ICH …und die Welt

AussenDer Blick nach aussen ist das „alles-in-Frage-stellende“. Gedanken, Gefühle und Handlungen anderer werden bezweifelt, angefochten, berichtigt, „ergänzt“ (das ist die edle Variante, denn ergänzen kann man immer, alles, ein Leben lang), beurteilt, verurteilt, bevorzugt, benachteiligt und alles, was Berichtigung, Korrektur der anderen („falschen“) Weltbilder ist. Das Eigene ist Zentrum des Bewusstseins, Zentrum des „Für-wahr-haltens“. Die Intelligenz, die Cleverness, Bildung, Wissen usw. sind der Gradmesser dieser Haltung dem Leben und Denken gegenüber.

InnenDer Blick nach innen zeigt eine ganz andere Welt, die Eigene! Er benötigt die Haltung des Betrachters, des Beobachters, der die „Eigen-heiten“ erkennt und wahr-nimmt. Das eigene Urteil wird aus dem Blickwinkel des/der Anderen gesehen. Dessen, der vielleicht eine Welt statt in rot, in blau (oder grün, oder rosa…) sieht. Sie ist ebenso richtig und ebenso falsch, wie meine rote Welt. Sie IST halt einfach. Sie beweist NICHTS. Denn die Färbung ist die Färbung der eigenen (beschränkten) Persönlichkeit. „Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein…“

Innen-AussenSo gibt es zwei Welten. In der ersten bin ich Akteur, Beteiligter, Auslöser, Wirkender, Schaffender. Ich tue dies aus dem Behältnis eigener Erfahrungen, Lehren und Intelligenz. In der Zweiten bin ich „nur“ Beschauer, Betrachter, passiv, aber wach: Erkennender dieser anderen Welt in mir. Ich trete ihr wohlwollend gegenüber, sie umfassend, ja liebend! Aber ERKENNEND. Ich BIN NICHT jene Welt, für die ich mich im Normalfall so sehr einsetze, für die ich so sehr kämpfe. Das ist die grösste Erfahrung jedes Suchenden. Denn was er sucht, ist schon längst in ihm…

Das Einzige, was bezweifelt und verurteilt werden kann ist die Sturheit, Abgrenzung und Intoleranz gegenüber dem/den Anderen… Intoleranz gegenüber der Intoleranz ist die einzige Legitimation für Intoleranz…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Begegnung mit Martin Buber

Martin BuberEine fiktive Geschichte… Mai 1935: Ich stand vor der großen hölzernen Türe eines alten, ehrwürdigen Hauses im 3. Wiener Bezirk. Das Herz klopfte in mir. Gespannt auf seine Erscheinung. Gespannt auf sein Wesen, auf die Gestalt, auf sein Sinnen. Ich zog behutsam an der Glocke und wartete einige bange Sekunden. Da öffnete sich die Tür. Erwartungsvoll erblickte ich eine Hausangestellte, die mich freundlich empfing. Ich sagte, ich sei Kaspar Volkelt und hätte mich bei Herrn Buber für heute angemeldet. Die Frau verschwand einen kurzen Augenblick im Dunkel des Flurs. Nur wenig später erschien er, der Mann, von dem ich so viel gelesen, so viel berichtet und so viel gehört hatte. Ein Mann, dem ich vieles zu verdanken hatte und der für mich so etwas wie mein Meister wurde: Martin Buber.

Unscheinbar, freundlich und warmherzig begrüsste er mich und bat mich einzutreten. Seine gütigen Augen, der weisse lange, etwas struppelige Bart und sein durchgeistigter Blick faszinierten mich. Ich folgte ihm in sein Studierzimmer und setzte mich auf den angebotenen etwas abgewetzten Barockstuhl, der sich gleich hinter seinem bescheidenen Schreibtisch befand. Ich wunderte mich darüber, wie wenig Bücher sich in diesem Zimmer befanden. Nur auf einem kleinen Holzgestell standen einige Werke. Der Schreibtisch hingegen war voll von kleinen Notizzetteln und Papierstreifen. Dazwischen lagen einige alte Zeitungsausschnitte.

