Die Illusion vom Glück

GlückViele Menschen streben vor allem nach einem im Leben, nach Glück. Es ist der meist gehegte und genannte Wunsch nebst der Gesundheit. Glücklich zu sein ist für sie die größte Errungenschaft ihrer persönlichen Entwicklung. Nur, was heißt es eigentlich, glücklich zu sein, und wie wird man es?

Viele Menschen meinen, das Glück hänge irgendwo als süße Frucht an einem Baum und könne dort jederzeit gepflückt und gegessen werden. Glück in der Funktion des Geldes, was man eben besitzt oder nicht besitzt, ist ebenso absurd. Beides sind Illusionen. Ebenso wenig wird einem (normalerweise) das Geld tatenlos zuströmen, wie das Glück. Und wenn es tatsächlich tatenlos zufließt, was ja bei manchen Menschen mit klugen Tricks möglich zu sein scheint, so werden sie damit auch nicht wirklich glücklicher. Das Gegenteil scheint sogar der Fall zu sein, wenn man die Selbstmordstatistiken zur Kenntnis nimmt. Vergessen Sie also, tatenlos glücklich werden zu wollen! Tun Sie, wonach Sie getrieben werden, wonach Ihre ethisch-moralischen, sittlichen, kulturellen und/oder sozialen Ziele Sie hinbewegen und Sie werden im Nebeneffekt ein Übermaß von diesen Früchten genießen können!  Die Illusion vom Glück weiterlesen

Karl Popper und der kritische Realismus

Karl_PopperDer Philosoph Karl Popper wurde am 28. Juli 1902 in Wien geboren. Vor allem die Werke von Platon, Hegel und Marx beeinflussten und veranlassten ihn zur Gegenthese einer „geschlossenen Gesellschaft“. Von ihm stammt unter anderem der Begriff der „offenen Gesellschaft“

Einige Aspekte zu seinem Werk:
In Wikipedia steht folgendes:
“Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnisvermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt. Der Mensch aber ist in seiner Erkenntnisfähigkeit dieser Welt durch seine Wahrnehmung begrenzt, so dass er sich keine endgültige Gewissheit darüber verschaffen kann, dass seine Erfahrungen und Meinungen mit der tatsächlichen Wirklichkeit übereinstimmen (Kritischer Realismus). Er muss daher davon ausgehen, dass jeder seiner Problemlösungsversuche falsch sein kann.“

Er kann, in diesem Zusammenhang betrachtet, nicht nur davon ausgehen, dass seine Problemlösungsversuche falsch sein können, sondern zwingend falsch sein müssen. Das ist eben der Haken an der ganzen Sache! Somit geht auch die Theorie des kritischen Realismus bachab. Sie vernichtet sich sozusagen selbst. Denn sie verschließt die Tore zu einer objektiven Welt, indem sie diese (zumindest aus der Sicht des menschlichen Erkenntnisvermögens heraus), negiert, und deren Realität von der subjektiven Sichtweise trennt (Dualismus). Genau damit stellt sie ihrerseits ein objektives Urteil, auf vermeintlich subjektiver Basis, auf. Popper weist meines Erachtens verständlicherweise auf die Relativierung unserer Urteile hin. Er stellt dieses Relative als Voraussetzung in der zwischenmenschlichen Kommunikation hin. Meinungen, Ansichten, Weltanschauungen treffen aufeinander und bekämpfen oder ergänzen sich, je nach Blickwinkel. Dabei setzt er jedoch die Grenze der Erkenntnis sehr tief an. Er gesteht, seiner Erfahrung gemäß, und vermutlich unbewusst, auch anderen Menschen keine höherere Erkenntnis zu, als er sie selbst erfahren hat. Alle haben sozusagen „ein bisschen recht“. Die “Wahrheit“, wenn man das Produkt dieser Überlegungen im Lichte des kritischen Relativismus überhaupt so nennen darf, findet sich, dessen These nach, erst in der eigenen Auseinandersetzung mit Themen oder im Austausch untereinander, wenn auch nicht zwingend.

Wenn das menschliche Erkenntnisvermögen, wie es Popper, Kant und andere proklamieren, tatsächlich so begrenzt ist, dass es sich keine Gewissheit darüber verschaffen kann, ob die reale Welt wirklich so ist, wie sie ist, dann gleicht jedes Urteil einem Zufallstreffer. Die Wahrheit wird sozusagen ein interaktives Zufallsprodukt. Sie entbehrt damit einem realen Fundament. Gleichzeitig erlischt jeglicher Sinn des zwischenmenschlichen Austausches. Jeder Satz müsste mit “könnte sein oder auch nicht“ kommentiert werden. Bestenfalls könnte die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Sache eingestanden werden. Dabei würde man unweigerlich die Frage stellen müssen, worauf die Einschätzung dieser Wahrscheinlichkeit/Unwahrscheinlichkeit denn beruht? Wer richtet? Wer entscheidet? Und wie entsteht die Begrenzung der eigenen Erkenntnis einer Sache gegenüber? Jeglicher geistiger Halt geht so verloren, relativiert sich. Ob der kritische Realismus sich auch streng logischen (z.B. mathematischen und wissenschaftlichen) Erkenntnissen gegenüber in dieser Weise stellt ist mir unbekannt. Die Anwendbarkeit bezieht sich jedenfalls auf alles, was spekulative, nicht exakte Wissenschaft ist und dazu gehören philosophische, religiöse und weltanschauliche Fragen. Aber genau dort wäre mehr Klarheit wichtig und gefordert.

Nicht dass ich persönlich die Relativität der Wahrheit im alltäglichen Urteil bestreiten würde. Auch dieses Statement ist so betrachtet nur relativ richtig. Der Begriff an sich ist nicht umfassend und abschließend, sondern lässt immer Ergänzungen, Korrekturen, Differenzierungen zu. Wer aber aus der Relativität heraus Erkenntnisgrenzen setzt, der befindet sich in seichtem Gewässer und wird bald stranden müssen. Konsequent weitergedacht, dürfte der kritische Realist keine Grenzen setzen, sondern alle Grenzen aufheben. Denn jedes Urteil darin würde problematisch werden, auch das eigene…
Die Relativität hat immer Potenzial nach oben. Dabei kann offen gelassen werden, ob der Mensch dabei nicht auch in vollkommen neue Dimensionen vorstoßen kann, die zur absoluten Freiheit führen können. Erst die Erfahrung wird es zeigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freie Gemeinschaften

GemeinschaftenEin hohes, soziales Ziel einer modernen Gesellschaft ist die Förderung „freier Gemeinschaften“. Diese definiert sich ausnahmslos durch freie Mitglieder. Frei können sie nur sein, wenn die darin befindlichen Menschen frei sind. Da sie nicht zum vornherein frei sind, sondern es erst werden müssen, gestaltet sich diese Zielvorgabe als äußerst schwierig.

Das grösste Problem dabei sind „Verkittungen“ und „Verquickungen“, die durch unfreie Menschen geschaffen werden. Verbinden sich diese mit negativen gruppendynamischen Effekten, kann dies die Entwicklung der höheren Ziele jedes einzelnen erheblich stören, auch wenn sich diese als „freie Gemeinschaft“ bezeichnen. Dies geschieht selbst dann, wenn die Inhalte solcher Gruppen edler Natur sind (Menschenrechte etc.) Der freie Mensch definiert sich nicht über den Inhalt, sondern über „moralische Intuitionen„, das heißt immer durch situationsangepaßte, sittliche Ideen und Impulse.

Eine solche Gemeinschaft hätte in diesem Sinn den Auftrag, den Menschen einen Nährboden zu schaffen, der sie näher zur individuellen Freiheit bringt. Welcher Art diese Freiheit ist und was sie nicht ist, kann in Dutzenden von Beiträgen in diesem Blog nachgelesen werden. Nicht Normen, Gesetze, Vorgaben, Richtlinien, Traditionen, Sittengebräuche u.s.w. sind es, die lenken und leiten. Ebenso wenig führen jede Art von Fanatismus oder Dogmatismus dahin, sondern einzig gegenseitiges Vertrauen, Toleranz und eine bedingungslose Liebe zum Nächsten und zu sich selbst. Und dazu gehört die Förderung der individuellen Anlagen von Kindesbeinen an.

