Was hat Religion mit Glaube zu tun?

GlaubeReligiöse Themen werden nach wie vor kontrovers diskutiert und spalten nicht nur die Gemüter, sondern ganze Volksgemeinschaften und Kulturen. Blutige Kriege werden geführt um die Vorherrschaft des eigenen Glaubens. Dogmen stehen gegen andere Dogmen. Glaube trifft auf anders gläubige usw. Ist Religion zum vornherein mit Glaube gleichzusetzen?

Geht man nach den üblichen journalistischen Schlagzeilen der Boulevard Presse, wird tatsächlich in den wenigsten Fällen ein Unterschied gemacht zwischen Glaube und Religion, wie ein Artikel in „20 Minuten“ vor kurzem wieder bestätigte. Dort wurde angenommen, dass nur noch etwa 1/4 der europäischen Bevölkerung sich als religiös bezeichnet. Vor zehn Jahren seien es noch erheblich mehr gewesen. Das hätte zum einen mit dem schlechten Image der Kirche und zum anderen mit dem Terrorismus zu tun, was ja sicherlich nachvollziehbare Argumente sind. Doch muss Religiosität nicht in einem weitaus grösseren Kontext verstanden und begriffen werden, als nur über Kirchendogmatik und Glaube?

Der Kurzschluss einer Glaubensdogmatik ist meines Erachtens eine Fehleinschätzung und eine unzulässige Vermischung von Begriffen. Religion ist die Verbindung eines Menschen zu seinem wahrem geistigen Ursprung. Wird ein solcher nicht erlebbar, bleibt nur der intellektuelle, dogmatische Ansatz übrig.  “In intellektuellen Begriffen kann der Religionsinhalt nicht erschlossen, sondern nur verdeutlicht werden. Als man anfing, nach Gottesbeweisen zu suchen, war dieses Suchen selbst schon der Beweis dafür, dass man den lebendigen Zusammenhang mit der göttlichen Welt verloren hatte“, schreibt Rudolf Steiner (GA 641/S. 111)

Wenn für einen Menschen der „Ursprung“ seiner Existenz biochemische Prozesse in seiner leiblichen Organisation sind, dann ist diese Verbindung seine “Religion“. Das wäre dann die materialistische Variante. Für jemanden, der seinen „Ursprung“ in einem utopischen Wesen sieht, welches mit Ufos im Weltall herum schwirrt und sehnsüchtig auf Erden erwartet wird, wird dies wiederum dessen persönliche “Religion“, sprich sein Glaubensbekenntnis. Wieder andere finden dieses Wesen in einem fernen Gottesgebilde, wo auch immer dessen “Hauptsitz“ sein mag. Man kann seinen eigenen Ursprung aber ebenso gut einem geistigen Kern zuweisen, der alles mit allem verbindet und somit auch mich selbst mit dem großen Ganzen verbunden sehen. Ob auch dies nur Glaube bleibt, oder erlebbar wird, bleibt allerdings immer noch unbestimmt.

Je nach Sichtweise, Konzept, Weltbild oder bloßem Glauben, wird eine für jeden stimmige, persönliche Religion zusammengeschustert, konstruiert und zelebriert. Sie kann sich wohl auf religiöse Texte anderer beziehen, dennoch bleibt deren Interpretation problematisch und äußerst unzuverlässig, weil sie ebenfalls mit den eigenen Vorstellungen oder den oft unter Gruppenzwang vorherrschenden Vorstellungen von Glaubensgemeinschaften verknüpft bleibt. Dass dies ein rein subjektiv empfundener Akt ist, braucht wohl kaum erklärt zu werden. Insofern hat Religion in den meisten Fällen wohl tatsächlich nur mit Glaube zu tun. Auch hier ist die Bewusstseinsfrage zu stellen.

