Gespräch mit Rudolf Steiner

rudolf-steinerZum 154. Geburtstag Rudolf Steiners (1861-1925)…

Virtueller, in künstlerischer Weise gestalteter Dialog mit Rudolf Steiner zur heutigen Weltlage und der persönlichen Situation des anthroposophischen Impulses. Das Thema will zu einem Dialog über die „Anthroposophie“ Rudolf Steiners (und darüber hinaus) anregen. Es folgen Fortsetzungen…

UW: Herr Doktor Steiner, ich bedanke mich herzlich, dass Sie sich die Zeit nehmen, dieses Gespräch zu führen!

RS: Ich bedanke mich!

UW: Etwas, was  mir seit Jahren auf dem Herzen liegt und mich sehr beschäftigt, und was ich Sie gerne zuerst fragen möchte, ist folgendes. Wenn ich heute in die Welt schaue und all die Ereignisse um mich herum wahrnehme, die tagtäglichen menschenfeindlichen Geschehnisse, so kommt es mir vor, als ob es nicht gelingen will, wirkliche und nachhaltige Fortschritte im Sinne der von Ihnen initiieren Anthroposophie wahrzunehmen. Zumindest was die Entwicklung der einzelnen Menschen angeht, kann man doch gewiss ein paar Fragen stellen. Die Verstrickungen in die festgefahrenen materiellen Verhältnisse, die vielen Kriege und Missstände, scheinen mir so komplex, unüberbrückbar und unverrückbar geworden zu sein, dass ich den Sinn und Zweck einer anthroposophischen Geisteswissenschaft, wie sie heute betrieben wird, nicht mehr richtig nachvollziehen kann. Wenn Sie nun heute, als Begründer dieser weltweiten Bewegung, hineinschauen in deren Wirken und Tun, was wäre das allerwichtigste und aller dringlichste, was Sie den Menschen, die sich damit verbunden fühlen, sagen möchten?

RS: Diese Frage scheint mir durchaus berechtigt! – Denn tatsächlich ist es ja so, dass sich nach meinem Tode so manche Dinge zugetragen und verzerrt haben und in verschiedene Richtungen auseinander getrieben wurden. Das ist der Preis dafür, dass man vielerorts selbst nicht mehr zusammenhalten kann, was zu meinen Lebzeiten noch an der eigenen Person „gemessen“ werden konnte. Aber genau dieses „Messen an einer anderen Person“, ist das allerschlimmste, was passieren kann und konnte. Die Inhalte der von mir damals „Anthroposophie“ genannten Geisteswissenschaft, blieben als Reste in allem zurück, was davon schriftlich in einem für die damaligen Verhältnisse angepassten Begriffssystem, übrig geblieben ist. Damals war aber eine ganz andere Zeit und es galten andere geistige Gesetze als heute! Das gilt es zu erkennen! Heute müsste alles viel unmittelbarer und direkter und mit großer Einfühlung in die Verhältnisse geschehen. Es dürfte nichts mehr in der gleichen Weise an den von mir seinerzeit vermittelten Inhalten hängen bleiben. Das liegt allerdings mehr an der Verwandlung der Begrifflichkeit, als am damals vermittelten geistigen Kern der Aussagen und Erkenntnisse.

UW: Können Sie uns diesen Punkt noch etwas genauer erläutern?

RS: Gut, ich gebe ein Beispiel: Die von mir im Jahre 1894 geschriebene „Philosophie der Freiheit“, war der Einstieg einer denkend durchdrungenen Gesinnung und Geisteshaltung, die, richtig verstanden, zur Schwelle einer dahinter, im verborgenen liegenden – für das normale Bewusstsein nicht zugänglichen, nicht materiellen – geistigen Welt führen sollte. Es war der Versuch, auf philosophischem Wege, heranzuführen an diese Schwelle. Alles dasjenige, was ich im Weiteren schrieb und vorgetragen hatte, sollte an dieses Schwellenerlebnis anschliessen, was jeden nach Erkenntnis strebenden Menschen in seinem tiefsten Wesen ansprechen sollte. Das Durchschreiten dieses Nullpunktes, dieses Nadelöhrs aus dem philosophischen Kontext heraus, war aber dasjenige, was ich für den Zeitgeist und dem wissenschaftlichen Verständnis am Ende des 19. Jahrhunderts für das dringlichste empfunden habe. Um von Innen her an die Inhalte heranzukommen, im Nacherleben heranzukommen, die ich den Menschen damals mitteilte, musste die künstlich gezogene Grenze des Dualismus von der zur Selbsterkenntnis drängenden Seele durchbrochen werden. Der Begriff „Anthroposophie“ war schlicht die Weiterführung der bis dahin auf dem Erkenntnisweg geltenden Philosophie. Er ist, wie alle Begriffe, zugleich zu einem Hindernis geworden und ich hätte ihn am liebsten täglich neu erschaffen! So wie alles, was sich daraus ergibt, immer nur im eigenschöpferischen Nachschaffen und Neubilden, in einer Art „ethischem Individualismus“ und durch „moralische Impulse“, möglich wird. Daraus enstehen stets neue und überraschende, freie Erkenntnisse, die jeder für sich aber erst mit der jeweiligen eigenen „moralischen Technik“ erschaffen muss, bis sie tätig umgesetzt werden kann. Nur wer sich in diesem Sinne an der Schwelle befindet – oder wer sie überschreitet und in diesen Innenraum eintreten kann – ist im wahren Sinne ein „Anthroposoph“, also einer, der der „Weisheit des Menschen“ von innen heraus erlebend gegenübertreten kann.