Was heißt das? Wo stehen Sie selbst? Wie nahe sind Sie persönlich an dieser Zielvorgabe beteiligt? Wie fördern Sie die Menschen in Ihrem Umkreis in dieser Weise? Welche Intentionen tragen Sie zur Freiheit der Menschen in Ihrer Nähe bei? Wie gestalten Sie den Raum der anderen? Brauchen Sie dafür Durchsetzungsvermögen, Disziplin oder gar Schlauheit? Wenn Sie sich etwas wünschen, wie kommen Sie zu Ihrem Ziel? „Über Leichen“ oder im gegenseitigen Einvernehmen? Das sind Fragen die man sich unentwegt und immer wieder von Neuem stellen muss.

Das Gegenteil einer freien Gemeinschaft ist eine verdeckte, verlogene Gesellschaft von sich selbst behauptender Egoisten, egal wie hoch ihre sozialen oder spirituellen Ansprüche von ihnen selbst gestellt werden. Jede persönliche Übervorteilung gegenüber anderen, reduziert dessen Freiheit, egal ob er/sie es merkt oder nicht! Gerade dies ist die vorrangige Wirkung der meisten (leeren) Versprechungen dieser Art: Sie wirken direkt ins Unterbewusstsein und lassen den Übertölpelten im „Schnäppchenglauben“ oder im „Seelenheilglauben“. Vieles ist in dieser Weise psychologisch konstruiert und konditioniert. Gerade das wichtigste, nämlich das Selbstbewusstsein, wird dabei ausgeschlossen. So wirkt gute Werbung gerade durch Ausschluss desselben! Alles andere ist eine Lüge…

Ist eine freie Gemeinschaft also ein Ideal, kein normaler Zustand? Ich würde sagen, ja, aber ein realistisches Ideal. Erst wenn jedes Mitglied zumindest eine Ahnung davon hat, wie und wo er/sie seine/ihre eigene persönliche Freiheit finden kann (nämlich nur bei  sich selbst), wird sich die Gesellschaft in eine andere Richtung bewegen können. Glaubt man nicht an diese Freiheit, sondern sieht den Menschen bestenfalls als ein einigermaßen klug konstruiertes und mit Vernunft begabtes Wesen, jedoch mit einer tendenziell unkorrigierbaren Neigung zum Egoismus, dann kann sich eine Gesellschaft niemals ändern. Krieg, Betrug, Lüge und persönliche Übervorteilung bleiben darin die unverrückbare Grundausrichtung. Entwicklung zu besseren sozialen Verhältnissen werden immer an den Machtgelüsten anderer scheitern. Insofern wäre es auch konsequent, die Zähne zu zeigen und nichts zu verdecken und zu leugnen!

Für Partnerschaften kann man übrigens das gleiche sagen. Das Ego liebt anders als ein freies Ich! Diese Liebe möchte immer etwas für sich selbst einfordern. Sie sucht die eigene Befriedigung (gegebenenfalls durch den anderen). Alles andere ist eher Pflicht als Kür. Man tut es, um selbst wieder zu erhalten. Das freie Ich lebt vom schenken! Es findet die Erfüllung im Wohl des/der anderen. Es ist die Art von Liebe, wie sie von Paulus im Römer-Brief beschrieben wird. Eine freie Gesellschaft lebt ebenfalls vom schenken. Das bloße einfordern gehört an die gebundene Welt und zum gebundenen ich.

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Machen Gesetze bessere Menschen?

Mann drückt Paragraph-SymbolIndividualismus wird oft mit Egoismus verwechselt. Letzterer verlangt nach einschränkenden Maßregeln, der erste die bedingungslose Freiheit, wenn es sie denn gibt. Die große Frage lautet: Führen Gesetze näher an die individuelle Freiheit des Menschen heran oder von ihnen weg? Und: Was bezwecken Gesetze eigentlich?

Ist der „ethische Individualismus“, wie Rudolf Steiner jene Geisteshaltung nennt, die den Menschen zur Freiheit führen soll, geeignet, sich über Gesetze und Richtlinien zu verwirklichen? Das heißt, anders gefragt: wird der sittliche Mensch durch die Gesetze besser – oder gar schlechter? Lässt sich die Frage vom Standpunkt eines „naiven Realismus“ überhaupt beantworten? Welch Drama steckt in der Beurteilung dieser Frage! Und wie existentiell ist sie, heute mehr denn je, geworden!

Der (fortgeschrittene) „naive Realist“ sagt: ich glaube nur an das, was ich sehe! Und ich sehe, wie sich die Menschen verhalten! Sie sind, leider, moralisch so labile Geschöpfe, dass sie ohne äußere Einschränkungen (Gesetze, Sittengebräuche, Normen usw.) masslos werden und ihrem Zerfall entgegen steuern würden. Wir können durch die Gesetze diesen Zerfall ein Stück weit aufhalten. Deshalb müssen wir besorgt sein, dass wir die Lücken immer dichter schließen und das System durch Kontrolle und einem “gesunden“ Misstrauen gegenüber diesen Kriminellen, „Freidenkern“ und Anarchisten, aufrecht erhalten. Dies dient dem Wohle aller! Ansonsten werden wir gnadenlos ausgenutzt. Es braucht dafür wohl keine Beweise! Du findest das Übel an jeder Strassenecke und auf den Titelseiten jeder Tageszeitung. Im besten Fall werden die Gesetze von einer demokratischen Mehrheit des Volkes bestimmt (dafür gibt es leider nur wenige Beispiele auf der Welt). Im schlechteren Falle durch ein paar hundert Parlamentarier (was der Norm eines “westlichen“ Staates entspricht). Und im allerschlechtesten Fall von einem Monarchen oder, vielleicht noch schlimmer, von einem Diktator (was faktisch leider noch die meist praktizierte Staatsform auf dieser zivilisierten Welt ist). In dieser Bandbreite bestehen die Entwicklungspotenziale. Mehr liegt nicht drin!

Da kann man nur sagen: ja, sicherlich, deine Analyse ist klar, sachlich und verständlich und, von deinem Standpunkt aus betrachtet, unausweichlich! Aber dann müssen wir auch nicht weiter über die Freiheit reden. Eine höhere Form der Freiheit als die des tun und lassen Könnens, was jeder und jede will zur Erlangung egoistischer Ziele, kann und wird es nicht geben – und letzteres ist ja wohl kaum erstrebenswert. Was übrig bleibt, ist das oben erwähnte „System“. Es garantiert einen relativen Frieden auf Erden. Wenngleich im besten Fall (dem der Volksdemokratie) immerhin ein Quäntchen Individualismus hängen bleibt, so kann er zumindest kaum ethisch genannt werden, sondern unterliegt der steten Gefahr einer riesigen Maschinerie von professioneller Gehirnwäsche durch Werbung, Marketing und Machtdemonstrationen der Regierenden und jenen, die es werden wollen.

Dann kommt der „metaphysische Realist“ auf die Bühne und sagt: hört mir zu! Die Gesetze sind doch niemals alles! So kann man keine „sittlichen Menschen erziehen“! Es gibt doch eine innere Stimme in uns, in jedem von euch allen, nenne sie die „Stimme des Gewissens“, „Gottes Stimme“ oder anders! Sie sagt uns, was richtig oder falsch, gut oder böse ist. Wir müssen nur lernen, auf sie zu hören, dann werden wir auch in rechter Weise handeln können!

Ja!
…aber die Stimme des Gewissens ist an deine persönliche Moral gebunden. Sie ist das Produkt, die Essenz deiner Glaubenssätze und Ideale, die du dir aus deiner Lebensgeschichte zusammen geschustert hast! Die Freiheit bleibt also auch hier auf der Strecke. Sie ist keine wirkliche Freiheit, sondern resultiert aus einem ewigen, reibungsvollen Kampf: dem Gewissenskampf mit dir selbst. Du bist ihm ausgeliefert bis ans Ende deiner Tage. Es bleibt dir keine Wahl, du kannst bestenfalls als kleines, elendes Würmchen des Kosmos in der Erde herumwühlen und so elendiglich krepieren.
Auch hier müssen wir kaum weiter über Freiheit diskutieren. Die egoistische Variante wäre, dass Du glaubst, du seist alleinig Gott selbst und somit das Zentrum der Welt! Dein Gewissen sei die objektive Wahrheit, nach der sich alle anderen Menschen zu richten haben!