Buber zog einen Stuhl herbei, setzte sich mir gegenüber und schaute mit leichtem Schalk in mein Gesicht: Bitte, Herr Volkelt, begann er mit einem warmen, ruhigen Ton – stellen Sie Ihre Fragen. Ich höre Ihnen gerne zu…
Noch etwas unsicher, durch seine Wärme und seine geistige Präsenz aber inspiriert, begann ich zu sprechen: Ich habe Ihre Texte wieder und wieder gelesen, Herr Buber. Ich bin ein grosser Verehrer von Ihnen und möchte einige Fragen zur Kunst stellen, die mich schon lange beschäftigen.
Bitte! – Herr Buber forderte mich mit einer Handbewegung dazu auf.
In Ihrem Buch „Ich und Du“ habe ich folgende Stelle gelesen, die ich Ihnen gerne erst vorlesen möchte. Sie schreiben über das Suchen: – „Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden. Aber daß ich zu ihm das Grundwort spreche, ist Tat meines Wesens, meine Wesenstat“. – Wie muss ich das verstehen, was ist mein wahres Wesen?
Buber, nickend, nach einer Bedenkpause: Das Du begegnet mir. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm. So ist die Beziehung Erwählt werden und Erwählen, Passion und Aktion in einem. Wie denn eine Aktion des ganzen Wesens, als die Aufhebung aller Teilhandlungen und somit aller – nur in deren Grenzhaftigkeit gegründeter – Handlungsempfindungen, der Passion ähnlich werden muß. Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung!
Ich fragte ihn: Muss ich diesen Gedanken nur dem Menschen gegenüber, der mir als Du begegnet, in dieser Weise auffassen, oder ist damit alles gemeint, was mir im Leben begegnet und entgegentritt?
Buber besann sich einen kurzen Augenblick. Er senkte seinen Kopf, schien ganz in sich zu gehen , blickte dann zu mir auf und ein freudiges Gesicht blickte mich jetzt sanft und wohlwollend an: Das ist der ewige Ursprung der Kunst, nach dem Sie da fragen, daß einem Menschen Gestalt gegenübertritt und durch ihn Werk werden will. Keine Ausgeburt seiner Seele, sondern Erscheinung, die an sie tritt und von ihr die wirkende Kraft erheischt. Es kommt auf eine Wesenstat des Menschen an: vollzieht er sie, spricht er mit seinem Wesen das Grundwort zu der erscheinenden Gestalt, dann strömt die wirkende Kraft, das Werk entsteht.
Also ist das Werk ebenso lebendig wie ein Baum, ein Mensch, ein Tier? – fragte ich ihn, nachdem er seine Gedanken zu Ende geführt hatte.
Buber fuhr fort: Die Tat umfaßt ein Opfer und ein Wagnis. Das Opfer ist: Die unendliche Möglichkeit, die auf dem Altar der Gestalt dargebracht wird; alles, was eben noch spielend die Perspektive durchzog, muß ausgetilgt werden, nichts davon darf ins Werk dringen; …so will es die Ausschließlichkeit des Gegenüber. Das Wagnis: Das Grundwort kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden; wer sich drangibt, darf von sich nichts vorenthalten; und das Werk duldet nicht, wie Baum und Mensch, daß ich in der Entspannung der Es-Welt einkehre, sondern es waltet: – diene ich ihm nicht recht, so zerbricht es, oder es zerbricht mich. Die Gestalt, die mir entgegentritt, kann ich nicht erfahren und nicht beschreiben; nur verwirklichen kann ich sie. Und doch schaue ich sie, im Glanz des Gegenüber strahlend, klarer als alle Klarheit der erfahrenen Welt. Nicht als ein Ding unter den »inneren« Dingen, nicht als ein Gebild der »Einbildung«, sondern als das Gegenwärtige. Auf die Gegenständlichkeit geprüft, ist die Gestalt gar nicht »da«; aber was wäre gegenwärtiger als sie? …und wirkliche Beziehung ist es, darin ich zu ihr stehe: sie wirkt an mir wie ich an ihr wirke.
Buber drehte den Kopf zum Fenster. Dort erhob sich gerade ein Sonnenstrahl zwischen den Wolkenbändern und drang in unser Zimmer. Die herbstliche Farbenwelt durchflutete jetzt den ganzen Garten, den man von hier aus gut sehen konnte. Von dort schienen seine Gedanken herein zu strömen:
Schaffen ist Schöpfen, sprach er – Erfinden ist Finden. Gestaltung ist Entdeckung. Indem ich verwirkliche, decke ich auf. Ich führe die Gestalt hinüber – in die Welt des Es. Das geschaffene Werk ist ein Ding unter Dingen, als eine Summe von Eigenschaften erfahrbar und beschreibbar. Aber dem empfangend Schauenden kann es Mal um Mal leibhaft gegenübertreten.
So hatte er meine Frage erschöpfend geklärt… Als ich ihm zum Abschluss für das Gespräch dankte, begleitete er mich zur Türe und gab mir ein Zettelchen in die Hand, welches ich für mich zuhause lesen solle. Ich dankte ihm und verabschiedete mich.
Zuhause angekommen öffnete ich das gefaltete Papierstreifchen und las es laut vor mich hin:

Was erfährt man also vom Du? Eben nichts. Denn man erfährt es nicht. Was weiß man also vom Du? Nur alles. Denn man weiß von ihm nichts Einzelnes mehr…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Egoismus als Vater aller Kriege..

KriegJeder Mensch outet sich in seinem Leben mehr oder weniger für bestimmte Dinge, die er tut, fühlt oder denkt (…und die er sich einhandelt). Der Eine fühlt sich dem Buddhismus zugeneigt, der andere dem Christentum. Einer sympathisiert mit dieser Partei, der andere mit jener und ein dritter wieder mit einer anderen. Manche sind angetan von Eisenbahnen, Panzern und Flugzeugen, wieder andere interessieren sich für Bewusstseinsfragen oder für Philosophie und Psychologie, nennen sich „Sophen“ oder „Isten“ verschiedenster Formen….

Die Zuneigungen und Abneigungen, die wir im Laufe unseres Lebens schaffen werden durch viele Faktoren und Einflüsse gebildet. Zwischenmenschlich entstehen auf diese Weise so manche, oft ungewollte und verdeckte, Konflikte. Durch die Verschiedenheit der eigenen Persönlichkeit zum anderen Mitmenschen, entsteht latent ein grosses Abgrenzungspotential, welches sich in den Vorurteilen jedes Individuums abzeichnet. Diesen Vorurteilen ist man alleine dadurch ausgesetzt, dass man bestimmte Neigungen und Anschauungen öffentlich macht.

Beispiel: Zwei Menschen begegnen sich und finden sich sympathisch. Sie treten offen und vorurteilslos einander gegenüber. Sie treffen sich immer öfter und sie erzählen so nach und nach ihre Geschichten und Erlebnisse, anfangs vorsichtig, später immer tiefer, und lernen sich so besser kennen. Eines Tages erfährt der erste vom anderen, dass dieser in exakt jener Partei ist, mit der sich der erste überhaupt nicht verbinden kann.

Was passiert jetzt? Zwischen den beiden Menschen wird eine virtuelle Wand geschoben. Diese Wand ist gebildet mit den Inhalten von jener Partei (es könnte natürlich auch ebenso gut eine Religion sein, oder eine bestimmte Weltanschauung) und diese werden nun auf den anderen Menschen mit seinem Wesen, welches man bisher ganz gut fand, dem man vorher noch sympathisch und vertraut gegenüber stand, appliziert. Es passiert etwas Ent-Scheidendes: Von diesem Augenblick an kann der erste seinen Freund nicht mehr unabhängig und vorurteilslos anschauen. Er blickt ihn zwar an, wird aber getrennt von ihm durch jene unsichtbare Wand, die sich schlagartig dazwischen geschoben hat.