UW: Erlauben Sie mir die Frage: Inwiefern wird denn in diesem Kontext heute, aus Ihrer Sicht betrachtet, „Anthroposophie“ betrieben und in diesem von Ihnen gemeinten Sinne weitergeführt?

RS: Weitergeführt werden kann sie ja nur aus der Innenschau heraus. Das heißt, aus dem Erleben heraus! „Anthroposophie“ ist ja eigentlich eine Erfahrungswissenschaft. Sie erfordert Erkenntnisse der sogenannten „höheren Welten“ (auch das sind ja alles zunächst nur Begriffe!). Das meiste, was ich heute wahrnehme, ist noch immer an das Erleben dessen gebunden und verhaftet, was ich in der damaligen Terminologie die „Verstandes- und Gemütsseele“ nannte. Das heisst, es besteht aus einem analytischen und kombinierenden Zusammenreimen von verschiedenen Inhalten, im Sinne des metaphysischen Realismus. Dabei sind die einzelnen Inhalte durchaus richtig, aber es fehlt das „geistige Band“, beziehungsweise die Bewusstwerdung der bereits schon im Erkenntnisakt betriebenen ideellen Gedankengebilde, die der metaphysische Realist vergisst! Dieses „geistige Band“ kann nur über das eigene Nacherleben – in der Selbsterkenntnis – geschaffen werden. Was sich in dieser Weise, der „Verstandesseele“ offenbaren kann, sind nur sehr eingeschränkte, fragmentierte Erkenntnisse, die sehr schnell auch in Verirrungen und Wirrnisse führen können, weil das verbindende Glied fehlt. Der Intellekt erfordert in diesem Sinne keine Erlebnisse, denn er kann auch ohne diese seine Schlüsse ziehen! Genauso wie die materielle Welt, die „Dinge an sich“, ebenso gut ohne unsere Erkenntnisse existieren können.

UW: Was muss denn heute getan werden, damit die Anthroposophie wieder den Faden aufnehmen kann, der verloren zu sein scheint?

RS: Der geistige Faden ist es, der wieder gefunden werden muss. Das heißt nicht weniger, als dass eine neue Erkenntnisstufe erreicht werden muss. Dazu ist aber dringend notwendig, dasjenige zu erreichen, was ich damals mit dem Begriff „Bewusstseinsseele“ in Verbindung gebracht habe. Es ist heute dringender denn je geworden, diesen Schritt wirklich und bedingungslos zu tun! Die Bewusstseinsseelenentwicklung in diesem Sinne verlangt zunächst Selbstbesinnung und dann Selbstbeobachtung. Das Zurückgehen von all den Inhalten und Gebilden, die man sich wie eine neue Sprache angeeignet hat, das Zurückgehen auf sich selbst, auf die Tätigkeit im eigenen Seelenleben, auf die Gedanken und Gefühle, die in jedem Menschen leben, konsequent zu beachten. Diese Art von Selbstbesinnung, wie ich sie auch in meiner „Geheimwissenschaft im Umriss“ damals beschrieben habe, ist der entscheidende Schlüssel auf dem Wege zum Erleben einer geistigen Realität. Alle andere Erfahrung ist stets umhüllt von den Vorstellungen und Gedankengebilden, die wir uns selbst auferlegt haben im Laufe unseres Lebens. Sie werden dem wissenschaftlichen Anspruch der geistigen Erkenntnis nicht gerecht und finden keinen rechten Boden auf der neu zu erwerbenden Stufe der Bewusstseinsentwicklung des Menschen

UW: Wenn das Wirken der Anthroposophie in diesem Sinne gefasst werden soll, dann stellt sich mir die dringende Frage nach einer Erneuerung der Bewegung und wie sie sich auf diese direkte Art und Weise diesen neuen Boden schaffen soll. Immerhin sind die Wurzeln tief im Boden der bloßen Ideenwelt bereits weit ausgetrieben.