Freiheit, die auf Kosten anderer erkämpft wird, nennt man Egoismus | Und damit sind wir wieder bei den Gesetzen angelangt. Anders ist keiner dieser Varianten beizukommen, als durch Gesetze, will man sich nicht in äußere Knechtschaft einzelner „Autonomen“ begeben. Zwar sind die Gesetze auch nicht zwingend objektiv und allgemein gültig, aber sie resultieren, wie wir gesehen haben, im besten Fall nicht nur aus wenigen oder aus einer Stimme (Monarchie, Diktatur), sondern aus der (vermeintlichen) Mehrheit. Zwar ist auch diese „Mehrheit“ oftmals ein Trugschluss, aber es genügt vorläufig, bei diesem Gedanken zu bleiben, denn auch aus ihr wird die Frage der Freiheit nicht befriedigend beantwortet werden können. Der Fokus wird nur immer wieder auf die äußeren Verhältnisse hingelenkt. Man bedenke die oftmals als „Gegenbeweis“ der Freiheitsphilosophie aufgeführten Beispiele eines Verbrechens als Ausdruck einer solchen “freien individuellen Handlung“. Es sei hier nochmals deutlich ausgesprochen: sie haben allesamt nichts mit der Individualität im genannten Sinn zu tun, sondern entspringen immer einem egoistischen Trieb und der ist das objektivste im Menschen!

Zu einer inneren, wirklichen Freiheit kommen wir auf diesem Weg nie. Eingeleitet wird dieser Schritt nur immer durch die ehrliche und konsequente Selbstbeobachtung. Im Akt der Selbsterkenntnis erst, durchschaut der Mensch die Motive seines eigenen Handelns. Dazu reicht die rein analytisch reflektierte Rückschau nicht aus, weil wir dadurch auf der Gedankenebene bleiben. Wir beurteilen (und verurteilten) dabei die eigene oder fremde Sachlage lediglich aus einem anderen Blickwinkel heraus – und umgehen dabei elegant das eigentliche Zentrum unseres Seins. Erst im gegenwärtigen Augenblicke vermögen wir sie anschauend zu verlassen.

Darauf kommt es an und nur darauf! Im Jetzt “erwischen“ wir die wahren Motive und zwar nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren! Erstere bestimmen den naiven Realismus, letztere den metaphysischen. In diesem Selbst beobachten haben wir den Standpunkt „erhöht“. Wir sind aus uns selbst herausgetreten. Heraus aus dem verhafteten, automatisierten Schablonenmenschen. An diesem haftet unser Ego. Der neu gewonnene Standpunkt vermag uns aus diesem zu befreien. Wir erleben jetzt eine neue Bewusstseinsqualität, die Intuition genannt werden kann! Die wahren, menschenfreundlichen Gesetze und Erfindungen sind allesamt aus solchen Intuitionen heraus entstanden! Durch die „Erhebung“ des Bewusstseins auf diesen Punkt, verbinden wir uns sozusagen mit der einheitlichen Welt, mit dem All-Einen, aus dem heraus solche bewusstseinsübergreifende Intuitionen entstehen, an denen alle Menschen mitwirken. Die Erfahrung bringt es zutage! Wir haben Anteil an einer gemeinsamen Welt eines großen geistigen Ganzen. Hier, und nur hier, wohnt die wahre Natur der Freiheit! Sie ist bedingungslos und ein im höchsten Grade sittlicher Zustand. Wäre der ganzen Menschheit diese Erfahrung präsent, oder besser: gegenwärtig, dann würden sämtliche Gesetze und Vorschriften hinfällig. Die Motive der Handlungen jedes Menschen entsprächen einem ethischen Individualismus (siehe „Philosophie der Freiheit“, Rudolf Steiner) und würden von jedes Menschen spezifischer Form, durch seine individuelle moralische “Technik“ verwirklicht und realisiert. So verwandeln wir den zweckbestimmten Naturmenschen zum freien Geistmenschen.

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Vom Sinn des Lebens

Sinn des Lebens Irgendwann in ihrer weltlichen Karriere stellen sich viele Menschen die Frage nach dem „Sinn ihres Lebens“. Nur wenige sind fraglos zufrieden und glücklich mit dem, was sie haben, auch (oder gerade?) wenn sie viel besitzen.
In meiner Tätigkeit als Therapeut wurde ich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten häufig mit Sinnfragen aller Art konfrontiert, die im Grunde immer auf ein „zu sich kommen“ hinzielen. Nur, was heißt „zu sich kommen“?

Begegnet man Menschen, die sich intensiv mit spirituellen Fragen beschäftigen, hört man oft unterschiedliche „Weisheiten“ zu dem Thema, die manchmal sehr unbefriedigend sein können. So hört man dort auch oft den Einwand, dass man nicht zuviel darüber nachdenken sollte, was der „Sinn des Lebens“ sei, sondern lernen müsse, mehr „in sich hinein zu fühlen“. Die Frage allein schon, so heißt es dann, zeige auf, dass man zu sehr „im Kopfe“ sei, was ein Hindernis in der spirituellen Entwicklung bedeute. Die „Suche“ nach dem Sinn des Lebens, heißt es dann oft, höre dann ganz auf, wenn man im „Jetzt“ angekommen und gegenwärtig „geworden“ sei, sich quasi „gefunden“ habe. Hm, schön erklärt, dann nichts wie los, fangen wir gleich damit an! Hören Sie also auf zu denken!

Da diesen Anspruch (des im „Jetzt“ lebens) die meisten Menschen (noch) nicht erfüllen können und man in der Gegenwart auch nicht „geworden ist“ (sondern zeitlos „ist“), stellt sich die Frage halt weiterhin und von neuem – und man kommt zunächst nur mit Denken weiter. Mit dieser Antwort ist also nicht viel gewonnen. Verkürzt hieße die Lösung des Problems für mich vielleicht etwa so: Der Sinn des Lebens besteht darin, Erfahrungen zu sammeln, um sich weiter zu entwickeln. Was damit aber nicht beantwortet ist und zuweilen einen fahlen Geschmack hinterlässt ist die Frage, für wen oder wozu man dies denn tun solle, was bringts, wem hilfts? Für sich selbst? Sozusagen, als Ego-Trip? Hm, unbefriedigend. Für die „Verbesserung der Welt“ oder der Schaffung „kultureller Vielfalt“ usw? Doch was ist „besser“? Und warum soll man das Denken dabei ausschalten? Stehen die Gefühle tatsächlich höher als die Gedanken? Oder ist dies ein Trugschluss?

Immerhin haben Sie jetzt schon kräftig mitgedacht und womöglich den Kopf hin und wieder in die eine oder andere Richtung bewegt. Bis hierher haben Sie übrigens schon die durchschnittliche Seitenbesuchsdauer auf diesem Blog erreicht! Sie können jetzt also getrost wegklicken…

Sollten Sie aber dennoch unbedingt weiter lesen wollen, so fragen Sie sich, warum Sie dies tun und warum Sie den Kopf geschüttelt haben. Weil Sie vermutlich eine eigene Meinung dazu gebildet haben? Möglich, sonst hätten Sie sich kaum für den Artikel interessiert oder schon gar nicht weitergelesen. Das Bewegen Ihres Kopfes bestätigte – oder tadelte – die von mir angeführten Gedanken. Das heißt, dass Sie sich bereits im Laufe der Jahre ein persönliches, nämlich Ihr (Lebens-) Konzept erarbeitet haben. Aus dessen Erfahrungsschatz beziehen Sie nun Ihre Urteile. Und davon möchten Sie sich jetzt womöglich nicht so leicht umstimmen lassen! Ein solches Konzept ist zum Beispiel jenes einer Gefühlsmystik? Wie auch immer Ihres aussehen mag, es beruhte und beruht jedenfalls auf intensivster gedanklicher Arbeit Ihrerseits. Wenn Sie jetzt damit auf die Welt blicken, können Sie relativ schnell eine Einschätzung diverser Situationen zu verschiedenen Themen abgeben. Ihre Gefühle richten sich indessen ganz an das von Ihnen geschaffene Weltbild. Sie empfinden Missmut, wenn Ihnen etwas widerfährt, was sich in der Abgleichung mit Ihren eigenen Konzepten wenig oder gar nicht decken lässt. Und das Gegenteil passiert Ihnen im Fall der teilweisen oder totalen Übereinstimmung. Dann nämlich sind Sie vermutlich glücklich mit dem vorgebrachten oder gelesenen.

