Esoterischer Determinismus

BildnisSobald wir einen Text lesen oder jemandem zuhören, schaltet sich sofort im Hintergrund „etwas in uns ein“. Es ist so etwas wie ein „Korrekturzentrum“, ein „innerer Kritiker“ in unserem Kopf… Testen Sie es jetzt gleich, in diesem Moment, bei diesem Text! Versuchen Sie darauf zu achten, ob und wie das bei Ihnen passiert! Es könnte sein, dass sich bei Ihnen schon im letzten Satz etwas eingeschlichen hat, was bewirkte, dass Sie sogar diese Tatsache negieren oder dementieren.

Dann sind Sie womöglich gar nicht bis hierher gelangt…

Allein schon das Erkennen, dass so etwas existiert und sich im Hintergrund ihres Denkapparates ständig zuschaltet, ist ein großer spiritueller Gewinn! Es benötigt erste Ansätze für die Fähigkeit der Selbstbeobachtung.

Nur die bedingungslose Hingabe an die innere Tiefe Ihrer selbst, kann letztlich zur Klarheit darüber führen, was Sie wollen, wohin Sie gehen, welche Motive und Impulse Sie leiten und was Sie in Ihrer Entwicklung fördert, fordert oder hindert. Und das ist durchaus nicht intellektuell gemeint.
Der Quelle ist es doch ziemlich egal, wer an ihrem Wasser labt und welche Schlüsse daraus von ihren Bezügern irgendwo im Lauf des Flusses gezogen werden. Der Schlüsse sind ja so viele! Es gibt darunter auch solche, die am Wasser laben, ohne erst an eine Existenz dieser Quelle zu glauben. Die Schlüsse, die sie ziehen, verarbeiten sie mit ihren Instrumenten, den Mikroskopen und anderen vielfältigen Analysewerkzeugen. Dabei stellen sie womöglich fest, wie das Wasser beschaffen sei und was man damit alles tun kann, ohne wissen zu müssen, woher es kommt und wohin es geht.

Im übertragenen Sinne könnte man auch Gott leugnen, eine höhere Macht leugnen, wie sie auch immer heißen mag, jedenfalls etwas, was Leben ausströmt. Man sieht zwar allerorten und jederzeit, wie das Leben fließt, wie es „funktioniert“ und welche Gesetzmäßigkeiten sich daraus gebildet haben und immer wieder neu bilden. Doch das Leben selbst wird in dieser Weise nie erkannt. Es strömt unaufhörlich und sprudelt – wie die Quelle – unerschöpflich. Das Vergehen und Entstehen von solchem Leben ist immer ein Kreislauf, ist zyklisch – und keine lineare Erscheinung, die mit dem Tode endgültig verschwindet.

Begriffe sind genauso aus einer ursprünglichen „Quelle“ entstanden. Aber nicht als Begriff, sondern als Erlebnis! Das Erlebnis formte sich erst mit der Zeit in die Begriffe hinein. Heute ist es eher umgekehrt. Wir lernen die Begriffe, auf welchem Wissensgebiet auch immer. Wir füllen diese Begriffe mit Umschreibungen, Definitionen und kreieren in dieser Weise erst unsere Erlebnisse, wenn überhaupt. Diese so gewonnenen Erlebnisse sind jedoch nicht einheitlich und werden vom Zeitenstrom eingeschränkt, determiniert, in eine feste Form gepresst. Es spielt für unsere Entwicklung eine große Rolle, wann und wie dies geschieht. Ansonsten ist es nicht möglich, das Verbindende darin wiederzufinden. So erging es tausenden von verschiedenen Religionen und Millionen von Weltanschauungen (in jedem Menschen individualisiert), die in unterschiedlichen Zeitabschnitten und an unterschiedlichen Orten entstanden sind und gewirkt haben: Mit unterschiedlichen Traditionen, Hintergründen und ihr jeweils persönlichen Färbung.

Viele dieser Führer und „Begriffsbildner“ labten zwar an ein und derselben Quelle. Doch in der begrifflichen Umwandlung geschahen Abweichungen, verzogen und verformt durch die Sprachen einerseits und durch die persönlichen Ressentiments jedes Einzelnen oder auch der Völker.
Trennung und Krieg waren die fatalen und bis heute nicht kurierbaren Folgen. Denn auf der Ebene der bloßen Terminologie erreichen wir die Quelle nicht mehr unmittelbar, sondern nur mittelbar, getrennt. Das ist die Krux des Dualismus. Wir können immer nur, bestenfalls, auf sie (die Quelle) hinweisen. Wir können etwas umschreiben, einen Tatbestand, etwas, was diese Quelle umhüllt, verdeckt. Nur die Quelle selbst ist nicht mehr benennbar. Sie ist außerhalb des Begrifflichen. Sie kann nur erlebt werden! Das ist der tiefere Sinn der Aussage (im christlichen Kontext): Du sollst Dir kein Bildnis machen! Mit „Bildnis“ ist allerdings nicht unbedingt ein physisches Bild gemeint, sondern der Begriff oder vielmehr eine Vorstellung! Das ist auch der tiefste Grund der Aussage: Ich bin der Ich bin!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Das Gute im Menschen…

gutboeseIst das „Gute“ in jedem Menschen veranlagt? Das war eine Frage, die mir letzthin gestellt wurde. Gewiss! sagte ich. Das Gute zu definieren hingegen fiel mir weitaus schwerer. Dennoch will ich es auf einen Nenner bringen: Das Gute ist das, was der Mensch vom anderen erwartet, dass dieser ihm selbst tun soll. Was wir umgekehrt vom anderen verlangen, ist gelinde gesagt, nicht immer ganz uneogistisch, ohne es gleich beim („bösen“) Namen zu nennen.

Die Frage ist: Was möchten wir denn, was der andere uns tut? Achtung, Anerkennung, Einfühlungsvermögen, Offenheit, Toleranz usw.? Kein Mensch möchte darauf verzichten und es tut uns wohl, es vom anderen zu erhalten, vor allem dann, wenn es uns selbst schlecht geht. Umgekehrt tun wir uns oft sehr schwer damit, genau dies anderen zu schenken.

Einer der „weisesten“ Sprüche, die mir letzthin zu Ohren kamen war: „Wenn Du Dir nichts leistest, bist Du Dir nichts wert“. Der Spruch sagt im Grund lediglich aus, dass wir das „Haben“ dem „Sein“ voranstellen sollen, weil wir „uns sonst nichts wert seien“. „Geben ist seliger denn Nehmen“ heißt es doch so schön im christlichen Kontext (und nicht nur dort). Das „Haben“ bestimmt das „Sein“ und unser Wertgefühl in einer überladenen, verwöhnten Gesellschaft. Ohne den gesellschaftlich anerkannten Wohlstands-Standart, das geliebte Auto, Haus, den Schmuck und (oft unnötige) Güter aller Art usw. sind wir (uns) scheinbar nichts wert. Das stimmt natürlich aus Sicht des Egos, nicht aber für das, was „dahinter“ lebt in jedem Menschen, was wir wirklich mit dem „Guten“ verbunden wissen möchten.