Unser Bewusstsein bestimmt, welches Konzept hinter der Frage nach dem Ursprung des Daseins steht. Dennoch kümmert sich der Ursprung wenig um deren phantasievolle Interpretation. In den meisten Fällen wird ein solcher Ursprung ungeprüft angenommen – oder eben konstruiert. In den wenigsten Fällen ist der Bezug unmittelbar und lebendig geblieben. Meistens sind es Annahmen, Gedankenkonstrukte, die man entweder plausibel erklären und sie somit anderen zugänglich machen will, weil jeder Mensch grundsätzlich sich selbst am nächsten steht. Einige wenige können aus Erfahrungen und Erlebnissen heraus berichten. Das zugänglich machen für andere Menschen wird deshalb nicht weniger schwierig und ist deshalb ebenso eine Glaubenssache! Was bleibt also übrig? Ist die Frage unbeantwortbar? Muss man Kant endgültig recht geben und ist ein Zusammengehen zweier Welten, einer materiellen und einer geistigen schlicht unmöglich?

Mit anderen Worten: gibt es tatsächlich Grenzen der Erkenntnis, und der Rest ist seliger Glaube? Ich mag die Antwort nicht recht geben. Ich kann sie auch nicht geben. Dazu müsste ich sämtliches Gelernte, in meinen Hirn gespeicherte Wissen erst mal auslöschen. Ich müsste eintauchen in eine neue Erfahrungsebene. Was ich dort, scheinbar selbstvergessen, erlebte, müsste ich wiederum zurück transponieren in die Ebene der Begriffe und des Verstandes, so dass auch Sie, liebe Mitzweifler, es erfassen und möglicherweise nachvollziehen können. Da hilft das Nirvana leider wenig. Doch was hält mich diesem Erleben, wenn es denn ein Nichts wäre, wie man in den östlichen Religionen verkündet, wie hält man dort, in diesem Nichts, Erlebnisse fest, sodass sie im Nachhinein wieder erinnerbar sind?

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Philosophie der Keule

KeuleDer Begriff der Freiheit wird ganz unterschiedlich aufgefasst. Wie macht man eine Erfahrung zugänglich, die scheinbar kaum zu erklären ist? Wie vermittelt man sie in Gedankenform, in Worten und Vorstellungen? Und – gibt es sie überhaupt?

Wie ist dieser „Ort“, der innere Freiraum, dieses Innerste, welches manche Menschen gemäß ihren Berichten erfahren haben, erlebt haben, denen zugänglich zu machen, die es entweder nicht erfahren können oder schon gar nicht daran glauben, dass es erfahrbar sei? Beides wird (zunächst) immer nur über Gedanken vermittelbar sein. Die zweitgenannte Haltung kann sich zuweilen sehr aggressiv äußern, weil die Protagonisten möglicherweise enttäuscht wurden von ihrem eigenen Leben und zum endgültigen und sakrosankten Schluss gekommen sind, dass sowieso alle Menschen Egoisten seien. Ein Leben mit dieser Maxime kann nur noch dramatisch enden und viel Leid durch Abgrenzung erzeugen. Denn schließlich gehört man, dieser Logik folgend, selbst zu ihnen…

Ein wenig Licht könnte in diese Gesinnung kommen, indem man sich die gesamte Entwicklung der Menschheit vor Augen stellt. Immerhin sind in gewisser Weise doch einige soziale Fortschritte zu erkennen? Betrachtet man die ersten Menschen, die noch tagtäglich den Hasen, Schweinen und Enten hinterher rannten und die sehr ungemütlich werden konnten, wenn der Höhlennachbar ihm diese Beute vor der Nase wegschnappte. Dass dieser dann die Keule zu spüren bekam, war sicherlich nicht selten der Fall. Irgendwann besann sich der „Homo sapiens“ und fand, es sei irgendwie unstimmig, den Nachbarn gleich in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Und er befand in einer ruhigen Stunde, dass es dafür eine Strafe geben müsse. Vielleicht waren es ja zuerst nur ein paar Hasen, die geopfert werden mussten. Aber immerhin, ein Anfang war gemacht! Heute lacht man darüber, denn man ist ja im direkten Vergleich sozial höchst „kompetent“ geworden. Man tötet hierzulande nicht mehr so schnell einen anderen Menschen, wenn dieser einem die Beute wegschnappt. Und man tut es – normalerweise – nicht nur deswegen nicht, weil es im Gesetzbuch steht, sondern weil es „moralisch nicht vertretbar“ ist.

Die Moral scheint sich also in den letzten zehntausend Jahren zugegebenermaßen ziemlich verändert zu haben. Der Weg, den die moralische Entwicklung genommen hatte, wanderte sozusagen vom äußeren ins Innere. Jetzt ist das Gewissen quasi zum moralischen Leitstern der modernen Zivilisation geworden. Dies ist es, wonach sich der durchschnittlich entwickelte Mensch heute ausrichtet. Noch vor einigen hundert Jahren war das nicht so. Die Autorität eines Königs oder anderer Befehlshaber wurde zum Maßstab des Handelns bestimmt und bewegte die Massen (was teilweise noch bis in die Gegenwart hinein seine Nachwirkungen zeigt). In jener „Keulen-Zeit“ gab es bestenfalls eine den Tieren nahe stehende Moral, auch wenn es in allen Zeiten höher entwickelte Ausnahmen gab. Kein Tier würde wegen eines schlechten Gewissens auf seine Beute verzichten! Schon eher, weil es „seinen Meister“ gefunden hat, der – darwinistisch gesehen – über ihm steht.

Doch zurück zur Freiheitsfrage. Diese kann parallel zur moralischen Entwicklung betrachtet und positioniert werden! War im Anfangsstadium beim Durchschnittsmenschen noch der reine Naturtrieb handlungsleitend, so rückte das Motiv im Laufe der Zeit immer näher ins Zentrum jedes einzelnen Menschen. Das Gewissen ist sozusagen schon näher an den innersten Kern menschlicher Moral herangerückt. Die Frage bleibt noch unbeantwortet, ob es dort – also quasi am Ziel der Entwicklung – schon angelangt ist, oder ob es noch etwas „Luft nach oben hat“? Wenn ja, dann gibt es (noch) keine wirkliche Freiheit im alltäglichen „Normalzustand“. Dies wäre ein Zustand dieser „oberen Luft“, der erst noch errungen werden muss: also eine Zukunftsidee. Selbst das Gewissen bleibt im Alltagsmodus noch von rein persönlichen Faktoren und Erlebnissen abhängig. Während der Naturtrieb noch nichts mit unseren wahrhaft individuellen Impulsen zu tun hat, sondern naturgemäß einem instinktiven, automatisierten Trieb folgt, ist das Gewissen doch schon viel individueller geworden. Aber es hängt immer noch an vielen äußeren und inneren (also unfreien) Faktoren. Da wäre zum Beispiel die religiöse Erziehung als Richtschnur anzusehen, die unser Leben bestimmt oder schon in frühem Alter imprägniert wurde. Je nach den persönlichen und/oder fremden Glaubenssätzen ändern sich die Kriterien des „Bösen“, die durch dieses Gewissen definiert werden, in ganz unterschiedliche Richtungen: siehe christliche Moral versus islamische Moral, jüdische Moral versus buddhistische Leitbilder usw. usf.

Allein schon das Erkennen dieser Moralentwicklung des Menschen lässt die Hoffnung und Vermutung offen, dass die Gewissensfrage noch nicht das Ende allen Entwicklungspotenzials sein kann. Auch wenn die Erkenntnis und das Erleben dieser Stufe vielleicht noch in weiter Ferne ist, so lässt sie doch ein Ahnen, ein Hoffen übrig. Dieses Erwarten allein schon kann der Antrieb sein, weiter zu suchen, sich zur Freiheit hin zu entwickeln. Ich finde, das macht Mut! Deshalb lade ich Sie herzlich ein, darauf einzugehen, denn es lohnt sich! Die Suche gipfelt sozusagen in der Selbsterkenntnis unter dem Aspekt der „Selbstbeobachtung“ des Menschen. Mit ihr beginnt ALLES! Der Blick auf sich selbst, auf die eigenen Urteile, die Beweggründe, die Motive die das moralische Gewissen bilden, sind der Schlüssel zum tieferen Geheimnis/Verständnis unseres Seins. Aus dem moralischen Gewissen werden so „moralische Intuitionen“. Sie haben ihre Wurzeln in der Geistes-Gegenwart erlebter „moralischer Phantasie“ (Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit).

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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