Augen und Sinne verlieren die Unvoreingenommenheit und Reinheit der Begegnung, mit denen man sich vorher noch gefunden hatten. Und diese Wand ist so stark und so dick, so undurchdringbar, dass die Aufrechterhaltung der Freundschaft unmöglich wird. Die Kraft der Vorstellung bildet eine Art trennenden Schleier für die Wahrnehmung. Der Freund wird zum Feind, weil der erste nur noch kategorisch denkt und fühlt im Sinne von: „Die sind doch alle gleich!“ (Die von eben jener Partei, Religion usw.). Dieses Urteil kann auch im Unbewussten schlummern und muss nicht zwingend so ausgesprochen sein. Seine Wirkung hat es trotzdem. Beispiele dieser Art gibt es viele, sie sind gewiss nicht an den Haaren herbei gezogen…

Diese Denkweise ist im Grunde genommen in den meisten Menschen verankert: Alle Schwarzen oder alle Amerikaner oder alle Türken oder alle Schweizer sind so oder so usw. Alle Anthroposophen, alle Buddhisten, alle Sozis, alle Katholiken usw usf. – die Liste liesse sich unendlich fortsetzen, sind so oder so. Die pauschalisierende Beurteilung verdeckt die Wahrnehmung für andere Mitmenschen und/oder Gruppen. Sie sind so oder so, weil sie Schwarze sind, Deutsche sind, Schweizer sind, Amerikaner sind usw. je nach dem, wo die Sympathien oder Antipathien des jeweiligen Beurteilers liegen.

Die Vernunft sagt zwar oft sehr schnell, man sei ja ein offener Mensch, postuliere einen „offenen Geist“ usw. ABER… und dann kommen die vielen „Abers“, welche meistens auch selbst verdeckt im Schatten der eigenen Persönlichkeit begraben liegen. Es sind oft Verletzungen, die dahinter stehen, persönliche Niederlagen, die damit verbunden waren, schmerzliche Erlebnisse usw. Viele grosse blinde Flecken, die man nicht wahrhaben will, verdecken den unbefangenen Blick zum Mitmenschen und bilden die vielen, vielen kleinen Kriege, die Schattenkämpfe und psychologischen Spiele, die unsere Beziehungen verseuchen, und die wir nur zu oft nicht zu meistern wissen, weil wir den Blick lediglich zum Gegenüber, zum Anderen, zu den Anderen, lenken und nicht in uns hinein!

Es sind die eigentlichen Keime zu den grossen Kriegen, es ist der Zwiespalt und der Konflikt alles Trennenden. Es sind nicht immer nur die offensichtlichen Gegenspieler, die in dieser Weise agieren, sondern im Gegenteil oft die sogenannten „Gleichgesinnten“, die sich in Detailfragen verheddern und spalten. Wie viele grosse Ideen und Projekte sind so zugrunde gegangen, weil man nicht mehr konsensfähig war, weil man das letzte persönliche Teilchen des Idealbildes zur „Rettung der Welt“ verloren glaubte! Wie viele Arten des Buddhismus, des Christentums, des Judentums usw. gibt es. Überlall finden immer mehr Spaltungen statt, die unvereinbar einander gegenüber stehen…

WARUM MUSS DAS SEIN?

