd vorkommen, sehr fremd, weil das innere Bild, welches ich mit diesen Wahrnehmungen verknüpfte, keinen Gleichklang mit meiner eigenen Sichtweise mehr fände. Es wäre nicht mehr dieselbe, „meine“, Stadt, die ich vorher so gut gekannt hatte. Es wären nicht mehr dieselben Menschen, mit denen ich verkehrte. Vielleicht würde ich sogar ein bisschen ver – rückt…

Alles, was wir sehen, verbinden wir mit unserer persönlichen Welt und es bildet sich daraus eine abgeschlossene, subjektive, eigene (Innen-) Welt. Sie ist für andere Menschen oft nur schwer nachvollziehbar oder nacherlebbar. Selbst dieser Text ist aus einem Gehirn geflossen, welches vollkommen andere Inhalte hat, als der oder die Leserin es haben mögen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht „etwas“ auf geheimnisvolle Weise zusammen, aber das ist doch verhältnismässig selten. Viel häufiger ist diese “ja, aber…“- Einwendung zu vernehmen. Wenige Menschen können etwas, was ihnen von außen zukommt (oder zufällt), bedingungslos annehmen.

Warum ist das so? Warum fühlen wir uns immer so kompetent und souverän dem anderen gegenüber? Sicher, es gibt viele Fragen, in denen wir uns zurückhalten sollten, wo wir eingestehen müssen, dass wir nichts von der Sache verstehen und wo wir uns gerne belehren lassen. In jüngeren Jahren vielleicht noch öfters, als in älteren. Aus meiner Erfahrung heraus, die natürlich auch eine ganz persönliche ist, überwiegt aber das moderat gewichtige „Kompetenzverhalten“ bei vielen Menschen. Dabei sind Kommentare, wie oben erwähnt, doch eher selten zu hören. Viel häufiger ist doch das “ja, aber…“…

Die mit den Wahrnehmungen und Erlebnissen verbundenen Gedanken sind Produkte unserer eigenen, individualisierten Biographie. Im Grunde können wir sie mit niemandem teilen. Es braucht auf dieser Ebene der Kommunikation immer ein gewisses Entgegenkommen und Wohlwollen des Gesprächspartners. Die „Meinungsprodukte“ (oder Konstrukte) werden durch die Erinnerung und durch Bestätigung von aussen, die wir uns oft erkämpfen müssen/wollen, zunehmend gestärkt und verfestigt. Es bilden sich aus schmalen Waldpfaden nach und nach breite “Autobahnen“ neuronaler Datenverknüpfungen in unserem Gehirn! Je mehr wir in unserem Gedankenkonstrukt bestätigt werden, sei es durch entsprechende Erlebnisse: “siehst du, ich habe es immer gesagt, dass es so kommen werde…“, oder sei es durch das Einholen äußerer Bestätigungen: “…bin ich nicht gut!?!“. So werden aus den objektiven Wahrnehmungen mit der Zeit stark gefärbte Verhärtungen und Fixierungen, denen wir uns kaum mehr entziehen können.

Die Dinge werden dann halt so gesehen, wie wir sie sehen wollen. Das geht zuweilen unter die Ratio, bis in konstitutionelle und instinktive Verankerungen hinein… Hier nützen keine verstandesmässigen Zugeständnisse mehr. Es gibt auch in der Politik kultivierte Bestätigungsmodelle: sie heißen CDU, SP, FDP, SVP, Grüne oder auch anders. Das persönliche Abweichen von den Parteiprogrammen führt oft zu Gruppenzwang oder Ausschluss. Auf diese Art und Weise wird sichergestellt, dass geordnete, vorgegebene Gedanken, Programme und Strukturen aufrecht erhalten bleiben, selbst wenn es einem vernünftigen Sachverhalt widerspricht. Man nennt das zuweilen auch Gehirnwäsche. Aber nicht nur in der Politik ist solches zu finden. Auch in der Gesellschaft sind viele bindende Konventionen verankert, die zuweilen keine Spielräume für eine Öffnung mehr bieten. Dies alles würde uns erst dann wirklich bewusst werden, wenn wir in andere Menschen hineinschlüpfen könnten. Vielleicht hilft manchmal nur schon dieser Gedanke weiter, um auf andere Gedanken zu kommen. Das kann ein Anfang sein…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Welcher Lehre soll ich folgen?

nirwanaBrief eines Freundes an mich zu Rudolf Steiner und seiner Lehre und der Versuch, eine Antwort geben…

„Lieber Urs, ich wollt dich immer schon was fragen, ganz schnell auf den Punkt gebracht: Ich stehe manchmal – positiv gemeint – etwas zwischen den Inspirationen, Welten und Gedanken eines R. Steiner und den eher ‚radikalen‘ östlichen Lehren der Verwirklichung des Athman, fern ab aller Gegensätze und weltlichen Bedingungen, Kulturbestrebungen usw. – (die Verwirklichung des ICH BIN u.a. – siehe z.B. auch Satsang-Lehre oder auf meiner blogseite den Artikel „Ich BIN“ usw). Siehst du eigentlich eine Brücke, evtl. einen neuen Weg für dich, zwischen Steiners Lehre und diesen Lehren? Steiner wies ja das Nirvanabestreben eher ab habe ich das Gefühl. An seine Stelle wies er den Christusimpuls, die Kultur, die Kunst und das Erleben und Aufzeigen der höheren Welten usw. Was wiederum für östliche Verhälnisse eher nur eine weitere Maya, ein weiteres Hindernis zur Erleuchtung darzustellen scheint (?)… Hast du dich damit schon beschäftigt oder gar diese Dinge textlich verfasst, z.B. auch den Widerspuch darin? Und – Welchen Weg schlägst du ein bzw. bist du eingeschlagen? Hast du eine Synthese all dessen hinbekommen oder war das noch nie eine große Frage für dich…Ich denke manchmal bei mir, dass da noch eine kleine Thomas-seele in mir lebt, die meint sich für etwas GANZ entscheiden zu müssen, es aber nicht kann oder will, eher vielleicht nach einem Mittelweg sucht für sich… Gerade bei den sehr konsequenten, östlichen Lehren befürchte ich u.a. in ein nebulöses Nirgendwo einzugehen, vor allem auch nach dem Tode…also das Ziel ist mir schon wichtig, wo denn letztlich die Reise hingeht und enden soll! Bei Steiners Mitteilungen, die ja wunderschön zur Seele sprechen und vieles Übersinnliche gut erklären, habe ich allerdings auch das Gefühl, man könne sich manchmal auch darin verlieren …“