Der wirkliche Wert unserer Persönlichkeit muss also tiefer liegen, unter der „scheinbaren“ Oberfläche. Dieses „Gute“ steckt irgendwo hinter dem Schleier jeder Persönlichkeit, nur ist es oft nicht so einfach zu finden. Es zu erkennen ist aber von großer Bedeutung für die eigene Entwicklung und diejenige der ganzen Menschheit. Der „Schatten“, wie ihn auch C.G. Jung nennt, verdeckt dieses Gute; das was uns auch zum „Schenken“ beflügelt. Schenken ist doch für die materiell besessene Welt der absolut größte Blödsinn, den man sich vorstellen kann. Es sei denn, man hat in irgendeiner Weise einen Nutzen davon: „wenn ich ihm das oder jenes „schenke“ (eigentlich nur gebe), bekomme ich vielleicht später einmal dieses oder jenes zurück“! „Geschenke“ dieser Art dienen quasi als Scheck oder Schuldschein für eine Art „berechneter Rückzahlung“.
Warum schenkt man denn dann überhaupt? Welche Motive stecken dahinter?

Das „Gute“ rechnet nicht. Dadurch erst wird das Schenken zum bedingungslosen Liebesakt. Im „Reich des Guten“ gibt es keine Zahlen, keine „Gewinne“, keine „Renditen“ usw. sondern nur Liebe. Materialistisch gesehen hat dieses Wort heute etwas Anrüchiges bekommen. Denn diese Liebe wird immer wieder von einem Schatten überdeckt, der unsere tieferen Schichten verhüllt. Geschenke haben oft einen trügerischen Aspekt. Sie kaschieren „böse Absichten“ mit dem sogenannten Guten. Die Maske des Guten legt sich wie ein Schleier über dieses Böse. Das zu erkennen ist nicht immer einfach, denn dahinter verbirgt sich so manche List. Das Bedürfnis jemanden zu beschenken, hat hingegen einen unbezahlbaren Wert. Er liegt jenseits des Berechenbaren. Jeder von uns hat das bestimmt einmal in seinem Leben erfahren. Die Frage, ob es im eigenen Budget noch drin liegt, berührt dabei kaum. Davon abgesehen sind echte Geschenke in diesem Sinn viel wertvoller, weil sie nichts verstecktes einfordern.

Die Kultur des Schenkens wäre das Ende aller Kriege. Sie wäre die logische Folge einer reif gewordenen Gesellschaft. Indessen fordert die Gesellschaft, vor allem die westliche, immer mehr materiellen Reichtum und Wachstum ohne Ende.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freuen Sie sich über Ihre Ausraster!

Borussia Dortmund coach Klopp celebrates his team's victory over Eintracht Frankfurt after their soccer match in FrankfurtWir erleben tagtäglich Situationen, die uns zuwider sind und uns zu Handlungen oder Aussagen verleiten, die wir nicht mehr im Griff haben, wo wir „die Beherrschung verlieren“. Manche sind „berechtigt“, wie wir meinen, andere bereuen wir vielleicht, weil wir im Nachhinein erkennen, dass es Überreaktionen waren, die wir besser unterlassen hätten.

Bereuen oder nicht, freuen Sie sich auf jede solche Situation, denn sie bringt Sie immer ein Stück näher zu sich selbst! Ob „bekloppt“ oder nicht: Jeder Ausraster, jeder Ärger, jede Emotion oder Überreaktion, ist ein Rest einer verborgenen Energie im Unterbewusstsein, eine unbeleuchtete Ecke Ihrer selbst, die Sie noch nicht verwandelt haben. Sie deckt etwas von uns auf, legt es quasi frei. Der Grund, warum wir das meistens nicht so wahnsinnig toll finden, ist Mangel an Distanz zu unserem kleinen ichlein!

Jede verborgene Ecke zeigt einen noch unbearbeiteten Acker oder Fleck in Ihnen. Das wollen wir in der Regel nicht wahrhaben und deswegen distanzieren wir uns lieber von ihm, als dass wir ihn anschauen. Dabei wäre es jedes mal eine Riesenchance, die sich gerade in solchen Situationen auftut. Entweder sind alle anderen schuld, blöd, schlecht oder was auch immer, oder wir verdrängen die Emotionen, die sich uns zeigen. Dass sie dadurch immer wieder von Neuem auftauchen, ist nicht weiter verwunderlich.

Wenn wir es schaffen, den Blick nach innen zu kehren und diese Emotionen anzuschauen, dann haben wir viel gewonnen! Das ist ungewohnt und es schmerzt, es tut weh! Niemand schaut sich gerne selber an! Wir haben gelernt, recht zu haben und dieses Recht auch unter allen Umständen zu verteidigen, auf Teufel komm raus! Passiere was will, erst zuallerletzt fällt der Blick auf sich selbst.

Es ist dieser verdammte Stolz, diese verdammte Arroganz, diese verdammte Sturheit, diese verdammte Engstirnigkeit, diese verdammte Rechthaberei, diese verdammte Aggression die uns zurück ziehen lässt in den engen Raum des kleinen Egos! Es schmerzt und wir leiden im Grunde ohne Ende in diesem persönlichen Kerker. Dennoch ziehen wir es vor uns zu verteidigen, um ja nichts aufzudecken, was uns vor der Welt in ein schlechtes Licht bringen könnte…

Dabei ist es nur ein klizekleiner Schritt, der zu tun wäre!
Die Umkehrung des Blickes nach innen!
Versuchen Sie es: beim nächsten Mal…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mit fremden Augen sehen…

Fremde AugenSehr gerne würde ich einmal in die Augen anderer Menschen hineinschlüpfen. Wie würde ich die Welt aus deren Blickwinkel wohl sehen? Ganz banale Dinge, wie einen Stuhl, einen Tisch, einen Baum durch ihren Blick wahrnehmen. Auch wenn es dasselbe Objekt ist, was ich da vor Augen hätte, so würde ich mit Sicherheit doch nicht dasselbe sehen.

Es wäre sicher falsch davon auszugehen, dass wir dasselbe sehen würden. Denn mit den Augen sind unsere Vorstellungen und unsere Gedanken über die Dinge, die wir sehen, eng verknüpft . Wir sehen nie wirklich objektiv!
Der mit der Wahrnehmung verknüpfte Gedanke entstellt jedes Objekt und bringt es in einen rein subjektiven, persönlichen Zusammenhang. Ich würde vermutlich sehr erstaunt sein darüber, was ich mit den Augen des anderen sehen würde. Ja, ich würde schon gar nicht dieselben Dinge anschauen, wenn ich durch die Stadt gehen würde. Vielleicht würde ich plötzlich Objekte erkennen, die ich vorher noch nie gesehen habe, die mir bisher niemals aufgefallen sind, weil ich ganz einfach den Sinn dafür nicht hatte. Es wäre mir z.B. wichtig, welche Schuhe die Menschen anhaben, oder ob ihre Fingernägel gepflegt seien!
Ich würde Läden entdecken, von denen ich keine Ahnung hatte, dass es sie überhaupt gibt. Und selbstverständlich würde mir alles vollkommen fremd vorkommen, sehr fremd, weil das innere Bild, welches ich mit diesen Wahrnehmungen verknüpfte, keinen Gleichklang mit meiner eigenen Sichtweise mehr fände. Es wäre nicht mehr dieselbe, „meine“, Stadt, die ich vorher so gut gekannt hatte. Es wären nicht mehr dieselben Menschen, mit denen ich verkehrte. Vielleicht würde ich sogar ein bisschen ver – rückt…

Alles, was wir sehen, verbinden wir mit unserer persönlichen Welt und es bildet sich daraus eine abgeschlossene, subjektive, eigene (Innen-) Welt. Sie ist für andere Menschen oft nur schwer nachvollziehbar oder nacherlebbar. Selbst dieser Text ist aus einem Gehirn geflossen, welches vollkommen andere Inhalte hat, als der oder die Leserin es haben mögen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht „etwas“ auf geheimnisvolle Weise zusammen, aber das ist doch verhältnismässig selten. Viel häufiger ist diese “ja, aber…“- Einwendung zu vernehmen. Wenige Menschen können etwas, was ihnen von außen zukommt (oder zufällt), bedingungslos annehmen.