Mag sein, sagen Sie, aber was hat das Ganze nun mit dem Sinn des Lebens zu tun? Scheinbar wenig – und doch sehr viel! Will heißen, Ihre persönliche Situation und das Leid, die Freude im Leben, hat immer mit einer dieser inneren „Abstimmungen“ oder „Abgleichungen“ der anderen Inhalte zu tun. Glück oder Unglück fühlen sich an wie gestimmte oder ungestimmte Saiten auf dem Instrument Ihrer Seele. Dies lässt Sie hoffen oder zweifeln, lieben oder hassen. Das ist alles?
Sind wir also, so kann man sich jetzt fragen, hoffnungslose Automaten, nur immer dem Wind, den Wellen oder dem Sturm eines inneren Seelenmeeres ausgeliefert? Heißt die Losung des Übels bestenfalls „positiv denken“ um einigermaßen über die Runden zu kommen? Und was ist der Sinn dahinter?

Allein das Gewahr werden dieser Tatsache enthüllt so manches Leid. Und insofern Sie dies immer näher an der Gegenwart tun (und nicht erst im nachdenken oder reflektieren!), enthüllt sich Ihnen auf einmal etwas Neues. Dieses „dahinter erleben„, deckt eine Schicht ab, unter der Sie zuvor eingehüllt, sozusagen eingenebelt waren. Nur aus dieser neuen Perspektive heraus, in der Selbstbeobachtung (neudeutsch Selbst-Reflexion), können Sie auf sich selbst blicken oder eben zu sich selbst kommen. Damit treten Sie heraus aus der „Gefangenschaft“ Ihrer Seele. Die Wellen können Ihnen nichts mehr anhaben, denn Sie wandeln jetzt auf ihnen (wie Jesus dies getan hat, ein sehr schönes Sinnbild!!). Aus dieser neuen Perspektive heraus begreifen Sie erst ihr wahres Leben, ihr Schicksal und Ihr Verhalten!
Dies geht selten von heute auf morgen, sondern ist mit steter Übung verbunden. Immer wieder werden wir dabei fallen (oder absaufen)! Wir sehen aber dieses „Licht am Ende des Tunnels“ stets deutlicher und richten unser Leben mehr und mehr darauf hin aus.

Der Eintritt in das Innerste hat begonnen. Das ist der primäre Sinn des Lebens…

Nur ist dies kein Ego-Trip. Denn dieses Ego haben Sie soeben verlassen. Und Sie werden erst jetzt die wirkliche Verbundenheit mit der Welt erfahren können. Damit aber hat sich wohl auch die zweite Frage erledigt, jene nach dem wozu und für wen. Alles ist immer für alle, aber immer aus Ihrer intuitiv erfassten, individuellen, situationsangepassten (moralisch abgestimmten) und somit freienTat heraus, will heißen aus dem JETZT.
Das klingt zunächst unverständlich und schmeckt sehr nach bloßem daran glauben und diesem viel beschworenen Wir-Gefühl der Eso-Szene. Und dennoch kennen die meisten Menschen dieses Erlebnis wenigstens ansatzweise. Nur vergisst man es (oder besser: sich selbst) ständig wieder. Kaum hat uns die Nebeldecke der Vorstellungen und Glaubenssätzen wieder erfasst und eingelullt, ist es schwer, an eine Sonne darüber zu glauben. Da hilft nur dranbleiben…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Endlose Jagd nach Inhalten

JagdDie Hauptaufgabe der Bewusstseinsentwicklung kann nicht primär darin bestehen, immer neue Inhalte (informative Seite) zu schaffen und einzuverleiben. Der Blick und die Jagd nach Inhalt verdeckt den dahinterliegenden Vorgang der (Selbst-) Erkenntnis. Ich erachte diesen als das entscheidende Bewusstseins-Werkzeug unserer Zeit.

Dieses Aushalten des Inhaltslosen ist für die stets nach Sensation und Action ringende Seelenverfassung unserer modernen Gesellschaft ein unhaltbarer Zustand. Die Welt soll die Nahrung liefern, der es uns aus uns selbst heraus ermangelt.
„Erkenntnis-Dramatik“ vollzieht sich an einem Punkt, nicht an der Breitseite des Lebens und ebenso wenig am Panorama der sichtbaren Welt. Und um diesen einen Punkt geht es. Er ist das Nadelöhr jeglicher spiritueller Entwicklung. Gewiss, man kann das bestreiten, wie man alles bestreiten kann. Man kann die Wahrnehmung und die sogenannten „realen Verhältnisse“ überbewerten und ins Zentrum rücken. Dort wird man endlos und vergeblich nach Geist suchen. Deshalb wird von vielen auch bestritten, dass es ihn gibt (naiver Atheismus und Realismus usw.). Der eigene (geistige) Denkakt wird dabei übersehen.

Nur wer versteht, dass im Ineinandergreifen von Begriff und Wahrnehmung das innere Licht im Subjekt des Denkenden erscheint, hat das Werkzeug zu unmittelbarer geistiger Erkenntnis in der Hand. Wer die Inhalte selbstvergessend alleine auf der Wahrnehmungsseite sucht, wird nichts dergleichen finden. Die materiellen Erscheinungen der Welt erschließen sich im Erkenntnisakt jedes einzelnen. Das Erleben tritt, geistesgegenwärtig, am Schnittpunkt von Welt und Ich auf.

Das ist der Punkt, um den sich ALLES dreht…

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Darauf bezieht sich auch der Fokus des Inhaltlichen dieses Blogs. Es ist sozusagen der (letzte) Inhalt vor dem Inhaltslosen. Indem wir unser Augenmerk auf die Außenwelt lenken, versinken wir wahrnehmend und vorstellend in ihr. Wir tauchen ab in unsere Gedankeninhalte und sehen mit diesen in die Welt hinaus. Das tue ich auch in diesem Augenblick. Nur mache ich selbst beobachtend auf eben diesen Tatbestand aufmerksam! Wir können diese Gedanken auch auf uns selber richten, denn wir sind ein Teil dieser Außenwelt, insofern wir einen Körper haben. Ja selbst unsere Gefühle und Taten orientieren sich meistens daran. Bleibt noch das Denken übrig. Aber genau dieses vergessen wir normalerweise im tätigen Akt. Wir können nicht denkend das Denken denken! Aber wir können einen neuen Standpunkt „erobern“, der außerhalb des Denkens steht, und den Fluss der Gedanken beobachten. Dies geschieht im Jetzt. Wer das bestreitet, dem steht eine Erfahrung bevor. (Dazu empfehle ich die Videos von Eckhard Tolle, für mich einer der zündenden Faktoren geistigen Erwachens)

Erst an diesem Punkt wird die „Schwelle“ zur geistigen Welt überschritten. Dies zeigt schon der Tatbestand, dass der Punkt selbst nur gedanklich gefasst werden kann und nichts real materielles darstellt. An dieser Schwelle befinden wir uns schon lange. Deren dumpfes Erleben erzeugt Leid und Schmerz! Leiden heißt Angst haben, Angst vor der Absonderung, der Abspaltung zu unserem geistigen Kern. Wir sind Doppelwesen. Mit einem Teil verankert in der physischen Welt, der andere lebt jenseits dieser Schwelle und möchte sich mit dem materiellen Teil vereinigen. Das verhaftet sein mit diesem spaltet unser Bewusstsein ab von jenem. Es erlebt sich als Teilselbst, beziehungsweise in vielen Teilselbsten! (Konzept Voice Dialogue)

Und weil die Erfahrung des vom Inhalt unabhängigen „Punktes“, zentral, im wahrsten Sinne des Wortes ent-scheidend für die Bewusstseinsentwicklung des Menschen und der Menschheit ist, spreche ich ausschließlich über sie. Jedes Festhalten an „interessanten Inhalten“, könnte von diesem einen, realen Erlebnis ablenken. Neue (geistige) Inhalte (Intuition genannt) werden später daraus entstehen können und erneut ins volle Leben eingreifen. Sie bilden sich aus der in dieser Weise neu geschaffenen Verbindung von (Selbst-)Beobachtung, Intuition und Begriff. Wohlan, sie können auch ohne dieses Schwellenerlebnis, von jenen die es erfahren haben, vermittelt werden und sie zeigen möglicherweise sogar nachhaltige Wirkung. Genau so gut können sie aber auch eine Art Genügsamkeit, blosse Neugier und blinden Glauben erwecken. – „Hat der Doktor nicht schön gesprochen?!„, hallt es dann nach oder: – „Hoch interessant, diese geistigen Zusammenhänge!“ Solche und ähnliche Begründungen brennen sich schnell in die Gehirne spiritueller Anhänger ein. Sie kennen keinen Stachel mehr, der sie auf den eigenen Weg führt. Der Glaube daran, dass es keine Erkenntnisgrenze gibt und die Tatsache allein, dass unser geliebter Lehrer dies auch so denkt, vermag diese noch nicht wegzuschaffen! Das gelingt nur in jedem einzelnen Menschen, der sich auf den Weg zur Selbsterkenntnis macht!