S. B.

Versuch einer „Antwort“:

Lieber S.
Die Frage nach den westlichen und östlichen spirituellen Ausrichtungen hat schon viele Philosophen und Esoteriker beschäftigt. Dahinter steckt im Grunde immer dieselbe Frage, nämlich jene nach den verschiedenen weltanschaulichen und/oder konfessionellen Lehren und deren Nachfolge. Jede Frage, die in diese Richtung geht, hat grundsätzlich ein und dasselbe Problem: Sie geht davon aus, dass es eine objektive, alleinige Wahrheit und somit auch nur eine Lehre gibt, welche alle anderen Lehren ausschließt. Diese Haltung ist meines Erachtens ausgrenzend und absolutistisch. Sie führt in eine Sackgasse, weil der menschliche Standpunkt immer abgesondert und individuell ist, egal welchen Dogmen er anhängt. Es ist also ein Weg, der nicht über das subjektive des egoistischen Menschen hinausführt. Jede Anhängerschaft, welcher Religion sie auch angehören mag, ist egoistisch gefärbt, solange sie andere Sichtweisen ausgrenzt. Das ist meine feste Überzeugung. Denn was wir ¨Wahrheit¨ nennen, ist doch eine allesumfassende, universelle Kraft, die alles Lebendige integriert. Sie hat verschiedene Facetten, je nach dem, wie sie von einer Persönlichkeit „eingefärbt“ wird.
Welcher spirituellen Ausrichtung soll man sich nun anschließen? Ich denke, es spielt letztlich keine Rolle, welchen Weg man geht, wenn er sich am Lebendigen, sprich an der Quelle selbst, orientiert. Und das Lebendige ist doch das alles Umfassende, an dem wir Anteil haben? Insofern kann man sicher auch ¨falsche¨ Wege gehen. Solche ¨falschen¨oder zumindest ¨kritischen¨ Wege sind für mein Verständnis alle nur analytischen, intellektuellen und ausgrenzenden Modelle. Doch wenn man in die Welt schaut, dann findet man schnell, dass es fast ausschließlich diese Wege sind, die unser Leben bestimmen. Das fängt in der Wissenschaft an, geht über die Kunst, bis hin zu den Religionen. Die Welt ist voll von Abgrenzung! Alles wird analysiert, zerteilt, zerpflückt, abgesondert und somit der Einheit entzogen. Ich erachtet dies zwar für wichtig, aber nur im Sinne eines Zwischenschrittes als bewusstseinsbildender Akt.

Deshalb sind für mich Worte wie ¨falscher Weg¨, ¨Irrweg¨usw. immer problematisch, ja sogar despektierlich und verachtend. Die moderne Bewusstseinshaltung der „Zergliederung“ der Welt (z.B. durch die Wissenschaft), hat einen ganz tiefen Sinn: Sie weckt (etwas) in uns! Erst durch die Abgrenzung dem Anderen gegenüber, erfahre ich, wer ICH BIN! Das ist paradox! Aber auch der Tod ist paradox! So, wie das Leben unseren Körper verlässt, wenn der Tod eintritt, so verlassen wir den universellen Zusammenhang, wenn wir geboren werden. Denn dieses Leben, welches sich dort mit dem Körper verbindet, ist quasi an ihn gebunden. Auch das ist paradox, denn das Lebendige lässt sich niemals binden! Wenn wir sterben, dann stirbt nicht das Lebendige selbst, sondern, das Leben verlässt unseren Körper ganz einfach wieder, etwa so, wie wenn Wasser aus der Erde verdunstet. Deshalb kann man nicht sagen, das Wasser sei nicht mehr da. Es hat sich lediglich in einen anderen Aggregatszustand verwandelt.

So verwandelt sich das Leben und alles, was wir damit verbinden, auch in einen anderen Aggregatszustand nach unserem Tod. Weil wir aber das Lebendige an unseren Körper festbinden, festbinden müssen von der Geburt bis zum Tod, haben wir zwar Anteil an ihm, aber dieser Anteil individualisiert sich quasi in jeden Körper hinein. Das wiederum hängt mit unseren Erfahrungen zusammen, die wir von der Kindheit bis ins hohe Alter durchmachen. Sie prägen die physische Verfassung und werden in entsprechender Weise vom Lebendigen mit geformt.

Meines Erachtens ist es von großer Wichtigkeit, dass wir solange und so gut als möglich flexibel bleiben und uns nicht allzu sehr an fixe Methoden, Systeme und Dogmen anhaften. Aber das ist nicht die einzige Anhaftung, die wir erleben. Auch die besagten Erfahrungen und Erlebnisse prägen sich in unsere neuronalen Datenautobahnen ein und beginnen allmählich mit diesen individuellen Absonderungen. Das All-Eine, von dem die Mystiker und Esoteriker immer sprechen, ist nur partiell erfahrbar und nur in dem Masse, wie es uns gelingt, uns von den Verhaftungen und Fixierungen zu lösen! Hier hilft auch keine Lehre und keine vorgegebene Weltanschauung, denn solche bringen bestenfalls das Wissen eines möglichen Weges. Der Weg kann auch sehr unterschiedlich sein, das Ziel wird dasselbe bleiben: Die Lösung von Verhaftungen und damit die Bemühung, frei zu werden. Manche Menschen und Forscher bestreiten, dass dies überhaupt je möglich sein wird, wie z.B. Thomas Metzinger in seinem spannenden Buch ¨Der Ego-Tunnel¨. Wie weit wir die Frage der Freiheit beantworten können liegt letztlich in der Tat jedes Einzelnen, denn es führt sowieso kein Weg an dieser Tat vorbei. Die Lehre, das Dogma, auch dieser Text gehört dazu! – bringt noch keine persönliche Erfahrung, sondern nur individuelle Wege und Hinweise, Pflöcke auf dem persönlichen Pfad jedes Einzelnen.

Ich selber kann nur immer wieder – (auch wenn es vielleicht langsam langweilig wird) – darauf hinweisen, dass das Werkzeug, welches schließlich aus diesem Tunnel hinausführen kann oder könnte, die Selbst-Reflexion ist, man mag sie auch Selbstbeobachtung nennen. Sie ist ein Werkzeug, aber noch nicht die Erkenntnis bezw. Erfahrung selbst! Erst die Beobachtung führt zur Erkenntnis! In aller Bescheidenheit: ich habe darüber ein Buch geschrieben. Und auch wenn ich heute schon wieder vieles ganz anders beschreiben würde, so stehe ich nach wie vor zu der Kernaussage: ohne die Fähigkeit der Selbstreflexion sind wir nicht in der Lage, unser Bewusstsein zu erweitern, egal welcher spirituellen Lehre wir uns verpflichtet fühlen. Es sollte jetzt klar geworden sein, dass ich mich nicht zu sehr damit aufhalte, welcher Weg für mich persönlich nun der Richtige sein mag, sondern ich möchte vielmehr lernen, was denn das Wesentliche an diesem Weg ist. Wollen wir einfach mehr wissen, ¨was die Welt im Innersten zusammenhält¨, oder wollen wir es real erleben und erfahren? Sicher bringt nun das persönliche Erlebnis noch keine objektiven, für das wissenschaftliche Verständnis relevante Resultate, sie bleiben an meine Person gebunden und werden nach meiner Auffassung verwertet. So drängt sich nun schließlich die alles entscheidende Frage auf: Löst sich jenseits dieses ¨Ego-Tunnels¨ alles persönliche Bewusstsein auf, wie es im Buddhismus gelehrt wird, oder gibt es in diesem ¨All-Einen¨ weiterhin so etwas, wie ein individuelles Bewusstsein, was eher dem christlichen Verständnis entsprechen würde. Für mich persönlich gehört diese Frage zunächst ins Reich der Vermutungen und Spekulationen. So, wie ich im Hier und Jetzt bin, kann ich immer nur von meinem vorhandenen Bewusstsein ausgehen. Dabei führt mich ein innerer Trieb des ¨mich-weiter-entwickeln-wollens¨.

Bislang bin ich noch nie an einen Punkt gekommen, an dem ich sozusagen das Bewusstsein meiner Selbst verloren hätte, wenn ich vom Schlaf absehe. Wäre dies geschehen, so wäre ich also gewissermaßen in eine Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit eingetreten – und trotzdem: es gäbe doch immer wieder eine Kraft, die mich in mein Gegenwartsbewusstsein zurückgeholt hätte und die Erinnerung an mich selbst aufrecht erhielte, wie das beim Aufwachen geschieht. An diese im Verborgenen wirkende Kraft kann ich sozusagen “glauben“, weil ich die Erfahrung von ihr immer wieder habe. Sie ist ein anderer vertrauter ¨Teil¨ in mir, welcher dennoch fest mit mir verbunden und verankert bleibt, selbst im Traum, im Schlaf und ich denke – auch vor der Geburt über den Tod hinaus schon vorhanden ist. Diese Kraft ist eng verbunden mit dem anfangs erlebten Lebendigen. Sie verbündet sich zwar mit meinem Körper, wirkt und lebt aber weit darüber hinaus. Das kann durchaus zu einer von allen Dogmen unabhängigen Erfahrung werden. Insofern steht mir persönlich der christliche Weg näher, denn dort wird dieses Erlebnis einer wirkenden Kraft mit dem Christusstrom in Verbindung gebracht. Dieses Erlebnis hat zwar keine persönlichen, von meinen Verhaftungen gefärbte Identität mehr. Dennoch verschmilzt mein ¨kleines, individuelles¨ Bewusstsein mit einem ¨großen, universellen¨ Bewusstsein. Damit bleibt meine bewusste Identität dennoch vorhanden und verbunden. Sie wird nicht “ausgelöscht¨ und ich kann mein “Glück” erfahren, was ja sonst – leider – nicht möglich wäre … Ich denke aber, um doch noch einmal auf Steiner zurückzukommen, dass dieser mit seiner Anthroposophie eben diesen (christlichen) Ansatz vertritt. Dass diese aber nicht eine neue und zusätzliche Lehre sein möchte, sondern ein absolut integrativer, erweiternder Ansatz, wo es nebst dem bloßen Verstehen und Erkennen, vor allem auch um die Übung und um das Erleben und um spirituelle Erfahrung geht. Dass dabei viele beim Ersteren stehen bleiben, liegt nicht an der Anthroposophie, sondern an jedem Einzelnen. Die Brücke zwischen dem westlichen und dem östlichen Weg liegt für mich nahe bei diesem Ansatz.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Der richtige Weg…

fahrradfahrerAuf dem Weg von Weil über Frankreich in die Schweiz nach Basel überquert man eine grosse „Passerelle“, die dort seit einigen Jahren in einem stolzen, geschwungenen Bogen majestätisch den Rhein überquert und Deutschland mit Frankreich verbindet. Sie wird deshalb nicht zu unrecht „Europabrücke“ genannt.

Da mich seit geraumer Zeit mein Arbeitsweg über diese Brücke zur Wirkstatt nach Basel führt, kenne ich mittlerweile die kürzesten Wege dorthin schon ziemlich gut. Etabliert hat sich der eine („Chemie-) Weg“ via BASF und Novartis am Spielcasino und der psychiatrischen Klinik vorbei in Richtung Wasgenring und schliesslich ans Endziel Largitzenstrasse. Vor einigen Tagen sah ich kurz vor der Grenze ein Paar mit ihren Fahrrädern auf mich zukommen. Genau dort, wo sich der Radweg – nach der Schweizergrenze ins Elsass – von der besagten Abkürzung scheidet, kreuzten sich nun die Wege jener zwei Radfahrer und mir. Auf dem sportlichen „Herrenrad“ sass ein ebenso sportlich gekleideter Mittfünziger, der aussah wie Didi Thurau höchstpersönlich. Er entpuppte sich indessen als holländischer Tourist mit vorn auf dem Lenker aufmontierter grosser Radkarte. Die weniger sportliche und etwas einfacher bestückte Frau war unterdessen bereits auf dem abgekürzten Weg in der Ferne entschwunden, als „Didi“ mich nach dem Weg fragte: „Entschuldigen sie, wie komme ich denn zur Europabrücke“. Mit der Gewissheit eines Routiniers antwortete ich zielsicher und bestimmt. „Ja, da gehen sie am besten hier entlang“ und ich zeigte auf die Strasse, wo man gerade noch seine Frau in der Ferne entschwinden sah. „Aber der Radweg ist doch hier aufgezeichnet“, erwiderte der Holländer und zeigte mit grosser Handgeste auf den am Boden eingezeichneten weissen Streifen mit dem aufgedruckten Fahrrad. Dieser Weg führe bestimmt auch irgendwann zur Europabrücke, erklärte ich ihm ruhig, jedoch mit einem erheblichen Umweg via Stadtzentrum des französischen Städtchens Huningue. Inzwischen war seine Frau bereits „um die Ecke gebogen“ und würde in etwa 3 Minuten und in gemächlichem Tempo den Rhein erreicht haben. Didi aber gab sich noch immer nicht zufrieden. Wieder hackte er, auf seine Karte zeigend, jetzt allerdings schon etwas ungehaltener, nach.  „Aber hier, sehen sie denn nicht, da ist der Weg doch eingezeichnet! Und auf dem Boden ist ebenfalls ein Radweg markiert! Es MUSS doch hier entlang gehen!?!“ „Ja, gewiss, gewiss, Sie können den Weg hier auch nehmen“, beruhigte ich den inzwischen aufgebrachten Radler schliesslich und lenkte zustimmend ein. Nur still sagte ich zu mir…: „Sturkopf“. Der Mann büschelte entnervt seine Karte auf dem Lenker zurecht, trat heftig ins Pedal und fuhr den besagten Umweg, während dem seine Frau wohl bereits seit einigen Minuten an der Europabrücke angelangt war.

Noch lange habe ich mir Gedanken über diese Begegnung gemacht. Man kann lange darüber grübeln, weshalb er mich denn überhaupt gefragt hat, wenn er doch schon zum Vorherein sicher war, wo der Weg, SEIN Weg durchführen würde. Wohl nur, um von mir die bereits von ihm vorgefasste Meinung bestätigt zu bekommen, nachdem er deswegen mit seiner Frau Streit bekam – mit ihr, die doch NICHT RECHT HABEN konnte, weil sie NICHT NACH DER KARTE, sondern intuitiv (richtig) gefahren war…

Und die Moral von der Geschichte. Rechthaben ist auch eine Sportart aber eine, die je nach dem erst auf Umwegen zum Ziel führt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Lebensperspektiven! Lebensperspektiven?

mannEgal zu welcher Zeit ich morgens mit meinem Fahrrad den Rhein entlang zur Arbeit fahre, ob um 8, 9 Uhr oder 10 Uhr: ich treffe dort schon seit Monaten regelmäßig einen Mann an. Er sitzt immer auf derselben Bank. Er sitzt dort mit einer Zigarette im Mund. Daneben stehen zwei Büchsen billiges Bier. Sein Oberkörper ist vornübergebeugt und der Blick krallt sich am Boden fest. Ihm zu Ehren schreibe ich jetzt diesen kleinen Text.

Es ist immer das gleiche Bild, gleicher Ort, gleiche Bank. Es spielt keine Rolle ob es regnet, schneit, ob die Sonne scheint, ob es kalt ist oder warm. Der Mann sitzt einfach dort: träge, resigniert, immer mit denselben abgetragenen Klamotten am Leib.

Es geht mir jeden Morgen, wenn ich ihn sehe, so einiges durch den Kopf: Was mögen seine Lebensperspektiven sein, frage ich mich? Er hat wohl keine mehr. Es sieht so aus, als ob er die Hoffnung an alles, was „wir normalen“ noch hegen und pflegen, begraben hat. Vielleicht hat er viele Enttäuschungen erlebt! Bestimmt hat er auch keine Arbeit mehr, keine Beziehung, keine Freunde, nichts…

Auf der anderen Seite sehe ich mich! Für einen Augenblick sitze ich selbst in Gedanken auf der Bank und betrachte diesen sportlichen Radfahrer, der hier an mir vorbeiflitzt, mit vielen Bildern, Wünschen, Idealen im Kopf; mit vielen Plänen und Projekten! Ich sitze als Jener auf der Bank und betrachte mich selbst: Seltsam, wie das jetzt auf mich wirkt!
Wir beide könnten etwa im gleichen Alter sein. Der eine ohne jegliche Hoffnung, ohne Zukunft, vielleicht auch ohne Chancen! Der andere mit jener positiven Weltsicht die dem Optimisten eigen ist, mit einer offenen, vor sich liegenden Lebensperspektive, die noch einiges an Potential in sich tragen könnte.
Ich erkenne diesen Anderen, erkenne ihn in seinem Schicksal. Schließlich hab ich es schon einmal hautnah miterlebt, als sich mein um vier Jahre älterer Bruder in ähnlicher Lage das Leben nahm: Ohne eine hoffnungsvolle Perspektive, ausgebrannt, mit schwerer Alkoholproblematik. Ich müsste wissen, was jener fühlt…

Jetzt sehe ich jeden Tag, wenn ich vorbeiflitze einen Spiegel dieses Bruders vor mir. Eigentlich sollte ich nun wieder, wie so oft, auf den „Sinn des Lebens“ hinweisen, die Sache mit den Vorstellungen erwähnen, die man sich macht usw., ihm sagen: „Sieh, mein Freund: Du vergräbst dich in deine eigenen Vorstellungen von der Welt und identifizierst dich vollkommen damit. Nicht deine äußere Welt, die böse, sondern deine innere Welt, treiben dich ins Verderben! Du handelst immer so, wie du denkst, wie du dir die Dinge vorstellst. Deine ganzen Emotionen und Gefühle richten sich danach aus und beherrschen dein Leben! Löse dich von diesen Vorstellungen. Sie sind nicht DU! Es sind nur Konstrukte deiner eigenen, gelebten Biographie! Begib dich auf den Weg zu dir SELBST und du findest wieder neue Perspektiven, eine neue Ausrichtung!“

Eigentlich sollte ich ihm das sagen, denk ich. EIGENTLICH. Aber ich kann es jetzt nicht mehr. Es ist, wie wenn mir selbst die Hoffnung für dieses Schicksal abhanden gekommen ist.
Ja, und wo kommen wir denn da hin, wenn wir jedem Typen auf der Strasse ins Gewissen reden wollten? Das denke ich einen Moment und dann bin ich still! Einfach STILL!
Und schäme mich…

Wir sehen jeden Tag diese großen Unruhen, Kriege, Verbrechen, Ungerechtigkeiten auf der ganzen Welt. Sie finden nicht nur weit weg statt, in irgendeinem exotischen Land, sondern ganz nahe: Im Haus nebenan. Auf den Parkbänken der Stadt oder anonym in stillen Ecken, die vom Glimmer der Gesellschaft nicht mehr ausgeleuchtet werden. Wir twittern uns durch tausend Dinge, hin und her, und sind vollgestopft mit News, die uns all diese Ungerechtigkeiten der Welt ins Hirn hämmern und die uns viel Unheil verkünden… und zwei Minuten später: Haben wir sie wieder VERGESSEN!

Und wir empören uns darüber, wenn etwas in Ägypten, Tunesien, Russland, China oder in Nigeria nicht gemäß „unseren Vorstellungen“ läuft. VORSTELLUNGEN prägen unser Weltbild. Es gibt so viele Weltbilder. So viele, wie es Menschen gibt!

Und nun sitzt dieser Mann da am Ufer des Rheins auf dieser Bank! Ich fahre an ihm vorbei, bin längst bei der Dreirosenbrücke angelangt und habe ihn wieder vergessen. Bis zum nächsten Morgen, wenn ich ihn wieder sehe…
Es regnet. Und während dessen drehen sich meine Gedanken schon um andere Themen, währenddem die Räder meines Velos das nasse Pflaster streifen, wie wenn sie kleben würden. Ein sonderbares Geräusch. Ich nehme es nicht wahr, denn meine Gedanken versinken in die Bilder der Zukunft, an die „wichtigen“ Termine des heutigen Tages. Und ich schäme mich jetzt, wo ich gerade wieder daran denke und diesen Text schreibe, ein wenig, weil ich es immer wieder vergesse.

Aber vielleicht ist es gar nicht so, wie man denkt? Vielleicht ist jener glücklicher als ich! Er vergräbt sich nicht mehr in diese tausenden von „Wichtigkeiten“ eines vollen Terminplanes, sitzt nur da, still… und zufrieden… und macht sich keine Vorstellungen mehr…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Lebendige Prozesse

mato | werke
mato | werke

22 Jahre Erfahrung als Kunst-Therapeut veränderten im Laufe der Zeit meine eigenen Ansprüche und Intentionen im therapeutischen Prozess grundlegend.
Es gibt und gab viele unterschiedliche Phasen. Einige taugten weniger, einige mehr. Vieles führte aus meiner heutigen Sichtweise am eigentlichen Ziel vorbei. Es waren oft zu harte und zu enge Korsetts, die ich mir mit festgefahrenen Konzepten selber schnürte.
Solche Konzepte konnten vielfältig und interessant sein. Sie wurden aus ganz verschiedenen weltanschaulichen Richtungen geholt. Wissensstoff unterschiedlicher Art spielte dabei die vorherrschende Rolle. Viele Bücher waren meine Meister.

So wird sich wohl jeder Therapeut, jede Therapeutin am Anfang der beruflichen Praxis über die Runden helfen müssen. Eigentlich eine Binsenwahrheit, die für alle Berufe gleichermaßen gilt. Meistens jedoch stimmen die Konzepte nie ganz mit der Realität überein. Und die Realität in der therapeutischen Situation ist der gegenwärtige Zustand zweier Menschen, die sich im Jetzt, in einem bestimmten Abschnitt ihres Lebens, mit bestimmten Erfahrungen, Einsichten, Vorbehalten, Ideen und Gefühlen gegenüberstehen. Und jedes Mal wird diese Situation durch Veränderungen erneuert. Jede Begegnung wird wieder anders. Die vorgegebenen Konzepte, selbst wenn sie höchsten sozialen und menschenkundlichen Ansprüchen gerecht werden, hindern den klaren Blick auf das Jetzt, auf die Situation, so wie sie ist.

Gewiss, bestimmte Lehrinhalte haben einen durchaus allgemein gültigen Charakter. Sie betreffen die Haltung des Therapeuten selbst, der soziale und empathische Umgang und Zugang zu den Menschen. Sie können vielleicht u.a. in Rollenspielen oder Retreats gelernt werden. Aber sie werden untauglich mit jeder neuen Begegnung, wenn sie nicht modifiziert und verinnerlicht werden. Wer sich beim Autofahren jedes Mal überlegen müsste, welcher Hebel wann und wo zu bedienen ist, der würde nicht sehr weit fahren, ohne Totalschaden zu erleiden.

Zu dieser Verinnerlichung benötigen wir aber andere Kompetenzen und diese erwachsen nicht aus dem angelernten Wissen, sondern durch bewusstes Erleben und selbst reflektierten Erfahrungen. Auf dieser Basis schälten sich die im Folgenden aufgeführten Aspekte meiner therapeutischen Arbeit im Laufe der Jahre heraus. Sie sind zu grundlegenden Säulen für mich geworden. Es soll jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sie keine fixen Regeln darstellen, sondern lediglich für meine eigene Arbeit (als Kunsttherapeut), eine Bedeutung haben. Wenn sie dennoch hier aufgeführt werden, so deshalb, weil ich glaube, dass sich meine Erfahrungen mit anderen vielerorts decken könnte, oder dass sie hilfreich sein können für die innere Grundausrichtung jeder therapeutischen Arbeit oder des Therapeuten an sich selbst!

Die vier Säulen des therapeutischen Prozesses (mit den Mitteln der Kunst):

  1. Medium
  2. Kreativität
  3. Raum
  4. Technik

Zum Medium: Das Medium spielt in der Wirkungsweise eine sehr wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Rolle. Ob mit Farben, Klängen oder mit bildhauerischen Mitteln (z.B. mit Ton), gearbeitet wird, ist nicht gleichgültig für den Zugang zu den kreativen Impulsen, die dem Klienten entsprechen. Der Aspekt der Auswahl steht vor einer Entscheidung über die Art des künstlerischen Mittels. Die Wahl des Mediums steht also zuoberst auf der Liste, weil es eine wichtige Bedingung ist, um eigene kreative Intentionen effizient und unmittelbar umzusetzen.
Ob man eher einen musikalischen Sinn hat, oder mit Farben oder Formen besser umgehen kann ist hilfreich zu wissen für den therapeutischen Prozess. Das muss nicht zwingend heißen, dass man für das künstlerische Mittel schon zum Vornherein gewisse Begabungen mit sich bringt. Vielmehr stelle ich fest, dass oft ein innerer Wunsch die Klienten leitet, diese oder jene Methode vorzuziehen. Auch andere Kriterien könnten Vorrang haben. Die Zusammenarbeit mit Ärzten z.B. erfordert die Erfüllung gewisser Kriterien, so zum Beispiel, wenn Wert darauf gelegt wird, dass sich ein bestimmtes Kind mit der Erdelement auseinandersetzen sollte.
Dies sind nur einige Aspekt, die zur Entscheidung des Mediums führen könnten. Sie liegen meistens außerhalb der eigenen therapeutischen Kompetenz und werden im Vorfeld entschieden. Manche Therapeuten arbeiten gleichzeitig mit unterschiedlichen Methoden, andere spezialisieren sich auf eine einzige Methode. Einige arbeiten in Einzeltherapie, andere in Gruppen. Der Prozess an sich, der im weiteren Verlauf besprochen wird, verändert sich indessen nicht wesentlich. Lebendige Prozesse sind gewissermaßen zeitlos. Sie bedienen sich nur unterschiedlicher Zugangs-Tore und Techniken.

Zur Kreativität: Hat der Klient das geeignete Mittel gefunden, gilt es in weiteren Schritten, durch das Medium zu einem adäquaten Ausdruck zu finden. Es stehen aber damit nicht die Ideen, Konzepte und Vorstellungen im Vordergrund, die der Klientel (oder der Therapeut!) mit sich bringt, sondern tiefer liegende, zunächst verborgene Fähigkeiten und Ausdrucks-Werkzeuge.
Alles was auf der Ebene der Ideen und Konzepte liegt, erreicht nur die Oberfläche der Seele (manche mögen den Begriff nicht…). Wenn er zu esoterisch klingt, verwende man „Psyche“, gemeint ist sowieso das Gleiche :-)…
Unbewusste Prozesse bringen es nicht bis zu den Gedanken, deshalb sind sie ja „unbewusst“. Um an diese Schichten heranzukommen, muss die Fähigkeit einer achtsamen Präsenz geübt werden. Jede Gestaltung aus diesem Hintergrund heraus, fördert den Zugang zu neuen, lebendigen Kräften, die ansonsten verdeckt bleiben. Jeder Gedanke und jede Vorstellung verdeckt den gegenwärtigen Moment. Nur hier, im Jetzt, findet Erleben statt, nirgends sonst!
Das Tor zu diesem Jetzt ist aber so eng, wie einfach. Es ist sozusagen das Nadelöhr, der Punkt, (Neudeutsch „Flow“), den es zu erreichen gilt. Eng deshalb, weil unser Gedankenstrom lieber in der Vergangenheit oder in der Zukunft weilt, statt gegenwärtig zu bleiben. Der Schritt zu dieser Art Präsenz,  stellen also den ersten und wesentlichsten therapeutischen Anspruch dar. Natürlich kann man auch mit dem konditionierten Ich arbeiten. Das Erkennen von Einseitigkeiten in einer Persönlichkeit steht hier im Zentrum der therapeutischen Intervention. Wie in den verhaltensorientierten Therapien üblich, wird versucht, den Umgang mit diesen Einseitigkeiten zu erkennen und dann zu korrigieren oder konditionieren. Dies geschieht mit klar vorgegebenen Standards. Polare Verhaltensmuster können dann z.B. diese Korrektur bewirken.
Diese Methoden zielen nicht darauf ab, grundsätzliche Umwandlungen im Sinne eigener Bewusstseinsarbeit herbeizurufen. Sie zielen auf das Verhalten und nicht auf den sich so Verhaltenden.
Die kreativen Prozesse wirken tiefer. Sie bleiben nicht an der Oberfläche der Persönlichkeit stehen. Sie korrigieren das Verhalten nicht indirekt, auf der Ebene der Konditionierung (was ja der Tierdressur nahe steht). Sie gehen an die Quelle, an den Kern jeder Persönlichkeit. Diese bildet sozusagen den Vorhang oder die Fassade, welche sich aus den Einflüssen der Umgebung im Laufe eines Lebens im Hintergrund, vor allem in der Kindheit, aufbaut.

Zu Raum: Der oben beschriebene Anspruch kann aber nur gewährleistet werden, wenn es gelingt, einen inneren Raum (der letztlich korreliert mit dem äußeren Raum), zu schaffen. Wesentlich für diesen Schritt ist der Aufbau einer gesunden Vertrauensbasis zwischen Klientel und Therapeut. Was hier Raum genannt wird, ist die Summe aller begleitenden Einflüsse. Dies geht von der allgemeinen Stimmung, als Produkt der Gefühle und Emotionen der Beteiligten, über das „Klima“ oder der Wirkungsweise des physischen Umfeldes, bis hin zu spezifischen unterstützenden Maßnahmen während des ganzen Prozesses. Der Therapeut „steuert“ so weit wie möglich die Aspekte dieses „Raumes“. Dies tut er einerseits durch seine eigene Präsenz und Geistesgegenwart, wie auch durch Bereitstellung der notwendigen Einrichtung, Techniken, Werkzeuge und Abläufe, sowie dem unmittelbaren Mitgehen des Prozesses.

Zu Technik: Die Technik wiederum steht zwar hier an letzter Stelle, ist aber sehr wichtig, eigentlich unerlässlich, damit der Klient, die Klientin seine/ihre eigenen schöpferischen Prozesse umsetzen können. Sehr oft stellen dabei die äußeren Umstände im Stoff Widerstände dar, die durch vorgegebene Bewegungsmuster des Klienten blockiert sind. Sie zu überwinden braucht die notwendige Aufmerksamkeit des Therapeuten, sowie Flexibilität und Originalität im Auffinden von begleitenden Maßnahmen. Die Hürden des physischen Stoffes sollten dabei soweit wie möglich überwunden werden. Damit wird die Brücke zur unmittelbaren Umsetzung geschaffen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

…und hier wird die „Theorie“ gelebt! http:www.wirkstattbasel.ch Besuchen Sie uns!

PS: Im pädagogischern Bereich erzählt Dr. Prof. Gerhard Hüther ziemlich genau, was der Spirit dieser Gedanken ist. Ich empfehle sehr, sich dieses Gespräch zu Gemüte zu führen:

Unsere Feindbilder

Aus Mato | Bilderwelt
Aus Mato | Bilderwelt

Es ist Ihnen sicher auch schon passiert, dass Sie sich nicht verstanden fühlten, dass Sie jemand mit einer Sache konfrontierte, von der er meinte, Sie seien ein Vertreter dieser Sache! Es kann sogar sein, dass Sie dem Angreifer in dem, was er verurteilte, vollkommen Recht geben konnten!

So könnten Sie beide für eine Sache gegen dieses Angegriffene in bester Freundschaft kämpfen. Das Dumme ist nur, dass der Angreifer in Ihnen einen Vertreter eben dieses Feindbildes zu sehen glaubt! Er hat sich von Ihnen ein Bild geschmiedet, welches vollkommen an der Realität vorbei zielt, belud es mit seinen persönlichen Vorstellungen und Meinungen und hält Ihnen dieses selbst geschaffene Gespenst nun entgegen. Sie versuchen vielleicht, ihn davon zu überzeugen, dass das, wovon er spricht, nicht Ihr Glaube, Ihre Weltanschauung, Ihre Meinung, oder was auch immer, sei, und bemühen sich den Tatbestand wohlwollend zu erläutern. Ihr Gegenüber „glaubt“ aber Ihren eigenen Wahrnehmungen nicht. Er hat sich so sehr in sein eigenes Bild von Ihnen verbissen, dass jede Rechtfertigung nur noch mehr Nahrung für seinen Angriff bietet. Nun ziehen Sie sich vielleicht zurück, denken, ach was solls, da ist nichts zu machen, soll der glauben, was er will…

Nicht immer läuft es so glimpflich ab…

Solche Situationen gibt es bestimmt nicht selten. Und wenn wir uns selbst ganz genau beobachten merken wir, dass es auch uns, manchmal nur in kleinen Dingen, sehr ähnlich geht mit unseren (Vor-) Urteilen! Manchmal sind es nur die ganz kleinen Schatten: ein Flüchtling zum Beispiel, der am Tor des Asylheimes sitzt und um sein Überleben kämpft. Ein flüchtiger Blick, ein flüchtiger Gedanke, der durch unseren Kopf zieht: „Der taugt ja eh nichts, soll doch zurück in sein Land gehen…“, oder ähnliches. Ein flüchtiger Gedanke nur, der uns kaum oder gar nicht bewusst wird, in sekundenbruchteilen aufblitzt und wieder verschwindet. Schnell, schon im nächsten Sekundennruchteil schalten wir wieder um, unsere nächste Sitzung anvisierend, wo es schließlich „grössere“ Probleme zu behandeln gilt, (z.B., was wir nun mit dem erwirtschafteten Gewinn von fünf Millionen Euro anfangen sollen…).