Warum ist das so? Warum fühlen wir uns immer so kompetent und souverän dem anderen gegenüber? Sicher, es gibt viele Fragen, in denen wir uns zurückhalten sollten, wo wir eingestehen müssen, dass wir nichts von der Sache verstehen und wo wir uns gerne belehren lassen. In jüngeren Jahren vielleicht noch öfters, als in älteren. Aus meiner Erfahrung heraus, die natürlich auch eine ganz persönliche ist, überwiegt aber das moderat gewichtige „Kompetenzverhalten“ bei vielen Menschen. Dabei sind Kommentare, wie oben erwähnt, doch eher selten zu hören. Viel häufiger ist doch das “ja, aber…“…

Die mit den Wahrnehmungen und Erlebnissen verbundenen Gedanken sind Produkte unserer eigenen, individualisierten Biographie. Im Grunde können wir sie mit niemandem teilen. Es braucht auf dieser Ebene der Kommunikation immer ein gewisses Entgegenkommen und Wohlwollen des Gesprächspartners. Die „Meinungsprodukte“ (oder Konstrukte) werden durch die Erinnerung und durch Bestätigung von aussen, die wir uns oft erkämpfen müssen/wollen, zunehmend gestärkt und verfestigt. Es bilden sich aus schmalen Waldpfaden nach und nach breite “Autobahnen“ neuronaler Datenverknüpfungen in unserem Gehirn! Je mehr wir in unserem Gedankenkonstrukt bestätigt werden, sei es durch entsprechende Erlebnisse: “siehst du, ich habe es immer gesagt, dass es so kommen werde…“, oder sei es durch das Einholen äußerer Bestätigungen: “…bin ich nicht gut!?!“. So werden aus den objektiven Wahrnehmungen mit der Zeit stark gefärbte Verhärtungen und Fixierungen, denen wir uns kaum mehr entziehen können.

Die Dinge werden dann halt so gesehen, wie wir sie sehen wollen. Das geht zuweilen unter die Ratio, bis in konstitutionelle und instinktive Verankerungen hinein… Hier nützen keine verstandesmässigen Zugeständnisse mehr. Es gibt auch in der Politik kultivierte Bestätigungsmodelle: sie heißen CDU, SP, FDP, SVP, Grüne oder auch anders. Das persönliche Abweichen von den Parteiprogrammen führt oft zu Gruppenzwang oder Ausschluss. Auf diese Art und Weise wird sichergestellt, dass geordnete, vorgegebene Gedanken, Programme und Strukturen aufrecht erhalten bleiben, selbst wenn es einem vernünftigen Sachverhalt widerspricht. Man nennt das zuweilen auch Gehirnwäsche. Aber nicht nur in der Politik ist solches zu finden. Auch in der Gesellschaft sind viele bindende Konventionen verankert, die zuweilen keine Spielräume für eine Öffnung mehr bieten. Dies alles würde uns erst dann wirklich bewusst werden, wenn wir in andere Menschen hineinschlüpfen könnten. Vielleicht hilft manchmal nur schon dieser Gedanke weiter, um auf andere Gedanken zu kommen. Das kann ein Anfang sein…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Überdruss eines Materialisten

gustavAus Gustavs Tagebuch, nach seinem Tod entdeckt: „Normalerweise werden wir unser Bewusstsein nur auf die Aktivitäten und Tätigkeiten ausrichten, welche sich zwischen Geburt und Tod befinden. Es ist nicht anzunehmen, dass wir im Laufe des Lebens viele Gedanken über anderweitige Realitäten auskundschaften.“

Und weiter steht da: „Der normale Bürger gibt sich mit der sichtbaren, wägbaren und hörbaren, vielleicht noch spürbaren Welt zufrieden. Der Gedanke, dass es weiter gehen könnte nach dem Tod macht ihm eher Angst. Damit beschäftigt er sich nicht gerne. Und noch viel weniger wird man an einen ähnlichen Prozess denken, welcher sich vor der Geburt zugetragen haben soll. So gesehen ist die Normalperspektive unseres Lebens in der Regel zwischen 50 bis maximal 100 Jahre lang (nehmen wir Johannes Hesters einmal aus). Daraus ergibt sich eine entsprechende Lebensoptik, Lebensperspektive und Lebenslogik, welche dem Zeitzustand und der Vergänglichkeit die grösste Aufmerksamkeit und damit auch jede verfügbare Energie zuwendet. „Schliesslich leben wir nur einmal…“ heisst es dann etwa „…und das müssen wir in vollen Zügen geniessen!“ Eine solche Lebensoptik erwägt keine Gedanken darüber, dass man in irgendeiner Form auf seine Gesundheit oder auf den Lebensstil achten müsse. Höchstens insofern man in mittlerem Alter vielleicht die ersten Bresten zu verspüren beginnt. Schliesslich will man die Lebensqualität der verbleibenden 20-30 Jahre noch „optimieren“ und pflegt seinen Körper mit den üblichen biochemischen Créme’chen und Pülverchen oder durch entsprechende körperliche Ertüchtigung, die sich nur am Faktor „Verjüngung“ ausrichtet. Er, dieser Körper, ist ja nicht viel mehr, als ein abgewandelter Motor, der einfach alle paar Monate seinen normalen Check-Up braucht. So wie beim Auto: da wird geschmiert und geölt und wenn es Winter wird, werden neue Reifen montiert und der Frostschutz nachgefüllt. In ähnlicher Weise füllt man den „medizinischen Frostschutz“ in Form von teuren, vorbeugenden Präparaten in die Bindegewebe, in die Blut- und zu den Nervenbahnen und meint so dem Ungeheuer Grippe, dem Cholesterin, prämenstruellen Syndromen oder anderen ähnlichen Übeln entkommen zu können, um sich dann wieder seinem eigentlichen Kerngeschäft widmen zu können. Das ist schliesslich alles notwendig, damit man sich all die teuren und ausgelassenen Abenteuer leisten kann, die man noch hegt: Angefangen vom tollen BMW-Motorrad bis zur großen Party. Damit kann man(n) sich dann in seiner zweiten Pubertät genüsslich ausleben und weiterhin jeden unnützen Gedanken an den Tod erfolgreich verdrängen. Frau kuriert dieselbe Not mit teuren Wellness- und Schönheitskuren und hält sich so das „Übel Tod“ möglichst lange vom Leibe. Böse Zungen behaupten… aber lassen wir das…“ Gustav war nie ein Kind der Traurigkeit, genoss sein Leben in großen Zügen und ließ auch mal die Fünfe grade sein. Sein Tod kam unerwartet in jungen Jahren, unverhofft verschwand er aus diesem Leben…