Mit welchem Recht nimmt man sich das Urteil zu sagen, meine Botschaft ist besser als deine? Die Verhärtung und Fixierung im Vorstellungskomplex der eigenen Persönlichkeit steht letztlich immer am Ende (oder besser: am Anfang) jedes Konfliktes, persönlich oder global. Die Unvereinbarkeit von (scheinbaren) Gegensätzen, die mangelnde Flexibilität und Lebendigkeit – und als zentrale Kompetenz – das Unvermögen der eigenen Selbstbeobachtung, leiten und führen jeden Konflikt und jeden Krieg: im Kleinen, wie im Grossen. Sein Name: Egoismus…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Gedankenfetzen: Vorstellung und Geist?

vorstellungDas persönlichkeitsverhaftete Denken nenne ich Vorstellung. Nicht aber jenes befreite, aktive Denken, welches sich von jeglichem Egoismus gelöst hat und, sich selbst erkennend – also den Akt des Vorstellens beobachtend – erfährt. Frei von Konventionen, frei von Dogmatismen, frei von Traditionen und frei von jeglicher mit der Persönlichkeit verhafteten Verhaltensweise.

Insofern ist Vorstellung zwar Geist. Aber sie ist ungereinigter, vom Schlamm persönlicher Sympathie und Antipathie beladener, verdeckter Geist. Geist, der sich eingehüllt, hinter der Fassade der Persönlichkeit, hinter dicken Mauern, versteckt.

Das ist zwar nur eine Definition. Eine von mir persönlich gefärbte Definition. Anyway… nicht der Begriff machts aus, sondern der Geist, welcher hinter dem Begriff steckt. Wir können die Vorstellung auch „Praximodufikantus“ nennen oder mit anderen, ähnlich phantasievollen Worten belegen. Das einzige wichtige ist für die Verständigung die Übereinkunft der Formulierung, also die gemeinsame Begriffsdefinition. Vielleicht haben Sie eine andere Vorstellung davon, was Vorstellung sei. Voilà! Das genau meine ich…

Gibt es eine Legitimation für Begriffe? Ein Patentrecht sozusagen? Sind die Worte, die wir gegenseitig austauschen, objektiv? Ist der Duden oder Wikipaedia rechtsgültig? Zweiterer definiert den Begriff, im psychologischen Sinne, folgendermassen:

[1] Psychologie: die gedankliche, vergeistigte, innere Abbildung (Projektion) der (äußeren) Realität, Wirklichkeit, im inneren (Gedächtnis, Gefühl, Bewusstsein), die real erlebte Projektion der (äußeren) Realität/ Wirklichkeit | also: vorgestellt vor die Realität/.., darum Vorstellung – aber eigentlich zwischen äußerer Realität/.. und (durch Wahrnehmung dieser Realität/..) im inneren Gedächtnis,.. abgebildeter, wahrgenommener, innerer Realität/ Wirklichkeit

Die Frage bleibt, selbst bei einer „inneren Abbildung der Realität“ bestehen: Wie wirklich ist diese Realität durch unsere individuellen, persönlichen Sinne betrachtet. Wodurch wird die reine Wahrnehmung, das Abbild gefiltert oder gestört? Wie entstehen Urteile? Und warum gibt es so krasse Wahrnehmungsunterschiede, bei aller Liebe zur „Wahr“- nehmung? Jede Projektion hat einen Bezug zur individuellen Entwicklung jedes einzelnen Menschen und ist in diesem Sinne immer nur als „persönliche, subjektive Wahrnehmung“ aufzufassen. Die Hauptfrage bleibt, ob es eine Möglichkeit gibt, diese Mauern, die Hüllen innerhalb der eigenen Persönlichkeit zu durchbrechen?! Und wer, ausser wir selbst, können diesen Schleier lüften…?
Diese Fragen versuche ich in meinem Buch über Selbst-Reflexion zu beantworten…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Mathematik und Kunst… unüberbrückbare Welten?

FormelXminImmer wenn sich zwei grundlegend konträre Gesinnungen treffen, kann es schnell zu kommunikativen und sozialen Problemen kommen. Eine erste, mögliche Grundgesinnung ist diejenige des Künstlers, eine andere jene der Mathematik. Das gesamte Persönlichkeitsgefüge ist vollkommen gegensätzlich strukturiert und die Anschauung der Welt ist somit polarisierend ausgerichtet. Der Mathematiker, oder besser, der mathematisch denkende (und fühlende) Mensch ist tendenziell geneigt, seinen Standpunkt nach „außen“ zu verlegen, in eine Welt der Objektivität und Logik.

Sein Urteil basiert niemals auf persönlichen Gefühlen, insofern er mathematisch denkt, sondern auf der Grundlage reiner, glasklarer Erkenntnisse, die man in der Wissenschaft als objektiv und evidenzbasiert bezeichnet. Das mathematische Urteil ist insofern „unumstößlich“ und fest. Es bleibt kein „Freiraum“ der Argumentation, kein „sowohl – als auch“.
Ganz anders der Künstler, insofern er künstlerisch denkt und fühlt. Sein Standpunkt ist niemals das äußere, mathematisch glasklare und unumstößliche Urteil, sondern es basiert auf den persönlichen, inneren Erkenntnissen, Erlebnissen und Einsichten jedes Einzelnen. In ihm lebt viel stärker die Welt des Subjektiven. Diese stellt sich weit über die für ihn total analytische, kalte und abstrakte Welt äußerer Logik. Seine persönlichen Emotionen bewegen sein Gemüt. Sie sind es auch, die ihm die entscheidenden Gestaltungsimpulse geben.
Selbstverständlich sind diese beiden Haltungen hier nur typisierend und einseitig dargestellt. Dies um klarzumachen, welche Gemütslage die Vorherrschende ist. Mit Sicherheit wird auch der mathematisch orientierte Mensch in einer subjektiven Innenwelt leben und erleben. Und auch er wird daraus Leid und Freude erfahren. Insofern ist auch er, ebenso wie der Künstler, emotional subjektiv beeinflussbar. Er wird aber sicherlich eher geneigt sein, dieser Welt wenig Beachtung beizumessen. Und er wird alles was ihn stützt und trägt, aus der anderen, der logischen Relevanz beziehen.
Es wird schwer sein, Gegensätze dieser Art in Einklang zu bringen. Sie existieren auch in anderen Bereichen, sind aber einprägsam charakterisiert in den zwei genannten. Denn der künstlerisch empfindende Mensch muss nicht zwingend Künstler sein. Es ist vielmehr die Art und Weise des Herangehens an jedwelche Anforderungen des Lebens, sei es im Beruf oder im privaten Alltag. Genauso gut muss der mathematische Eingestimmte nicht zwingend Mathematiker sein. Auch für ihn gelten die genannten Eigenschaften eher als die grundlegende Lebensstimmung.
Das gesamte Gefüge des Handelns, Fühlens und Denkens wird sich aus dieser Grundstimmung heraus ergeben. Sie prägt maßgeblich den Lebenslauf eines Menschen, sein Urteilen, Verurteilen, seine Vorzüge, Sympathien und Antipathien. Die Gegensätze sind im sozialen Umfeld oft nur schwer zu überbrücken. Und die Fähigkeit des „sowohl, als auch“ ist bei den meisten Menschen nicht gegeben. Vielmehr herrscht meistens ein Übergewicht des Einen oder des anderen.
Und keine der beiden Gesinnungen ist „objektiv“ richtig. Die Einsicht jedes Einzelnen ist das Entscheidende. Zu erkennen, wie man selbst die Welt betrachtet, aus welcher Brille heraus, ist erst der Weg aus diesem Dilemma. Erkennt der Mathematiker, dass er seinen Standpunkt außer sich selbst, außerhalb seiner persönlichen, inneren Welt, in eine Welt des Absoluten, reinen Geistes, in eine Welt der Logik und der unerschütterlichen Evidenz, gestellt hat; erkennt er dies, so tritt er aus der Verhaftung seines So-Seins heraus. Dasselbe erfährt der künstlerisch gestimmte Mensch, wenn er erkennt, dass sein Standpunkt nur in ihm selbst Wurzeln geschlagen hat, aus dem rein persönlichen, subjektiven Befinden seiner selbst geprägten Innenwelt, wenn er dies erkennt, dann wird er ebenso jegliche Verhaftung mit diesen vorgezeichneten Lebensformen verlassen.
