Authentizität und die Scheinwirklichkeit

Januskopf Wort zum Freitag (dem 13.)
„Authentisch“ will fast jeder und jede sein. Der Begriff ist in aller Munde. Es ist cool, „authentisch“ zu sein: fragt sich nur: authentisch? Womit? Auch Besoffene sind authentisch…

„Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden“, heißt es treffend im Online-Lexikon Wikipedia. Wichtig für diese Sichtweise des eigenen Scheins oder Seins ist allerdings die persönliche Identifikationssituation. Es fragt sich, womit sich ein Mensch am meisten identifiziert: Mit dem Schein oder mit dem Sein? Dazu müsste untersucht werden, welche Attribute sein Leben bestimmen, von was oder wem Mann/Frau sich führen oder bestimmen lässt. Die Gebundenheit an den Schein ist nicht per se etwas Schlechtes! Sie zeigt lediglich einen Lebensaspekt auf, der von äusseren Kriterien geleitet wird. Wir bauen uns im Laufe unseres Lebens so manche äußere (Trutz-) Burg auf, konstruieren so manche Vorstellungen und Gedankengebilde, die sich durch die Verhaftung mit dem Schein zeigen. Dadurch bleiben sie mit dem an die Sinne gebundenen Weltbild verbunden. Würden wir genau dies bei uns selbst erkennen, so würde uns etwas klar werden müssen, was wir bislang schlicht vergessen haben; nämlich dass es eben nur ein Schein war. Wir hatten den Schein gelebt, im Schein gelebt und ihn mit dem Sein verwechselt, ohne es zu bemerken!

Genau diese Erkenntnis spaltet unser Bewusstsein in zwei Hälften; die eine, die im Schein verhaftet bleibt, ohne dies zu erkennen. Die andere, die erwacht und den bisher gelebten Schein wie von außen wahrnimmt! Das doppelte Bewusstsein, welches in einer Persönlichkeit wohnt, löst eine Art Erkenntnisdrama aus und verändert unser Leben dadurch schlagartig! Wir stehen jetzt plötzlich erlebend einem Du gegenüber. Die Verhaftung mit diesem Du in uns, bezeichneten wir landläufig als Ich. Wenn wir sagten, „Ich“ will authentisch sein, dann meinten wir, dem Schein gemäß zu wirken, weil wir nichts anderes als den Schein kannten, weil wir mit ihm verbunden und verknüpft waren. Der Schein war unser Sein. Erst das Heraustreten aus dieser Verhaftung löst den gordischen Knoten der Verbundenheit mit dem „falschen Ich“. Wenn wir ihn zerschlagen, „erlösen“ wir uns, wir erkennen den „Erlöser“ in uns, unser wahres Ich, welches sich aus dem Schein der Dinge und der äußeren Welt herauslöst.

Glauben Sie also nicht jedem, der sich authentisch bezeichnet oder so „scheinen“ will. Genauso in Mode gekommen ist es, „ganzheitlich“ zu sein. Wenn aber diese „Ganzheit“ nur die Welt des Scheins ist, dann ist diese Aussage eine Art „Selbstbetrug“. So wie viele „scheinheilige“ Aussagen Selbstbetrug sind, weil sie eben nur zum Schein heilig sind.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche und scheinbar frohe Faschingszeit 😉

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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