Hermann las die Tagebuchzeilen seines Freundes und lobte die eigenen Weleda-Produkte… „Ganz schön deftig, diese „Lebensoptik“ und ganz schön provokativ, diese Gedanken, die ich mir aufzuschreiben erlaube. Dennoch sehe ich das Ganze selber nicht so negativ, wie ich es hier aus dem Tagebuch meines Freundes gelesen habe. Es gibt durchaus sinnvolle Erklärungen für eine materialistische Weltanschauung. Vielleicht ist es der Überdruss und das genug haben, welches die nötigen Impulse für neue Gedanken bringt, die, wer weiß, über diese beiden Tore des Lebens hinausgehen.“
Er versuchte, sich eine Erklärung für die Ambivalenz in Gustavs Verhalten zurechtzulegen: „Das volle Abtauchen in rein materialistisches Gedankengut ist eine Form des Protestes und Kampfes für die Unabhängigkeit und die persönliche Autonomie. Zwar gleitet sie sehr schnell ab in puren Egoismus, aber dennoch braucht es diese Energie, um wach zu werden. Das, so meine ich, ist der „westliche Stil“ der Entwicklung. Sollen wir also die „Flucht nach vorne“ antreiben oder uns in eine abgehobene Spiritualität versenken, die alles Körperliche vermeidet. Ich sehe es nicht so eng, verbrüdere mich mit dem Teufelchen in Gustavs Seele und schaue künftig, dass ich den Dreck vor der eigenen Haustür erst mal wegschaffe…“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Zweites Leben…

secondliveDas Gegenteil von dem, was ich auf diesem Blog und in meinen Büchern Woche für Woche verkündige, findet auf den Plattformen von second life (z.B. Linden Lab) statt. Eine Versklavung durch Illusionen. Vorstellungen, in die wir förmlich mit Leib und Seele, mindestens 3-4D-mässig abtauchen, hineinkriechen und mit denen wir uns vollkommen identifizieren.

Sie erzeugen in uns nicht nur ein „zweites Leben“, sondern auch einen „zweiten Menschen“. Dieser Mensch isoliert sich zunehmend und koppelt sich schliesslich von seinem grossen Bruder ab. Dass es bald nicht mehr nur die visuellen Sinne sind die dabei angesprochen werden, sondern auch haptische Sinne, Gerüche, Geräusche etc. ist nichts neues, sondern längst Realität geworden… Was ist es denn, was in uns dieses „zweite Leben“ erschaffen will? Sind es neue Geister, die wir selbst rufen? Was ist deren Absicht? Zerstreuung? Ablenkung? Und wozu das Ganze?

In Wikipedia heisst es zum Thema: „Second Life (deutsch: zweites Leben, abgekürzt „SL“) ist eine Online-3D-Infrastruktur für von Benutzern gestaltete virtuelle Welten, in der Menschen durch Avatare interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können. Das seit 2003 verfügbare System hat rund 36 Millionen registrierte Benutzerkonten, rund um die Uhr sind meist 30.000 bis 65.000 Nutzer gleichzeitig in das System eingeloggt“. (und das war vor 10 Jahren…)

Das Volumen dieser Kraft ist gewaltig! Es ist eine Art Dauer-Bestrahlung auf unser Seelenleben. Da ist der Elektrosmog womöglich noch harmlos dagegen. Es lässt uns die Aufforderung vergessen, weshalb wir uns auf dieses Leben auf dem Planeten Erde überhaupt einlassen.
Wozu? Kann man sicher berechtigt fragen…

In Zeiten so vieler Kriege, wie sie derzeit (real!) auf der Welt stattfinden, tauchen immer mehr Menschen in eine total illusionäre Unterwelt ab, in der sie sich sprichwörtlich selbst vergessen, der sie sich mit Leib und Seele ausliefern. Es mag sein, dass dieses Selbstvergessen eine gewisse Berechtigung hat. Werden doch die Belastungen auf unsere Sinne, unsere Leiden (-schaften) immer grösser, angefangen von den alltäglich wachsenden Pflichten, den Arbeitsmöglichkeiten, zerbröckelnder Freundschaften hin zu kompensierten Handlungen usw. Da wird der Ruf nach ein bisschen „Hirnauslüften“ immer lauter. Früher bedeutete dies, Waldspaziergänge zu tätigen, frische Luft zu schnappen usw. Heute setzt man sich viel lieber virtuell in phantasievolle, teilweise skurrile und oft kalte, spröde Landschaften – und scheint sich darin pudelwohl zu fühlen.

Ich weiss, der Begriff „Vorstellung“ ist ein stetes Hauptwort in meinen Aufsätzen. Spricht man zu oft von etwas, erlahmen die Kräfte, die mit so einem Wort, so einem Gedanken verbunden sind. Das passiert auch in den Nachrichten jeden Tag. Was bedeutet schon der Begriff Krieg, Schlacht, Flucht, Tod, wenn er sich stündlich, minütlich wiederholt! Haben wir noch starke Gefühle dabei? Aber das nur am Rande; zurück zu den Vorstellungen. Es gibt selbstverständlich nicht nur schlechte, sondern auch viele gute Vorstellungen! Ich wettere nicht gegen second life und co.! Solange wir wissen, woher wir sie schaffen und wer sie in uns pflanzt, diese Vorstellungen, haben wir gewiss auch keine Probleme damit.

Der dauernde Aufruf, die eigenen Vorstellungen zu erkennen (und nicht etwa zu verdrängen!), schafft in uns erst eine Art von Freiraum, der unabhängig von der virtuell verkoppelten Persönlichkeit existiert. Und erst dieser Freiraum schafft die Möglichkeit des inneren Gleichgewichts. Damit verbunden ist JEDE spirituelle Entwicklung, egal auf welche Weltbilder oder Lehren sie sich stützt oder bezieht. Der Vorgang ist sozusagen Grundmaxime jeder persönlichen Entwicklung. Und spirituell heißt letztlich nichts anderes, als eine innere Entwicklung die über die 70, 80, 90 Jahre unseres Erdenlebens hinaus zu reichen vermag, die eine Art „Restguthaben“ schafft, welches auch nach unserem Tod weiter wirken kann!

Man kann das Wollen oder nicht. Man kann daran glauben oder nicht. Man kann es bestreiten, verdammen, zertreten (mit unreflektierten Vorstellungen dagegen ankämpfen bekämpfen…). Wer sein Leben nur auf diese Zeitspanne ausrichtet, verpasst das Wesentlichste: Sich selbst. Die Erfahrung dessen kann man aber nur dann machen, wenn man das Erlebnis dieses „zweiten Menschen“ in sich aufrecht erhält. Immer wieder und nachhaltig daran arbeitet. Und das ist umso notwendiger, als unser Verstand in die Vorstellungswelten seiner (Teil-) Persönlichkeit(en) absackt. Das Erkennen dieses „Absackens“ ist unmöglich, wenn man sich nicht dauernd bemüht und anstrengt. Und anstrengen heißt hier, wach bleiben.

Das fühlt sich dann so an, als ob du in einer Kugel sitzend unter Wasser (dem eigentlichen Leben) treibst. Mag diese Kugel noch so gut eingerichtet sein, dir Unterhaltung à la second life im Minutentakt auf die Bildschirme deiner Laptops, smart- und iPhone`s zaubern, damit du ja nie merkst, in welch engem Raum du gefangen bist – egal, du wirst es nie erkennen, wenn du zu bequem bist. Und bequem ist es, im Traum zu bleiben, im Traum des Lebens, den wir alle träumen, der einen unglaublich starken Sog hat. Die Frage, woher diese kontraproduktive Kraft kommt, darüber kann man nur spekulieren. Man spürt sie, jeder spürt sie. Es ist die Kraft, die uns Dinge tun lässt, die wir eigentlich nicht tun wollen. Es ist die Kraft, die uns ermüdet, lähmt, blockiert.

Und dennoch lassen wir uns von ihr leiten. Vermutlich, weil sie uns hilft… wach zu werden…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Kampf der Standpunkte

KriegDie Geschichte der Menschheit ist ein Spiegel unserer eigenen Geschichte. Sie wiederholt sich seit Urzeiten in immer gleicher Art und Weise Millionenfach in jedem Menschen. Erst wenn wir beginnen, sie zu ahnen, erwachen wir aus dem Tiefschlaf immerwährender Kriege und Schlachten, stetem Zwiespalt und Feindschaften.

Du kommst auf diese Welt und erfährst im Laufe der Jahre, die Du durchschreitest bis zu Deinem jetzigen Moment, tausende und abertausende von Situationen. Zeitpunkt und Ort Deiner Geburt prägen zudem Deine Eindrücke und Wahrnehmungen. Umstände legen sich wie ein Schatten an Deine Seite, Bedingungen, die Du zunächst weder beeinflussen, noch verändern kannst. Das ganze daraus entstehende Gebilde nennen wir unsere Persönlichkeit. Du bildest aus all diesen Facetten und Bildnissen Deine Vorstellungen und Gedanken. Das daraus entstehende emotionale Gefüge lässt in Dir den Antrieb von Sympathie und Antipathie aufleben. Du beginnst, die Dinge der Welt zu gewichten und zu beurteilen. Du hasst dieses und liebst jenes. Sowohl Freude und Begeisterung wie Ablehnung und Widerwillen, prägen fortan Deinen Charakter. Du beziehst daraus Deine Belohnungen an denen Du Dich klammerst genauso wie Deine Niederlagen, an denen Du wächst und reifst.

So werden in Dein Seelenleben Werte implantiert. Sie befestigen sich zunehmend. Lob und Tadel haben dabei zweierlei Wirkung. Sie beflügeln Dich im einen Fall, geben Dir Bestätigung für Dein Tun und Handeln und öffnen Dir die Türen zu Gleichgesinnten. Tadel kann je nach dem in beide Richtungen wirken. Entweder es wird im Sinne eines Angriffs alles verteidigt was das Zeug hält, und dadurch zusätzlich gefestigt oder es treten Zweifel auf. Letzteres vor allem dann, wenn man im eigenen Standpunkt noch schwankt.

Aus der Dynamik dieser Schwankungen, diesem Hin- und Her der Gefühle und Emotionen, welche vor allem im jugendlichen Alter stattfinden, gewinnen wir Festigkeit und Stabilität in der eigenen Meinung. Ein Gefühl von innerer Sicherheit entsteht nach und nach. Wir suchen Gemeinschaften auf, politische, künstlerische, soziale oder religiöse, die uns nahestehen, die eine Verwandtschaft mit dem selbst Erfahrenen und Erlebten haben. Eine zunehmende Vertiefung des Erlernten tritt ein. Unsere Standpunkte werden geschliffen wie trübe Kristalle. Individualitäten mit „geschliffenen Kristallen“ stehen sich gegenüber. Je differenzierter der persönliche Schliff ist, umso schwieriger wird die Zustimmung dem Fremden, dem Andersartigen gegenüber. Standpunkte werden gegen andere Standpunkte verteidigt. Wahrnehmungen werden eingeschränkt, ausgerichtet nach dem vorgegebenen Muster dessen, was man sich über Jahrzehnte eingeschliffen hat. Nur so können überhaupt Kriege entstehen. Das ganze Deutschtum ist eine Blutschlacht zwischen solchen „Kristallen“ der Persönlichkeit, ob sie nun Wallenstein, Friedrich der Große oder Maria Theresia hießen. Kämpfe zwischen den Protestanten und den Katholiken bildeten über Jahrhunderte hinweg die Spuren von Blut und Macht und formten ein Volk. Immer waren es Standpunkte „nach bestem Glauben und Gewissen“, und dies auf beiden Seiten.

Solche Standpunkte haben einen Mangel. Sie verhindern Kommunikation. Als Wallenstein im dreißigjährigen Krieg, nach über 10 Jahren erst, selbst verletzt durch die Schlachtfelder lief und die blutverschmierten, entstellten oder verstümmelten Leichen sah, entdeckte er erst, wie unsinnig dieses Blutvergießen doch sei! Er zog die Konsequenzen und wollte mit den Protestanten verhandeln. Dem Kaiser gefiel das gar nicht und er ließ ihn lynchen.
Andere schnallen sich eine Bombe an den Bauch und jagen sich und andere unschuldige Opfer, für die eigenen Standpunkte in die Luft!

Aber auch Weltanschauungen sind voll von diesen Standpunkten. Die Bombe kann auch ein schneidendes Schwert der (persönlichen) Gerechtigkeit sein, mit dem man(n) das Böse bekämpft. Und immer wieder die Frage: Was ist das Böse? Die eine Antwort lautet: Jede Art von Gewalt am anderen Menschen und an Lebewesen sind böse. Die andere Antwort geht tiefer. Sie beschäftigt sich nicht nur mit einer Tat und verurteilt diese, sondern mit dem Motiv! Und dabei ist Gewalt viel weiter zu fassen, als nur Mord und Totschlag. Gewiss, dort zeigt sie sich am unmittelbarsten und am fatalsten. Was aber, wenn Gedanken selbst Gewalt bringen können? Wenn Gedanken zu Waffen werden? Mit dieser Art von Gewalt beschäftigt man sich viel zu wenig.

Es gibt Kulturen, die den Totschlag gegen das „Böse“ mit einer göttlichen Mission rechtfertigen. Der Beurteiler wird also sehr schnell zum Verurteiler, je nach dem, welchen Standpunkt er/sie vertritt. In diesem Dilemma befinden wir uns auch heute wieder ständig, wenn wir über Recht und Unrecht urteilen sollen. Standpunkte haben oft Ansprüche auf die alleinige Wahrheit. Es sind die Schwerter, die unsere Persönlichkeit geschmiedet haben. Es gibt aber auch ganze Volksschwerter, religiös motivierte Schwerter, politisch motivierte Schwerter, Macht motivierte Schwerter, kunstmotivierte Schwerter. In jedem Bereich des Lebens bilden wir unsere persönlichen Standpunkte, manchmal härter, manchmal schwächer, je nachdem, wie fest wir uns damit verbunden haben. Die Verbundenheit zu diesem oder jenem, bildet sich ebenso aus unserem Umfeld, aus dem wir herkommen. Wir nehmen alles aus der Perspektive der eigenen Brille wahr. Das ganze Gebilde daraus ist unser persönliches Lebensmodell. Es ist ein Flickenteppich aus ganz verschiedenen Färbungen und Facetten, zusammengebaut, konstruiert aus einer Fülle von Erlebnissen und Erfahrungen.