Im Erkenntnisakt jeglichen So-Seins verlässt man die Identifikation mit den jeweiligen Formen und tritt ein in eine „freie Zone“. Es ist dies ein und derselbe Raum, der einzige verbindende Raum, der uns wirklich zu freien Menschen macht. Alles verhaftet sein drückt uns weg von jeder Einheitserfahrung. Jedes sprechen über solche Erfahrungen mit gleichzeitigem Objektivitätsanspruch und Beharren auf sein Recht, seine Religion, sein Konzept, seine Weltanschauung usw., schiebt uns zurück in die Identifikation und somit in einen Traumzustand unseres Alltagslebens.
Das wirklich Verbindende zwischen solchen Grundhaltungen besteht also viel weniger auf dem bloßen verstandesmäßigen Eingehen auf den Anderen, sondern vielmehr auf diese gemeinsame Erfahrung aus der anderen Perspektive heraus! „Ja, ja, ich verstehe dich schon, es geht mir auch manchmal so, dass ich mich im Irrgarten meiner Gefühle verirre, aber schau doch, in der Welt gibt es nun einmal nur klare und unerschütterliche Urteile. Alles andere ist doch Träumerei. Nur an solchen Urteilen kann ich mich festhalten. Da gibt es keinen Widerspruch, höchstens wenn einer nicht rechnen kann…“, so etwa könnte dann das väterliche oder kameradschaftliche Urteil des „Mathematikers“ ausfallen. Und der Künstler fühlt sich natürlich kaum verstanden und rät seinem Freund: „Ja, aber schau, du gehst ja nicht wirklich in die Dinge hinein. Du stehst ja immer daneben, außerhalb. Du hast deinen „großen Bruder“, die Logik, auf dessen Recht du dich stützt. Ich tauche ab in die Untergründe meiner eigenen Seele. Niemals möchte ich auf diese Erfahrungen verzichten, weil ich mich nur dort selbst erlebe…“
Wenn auf dieser Basis weiterdiskutiert wird, so kann man sich kaum je finden. Objektivität kämpft immer gegen die Subjektivität. Empirische Therapieformen gegen evidenzbasierte Therapieformen. Das Rechthaben wird nur entweder nach innen (in die persönliche Innenwelt) oder nach außen (an eine „objektive, wissenschaftliche“ Begründung) geheftet. Je nachdem auf welcher Seite Sie nun als Leserin oder als Leser stehen, werden sie sofort auch mit: „Aber Hallo…!“ reagieren und Ihren Standpunkt (den äußeren, mathematischen oder den inneren, persönlichen, künstlerischen) vertreten. Aus dem Widerspruch wird man nicht austreten können, wenn man dort verbleibt, wo man selbst drinsteckt. Objekt gegen Subjekt ist der globale Kampf und Vater aller Kriege und Konflikte! Insofern sind es die „Künstler“ gegen die „Mathematiker“.
Aber das muss nicht sein! Der angesprochene Freiraum, aus dem heraus ich mich selbst erkenne, steht über dieser Objekt-Subjekt-Spaltung! Oder meinetwegen auch außerhalb. Vielmehr ist es der Freiraum des Sowohl – als auch… Sobald wir Urteilen, kritisieren, analysieren, treten wir heraus (oder herein) in die Spaltung/Teilung (Ur-Teil). Dies deshalb, weil die Urteile immer einen Träger brauchen. Zum Beispiel jene zwei genannten. Und diese Träger haben zwei gegensätzliche Fundamente. Das eine ist die sogenannte Logik und das andere die subjektiv gefärbte, persönliche Erfahrungswelt jedes Einzelnen. Diese setzt sich aus dem bereits Erlebten zusammen, aus den daraus resultierenden Urteilen, Anschauungen, Emotionen und Gedankenkomplexen. Beide haben selbstverständlich ihre Berechtigung – mit einem kleinen Schönheitsfehler: sie sind nicht frei…

Jedes Teilen freut mich. Danke dafür!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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