RS: Die Wurzeln müssen auch dort tief verankert sein. Wenn daraus aber etwas entstehen soll, was die Sphäre der bloßen Ideenwissenschaft überwindet, dann muss das bereits Errungene zuerst völlig losgelassen werden. Das Wissen, welches angesammelt wurde und die festgefahrene, überfüllte, abstrakte Terminologie, muss neu aus jedem Menschen durch eigene Erlebnisse, geschaffen werden. Was als „geistiger Zusammenhang“ nur mit dem Verstande begriffen wird, jedoch jeglicher Erfahrung entbehrt, bildet nicht nur Schleier, sondern Krusten vor dem geistigen Schauen. Es verdeckt und verhüllt das Wesentliche und verhindert genau dasjenige, was gesucht werden will… (—.— längeres Schweigen)

UW: Doktor Steiner, Sie beschrieben in dem eben von Ihnen genannten Buch „Geheimwissenschaft im Umriss“ den Weg zu geistiger Erkenntnis so, dass Sie davon erzählten, die Dinge dieser geistigen Welt müssten zuerst geschildert werden, bevor man dort selbst durch eine meditative, spirituelle Schulung in rechter Weise eintreten könne. Es stand dort folgendermaßen geschrieben: „Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Welt ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos“. Das war ja auch der Grund, weshalb Sie den praktischen Teil in diesem Buch, das ja so etwas wie ein Gesamtüberblick der Anthroposophie darstellte, dem inhaltlichen, theoretischen Teil hinten anzustellen.

RS: Heute würde ich den Begriff „Geheimwissenschaft“ durch „Geisteswissenschaft“ ersetzen, also „Geisteswissenschaft im Umriss“ oder besser „Anthroposophische Geisteswissenschaft im Umriss“ Denn geheim ist im Grunde nichts darin. Es sind „offenbare Geheimnisse“, die sich durch das entsprechende Bewusstsein jedem erschließen können, der sich darum bemüht.
Doch nun zu Ihrer Frage: Diese Abfolge machte ich allerdings mit Bedacht. Liest man jenes Buch genauer, so wird man die Sache doch etwas differenzierter ansehen müssen. Der „theoretische Teil“, wie Sie es nennen, will eben bereits weit über dasjenige hinausgehen, was bloße Theorie im intellektuellen Sinne meint. Nicht darauf kommt es an, dass man den Inhalt nur gedanklich aufnimmt und als Wissen verwertet. Das genau tut im üblichen Sinne die Verstandesseele. Was für das praktische Leben durchaus sinnvoll und richtig ist, gilt nicht für das Aufnehmen der vorgetragenen übersinnlichen Inhalte. Vielmehr lebt sich der sich selbst gewahrende Geist im selbstbewussten Aufnehmen solcher Inhalte alleine durch das Mit-Denken erkennend und empfindend in den Inhalt ein. Das ist im Grunde schon der erste, aber sehr wichtige Schritt hin zur Geistesschulung. Auf diesem Weg werden Inhalte nicht dogmatisch übermittelt und weiter gegeben, wie man vielleicht meinen könnte. Vielmehr wird der Leser Miterkenner durch Selbstbesinnung. Dadurch wird nicht der Verstand angesprochen, ebenso wenig eine unterschwellige suggestive Ebene, sondern der sich selbst erkennende Mensch. So gesehen beginnt die Geistesschulung bereits in der Wahrnehmung der Welt.

Es folgen weitere Teile…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freiheitsaspekt in der (anthroposophischen) Kunst

GoetheanumViele Menschen verstehen unter Freiheit zunächst jene nach dem bedingungslosen „tun und  lassen können, was man will“. Das ist sozusagen die „Freiheit vom Einfluss der Anderen“, von einem anderen Menschen, einem Gesetz oder einer Mode usw. Diese Freiheit ist bei dieser Darstellung nicht gemeint, sondern eine persönliche „innere Freiheit“. Also die Freiheit des eigenen Ich vor Konventionen, Modeerscheinungen, Traditionen und von den eigenen festgefahrenen Vorstellungen und Ideen.

Dies verlangt – wie immer in solchen Fragen – Selbstreflexion, aber davon soll jetzt nicht die Rede sein…

Freiheit ja! Aber von was?

Als ich vor über 30 Jahren selbst als konventioneller, junger Architekt eine Reihenhaussiedlung im Kanton Luzern plante, fand ich es total aufregend, als ich den 60-Grad und den 45-Grad Winkel für Balkongeländer „entdeckte“! Damals wusste ich etwa so viel von Anthroposophie und anthroposophischer Kunst, wie ein Schornsteinfeger vom Tiefseetauchen, aber dennoch glaubte ich mich damit aus einem dogmatischen Engpass befreit zu haben und fühlte mich den anderen „Stümpern“, die halt „noch nicht so weit waren“, überlegen.  Auch wenn das jetzt doch sehr überspitzt dargestellt ist (ich hoffe man spürt die Selbstironie), eines ist Tatsache: Man hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, natürlich auch aus ganz pragmatischen Gründen der Materialkunde – und aus Kostengründen – so sehr an das Dogma des rechten Winkels gewöhnt, dass man sich zum Vornherein schon sämtliche Denkmöglichkeiten nach anderen Gestaltungsaspekten „verbaute“. Zudem sind Häuser ja meistens auch nicht als „Kunstwerke“ angesehen worden. Dennoch könnte man diesen Anspruch bestimmt stellen und das wird ja auch vermehrt getan. Und was hier für die Häuser gilt, kann durchaus auch in anderen Bereichen als formales Prinzip verstanden werden.
Als man vor einigen Jahren in der neueren Kunstszene den Würfel wieder entdeckte (es gibt dutzende prominente Beispiel dafür), schien mir dies wie ein Hohn auf die künstlerisch-formale Entwicklung zu sein. Man wurde sich wie es scheint irgendwie bewusst, dass man sich in den rechten Winkel und in die überzogen klare, oft kalt wirkende Linie „förmlich“ verschossen hatte. Und man fand das so sexy, dass man glaubte, eine Art Renaissance des Bewusstseins vom rechten Winkel und der „Schlichtheit“ zelebrieren zu müssen. Das Gefühl hat im Grunde bis heute angehalten, auch wenn es kaum so formuliert wird.