Wenn man sich der Stärke dieser Kraft des physischen UND geistigen „Erbstromes“ einmal wirklich bewusst geworden ist, wird man ganz klein. Denn so vieles verkappen und verdecken wir nur zu gerne mit einem „Schein des Guten“. Wir wollen darüberstehen und eignen uns moralische Vorstellungen an, mit denen wir die Welt nach unseren Maßstäben beurteilen. Dies ohne zu bemerken, dass wir keinen Deut aus der Vernetzung der eigenen Persönlichkeit herausgetreten sind. Das Hängenbleiben auf der Ebene der Vorstellungen generell, ob sie nun edel oder weniger edel sind, verhindert den Blick ins eigene Zentrum. Die Kraft, aus der das eigentliche Leben fließt, wird dadurch abgedeckt, der „geistige Quantensprung“ erfolgreich verhindert.

Jens Heisterkamp fragt in seinem Vorwort zu einer Ausgabe von info3 zurecht: “ …wie schwer es für die jeweilige Zeitgenossenschaft ist, Unrecht beim Namen zu nennen und in der Unübersichtlichkeit widerstreitender Urteile die Übersicht zu behalten…“ Man kann sich fragen, wer diese Urteile fällen soll? Der moralisch integre Mensch? Der Gutmensch? Alle, die noch „den gesunden Menschenverstand“ besitzen? Sehen wir in unserer Zeit die wirklichen Gefahren oder sind sie etwa genauso versteckt, wie vor den beiden Weltkriegen und zu anderen Zeiten?

Keiner will doch, so gegensätzlich die Meinungen auch sind, darauf verzichten, an diesen „gesunden Menschenverstand“ zu appellieren. Alle Kriegsparteien bezichtigen die anderen des Unvermögens und umgekehrt. Am Schluss kommen wir immer wieder an die „letzte Instanz“, an die objektive, allgemeingültige Wahrheit, die jeder zu haben glaubt. Gerne verweisen wir dabei an einen unbestimmten „Gott“, an ein etwas, weitab von der menschlichen Seele; ein irgendwo in der Ferne, hinter den Wolken sitzendes Wesen oder was auch immer damit für Vorstellungen verknüpft sind; ein Wesen, was sich genau genommen keiner so richtig vorstellen kann und worauf sich doch so viele Völker berufen: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen“ schreien sie und stürzen sich auf all jene, die „Unrecht“ haben. Und die andere Kriegspartei tut dasselbe. Und dazwischen alle möglichen Tönungen und Schattierungen von anderen vermeintlichen Göttern, die alle Recht haben wollen. „Aber man sieht doch, wie die Lage aussieht!“ Schreien die einen dies, so schreien die Gegner dasselbe. Sie beurteilen die Lage anders, weil sie eben niemals nur von einem Standpunkt aus zu beurteilen ist und weil, das kommt heute dazu, schlicht falsch informiert wird, nämlich so, wie es für die jeweilige Partei, Macht, Staat oder Person von Nutzen ist… Informationen aber sind das A und O, sie bilden die Nahrung unreflektierter Vorstellungen. Anders ist nichts zu beurteilen. Immer ist man auf deren Vertraulichkeit angewiesen. Von wegen „objektiv“… Wer schreibt Geschichte? Und mit welchen Interessen…?

Wie auch immer man die Sache dreht und wendet: Man landet letztlich immer wieder bei sich selbst: „Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein…“. Das gespaltene Wesen, was wir sind und wovon schon Immanuel Kant sich scheute, indem er jene Macht in ein unbestimmtes Jenseits verschob, muss erkannt und gesichtet werden. Erst wenn wir dieses Andere IN UNS erkennen UND ERLEBEN, wird es zu einem unerschütterlichen Fels, auf dem wir nun – es wird langsam Zeit – die eigene innere, überkonfessionelle „Kirche“ erbauen können. Dasselbe „Ding“, was die Anderen bisher immer nur im Außen erkannte (und verurteilte), der große, unerkannte Feind, erkennt nun sich selbst!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Kunst und Freiheit

kinderzeichnungFast jeder Künstler pocht auf seine Freiheitsrechte. Fragt man ihn danach, wie er seine Motive findet, woher er seine Ideen habe, zuckt er mit den Achseln und macht vielleicht seine „Intuition“ geltend. Machen Sie doch, bevor Sie weiter lesen, einen kleinen Selbstversuch!

Nehmen Sie ein Blatt Papier und versuchen sie  einen einzigen wirklich freien Strich zu zeichnen!

Haben Sie das getan? Gut, dann betrachten Sie diesen einen Strich einmal ganz genau! Haben Sie links begonnen? Warum? Vermutlich fangen fast alle solchen Versuche von links nach rechts an. Das ist konditioniert! Wir Westler schreiben ja schließlich auch von links nach rechts.

Vielleicht beginnt ein Japaner oder ein Chinese, je nach Konditionierung oben oder rechts usw. Konditionen sind natürlich nie frei. Sie sind in unserer Kindheit schon früh gebildet oder uns je nach dem sogar eingetrichtert worden. Es mag sein, dass Sie, trotz dieser Prägung, rechts begonnen haben. Das ist schon gut und eher selten. Vielleicht sind Sie Linkshänder? Haben Sie dies frei gewählt? Aber wie sieht denn dieser Strich sonst noch aus? Schauen sie ihn einmal kritisch und möglichst unbefangen an. Vergessen Sie alles, was Sie als „schön“  bezeichnen. Vergessen Sie Ihr Gefühl für Formen, Ihre Vorlieben für Ordnung, Ästhetik, für Rundungen, Kanten, Ecken usw. All diese Präferenzen können Sie schon mal als unfrei abhaken.

Es sind genauso konditionierte und angelernte Vorstellungen, die sich im Laufe des Lebens gebildet haben und die Ihre jetzige Persönlichkeit ausmachen, wie die meisten routinemäßigen Handlungen, die Sie im Alltag verrichten! Wer wirklich ganz ehrlich mit sich selbst sein will, muss erkennen, wie schwierig es ist, nur schon einen einzigen wirklich freien Strich aufs Papier zu kriegen. Wenn Sie jetzt Farben dazu nehmen – oder meinetwegen Ton, oder andere künstlerische Mittel einsetzen, dann werden Sie, mit der nötigen Selbstdistanz erleben, wie wenig Ihr Handeln mit Freiheit zu tun hat!

Die Frage ist berechtigt, ob es Freiheit denn überhaupt gibt? Rudolf Steiner hat in seiner „Philosophie der Freiheit“ versucht, dieser Frage auf den Zahn fühlen. Das vordringen auf den tiefsten Kern der menschlichen Wesenheit spielt dabei eine wichtige, besser gesagt die wichtigste Rolle. Wenn wir unsere Verhaltensweisen, unsere Handlungen und Motive betrachten, müssen wir, uns selbst erkennend, feststellen, dass sie diesen Kern wenig bis gar nicht betreffen oder gar berühren.

Für mich als Kunsttherapeut hat diese Frage der Freiheit des wesentlichen Kerns unseres Menschseins eine hohe, wenn nicht höchste Priorität. Berührt werden kann man nur genau dort. Und um solche Berührung geht es. Alle Intention einer guten Therapie richtet sich nur auf dieses eine. Hier geht es weder Ideen, noch um Methoden oder um persönliche Vorzüge, weder jene des Therapeuten, noch jene des Patienten, sondern einzig und allein um menschliche Begegnung. Beziehung schaffen, Bezug schaffen, ist der Schlüssel.

Durch die Verhaftung mit unseren inneren Lieblingen, machen wir uns verletzbar für jede Kritik, jeden Einwand oder noch so gut gemeinte Intervention. Da wir diese Lieblinge nicht erkennen im Zustand der Identifikation mit ihnen, reagieren wir üblicherweise mit Abwehr oder Unmut, wenn sie von außen angezweifelt werden. Dasselbe ist Ihnen vielleicht auch gerade eben passiert bei meinem Einwand, dass Ihr Strich konditioniert sein könnte…

Manchmal sind Interventionen äußerst delikat und schwierig. Und dennoch sind wir alle darauf angewiesen, dass wir Rückmeldungen bekommen. Das ist in der Therapie nicht anders als im Leben selbst. Und sich jeder Kunstschaffender ist damit konfrontiert. Im Zentrum steht latent immer die Frage nach Freiheit. Welche Handlungen wir auch tun, sie betreffen immer unsere eigene persönliche Freiheit oder jene anderer Menschen.
Dabei wäre die Kunst meines Erachtens eines der vorzüglichsten Mittel, um unsere Verhaftungen sichtbar zu machen. Möglicherweise sitzen Sie jetzt immer noch vor Ihrer Strich-Zeichnung? Nutzen Sie die Chance etwas zu entdecken in Ihnen, was bisher möglicherweise verborgen blieb! Probieren Sie es wieder und wieder! Machen Sie sich auf den Weg… zu sich selbst!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Persönliche Verletzungen

verletztseinDie meisten Menschen kennen das Gefühl, verletzt zu sein. Es sind verschiedene Ursachen, die zu solchen Emotionen führen können. Eine der wichtigsten ist Ablehnung. Schon im Kindesalter wird sie in unzähligen Situationen durch entsprechende Verhaltensweisen des Umfeldes geschürt. Ich denke zum Beispiel an ein Kind, welches mit Begeisterung von seinen Erlebnissen erzählt und dann getadelt oder sogar geschlagen wird, weil es mit schmutzigen Kleidern nach Hause kommt. Dies erzeugt nach und nach Wunden in der Seele, die sich unterschiedlich anfühlen. Jeder von uns entwickelt individuelle Strategien diesen zu begegnen. Manche reagieren mit Wut, andere mit Resignation, wieder andere durch Anpassung usw. Daraus schmieden wir uns unbewusst schon frühzeitig unseren Lebensplan.

Wut z.B. generiert Ehrgeiz im Sinne von „warte nur, ich zeig es euch! Ich beweise euch, wie stark ich bin!“ Viele sportliche oder berufliche Höchstleistungen werden später aus diesem Ehrgeiz genährt. Auf der anderen Seite kann der Rückzug in die Defensive ein Vorläufer für depressive Verstimmungen sein. Aus dem Erlebnis der Ablehnung könnte der Schluss folgen, nichts wert zu sein. Solche Extreme sind natürlich nicht die einzigen Verhaltensmuster, die sich bilden können. Auch Anpassung kann ein solches Muster sein. Sie entsteht aus dem Gefühl „ich will gut sein, damit ich gelobt werde!“. Diese Seelenverfassung kann wiederum positiv oder negativ ausgerichtet werden. Die positiv ausgerichtete Variante wird befriedigt durch die Anerkennung von aussen, nämlich dann wenn wir durch unser Liebsein belohnt werden mit Zuneigung. Solange wird in uns ein Wohlgefühl erzeugt. So gestrickt fühlt man sich gut und sieht keine Veranlassung, etwas an seinem Leben zu ändern. Sobald die äußeren Stützen (des Lobes, der Anerkennung, der Wertschätzung) fallen, ändert sich die Situation schlagartig.
Die negative Variante erfolgt dann, wenn wir resignieren, wenn selbst das Liebsein nicht mehr zum gewünschten Erfolg führt. Hier geraten wir schnell in einen Teufelskreis, weil unsere Bemühung lieb zu sein abnimmt und dadurch weniger Anerkennung erzeugt. Dies wiederum bestärkt uns im Glauben, untauglich für die Welt zu sein, was dazu führt, dass wir auch weniger dafür tun.

In allen Fällen jedoch steht ein Grundgefühl  im Hintergrund (die Ablehnung ist eines davon). Es bildet sich meistens schon im Kindesalter heran. Die „Strategien“, die wir daraus entwickeln, können sehr unterschiedlich ausfallen. Sie hängen im wesentlichen vom Charakter ab, mit dem wir schon von Anfang an die Reise in die Welt antreten. Diese Vorprägung hat wenig zu tun mit der Ursache für die oben genannten Verhaltensweisen. Dies zeigt sich schon bei Geschwistern sehr deutlich, die sich in ähnlichen Situationen sehr verschieden entwickeln können. Der Charakter ist sozusagen ein Wesensgefüge, mit dem wir die Bühne des Lebens betreten. Er bewirkt und beeinflusst unsere Reaktion auf entsprechende Situationen.

Man kann sich fragen, was denn eine „gesunde Entwicklung“ bedeutet und ob es sie in Reinform überhaupt gibt? Da wohl jeder von uns solche Verletzungen kennt, muss ich davon ausgehen, dass es die perfekte Voraussetzung nicht gibt, nicht geben kann. Es gibt stärkere und mildere Formen davon. Daraus lässt sich ableiten, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich mit den Tatsachen auseinander zu setzen. Auch im Herangehen an diese Probleme gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Die Selbstbeobachtung steht auch hier wieder an zentraler Stelle. Denn sie ist das entscheidende Werkzeug der Selbsterkenntnis. Mangelt es daran, verstärken wir den Druck und häufen Last an.

Die Beiträge auf diesem Blog über die Liebe ließen viele Fragen und Reaktionen aufkommen. Insbesondere der Zusammenhang zwischen dem ich und dem es bereiten viel Mühe. Das ist kaum verwunderlich, denn genau in deren Schnittstelle bildet sich die Mauer zu einem Erlebnis, welches sich auf einer anderen Ebene abspielt. Einer der größten Gegenspieler dieses es versteckt sich unter dem Mantel all dieser persönlichen Verletzungen. Es sind die rauen Schalen und die dicken Häute die uns davor schützen – aber auch behindern. Wir verschanzen uns dahinter. Sie verhindern, dass wir das dahinter liegende (den Schmerz) vergessen oder verdrängen. Er verbirgt sich hinter unserem Rücken. Wir wissen wenig von ihm, orientieren uns meist nach vorne in die glitzernde, glamouröse Welt. Der Blick zurück ist uns fremd. Es wäre ein Blick in unser eigenes Innere.

Gelegentlich „trifft“ uns etwas, bedrängt uns, fährt uns in den Rücken. Wir wachen kurz auf, spüren einen unangenehmen Druck, eine „Hexe“, die uns ins Kreuz schiesst. Dies kann seelisch und physisch geschehen. Es lässt uns für kurze Momente aufmerksam werden, inne zu halten. Mulmige Gefühle steigen auf. Da hilft Ablenkung vorzüglich. „Vorne“ (und auf den Bildschirmen) passiert ja so viel, womit wir uns beschäftigen können. So sammelt sich hinter unserem Rücken im Lauf des Lebens eine schwere Last an. Wir tragen diesen Rucksack, der sich durch unser ganzes Leben mit immer mehr „Material“ anfüllt, bis wir davon gebeugt sind. Die Last wird von Jahr zu Jahr schwerer. Unser Ignorieren hilft deren Wachstum.