Feindbilder sind aus dieser Art (Gedanken-) Stoff gemacht. Egal ob sie im Kleinen oder im großen passieren. Es ist oft genug der Stoff UNSERER EIGENEN, persönlichen Vorstellungen, unserem persönlichen Verständnisbild der Welt, dem wir nur immer wieder frische Nahrung geben, um dieses so am Leben zu erhalten und um unser Gewissen damit zu beruhigen. Das Gewissen, welches gebetsmühlenartig predigt: „Ich bin ja ein guter Mensch! Der oder Jener aber verkörpert das Böse!“ Was wir dort zu sehen meinen und vernichten wollen, ist oft nichts anderes als ein selbst kreiertes Schattenbild unserer selbst, ein persönlich geschaffenes Gespenst. Wie viele solche Gespenster geistern in der Welt herum, mich wohlweislich mit einbezogen…

Der Flüchtling war vielleicht, bevor er in die Schweiz einwandern musste, ein ehrbarer Bürger seines Landes gewesen und verurteilte, wie Sie, jede Form von Müßiggang. Er hatte viel Pech in seinem Leben und konnte letztlich auch nichts für die Verhältnisse, die ihn und seine Familie zur Flucht trieben… Überall wurde er abgelehnt, als Nichtsnutz verurteilt… Nun sitzt er da…
Man kann nur hoffen, dass es uns nicht auch einmal so geht. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in Syrien oder anderswo Fuss fassen, sich in deren Kultur einleben, sich mit den dortigen Behörden arrangieren, die für Sie so fremde, exotische Sprache, die seltsamen Schriftzeichen usw. lernen und dies unter grösstem existentiellem Druck für Sie und Ihre Familie… Unter schwierigsten Bedingungen, sich an die Verhaltensregeln dieser fremden Kultur gewöhnen, Sitten und Gebräuche verstehen. Alles Dinge, die komplett neu sind für Sie… Das wäre doch auch einmal eine sehr interessante – und zudem lehrreiche – Vorstellung…

PS: ECOPOP heisst eine Initiative, die derzeit in der Schweiz läuft und am 30.11.2014 zur Abstimmung kommt. «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen». Man kann sich fragen, was in diesem Sinn der Begriff „natürlich“ bedeuten mag…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Fehlerkultur…

FehlerkulturFehler sind das natürlichste im Leben und gehören ebenso dazu, wie das Amen in der Kirche und der Tod. Das ist den meisten Menschen irgendwie klar. Dennoch sieht die Realität, vor allem im Schul- und Berufsalltag, oft sehr anders aus. Wir schwanken oft zwischen den Extremen Perfektionismus und Nachlässigkeit hin und her. Das oft gelobte „Ego“ tümpelt mit einem mehr oder weniger bewussten Umgang mit seinen «Fehlern» dazwischen. 

Die Toleranz gegenüber Fehler hat in den letzten Jahrzehnten sogar noch abgenommen. Missgeschicke schlagen schnell aufs Ansehen (oder auf den Umsatz…). Dabei könnten Fehler zu einem echten kreativen Motor werden, wenn wir lernen würden, konstruktiv mit ihnen umzugehen und unsere Erfahrungen damit anzureichern. Das bedingt die Einsicht in die Entwicklungs-möglichkeiten von konstruktiv genutzten „Fehlentscheiden“ oder Missgeschicken. Und diese Einsicht hat mit Vertrauen zu tun.

Entwicklung läuft immer in Wellenform. Es gibt keine geradlinige Entwicklung. Der kürzeste Weg in einem lebendigen Prozess  ist nicht die Gerade, sondern die gebogene Linie! Egal, was wir im Leben tun, ob bei der Arbeit oder im Privatleben, unsere Bemühungen werden nie fehler-los bleiben. Wieder einmal muss ein Begriff anders definiert werden. Wir neigen dazu, das Wort «Fehler» negativ zu belasten. Oft sind wir von Kindsbeinen an darauf hin getrimmt worden, nur ja keine Fehler zu begehen. Manche entwickelten dabei ihren Skript-bedingten Perfektionismus, der in einen manischen Kontrollzwang ausmündet.

Das hemmt ihr Tun und behindert die Spontanität und die Intuitionsfähigkeit. Und genau dies sind entscheidende Faktoren für eine kreative und flexible Lösungsfindung. Zuviel Hemmung verhindert zwar Fehler, bringt aber keine innovativen, überraschenden Ideen zustande. Andere beginnen, durch eine überbetonte Kontrollhaltung, nachlässig zu werden. Sie können mit Kritik nicht positiv umgehen, ziehen sich zurück und verlieren eine gesunde Tatbereitschaft. Die «negative Aufladung» hemmt ihre Tatbereitschaft, weil sie Angst vor dem Versagen haben. Daraus kann sich eine gewisse Nachlässigkeit entwickeln, eine Art «ist mir alles egal“ -Stimmung.

Eine moderne Gesellschaft müsste dem (positiven) „Irrtum“ mehr Gewicht geben und ihn als Chance werten. Auch kreative Prozesse verlaufen in dieser Wellenform. Das heißt, jedes Tun wird durch die Selbstbeobachtung ständig korrigiert und neu bewertet. Das Hin und Her zwischen Tätigkeit und Selbstbeobachtung schafft lebendige Formen und neue Ideen. Die analytische Form, die bis ins letzte Detail schon (da-) vorgestellt wird, also bevor sie in die Tat kommt, ist das Gegenstück dazu. Dieser Prozess eliminiert möglicherweise gewisse zum Voraus «berechnete» Fehler, die an dieser oder jener Stelle auftreten könnten, aber er lässt keinen Freiraum mehr für das Besondere, Außergewöhnliche, Überraschende zu. Und davon leben alle geniale Lösungen. Es sind nicht die Kinder des Intellekts, sondern der Intuition. Fehler im Vorfeld zu eliminieren bedeutet, dem Prozess den freien Atem zu nehmen und damit «Spiel»-räume zu schaffen.

Fehler nicht mehr negativ zu sehen, sondern als Antrieb für neue Impulse, fördert und stärkt den kreativen Prozess. Dazu gehört auch hier, zum wiederholten Male, die Selbstreflexion. Denn im selben Moment, wo ich den Fehler begehe, muss ein neues, inneres Wahrnehmungsorgan den Vorgang allmählich erkennen und umwandeln lernen, damit wir nicht ständig in dieselbe Falle tappen. Fehler sind nur dann destruktiv, wenn wir sie nicht als Entwicklungsmöglichkeit sehen und aus einer pathologischen Ignoranz davon keinen persönlichen, und letztlich positiven, Nutzen ziehen können…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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