„Eigentlich ist der Grundgedanke meiner „Philosophie der Freiheit“ gewesen, dass ich aufmerksam darauf gemacht habe: In das Denken, dass sich der moderne Mensch erworben hat, kann er sein Ich-Wesen wirklich hineinschieben… Und so wird der Mensch seines Ich-Wesens sich wirklich bewusst im reinen Denken, wenn er so die Gedanken fasst, dass er aktiv, tätig in ihnen lebt.“ Rudolf Steiner (aus einem Vortrag vom 03. Februar 1923)

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Gespräch mit Rudolf Steiner

rudolf-steinerZum 154. Geburtstag Rudolf Steiners (1861-1925)…

Virtueller, in künstlerischer Weise gestalteter Dialog mit Rudolf Steiner zur heutigen Weltlage und der persönlichen Situation des anthroposophischen Impulses. Das Thema will zu einem Dialog über die „Anthroposophie“ Rudolf Steiners (und darüber hinaus) anregen. Es folgen Fortsetzungen…

UW: Herr Doktor Steiner, ich bedanke mich herzlich, dass Sie sich die Zeit nehmen, dieses Gespräch zu führen!

RS: Ich bedanke mich!

UW: Etwas, was  mir seit Jahren auf dem Herzen liegt und mich sehr beschäftigt, und was ich Sie gerne zuerst fragen möchte, ist folgendes. Wenn ich heute in die Welt schaue und all die Ereignisse um mich herum wahrnehme, die tagtäglichen menschenfeindlichen Geschehnisse, so kommt es mir vor, als ob es nicht gelingen will, wirkliche und nachhaltige Fortschritte im Sinne der von Ihnen initiieren Anthroposophie wahrzunehmen. Zumindest was die Entwicklung der einzelnen Menschen angeht, kann man doch gewiss ein paar Fragen stellen. Die Verstrickungen in die festgefahrenen materiellen Verhältnisse, die vielen Kriege und Missstände, scheinen mir so komplex, unüberbrückbar und unverrückbar geworden zu sein, dass ich den Sinn und Zweck einer anthroposophischen Geisteswissenschaft, wie sie heute betrieben wird, nicht mehr richtig nachvollziehen kann. Wenn Sie nun heute, als Begründer dieser weltweiten Bewegung, hineinschauen in deren Wirken und Tun, was wäre das allerwichtigste und aller dringlichste, was Sie den Menschen, die sich damit verbunden fühlen, sagen möchten?

RS: Diese Frage scheint mir durchaus berechtigt! – Denn tatsächlich ist es ja so, dass sich nach meinem Tode so manche Dinge zugetragen und verzerrt haben und in verschiedene Richtungen auseinander getrieben wurden. Das ist der Preis dafür, dass man vielerorts selbst nicht mehr zusammenhalten kann, was zu meinen Lebzeiten noch an der eigenen Person „gemessen“ werden konnte. Aber genau dieses „Messen an einer anderen Person“, ist das allerschlimmste, was passieren kann und konnte. Die Inhalte der von mir damals „Anthroposophie“ genannten Geisteswissenschaft, blieben als Reste in allem zurück, was davon schriftlich in einem für die damaligen Verhältnisse angepassten Begriffssystem, übrig geblieben ist. Damals war aber eine ganz andere Zeit und es galten andere geistige Gesetze als heute! Das gilt es zu erkennen! Heute müsste alles viel unmittelbarer und direkter und mit großer Einfühlung in die Verhältnisse geschehen. Es dürfte nichts mehr in der gleichen Weise an den von mir seinerzeit vermittelten Inhalten hängen bleiben. Das liegt allerdings mehr an der Verwandlung der Begrifflichkeit, als am damals vermittelten geistigen Kern der Aussagen und Erkenntnisse.

UW: Können Sie uns diesen Punkt noch etwas genauer erläutern?

RS: Gut, ich gebe ein Beispiel: Die von mir im Jahre 1894 geschriebene „Philosophie der Freiheit“, war der Einstieg einer denkend durchdrungenen Gesinnung und Geisteshaltung, die, richtig verstanden, zur Schwelle einer dahinter, im verborgenen liegenden – für das normale Bewusstsein nicht zugänglichen, nicht materiellen – geistigen Welt führen sollte. Es war der Versuch, auf philosophischem Wege, heranzuführen an diese Schwelle. Alles dasjenige, was ich im Weiteren schrieb und vorgetragen hatte, sollte an dieses Schwellenerlebnis anschliessen, was jeden nach Erkenntnis strebenden Menschen in seinem tiefsten Wesen ansprechen sollte. Das Durchschreiten dieses Nullpunktes, dieses Nadelöhrs aus dem philosophischen Kontext heraus, war aber dasjenige, was ich für den Zeitgeist und dem wissenschaftlichen Verständnis am Ende des 19. Jahrhunderts für das dringlichste empfunden habe. Um von Innen her an die Inhalte heranzukommen, im Nacherleben heranzukommen, die ich den Menschen damals mitteilte, musste die künstlich gezogene Grenze des Dualismus von der zur Selbsterkenntnis drängenden Seele durchbrochen werden. Der Begriff „Anthroposophie“ war schlicht die Weiterführung der bis dahin auf dem Erkenntnisweg geltenden Philosophie. Er ist, wie alle Begriffe, zugleich zu einem Hindernis geworden und ich hätte ihn am liebsten täglich neu erschaffen! So wie alles, was sich daraus ergibt, immer nur im eigenschöpferischen Nachschaffen und Neubilden, in einer Art „ethischem Individualismus“ und durch „moralische Impulse“, möglich wird. Daraus enstehen stets neue und überraschende, freie Erkenntnisse, die jeder für sich aber erst mit der jeweiligen eigenen „moralischen Technik“ erschaffen muss, bis sie tätig umgesetzt werden kann. Nur wer sich in diesem Sinne an der Schwelle befindet – oder wer sie überschreitet und in diesen Innenraum eintreten kann – ist im wahren Sinne ein „Anthroposoph“, also einer, der der „Weisheit des Menschen“ von innen heraus erlebend gegenübertreten kann.

UW: Erlauben Sie mir die Frage: Inwiefern wird denn in diesem Kontext heute, aus Ihrer Sicht betrachtet, „Anthroposophie“ betrieben und in diesem von Ihnen gemeinten Sinne weitergeführt?

RS: Weitergeführt werden kann sie ja nur aus der Innenschau heraus. Das heißt, aus dem Erleben heraus! „Anthroposophie“ ist ja eigentlich eine Erfahrungswissenschaft. Sie erfordert Erkenntnisse der sogenannten „höheren Welten“ (auch das sind ja alles zunächst nur Begriffe!). Das meiste, was ich heute wahrnehme, ist noch immer an das Erleben dessen gebunden und verhaftet, was ich in der damaligen Terminologie die „Verstandes- und Gemütsseele“ nannte. Das heisst, es besteht aus einem analytischen und kombinierenden Zusammenreimen von verschiedenen Inhalten, im Sinne des metaphysischen Realismus. Dabei sind die einzelnen Inhalte durchaus richtig, aber es fehlt das „geistige Band“, beziehungsweise die Bewusstwerdung der bereits schon im Erkenntnisakt betriebenen ideellen Gedankengebilde, die der metaphysische Realist vergisst! Dieses „geistige Band“ kann nur über das eigene Nacherleben – in der Selbsterkenntnis – geschaffen werden. Was sich in dieser Weise, der „Verstandesseele“ offenbaren kann, sind nur sehr eingeschränkte, fragmentierte Erkenntnisse, die sehr schnell auch in Verirrungen und Wirrnisse führen können, weil das verbindende Glied fehlt. Der Intellekt erfordert in diesem Sinne keine Erlebnisse, denn er kann auch ohne diese seine Schlüsse ziehen! Genauso wie die materielle Welt, die „Dinge an sich“, ebenso gut ohne unsere Erkenntnisse existieren können.