Anthroposophische Kunst

Viele tun sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel schwer damit, dass bei den Anthroposophen die Häuser alle scheinbar den rechten Winkel vermeiden. Sie finden das furchtbar dogmatisch. Es sei quasi eine anthrovorgeprägte, fixe und festgefahrene Idee. Sie fragen sich, warum man denn das tue. Der so geprägte typische „Anthro-Stil“ wird einem rituell-esoterischen Akt zugesprochen, der mit einem bestimmten Menschenbild zu tun habe. Das kann man in gewisser Weise so sehen, stellt sich nur die Frage: in welcher Hinsicht? Nun haben diese Kritiker offenbar überhaupt keine Mühe damit, dass die meisten ihrer Häuser nur immer den rechten Winkel bevorzugen. Das hingegen finden sie überhaupt nicht dogmatisch. Und es hat natürlich nichts mit ihrem Menschenbild zu tun – und esoterisch ist es schon gar nicht…
Das fühlt sich etwa so an, wie dieser Spruch aus der Bibel, wo der eine den Splitter im Auge des anderen kritisiert, aber den eigenen (vermutlich rechtwinkligen…) Balken vor seinen Augen nicht wahrnimmt. Die Frage, was denn die anthroposophische Kunst mit Freiheit (im Sinne der zweit genannten) zu tun habe und was doch seit Steiners „Philosophie der Freiheit“ ihr zentrales Anliegen sein müsste, ist damit natürlich noch nicht geklärt. Aber die Blickrichtung, in die es gehen soll, wird an diesem Beispiel einigermaßen deutlich vorgezeigt.

Das geistige Potenzial in der Kunst

Was bitte soll denn das „Esoterische“  (im Gegensatz zum „Exoterischen“ – in die Aussenwelt gerichteten) in diesem Kontext sein? Eigentlich ist alles in der Welt immer zuerst als „Potenzial“ vorhanden: Ideen, Gefühle, Vorstellungen. Das haben schon Quantenphysiker wie der bekannte, kürzlich verstorbene Professor Hans-Peter Dürr erkannt. Was konkret geworden ist, hat die Ebene des Potenziellen, des (freien) Gestaltungswillens verlassen und verloren. Das geistige Potenzial ist in diesem Moment abgeschlossen, verewigt, vergewaltigt – ist absolut fertig, quasi „versteinert“, wenn es in die  endgültige, (materiellen) Form gegossen wird.
Freiheit in der Kunst würde adäquat bedeuten, Prozesse offen zu lassen. Die Möglichkeiten, die „in Potentia“ existieren, so lange heraus zu zögern wie möglich, den „Gerinnungsprozess“ in die Form, der ja gleichzeitig ein Verhärtungsprozess ist, zu bremsen und zu entschleunigen. So würde der Ausdruck mehr differenziert, verfeinert und mit einem Inneren abgestimmt.
Wenn wir z. B. sagen, das Gefühl der Lust wollen wir zum Ausdruck bringen, und wir drücken es als Würfelform aus, dann könnte man den Künstler vielleicht nicht ganz ernst nehmen. Wenn er dann das Prinzip Hoffnung ebenfalls durch einen Würfel darstellte, dann kämen doch einige zusätzliche Fragen auf. Würde er schließlich auch das Gefühl der Liebe wieder nur als würfelartiges Gebilde darstellen, dann würde wohl nur noch ein allgemeines Kulturgelächter übrig bleiben. Man würde berechtigterweise an der Kompetenz des Künstlers Zweifel haben, weil die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Umsetzung seiner Themen in diesem Fall sehr beschränkt wären oder besser gesagt: weil er immer nur sich selber, seinen Tick, seine Masche, seine eigene Verkalkung oder die Versklavung an eine Modeerscheinung zelebriert. Wenn dies auch pointiert dargestellt ist, so hat das aufgeführte Beispiel trotz seiner Überzogenheit nicht ganz daneben gegriffen. Vielleicht würde dem Künstler zu jedem Thema tatsächlich ein anderer „Einfall“, eine andere Vorstellung kommen, oder er würde sich schon gar nicht solchen „Themen“ stellen wollen. Vielleicht würde er etwas konstruieren, etwas zusammenbauen, ein Symbol, eine Idee nachbauen (lassen), die er oder sie gegoogelt hat, etwas „was zum Denken anregen soll“ usw.

