Esoterischer Determinismus

BildnisSobald wir einen Text lesen oder jemandem zuhören, schaltet sich sofort im Hintergrund „etwas in uns ein“. Es ist so etwas wie ein „Korrekturzentrum“, ein „innerer Kritiker“ in unserem Kopf… Testen Sie es jetzt gleich, in diesem Moment, bei diesem Text! Versuchen Sie darauf zu achten, ob und wie das bei Ihnen passiert! Es könnte sein, dass sich bei Ihnen schon im letzten Satz etwas eingeschlichen hat, was bewirkte, dass Sie sogar diese Tatsache negieren oder dementieren.

Dann sind Sie womöglich gar nicht bis hierher gelangt…

Allein schon das Erkennen, dass so etwas existiert und sich im Hintergrund ihres Denkapparates ständig zuschaltet, ist ein großer spiritueller Gewinn! Es benötigt erste Ansätze für die Fähigkeit der Selbstbeobachtung.

Nur die bedingungslose Hingabe an die innere Tiefe Ihrer selbst, kann letztlich zur Klarheit darüber führen, was Sie wollen, wohin Sie gehen, welche Motive und Impulse Sie leiten und was Sie in Ihrer Entwicklung fördert, fordert oder hindert. Und das ist durchaus nicht intellektuell gemeint.
Der Quelle ist es doch ziemlich egal, wer an ihrem Wasser labt und welche Schlüsse daraus von ihren Bezügern irgendwo im Lauf des Flusses gezogen werden. Der Schlüsse sind ja so viele! Es gibt darunter auch solche, die am Wasser laben, ohne erst an eine Existenz dieser Quelle zu glauben. Die Schlüsse, die sie ziehen, verarbeiten sie mit ihren Instrumenten, den Mikroskopen und anderen vielfältigen Analysewerkzeugen. Dabei stellen sie womöglich fest, wie das Wasser beschaffen sei und was man damit alles tun kann, ohne wissen zu müssen, woher es kommt und wohin es geht.

Im übertragenen Sinne könnte man auch Gott leugnen, eine höhere Macht leugnen, wie sie auch immer heißen mag, jedenfalls etwas, was Leben ausströmt. Man sieht zwar allerorten und jederzeit, wie das Leben fließt, wie es „funktioniert“ und welche Gesetzmäßigkeiten sich daraus gebildet haben und immer wieder neu bilden. Doch das Leben selbst wird in dieser Weise nie erkannt. Es strömt unaufhörlich und sprudelt – wie die Quelle – unerschöpflich. Das Vergehen und Entstehen von solchem Leben ist immer ein Kreislauf, ist zyklisch – und keine lineare Erscheinung, die mit dem Tode endgültig verschwindet.

Begriffe sind genauso aus einer ursprünglichen „Quelle“ entstanden. Aber nicht als Begriff, sondern als Erlebnis! Das Erlebnis formte sich erst mit der Zeit in die Begriffe hinein. Heute ist es eher umgekehrt. Wir lernen die Begriffe, auf welchem Wissensgebiet auch immer. Wir füllen diese Begriffe mit Umschreibungen, Definitionen und kreieren in dieser Weise erst unsere Erlebnisse, wenn überhaupt. Diese so gewonnenen Erlebnisse sind jedoch nicht einheitlich und werden vom Zeitenstrom eingeschränkt, determiniert, in eine feste Form gepresst. Es spielt für unsere Entwicklung eine große Rolle, wann und wie dies geschieht. Ansonsten ist es nicht möglich, das Verbindende darin wiederzufinden. So erging es tausenden von verschiedenen Religionen und Millionen von Weltanschauungen (in jedem Menschen individualisiert), die in unterschiedlichen Zeitabschnitten und an unterschiedlichen Orten entstanden sind und gewirkt haben: Mit unterschiedlichen Traditionen, Hintergründen und ihr jeweils persönlichen Färbung.

Viele dieser Führer und „Begriffsbildner“ labten zwar an ein und derselben Quelle. Doch in der begrifflichen Umwandlung geschahen Abweichungen, verzogen und verformt durch die Sprachen einerseits und durch die persönlichen Ressentiments jedes Einzelnen oder auch der Völker.
Trennung und Krieg waren die fatalen und bis heute nicht kurierbaren Folgen. Denn auf der Ebene der bloßen Terminologie erreichen wir die Quelle nicht mehr unmittelbar, sondern nur mittelbar, getrennt. Das ist die Krux des Dualismus. Wir können immer nur, bestenfalls, auf sie (die Quelle) hinweisen. Wir können etwas umschreiben, einen Tatbestand, etwas, was diese Quelle umhüllt, verdeckt. Nur die Quelle selbst ist nicht mehr benennbar. Sie ist außerhalb des Begrifflichen. Sie kann nur erlebt werden! Das ist der tiefere Sinn der Aussage (im christlichen Kontext): Du sollst Dir kein Bildnis machen! Mit „Bildnis“ ist allerdings nicht unbedingt ein physisches Bild gemeint, sondern der Begriff oder vielmehr eine Vorstellung! Das ist auch der tiefste Grund der Aussage: Ich bin der Ich bin!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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