UW: Was muss denn heute getan werden, damit die Anthroposophie wieder den Faden aufnehmen kann, der verloren zu sein scheint?

RS: Der geistige Faden ist es, der wieder gefunden werden muss. Das heißt nicht weniger, als dass eine neue Erkenntnisstufe erreicht werden muss. Dazu ist aber dringend notwendig, dasjenige zu erreichen, was ich damals mit dem Begriff „Bewusstseinsseele“ in Verbindung gebracht habe. Es ist heute dringender denn je geworden, diesen Schritt wirklich und bedingungslos zu tun! Die Bewusstseinsseelenentwicklung in diesem Sinne verlangt zunächst Selbstbesinnung und dann Selbstbeobachtung. Das Zurückgehen von all den Inhalten und Gebilden, die man sich wie eine neue Sprache angeeignet hat, das Zurückgehen auf sich selbst, auf die Tätigkeit im eigenen Seelenleben, auf die Gedanken und Gefühle, die in jedem Menschen leben, konsequent zu beachten. Diese Art von Selbstbesinnung, wie ich sie auch in meiner „Geheimwissenschaft im Umriss“ damals beschrieben habe, ist der entscheidende Schlüssel auf dem Wege zum Erleben einer geistigen Realität. Alle andere Erfahrung ist stets umhüllt von den Vorstellungen und Gedankengebilden, die wir uns selbst auferlegt haben im Laufe unseres Lebens. Sie werden dem wissenschaftlichen Anspruch der geistigen Erkenntnis nicht gerecht und finden keinen rechten Boden auf der neu zu erwerbenden Stufe der Bewusstseinsentwicklung des Menschen

UW: Wenn das Wirken der Anthroposophie in diesem Sinne gefasst werden soll, dann stellt sich mir die dringende Frage nach einer Erneuerung der Bewegung und wie sie sich auf diese direkte Art und Weise diesen neuen Boden schaffen soll. Immerhin sind die Wurzeln tief im Boden der bloßen Ideenwelt bereits weit ausgetrieben.

RS: Die Wurzeln müssen auch dort tief verankert sein. Wenn daraus aber etwas entstehen soll, was die Sphäre der bloßen Ideenwissenschaft überwindet, dann muss das bereits Errungene zuerst völlig losgelassen werden. Das Wissen, welches angesammelt wurde und die festgefahrene, überfüllte, abstrakte Terminologie, muss neu aus jedem Menschen durch eigene Erlebnisse, geschaffen werden. Was als „geistiger Zusammenhang“ nur mit dem Verstande begriffen wird, jedoch jeglicher Erfahrung entbehrt, bildet nicht nur Schleier, sondern Krusten vor dem geistigen Schauen. Es verdeckt und verhüllt das Wesentliche und verhindert genau dasjenige, was gesucht werden will… (—.— längeres Schweigen)

UW: Doktor Steiner, Sie beschrieben in dem eben von Ihnen genannten Buch „Geheimwissenschaft im Umriss“ den Weg zu geistiger Erkenntnis so, dass Sie davon erzählten, die Dinge dieser geistigen Welt müssten zuerst geschildert werden, bevor man dort selbst durch eine meditative, spirituelle Schulung in rechter Weise eintreten könne. Es stand dort folgendermaßen geschrieben: „Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Welt ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos“. Das war ja auch der Grund, weshalb Sie den praktischen Teil in diesem Buch, das ja so etwas wie ein Gesamtüberblick der Anthroposophie darstellte, dem inhaltlichen, theoretischen Teil hinten anzustellen.

RS: Heute würde ich den Begriff „Geheimwissenschaft“ durch „Geisteswissenschaft“ ersetzen, also „Geisteswissenschaft im Umriss“ oder besser „Anthroposophische Geisteswissenschaft im Umriss“ Denn geheim ist im Grunde nichts darin. Es sind „offenbare Geheimnisse“, die sich durch das entsprechende Bewusstsein jedem erschließen können, der sich darum bemüht.
Doch nun zu Ihrer Frage: Diese Abfolge machte ich allerdings mit Bedacht. Liest man jenes Buch genauer, so wird man die Sache doch etwas differenzierter ansehen müssen. Der „theoretische Teil“, wie Sie es nennen, will eben bereits weit über dasjenige hinausgehen, was bloße Theorie im intellektuellen Sinne meint. Nicht darauf kommt es an, dass man den Inhalt nur gedanklich aufnimmt und als Wissen verwertet. Das genau tut im üblichen Sinne die Verstandesseele. Was für das praktische Leben durchaus sinnvoll und richtig ist, gilt nicht für das Aufnehmen der vorgetragenen übersinnlichen Inhalte. Vielmehr lebt sich der sich selbst gewahrende Geist im selbstbewussten Aufnehmen solcher Inhalte alleine durch das Mit-Denken erkennend und empfindend in den Inhalt ein. Das ist im Grunde schon der erste, aber sehr wichtige Schritt hin zur Geistesschulung. Auf diesem Weg werden Inhalte nicht dogmatisch übermittelt und weiter gegeben, wie man vielleicht meinen könnte. Vielmehr wird der Leser Miterkenner durch Selbstbesinnung. Dadurch wird nicht der Verstand angesprochen, ebenso wenig eine unterschwellige suggestive Ebene, sondern der sich selbst erkennende Mensch. So gesehen beginnt die Geistesschulung bereits in der Wahrnehmung der Welt.

Es folgen weitere Teile…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freiheitsaspekt in der (anthroposophischen) Kunst

GoetheanumViele Menschen verstehen unter Freiheit zunächst jene nach dem bedingungslosen „tun und  lassen können, was man will“. Das ist sozusagen die „Freiheit vom Einfluss der Anderen“, von einem anderen Menschen, einem Gesetz oder einer Mode usw. Diese Freiheit ist bei dieser Darstellung nicht gemeint, sondern eine persönliche „innere Freiheit“. Also die Freiheit des eigenen Ich vor Konventionen, Modeerscheinungen, Traditionen und von den eigenen festgefahrenen Vorstellungen und Ideen.

Dies verlangt – wie immer in solchen Fragen – Selbstreflexion, aber davon soll jetzt nicht die Rede sein…

Freiheit ja! Aber von was?

Als ich vor über 30 Jahren selbst als konventioneller, junger Architekt eine Reihenhaussiedlung im Kanton Luzern plante, fand ich es total aufregend, als ich den 60-Grad und den 45-Grad Winkel für Balkongeländer „entdeckte“! Damals wusste ich etwa so viel von Anthroposophie und anthroposophischer Kunst, wie ein Schornsteinfeger vom Tiefseetauchen, aber dennoch glaubte ich mich damit aus einem dogmatischen Engpass befreit zu haben und fühlte mich den anderen „Stümpern“, die halt „noch nicht so weit waren“, überlegen.  Auch wenn das jetzt doch sehr überspitzt dargestellt ist (ich hoffe man spürt die Selbstironie), eines ist Tatsache: Man hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, natürlich auch aus ganz pragmatischen Gründen der Materialkunde – und aus Kostengründen – so sehr an das Dogma des rechten Winkels gewöhnt, dass man sich zum Vornherein schon sämtliche Denkmöglichkeiten nach anderen Gestaltungsaspekten „verbaute“. Zudem sind Häuser ja meistens auch nicht als „Kunstwerke“ angesehen worden. Dennoch könnte man diesen Anspruch bestimmt stellen und das wird ja auch vermehrt getan. Und was hier für die Häuser gilt, kann durchaus auch in anderen Bereichen als formales Prinzip verstanden werden.
Als man vor einigen Jahren in der neueren Kunstszene den Würfel wieder entdeckte (es gibt dutzende prominente Beispiel dafür), schien mir dies wie ein Hohn auf die künstlerisch-formale Entwicklung zu sein. Man wurde sich wie es scheint irgendwie bewusst, dass man sich in den rechten Winkel und in die überzogen klare, oft kalt wirkende Linie „förmlich“ verschossen hatte. Und man fand das so sexy, dass man glaubte, eine Art Renaissance des Bewusstseins vom rechten Winkel und der „Schlichtheit“ zelebrieren zu müssen. Das Gefühl hat im Grunde bis heute angehalten, auch wenn es kaum so formuliert wird.