Prozess der „Materialisierung“

Jetzt kann man fragen: „Was hat der denn immer mit seinen Würfeln! Das scheint wohl sein eigenes Problem zu sein!“ Gewiss gibt es mannigfaltige Kunstformen, die nichts mit einem Würfel zu tun haben. Es geht mir hier auch eher um ein Prinzip. Als Symbol gedacht, kann man das Beispiel als ein Synonym für alles verwenden, was eine Art Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten im umfassenderen Sinne bedeutet.
Die Ausdrucksweise eines Künstlers müsste nach meinem persönlichen Empfinden Rechenschaft darüber abgeben, was Forminhalt werden soll: Eine Art Abgleichung von Forminhalt und dem dahinter stehenden inneren „Potenzial“ müsste passieren. Er würde möglicherweise nie umfassend an dieses herankommen, aber er würde es durch immer neue Versuche mit dem Inneren abstimmen wollen, weil es ihn schlicht dazu treibt, dies zu tun. Denn das Potenzial ist eine in ihm wohnende geistige Realität, die sich durch sein künstlerisches Tun in der Materie Ausdruck verschaffen will.
Auf der Suche danach wird er vielleicht in viele irrige Vorstellungen verwickelt werden, wird mannigfaltige Gefühle wie Zweifel und Ängste, aber auch Überheblichkeit, Stolz oder Arroganz durchleben. Eines Tages wird er aus der künstlerischen Krise heraus vielleicht dahinter kommen, dass seine automatisierten und biografisch bedingten Vorstellungen nie die Wirklichkeit dieses seines inneren Potenzials freigelegt haben, sondern nur immer Schein waren, dass sie das wahre Sein eher verdeckt haben! Umso mehr müssen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel fortan ausgeweitet, der Prozess der „Materialisierung“ (im Stoff) gebremst werden, damit er den Zugang zu dieser „heiligen“ Quelle erreichen kann.

Keine neuen Dogmen schaffen

Um auf das obige Beispiel zurückzukommen, müsste man davon ausgehen, dass ihm mit einem grösseren Spektrum an Vielfalt, ein grösseres Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen würde und er somit diesem Inneren besser und umfassender Ausdruck verschaffen kann. Hat er zwischen 1 und 360 Grad, also im Prinzip alle Winkel, zur Verfügung, so kann er seiner Inspiration näher kommen als derjenige, welcher eben nur den einen Winkel, nämlich den „rechten“ (den er sich selbst vorschreibt), zur Verfügung hat. Selbst wenn der letztere die „Entdeckung des Lebens“ macht und noch den einen oder anderen Winkel dazu nimmt, so bleibt er doch immer noch aussen vor. Man könnte selbstverständlich in gleicher Art und Weise von einem Farben-Spektrum statt von Winkeln, oder von anderen Medien sprechen.
Dies ist aus meiner Perspektive der wesentlichste Aspekt in der anthroposophischen Kunst, sozusagen die „Esoterik“ dahinter. Er steht über jedem intellektuellen Konzept. Die Krux ist allerdings, dass man eben NICHTS zum Dogma machen darf! Weder das „Rundumpanorama“, noch der linear-fixierte eine Blickwinkel oder anderes. Die Verfügbarkeit des möglichst grössten Potenzials zur Umsetzung eigener, innerer Impulse ist entscheidend und nicht ein gedankliches Konzept, selbst dann, wenn es pseudoesoterisch klingt. Insofern geht es immer ums Erleben und nicht nur um individualisierte, persönliche Vorstellungen und Konzepte; ja nicht mal nur um diejenigen Gefühle, die sich an diesen Vorstellungen orientieren. Wenngleich diese Vorstellungen, wenn sie zu „individualisierten Begriffen“ werden, quasi erst das „Salz in der Suppe“ bilden und die künstlerische Entfaltung ermöglichen, so sind sie doch immer nur die „Greifarme“ einer dahinter liegenden geistigen Potenz.

Fazit: Welche Einschränkungen, Modeströmungen oder andere Hürden man sich selbst bei diesem Prozess auch immer verschafft: dieses „Erleben“ in die materielle Darstellung hinein zu zwängen, oder es atmen zu lassen, bleibt dem einzelnen Künstler sein ganz persönliches Problem und hat ebenfalls mit (Selbst-) Bewusstseinserweiterung zu tun.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Authentizität und die Scheinwirklichkeit

Januskopf Wort zum Freitag (dem 13.)
„Authentisch“ will fast jeder und jede sein. Der Begriff ist in aller Munde. Es ist cool, „authentisch“ zu sein: fragt sich nur: authentisch? Womit? Auch Besoffene sind authentisch…

„Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden“, heißt es treffend im Online-Lexikon Wikipedia. Wichtig für diese Sichtweise des eigenen Scheins oder Seins ist allerdings die persönliche Identifikationssituation. Es fragt sich, womit sich ein Mensch am meisten identifiziert: Mit dem Schein oder mit dem Sein? Dazu müsste untersucht werden, welche Attribute sein Leben bestimmen, von was oder wem Mann/Frau sich führen oder bestimmen lässt. Die Gebundenheit an den Schein ist nicht per se etwas Schlechtes! Sie zeigt lediglich einen Lebensaspekt auf, der von äusseren Kriterien geleitet wird. Wir bauen uns im Laufe unseres Lebens so manche äußere (Trutz-) Burg auf, konstruieren so manche Vorstellungen und Gedankengebilde, die sich durch die Verhaftung mit dem Schein zeigen. Dadurch bleiben sie mit dem an die Sinne gebundenen Weltbild verbunden. Würden wir genau dies bei uns selbst erkennen, so würde uns etwas klar werden müssen, was wir bislang schlicht vergessen haben; nämlich dass es eben nur ein Schein war. Wir hatten den Schein gelebt, im Schein gelebt und ihn mit dem Sein verwechselt, ohne es zu bemerken!

Genau diese Erkenntnis spaltet unser Bewusstsein in zwei Hälften; die eine, die im Schein verhaftet bleibt, ohne dies zu erkennen. Die andere, die erwacht und den bisher gelebten Schein wie von außen wahrnimmt! Das doppelte Bewusstsein, welches in einer Persönlichkeit wohnt, löst eine Art Erkenntnisdrama aus und verändert unser Leben dadurch schlagartig! Wir stehen jetzt plötzlich erlebend einem Du gegenüber. Die Verhaftung mit diesem Du in uns, bezeichneten wir landläufig als Ich. Wenn wir sagten, „Ich“ will authentisch sein, dann meinten wir, dem Schein gemäß zu wirken, weil wir nichts anderes als den Schein kannten, weil wir mit ihm verbunden und verknüpft waren. Der Schein war unser Sein. Erst das Heraustreten aus dieser Verhaftung löst den gordischen Knoten der Verbundenheit mit dem „falschen Ich“. Wenn wir ihn zerschlagen, „erlösen“ wir uns, wir erkennen den „Erlöser“ in uns, unser wahres Ich, welches sich aus dem Schein der Dinge und der äußeren Welt herauslöst.

Glauben Sie also nicht jedem, der sich authentisch bezeichnet oder so „scheinen“ will. Genauso in Mode gekommen ist es, „ganzheitlich“ zu sein. Wenn aber diese „Ganzheit“ nur die Welt des Scheins ist, dann ist diese Aussage eine Art „Selbstbetrug“. So wie viele „scheinheilige“ Aussagen Selbstbetrug sind, weil sie eben nur zum Schein heilig sind.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche und scheinbar frohe Faschingszeit 😉

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Zusammenbruch des Systems…

ZusammenbruchDas klingt bombastisch: Der Zusammenbruch des Systems! Zunächst ist hier aber „nur“ das „persönliche System“ eines Einzelnen gemeint. Und das kann durchaus dramatisch sein. Dennoch stellt sich mit jeglichem „System“, was geschaffen wird, auch die Frage nach der Freiheit und die ist immer auch überpersönlich aufzufassen!

Alban W. hat alles verloren, oder fast alles. Da war die Trennung von seiner Frau im letzten Jahr, dann die Abwendung der eigenen Kinder von ihm und – als ob das allein noch nicht genug war – verlor er beinahe alle seine engsten Freunde, weil diese sich mit der Frau „loyalisierten“. Dazu kamen situationsbedingte Alkoholprobleme. Und es kam noch schlimmer. Seine selbständige Erwerbstätigkeit kam ebenfalls bald ins Wanken und er erlag schließlich dem Druck. Die Zeiten hatten sich eben geändert und er spürte den Einbruch der Konjunkturlage in den letzten Jahren so schmerzlich und hart, dass er seine Tätigkeit, die er übrigens immer mit großer Begeisterung und Freude über 20 Jahre lang ausgeführt hatte, aufgeben musste. Bisher brachte seine Ex-Frau den besseren Teil des gemeinsamen Einkommens auf und schuf damit eine sehr stabile, finanziell unabhängige Situation.

Eine Stelle bekam er mit seinen 59 Jahren nicht mehr. Es war in diesem Alter nicht daran zu denken, noch irgendwo unterzukommen. Überall werden „junge, dynamische“ Leute bevorzugt, solche die zwar noch wenig Lebenserfahrung hatten, aber auch weniger kosteten (und besser lenkbar waren). Nicht dass Alban etwa stur gewesen wäre, was man umgekehrt den Alten, oft berechtigt, vorwerfen kann; im Gegenteil, er war das sanfteste Lamm, das man sich vorstellen konnte und dabei war er immer äußerst flexibel und sensibel gewesen. Selbst enge Freunde, die er noch zu haben glaubte, kümmerten sich nicht um ihn, sahen seine aussichtslose Situation nicht oder wollten sie nicht wahr haben. Es wäre für manch einen von ihnen ein leichtes gewesen, dem „Freund“ irgendeinen Billig-Job anzubieten und sei es als Chauffeur oder Laufbursche in einer Bank, was er selbst dankend angenommen hätte. Stattdessen entfernten sie sich stillschweigend aus dessen Gesichtskreis, da seine Anwesenheit ihnen meistens unpassend oder sogar peinlich erschien.

Er selbst hatte längst gelernt mit 1500.- CHF im Monat auszukommen, was für Schweizer Verhältnisse mit einem durchschnittlichen Einkommen von 4000.- CHF und einer „Existenzuntergrenze“ von 3000.- CHF schon eine sehr akrobatische Leistung war. Ihm machte es nichts aus. Er verwendete sein letztes „Erspartes“, um so wenigsten noch ein paar Monate überleben zu können – bis alles aufgebraucht war. Da gab es noch einige Minijobs, die ihm immer wieder ein paar Franken einbrachten. So lebte er „von der Hand in den Mund“, wie man so schön sagt.

Er musste auf seine vielen und hochkarätigen Talente, die er unter anderem in leitender Funktion und in zahlreichen Jobs genügend bestätigt hatte, und die er über einige Jahrzehnte im Dienste der Öffentlichkeit und mit hohem Idealismus und sozialem Engagement erbracht hatte, fortan verzichten. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Aus, fertig, Schluss. Seine „erste Karriere“ als führende Kraft in der Baubranche, hatte er vor bald 30 Jahren hinter sich gelassen, um fortan diesen im Laufe der Jahre gewachsenen Idealen nachzukommen. Er pflegte sie immer behutsam. Nun war er am Nullpunkt angelangt. Sein persönliches „System“ war zusammengebrochen.

Nun galt es, sich in solcher Weise am Leben zu erhalten, um wenigstens nicht in die bürokratischen Räder des „Sozialstaates“ zu gelangen; in die Fänge der Sozialwölfe, die ihm die letzte Achtung rauben würden und ihm das Gefühl gäben, für nichts mehr nütze zu sein. Er wollte unter allen Umständen wenigstens diese letzte Ehre seiner selbst aufrechterhalten und sich nicht untertänigst in finanzielle Abhängigkeit eines solchen Molochs begeben. Das würde nichts anderes heißen als, Sozialgeld zu beziehen und in einen Teufelskreis, den er bisher niemandem gewünscht hatte, zu gelangen. Das würde aber auch heissen, an irgendwelchen Arbeitsprogrammen teilnehmen zu müssen, die in ihm jede Möglichkeit aushöhlten, sich selbst wieder auf die Beine zu stellen, weil sie ihm die Energie und die Zeit raubten, die er dafür benötigen würde, um etwas Neues aufbauen zu können. Und all diese sinnlosen „Arbeitsbeschäftigungsprogramme“, die nur im Dienste der knapp bemessenen und gut kontrollierten „Almosen des Staates“ geschaffen wurden, und aus deren Spinnennetz sich zu befreien jede noch verbleibende Motivation untergraben würde.

Item: Sein persönliches System war also zerbrochen. Das System, in dem er eingebettet war, in dem er seine Vorstellungen verwirklichte, in dem er sein (dem Stand entsprechendes) soziales Umfeld schuf, seinen Status pflegte. War es sein Traum gewesen? Sein Traum? Er begann zu zweifeln. War es nicht richtig, daraus auszubrechen, als er fühlte, dass es ihn nicht mehr wirklich innerlich weiterbrachte? Hätte er das Spiel der ewigen Maskeraden weitertreiben sollen, die ihm auferlegt wurden, oder denen er sich mehr oder weniger unfrei stellte, nur um nicht in diese Situation zu kommen? War es so erstrebenswert, diesem (äußerlichen) aufgeputzten und geschminkten Weltbild nachzujagen, um ständig nur den erreichten Status aufrecht zu halten und weiterzutreiben?

Der Zusammenbruch des persönlichen Systems blieb ihm, bei aller Dramatik, die damit verbunden war, kein persönlicher Verlust. Im Gegenteil, er (der Verlust) konnte ihm dazu verhelfen, den persönlichen, inneren Durchbruch zu schaffen! Nicht im äußeren Sinne, aber in seiner inneren Entwicklung wurde er dadurch reifer und authentischer! Er schuf sich einen neuen, erstaunlich freien Raum, in dem er, unabhängig vom materiellen Reichtum und unabhängig vom Spiel des persönlichen Ansehens, er selbst bleiben konnte. Es ist nicht das Materielle, was seine innere Entwicklung trug und stützte, dessen wurde er sich jetzt voll bewusst. Je stärker die Verkettung mit dieser äußeren Welt blieb, umso schwieriger schien es ihm, das Wesentliche in ihm selbst zu finden, um das es ihm immer ging.

Andere schaufelten sich in ähnlichen Situationen ihr eigenes Grab. Alban W. schuf (und schaufelte) sich den inneren Freiraum, den er als begüterter Mann niemals hatte, erst in Armut. Man kann sich fragen, ob ein Zusammenbruch jeden Systems, auch eines weltweit geschaffenen (Finanz- und Gesellschafts) Systems, nicht heilende Wirkung auf die Gesamtsituation in der Welt haben würde.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Esoterischer Determinismus

BildnisSobald wir einen Text lesen oder jemandem zuhören, schaltet sich sofort im Hintergrund „etwas in uns ein“. Es ist so etwas wie ein „Korrekturzentrum“, ein „innerer Kritiker“ in unserem Kopf… Testen Sie es jetzt gleich, in diesem Moment, bei diesem Text! Versuchen Sie darauf zu achten, ob und wie das bei Ihnen passiert! Es könnte sein, dass sich bei Ihnen schon im letzten Satz etwas eingeschlichen hat, was bewirkte, dass Sie sogar diese Tatsache negieren oder dementieren.

Dann sind Sie womöglich gar nicht bis hierher gelangt…

Allein schon das Erkennen, dass so etwas existiert und sich im Hintergrund ihres Denkapparates ständig zuschaltet, ist ein großer spiritueller Gewinn! Es benötigt erste Ansätze für die Fähigkeit der Selbstbeobachtung.

Nur die bedingungslose Hingabe an die innere Tiefe Ihrer selbst, kann letztlich zur Klarheit darüber führen, was Sie wollen, wohin Sie gehen, welche Motive und Impulse Sie leiten und was Sie in Ihrer Entwicklung fördert, fordert oder hindert. Und das ist durchaus nicht intellektuell gemeint.
Der Quelle ist es doch ziemlich egal, wer an ihrem Wasser labt und welche Schlüsse daraus von ihren Bezügern irgendwo im Lauf des Flusses gezogen werden. Der Schlüsse sind ja so viele! Es gibt darunter auch solche, die am Wasser laben, ohne erst an eine Existenz dieser Quelle zu glauben. Die Schlüsse, die sie ziehen, verarbeiten sie mit ihren Instrumenten, den Mikroskopen und anderen vielfältigen Analysewerkzeugen. Dabei stellen sie womöglich fest, wie das Wasser beschaffen sei und was man damit alles tun kann, ohne wissen zu müssen, woher es kommt und wohin es geht.

Im übertragenen Sinne könnte man auch Gott leugnen, eine höhere Macht leugnen, wie sie auch immer heißen mag, jedenfalls etwas, was Leben ausströmt. Man sieht zwar allerorten und jederzeit, wie das Leben fließt, wie es „funktioniert“ und welche Gesetzmäßigkeiten sich daraus gebildet haben und immer wieder neu bilden. Doch das Leben selbst wird in dieser Weise nie erkannt. Es strömt unaufhörlich und sprudelt – wie die Quelle – unerschöpflich. Das Vergehen und Entstehen von solchem Leben ist immer ein Kreislauf, ist zyklisch – und keine lineare Erscheinung, die mit dem Tode endgültig verschwindet.

Begriffe sind genauso aus einer ursprünglichen „Quelle“ entstanden. Aber nicht als Begriff, sondern als Erlebnis! Das Erlebnis formte sich erst mit der Zeit in die Begriffe hinein. Heute ist es eher umgekehrt. Wir lernen die Begriffe, auf welchem Wissensgebiet auch immer. Wir füllen diese Begriffe mit Umschreibungen, Definitionen und kreieren in dieser Weise erst unsere Erlebnisse, wenn überhaupt. Diese so gewonnenen Erlebnisse sind jedoch nicht einheitlich und werden vom Zeitenstrom eingeschränkt, determiniert, in eine feste Form gepresst. Es spielt für unsere Entwicklung eine große Rolle, wann und wie dies geschieht. Ansonsten ist es nicht möglich, das Verbindende darin wiederzufinden. So erging es tausenden von verschiedenen Religionen und Millionen von Weltanschauungen (in jedem Menschen individualisiert), die in unterschiedlichen Zeitabschnitten und an unterschiedlichen Orten entstanden sind und gewirkt haben: Mit unterschiedlichen Traditionen, Hintergründen und ihr jeweils persönlichen Färbung.

Viele dieser Führer und „Begriffsbildner“ labten zwar an ein und derselben Quelle. Doch in der begrifflichen Umwandlung geschahen Abweichungen, verzogen und verformt durch die Sprachen einerseits und durch die persönlichen Ressentiments jedes Einzelnen oder auch der Völker.
Trennung und Krieg waren die fatalen und bis heute nicht kurierbaren Folgen. Denn auf der Ebene der bloßen Terminologie erreichen wir die Quelle nicht mehr unmittelbar, sondern nur mittelbar, getrennt. Das ist die Krux des Dualismus. Wir können immer nur, bestenfalls, auf sie (die Quelle) hinweisen. Wir können etwas umschreiben, einen Tatbestand, etwas, was diese Quelle umhüllt, verdeckt. Nur die Quelle selbst ist nicht mehr benennbar. Sie ist außerhalb des Begrifflichen. Sie kann nur erlebt werden! Das ist der tiefere Sinn der Aussage (im christlichen Kontext): Du sollst Dir kein Bildnis machen! Mit „Bildnis“ ist allerdings nicht unbedingt ein physisches Bild gemeint, sondern der Begriff oder vielmehr eine Vorstellung! Das ist auch der tiefste Grund der Aussage: Ich bin der Ich bin!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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