Jahre vergehen. Was sich angesammelt hat, lässt sich irgendwann nicht mehr verbergen. Wir müssen lernen loszulassen. All die Aufruhr gegen jeden und jede, gegen alles, was von aussen auf uns einwirkt und unser Wohlbefinden stört, beginnt zu zerbröckeln. Nun türmen sich die Lasten hinter unserem Rücken auf. Eine zeitlang verfügen wir noch über schier unendliche Kräfte, um uns gegen sie zur Wehr zu setzen. Unzählige Situationen des Ärgers, der Verbitterung, der Kritik, des Lasters (kommt von dieser Last im Rücken), der Vorurteile und des Rechthabens beflügeln unser Ego, bis es irgendwann zerbricht. Etwas muss zerbrechen, gebrochen werden, zugrunde gehen, wenn wir die Last loswerden wollen. Wenn wir Loslassen scheinen wir für einen Moment zu sterben. Nichts hält uns mehr. Das ist der Moment der Auferstehung, eines neuen lebendigen Gefühls von Wachheit und Zufriedenheit.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Und habt ihr die Liebe nicht… | zweiter Teil

rotes herzZweiter Teil | Wir, vor allem die westliche Gesellschaft, sind Augenmenschen durch und durch geworden. Auch die Liebe nährt sich häufig vom Visuellen. Der schöne Körper, das schöne Gesicht, das Äußere wird zum Hauptfaktor für ein Gefühl, welches in dieser Weise unsere Vorstellungen nährt, bis man das «begehrte Objekt» besitzen will. So, wie man das Auto oder das Haus oder den Pelzmantel und andere Gegenstände besitzt. Das «Es» findet im Grunde sich selbst veräußert.

Das narzisstische Ich findet sich wahnsinnig toll. Das ist die positive Abspaltung, die nur deshalb positiv bezeichnet wird, weil sie ein positives Gefühl verursacht: Verliebtheit. Es ist der Umkehreffekt der negativen Abspaltung oder Projektion, die ein negatives Gefühl auslöst. Das geschieht zum Beispiel in Form von Aggressionen, die von außen an uns herankommen, aber eigentlich uns selbst gehören. Ob positiv oder negativ: Abspaltung bleibt Abspaltung. Sie gehört nicht der Außenwelt an, sondern uns. Und das bemerken wir nicht. Darin liegt die Tragik. Und in diesem Fall ist es eine Tragödie der «Liebe» oder dem, was wir als solche bezeichnen.

Man kann die Liebe nicht ohne soziale Verantwortung beurteilen. Alle die Missstände, Scheidungen, Probleme in Partnerschaften bis hin zu Gewalt in der Ehe und in der Sexualität, entstehen aus der Missachtung dieser Verantwortung! Da helfen alle schönen Sprüche von platonischer Liebe und seelischer Verbundenheit nichts, wenn damit soziale Bindungen zerstört werden. Es gibt keine Liebe, die für sich alleine besteht! Es gibt höchstens falsche Begriffe für egoistisch-narzisstische Emotionen. Die echte und freie Liebe steht immer im Zusammenhang mit der Verbindlichkeit im Umfeld! Diese Illusion nebelt das freie Ich ein und zwingt es zurück an die gebundenen Verhältnisse. „Es“ ist ebenso wenig frei, zu tun oder zu lassen, was es will. Es gibt nur noch Bindung, Verbindlichkeit und Gebundenheit!

In der Erkenntnis dieser Verbindungen, zusammen mit der Erkenntnis seiner selbst, werden erst freie, moralische Impulse geschaffen! Sie müssen möglichst gut ins eigene „Netzwerk“ integriert werden. Das kann nicht immer gelingen, weil manche Verbindungen zu komplex und zu zerstörerisch sind. Es ist verständlich, wenn Ehen, trotz sozialen Abstrichen, unter solchen Umständen gelöst werden! Liebe ist an sich etwas absolutes, undefinierbares, nur fühlbares. Nicht aber der Weg dahin. Aus dem „Schattenboxen“ wird erst durch viele Niederlagen und persönlichen Verluste hindurch eine wirkliche, echte und nicht binden wollende Liebe wachsen können! Das gebundene Ich wird sich irgendwann, spätestens wenn die erste Verliebtheit abflaut, fragen, wo die Legitimation dafür über alle die Jahre hinweg bestehen bleibt? Sind wir doch oft in wirklich schwierigen Umständen gefangen! Was von der Gebundenheit zur Sprache kam, wird hier zu einem unvorstellbaren und bedrängten, schmerzvollen Leben! Wer soll mir verbieten, aus dieser Gefangenschaft auszubrechen? Kann oder muss ich denn alles alleine tragen?

Die moralische (christliche) Erklärung wird stets das Durchhalteargument anbringen. Das «Opfer», welches damit für den oder die anderen (Kinder, Ehemann, Ehefrau usw.), verbunden sei, wird verherrlicht. Mit solchen Parolen werden mit Sicherheit keine Probleme gelöst! Die sozialen Umstände in vielen Ehen sind nicht einfach, sondern oft hoch komplex oder sogar tragisch. Sie können nie mit einem pauschalen gut oder schlecht beantwortet werden. Die Verflechtungen sozialer, wirtschaftlicher und emotionaler Art sind dermaßen groß, dass sie nicht ohne weiteres alleine gelöst werden können. Nicht grundlos sind die Worte Liebe und Leben vom Klang her, so nah beieinander! So wie alles Lebendige fließend ist, mit Rhythmus und Wandelbarkeit zu tun hat, genauso ist die Liebe etwas Wandelbares. Man denkt, das trifft sich gut, da kann man tun und lassen, was man will. Wandelbar sein, heiße ja, unverbindlich bleiben zu können. Wer so denkt geht fehl! Über Liebe kann man erst dann wirklich sprechen, wenn man selber frei geworden ist. Nicht von den Lastern frei, sondern frei von der Gebundenheit mit den Lastern, was nicht dasselbe ist!

Liebe hat immer mit innerer Freiheit (beider Partner!) zu tun, aber ebenso viel mit Selbsterkenntnis! Sie ist letztlich ein Gleichgewichtszustand zwischen Körper, Seele und Geist. Überwiegt das eine die Anderen, entstehen Probleme. Grundsätzlich kann ich alle Menschen gleichermaßen lieben! «Liebet einander bis ans Ende aller Tage!“. Wenn sich die Liebe zu einem bestimmten Menschen ver- einseitigt, wird mein Ehepartner, insofern nicht er oder sie dieser Mensch ist, möglicherweise nicht einverstanden sein! Und dennoch kann man mit Sicherheit in einem Leben mehr als einen einzigen Menschen lieben (lernen)! Jede Liebe ist ein individuelles Manifest zweier Menschen. Und weil jeder Mensch anders ist, gibt es unendliche solche Liebes-(mani)feste. Sie kann sich in unterschiedlichen Bindungen ausdrücken. Wir kennen gleichermaßen die Bruderliebe, wie die Liebe zum Ehepartner, die Liebe zu den eigenen Kindern und viele andere Arten, die wir alle mit demselben Wort belegen: Liebe.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft?

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