Anthroposophische Kunst

Viele tun sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel schwer damit, dass bei den Anthroposophen die Häuser alle scheinbar den rechten Winkel vermeiden. Sie finden das furchtbar dogmatisch. Es sei quasi eine anthrovorgeprägte, fixe und festgefahrene Idee. Sie fragen sich, warum man denn das tue. Der so geprägte typische „Anthro-Stil“ wird einem rituell-esoterischen Akt zugesprochen, der mit einem bestimmten Menschenbild zu tun habe. Das kann man in gewisser Weise so sehen, stellt sich nur die Frage: in welcher Hinsicht? Nun haben diese Kritiker offenbar überhaupt keine Mühe damit, dass die meisten ihrer Häuser nur immer den rechten Winkel bevorzugen. Das hingegen finden sie überhaupt nicht dogmatisch. Und es hat natürlich nichts mit ihrem Menschenbild zu tun – und esoterisch ist es schon gar nicht…
Das fühlt sich etwa so an, wie dieser Spruch aus der Bibel, wo der eine den Splitter im Auge des anderen kritisiert, aber den eigenen (vermutlich rechtwinkligen…) Balken vor seinen Augen nicht wahrnimmt. Die Frage, was denn die anthroposophische Kunst mit Freiheit (im Sinne der zweit genannten) zu tun habe und was doch seit Steiners „Philosophie der Freiheit“ ihr zentrales Anliegen sein müsste, ist damit natürlich noch nicht geklärt. Aber die Blickrichtung, in die es gehen soll, wird an diesem Beispiel einigermaßen deutlich vorgezeigt.

Das geistige Potenzial in der Kunst

Was bitte soll denn das „Esoterische“  (im Gegensatz zum „Exoterischen“ – in die Aussenwelt gerichteten) in diesem Kontext sein? Eigentlich ist alles in der Welt immer zuerst als „Potenzial“ vorhanden: Ideen, Gefühle, Vorstellungen. Das haben schon Quantenphysiker wie der bekannte, kürzlich verstorbene Professor Hans-Peter Dürr erkannt. Was konkret geworden ist, hat die Ebene des Potenziellen, des (freien) Gestaltungswillens verlassen und verloren. Das geistige Potenzial ist in diesem Moment abgeschlossen, verewigt, vergewaltigt – ist absolut fertig, quasi „versteinert“, wenn es in die  endgültige, (materiellen) Form gegossen wird.
Freiheit in der Kunst würde adäquat bedeuten, Prozesse offen zu lassen. Die Möglichkeiten, die „in Potentia“ existieren, so lange heraus zu zögern wie möglich, den „Gerinnungsprozess“ in die Form, der ja gleichzeitig ein Verhärtungsprozess ist, zu bremsen und zu entschleunigen. So würde der Ausdruck mehr differenziert, verfeinert und mit einem Inneren abgestimmt.
Wenn wir z. B. sagen, das Gefühl der Lust wollen wir zum Ausdruck bringen, und wir drücken es als Würfelform aus, dann könnte man den Künstler vielleicht nicht ganz ernst nehmen. Wenn er dann das Prinzip Hoffnung ebenfalls durch einen Würfel darstellte, dann kämen doch einige zusätzliche Fragen auf. Würde er schließlich auch das Gefühl der Liebe wieder nur als würfelartiges Gebilde darstellen, dann würde wohl nur noch ein allgemeines Kulturgelächter übrig bleiben. Man würde berechtigterweise an der Kompetenz des Künstlers Zweifel haben, weil die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Umsetzung seiner Themen in diesem Fall sehr beschränkt wären oder besser gesagt: weil er immer nur sich selber, seinen Tick, seine Masche, seine eigene Verkalkung oder die Versklavung an eine Modeerscheinung zelebriert. Wenn dies auch pointiert dargestellt ist, so hat das aufgeführte Beispiel trotz seiner Überzogenheit nicht ganz daneben gegriffen. Vielleicht würde dem Künstler zu jedem Thema tatsächlich ein anderer „Einfall“, eine andere Vorstellung kommen, oder er würde sich schon gar nicht solchen „Themen“ stellen wollen. Vielleicht würde er etwas konstruieren, etwas zusammenbauen, ein Symbol, eine Idee nachbauen (lassen), die er oder sie gegoogelt hat, etwas „was zum Denken anregen soll“ usw.

Prozess der „Materialisierung“

Jetzt kann man fragen: „Was hat der denn immer mit seinen Würfeln! Das scheint wohl sein eigenes Problem zu sein!“ Gewiss gibt es mannigfaltige Kunstformen, die nichts mit einem Würfel zu tun haben. Es geht mir hier auch eher um ein Prinzip. Als Symbol gedacht, kann man das Beispiel als ein Synonym für alles verwenden, was eine Art Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten im umfassenderen Sinne bedeutet.
Die Ausdrucksweise eines Künstlers müsste nach meinem persönlichen Empfinden Rechenschaft darüber abgeben, was Forminhalt werden soll: Eine Art Abgleichung von Forminhalt und dem dahinter stehenden inneren „Potenzial“ müsste passieren. Er würde möglicherweise nie umfassend an dieses herankommen, aber er würde es durch immer neue Versuche mit dem Inneren abstimmen wollen, weil es ihn schlicht dazu treibt, dies zu tun. Denn das Potenzial ist eine in ihm wohnende geistige Realität, die sich durch sein künstlerisches Tun in der Materie Ausdruck verschaffen will.
Auf der Suche danach wird er vielleicht in viele irrige Vorstellungen verwickelt werden, wird mannigfaltige Gefühle wie Zweifel und Ängste, aber auch Überheblichkeit, Stolz oder Arroganz durchleben. Eines Tages wird er aus der künstlerischen Krise heraus vielleicht dahinter kommen, dass seine automatisierten und biografisch bedingten Vorstellungen nie die Wirklichkeit dieses seines inneren Potenzials freigelegt haben, sondern nur immer Schein waren, dass sie das wahre Sein eher verdeckt haben! Umso mehr müssen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel fortan ausgeweitet, der Prozess der „Materialisierung“ (im Stoff) gebremst werden, damit er den Zugang zu dieser „heiligen“ Quelle erreichen kann.

Keine neuen Dogmen schaffen

Um auf das obige Beispiel zurückzukommen, müsste man davon ausgehen, dass ihm mit einem grösseren Spektrum an Vielfalt, ein grösseres Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen würde und er somit diesem Inneren besser und umfassender Ausdruck verschaffen kann. Hat er zwischen 1 und 360 Grad, also im Prinzip alle Winkel, zur Verfügung, so kann er seiner Inspiration näher kommen als derjenige, welcher eben nur den einen Winkel, nämlich den „rechten“ (den er sich selbst vorschreibt), zur Verfügung hat. Selbst wenn der letztere die „Entdeckung des Lebens“ macht und noch den einen oder anderen Winkel dazu nimmt, so bleibt er doch immer noch aussen vor. Man könnte selbstverständlich in gleicher Art und Weise von einem Farben-Spektrum statt von Winkeln, oder von anderen Medien sprechen.
Dies ist aus meiner Perspektive der wesentlichste Aspekt in der anthroposophischen Kunst, sozusagen die „Esoterik“ dahinter. Er steht über jedem intellektuellen Konzept. Die Krux ist allerdings, dass man eben NICHTS zum Dogma machen darf! Weder das „Rundumpanorama“, noch der linear-fixierte eine Blickwinkel oder anderes. Die Verfügbarkeit des möglichst grössten Potenzials zur Umsetzung eigener, innerer Impulse ist entscheidend und nicht ein gedankliches Konzept, selbst dann, wenn es pseudoesoterisch klingt. Insofern geht es immer ums Erleben und nicht nur um individualisierte, persönliche Vorstellungen und Konzepte; ja nicht mal nur um diejenigen Gefühle, die sich an diesen Vorstellungen orientieren. Wenngleich diese Vorstellungen, wenn sie zu „individualisierten Begriffen“ werden, quasi erst das „Salz in der Suppe“ bilden und die künstlerische Entfaltung ermöglichen, so sind sie doch immer nur die „Greifarme“ einer dahinter liegenden geistigen Potenz.

Fazit: Welche Einschränkungen, Modeströmungen oder andere Hürden man sich selbst bei diesem Prozess auch immer verschafft: dieses „Erleben“ in die materielle Darstellung hinein zu zwängen, oder es atmen zu lassen, bleibt dem einzelnen Künstler sein ganz persönliches Problem und hat ebenfalls mit (Selbst-) Bewusstseinserweiterung zu tun.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Authentizität und die Scheinwirklichkeit

Januskopf Wort zum Freitag (dem 13.)
„Authentisch“ will fast jeder und jede sein. Der Begriff ist in aller Munde. Es ist cool, „authentisch“ zu sein: fragt sich nur: authentisch? Womit? Auch Besoffene sind authentisch…

„Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden“, heißt es treffend im Online-Lexikon Wikipedia. Wichtig für diese Sichtweise des eigenen Scheins oder Seins ist allerdings die persönliche Identifikationssituation. Es fragt sich, womit sich ein Mensch am meisten identifiziert: Mit dem Schein oder mit dem Sein? Dazu müsste untersucht werden, welche Attribute sein Leben bestimmen, von was oder wem Mann/Frau sich führen oder bestimmen lässt. Die Gebundenheit an den Schein ist nicht per se etwas Schlechtes! Sie zeigt lediglich einen Lebensaspekt auf, der von äusseren Kriterien geleitet wird. Wir bauen uns im Laufe unseres Lebens so manche äußere (Trutz-) Burg auf, konstruieren so manche Vorstellungen und Gedankengebilde, die sich durch die Verhaftung mit dem Schein zeigen. Dadurch bleiben sie mit dem an die Sinne gebundenen Weltbild verbunden. Würden wir genau dies bei uns selbst erkennen, so würde uns etwas klar werden müssen, was wir bislang schlicht vergessen haben; nämlich dass es eben nur ein Schein war. Wir hatten den Schein gelebt, im Schein gelebt und ihn mit dem Sein verwechselt, ohne es zu bemerken!

Genau diese Erkenntnis spaltet unser Bewusstsein in zwei Hälften; die eine, die im Schein verhaftet bleibt, ohne dies zu erkennen. Die andere, die erwacht und den bisher gelebten Schein wie von außen wahrnimmt! Das doppelte Bewusstsein, welches in einer Persönlichkeit wohnt, löst eine Art Erkenntnisdrama aus und verändert unser Leben dadurch schlagartig! Wir stehen jetzt plötzlich erlebend einem Du gegenüber. Die Verhaftung mit diesem Du in uns, bezeichneten wir landläufig als Ich. Wenn wir sagten, „Ich“ will authentisch sein, dann meinten wir, dem Schein gemäß zu wirken, weil wir nichts anderes als den Schein kannten, weil wir mit ihm verbunden und verknüpft waren. Der Schein war unser Sein. Erst das Heraustreten aus dieser Verhaftung löst den gordischen Knoten der Verbundenheit mit dem „falschen Ich“. Wenn wir ihn zerschlagen, „erlösen“ wir uns, wir erkennen den „Erlöser“ in uns, unser wahres Ich, welches sich aus dem Schein der Dinge und der äußeren Welt herauslöst.

Glauben Sie also nicht jedem, der sich authentisch bezeichnet oder so „scheinen“ will. Genauso in Mode gekommen ist es, „ganzheitlich“ zu sein. Wenn aber diese „Ganzheit“ nur die Welt des Scheins ist, dann ist diese Aussage eine Art „Selbstbetrug“. So wie viele „scheinheilige“ Aussagen Selbstbetrug sind, weil sie eben nur zum Schein heilig sind.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche und scheinbar frohe Faschingszeit 😉

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Esoterischer Determinismus

BildnisSobald wir einen Text lesen oder jemandem zuhören, schaltet sich sofort im Hintergrund „etwas in uns ein“. Es ist so etwas wie ein „Korrekturzentrum“, ein „innerer Kritiker“ in unserem Kopf… Testen Sie es jetzt gleich, in diesem Moment, bei diesem Text! Versuchen Sie darauf zu achten, ob und wie das bei Ihnen passiert! Es könnte sein, dass sich bei Ihnen schon im letzten Satz etwas eingeschlichen hat, was bewirkte, dass Sie sogar diese Tatsache negieren oder dementieren.

Dann sind Sie womöglich gar nicht bis hierher gelangt…

Allein schon das Erkennen, dass so etwas existiert und sich im Hintergrund ihres Denkapparates ständig zuschaltet, ist ein großer spiritueller Gewinn! Es benötigt erste Ansätze für die Fähigkeit der Selbstbeobachtung.

Nur die bedingungslose Hingabe an die innere Tiefe Ihrer selbst, kann letztlich zur Klarheit darüber führen, was Sie wollen, wohin Sie gehen, welche Motive und Impulse Sie leiten und was Sie in Ihrer Entwicklung fördert, fordert oder hindert. Und das ist durchaus nicht intellektuell gemeint.
Der Quelle ist es doch ziemlich egal, wer an ihrem Wasser labt und welche Schlüsse daraus von ihren Bezügern irgendwo im Lauf des Flusses gezogen werden. Der Schlüsse sind ja so viele! Es gibt darunter auch solche, die am Wasser laben, ohne erst an eine Existenz dieser Quelle zu glauben. Die Schlüsse, die sie ziehen, verarbeiten sie mit ihren Instrumenten, den Mikroskopen und anderen vielfältigen Analysewerkzeugen. Dabei stellen sie womöglich fest, wie das Wasser beschaffen sei und was man damit alles tun kann, ohne wissen zu müssen, woher es kommt und wohin es geht.

Im übertragenen Sinne könnte man auch Gott leugnen, eine höhere Macht leugnen, wie sie auch immer heißen mag, jedenfalls etwas, was Leben ausströmt. Man sieht zwar allerorten und jederzeit, wie das Leben fließt, wie es „funktioniert“ und welche Gesetzmäßigkeiten sich daraus gebildet haben und immer wieder neu bilden. Doch das Leben selbst wird in dieser Weise nie erkannt. Es strömt unaufhörlich und sprudelt – wie die Quelle – unerschöpflich. Das Vergehen und Entstehen von solchem Leben ist immer ein Kreislauf, ist zyklisch – und keine lineare Erscheinung, die mit dem Tode endgültig verschwindet.

Begriffe sind genauso aus einer ursprünglichen „Quelle“ entstanden. Aber nicht als Begriff, sondern als Erlebnis! Das Erlebnis formte sich erst mit der Zeit in die Begriffe hinein. Heute ist es eher umgekehrt. Wir lernen die Begriffe, auf welchem Wissensgebiet auch immer. Wir füllen diese Begriffe mit Umschreibungen, Definitionen und kreieren in dieser Weise erst unsere Erlebnisse, wenn überhaupt. Diese so gewonnenen Erlebnisse sind jedoch nicht einheitlich und werden vom Zeitenstrom eingeschränkt, determiniert, in eine feste Form gepresst. Es spielt für unsere Entwicklung eine große Rolle, wann und wie dies geschieht. Ansonsten ist es nicht möglich, das Verbindende darin wiederzufinden. So erging es tausenden von verschiedenen Religionen und Millionen von Weltanschauungen (in jedem Menschen individualisiert), die in unterschiedlichen Zeitabschnitten und an unterschiedlichen Orten entstanden sind und gewirkt haben: Mit unterschiedlichen Traditionen, Hintergründen und ihr jeweils persönlichen Färbung.

Viele dieser Führer und „Begriffsbildner“ labten zwar an ein und derselben Quelle. Doch in der begrifflichen Umwandlung geschahen Abweichungen, verzogen und verformt durch die Sprachen einerseits und durch die persönlichen Ressentiments jedes Einzelnen oder auch der Völker.
Trennung und Krieg waren die fatalen und bis heute nicht kurierbaren Folgen. Denn auf der Ebene der bloßen Terminologie erreichen wir die Quelle nicht mehr unmittelbar, sondern nur mittelbar, getrennt. Das ist die Krux des Dualismus. Wir können immer nur, bestenfalls, auf sie (die Quelle) hinweisen. Wir können etwas umschreiben, einen Tatbestand, etwas, was diese Quelle umhüllt, verdeckt. Nur die Quelle selbst ist nicht mehr benennbar. Sie ist außerhalb des Begrifflichen. Sie kann nur erlebt werden! Das ist der tiefere Sinn der Aussage (im christlichen Kontext): Du sollst Dir kein Bildnis machen! Mit „Bildnis“ ist allerdings nicht unbedingt ein physisches Bild gemeint, sondern der Begriff oder vielmehr eine Vorstellung! Das ist auch der tiefste Grund der Aussage: Ich bin der Ich bin!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

RSS
Follow by Email
LinkedIn
Share
%d Bloggern gefällt das: