Gegenwartsbewusstsein

Kaltbrunnental bei Grellingen

Die Vergangenheit ist immer Grundlage für die Zukunft. Das Jetzt, die Gegenwart, ist dabei stets real und unmittelbar anwesend. Vergangenheit und Zukunft sind rein virtuelle und abstrakte Vorstellungen in unserem Gehirn. Sie existieren nur im Gedanken oder in der Erinnerung eines Menschen. Wer das Leben unmittelbar und real erfassen will, der muss es gegenwärtig erfassen!

Die Gegenwart ist nichts fixes und abgeschlossenes. Alles Lebendige bewegt sich unaufhörlich und leicht durch Zeit und Raum. Formen kommen, Formen gehen. «Fertig» sind sie schlechtestenfalls beim Tod. Aber nicht einmal dort wirklich.
Die Materie verschwindet, zersetzt sich, vermischt sich wieder mit der Trägermaterie, verwandelt sich und erscheint wieder in neuer Form! Diese neue Form durchlebt die Zeit und Raumgesetze, bis sie stirbt und verwelkt. Das ist der Kreislauf der Formenwelt. Dabei sind alle Formen in der Natur ohne Einwirken des Menschen geschlossen und harmonisch. Der Mensch kann sie zersetzen, verändern, bearbeiten, umwandeln… und wieder neu zusammensetzen. Das tut er industriell oder in der Kunst. Neues entsteht immer aus dem Vorausgegangenen. Der Schnittpunkt ist die Gegenwart. Sie ist der kreative Moment!
Wir leben in einer «Fertigkultur»! Die westlich ausgerichtete Zivilisation mag Fertigprodukte, weil sie verlernt hat, selbst schöpferisch zu sein und weil unser Wirtschaftssystem diese Art von Kreativität unterdrückt. Der Handlungsspielraum ist eingeschränkt, eingepresst in rational optimierte Produktionsketten und fest strukturierte Abläufe. Bereits in der Schule spürt das heranwachsende Kind diese Zwänge. Alles ist ausgerichtet auf Optimierung, Rationalisierung und Leistungszwang.
Der Zukunft gehört eine kreativere Gesellschaft! Entwicklung bedingt stets die Auflösung alter Formen und Strukturen. Es gibt keine Entwicklung ohne Verluste und Krisen. Nur auf der Basis einer grundlegenden Offenheit und Unbefangenheit gedeihen neue Ideen! Gedanken sind lebendig. Alte Formen müssen auch hier sterben und sich auflösen, damit neue entstehen.

Neuerscheinung: Urs Weth, „Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz“ bei Thalia

Die Kunst der Kommunikation

mato | bilderwelt
mato | bilderwelt

Wenn ich mich mit den Dingen in der Außenwelt beschäftige, habe ich in mir zwei verschiedene „Aufmerksamkeitspolaritäten“, welche Hand und Herz voneinander trennt. Die Tätigkeiten, die ich jetzt gerade tue, ist der eine Pol und die Gedanken und Vorstellungen, die ich mir im gleichen Moment daraus bilde, der andere. Was ich als Interesse bezeichne, verbindet diese beiden Pole.

Der Anspruch des Interesses besteht darin, Übereinstimmung zu erreichen, diese Pole quasi synchron zu machen. Interesse heißt: «in den Dingen sein», anwesend und mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei einer Sache zu sein.

Wenn ich gelernt habe, genau zu beobachten während dem ich handle, werde ich bemerken, dass sich innere Bilder wie ein Schleier vor die äußere Wahrnehmung stellen. Die Handlung werde ich zwar, in gewisser Weise automatisiert, weiter ausführen, aber meine Gedanken befinden sich an einem ganz anderen Ort. Die Augen sind auf ein Objekt gerichtet, welches fokussiert wird, aber sie «sehen» das Objekt selbst nicht mehr, weil sie das innere Auge auf dieses vorgestellte «Schleiergebilde» gelenkt haben.

Es ist aber nicht nur ein Bild, sondern ein vielfältiger Wechsel von Bilderfluten und Vorstellungen, einem Film gleich, welche am «inneren Auge» vorbei ziehen. Die Gedanken sind dann nicht mehr mit dem anvisierten Objekt verbunden, auch wenn die physischen Augen es durchaus noch anstarren, sondern auf diese inneren Bilderwelten fokussiert. Wer das nicht nacherleben kann, für den wird dies abstraktes Geschwätz sein. Zugleich automatisiert sich dabei der Handlungsimpuls. Daraus entsteht die Trennung des Bewusstseins in zwei Ebenen. Wir bemerken diese Bilder nur deshalb nicht, weil wir mit ihnen eins geworden sind, mit ihnen verhaftet, identifiziert sind, das heißt, weil unsere Persönlichkeit damit Eins geworden ist. Wir sind der Gedanke selbst geworden.

Aus diesen passiven Vorstellungsbildern sondern sich gleichzeitig Energien ab, welche unser Gefühlsleben vereinnahmen und beeinflussen. Der depressive Mensch hat in der Regel viele solche Bilderfluten mit negativen Inhalten. Dadurch trübt sich sein Seelenleben entsprechend melancholisch. Dazu kommt die Identifikation mit diesen Bildern. Sie lässt keinen Ausweg aus der Negativität mehr zu. Ich werde der Zustand selbst. Ich wird Es.

Es gibt jedoch eine Form von Aufmerksamkeit, die den Schleier zu durchbrechen vermag und das volle Bewusstsein und die Wachheit auf das Objekt richtet. Hand und Herz gehen erst so wieder gemeinsame Wege. Die eigene «Ich-Organisation» wird dann als Einheit erlebt. Die Energie bleibt am Beobachter gebunden und verleiht der Aufmerksamkeit, und damit der Handlung, die nötige Intensität.

Der Zustand der Trennung von Bewusstsein und Selbst-Bewusstsein ist unser alltägliche Normalzustand. Wir können das an uns selbst beobachten. Wie viel Aufmerksamkeit bringen wir auf ein betrachtetes Objekt und wie oft stellen sich schnell wieder solche passive Vorstellungsbilder vor unser inneres Auge?
Vielleicht ist das gerade jetzt, in diesem Augenblick wo Sie diese Zeilen lesen, der Fall und Sie wachen auf und denken, oh, was habe ich eben gelesen!
Vielleicht werden Sie durch das Lesen oder weil es fett gedruckt ist, aufwachen und denken: «Bitte, was schreibt er da, jetzt muss ich diese Zeile noch einmal lesen!» Ihr Auge war auf die Buchstaben gerichtet. Und weil Sie gelernt haben, automatisiert zu lesen, gingen diese Zeilen über Sie hinweg, ohne den Inhalt mit aktivem Denken aufzunehmen und zu verarbeiten! Es kann durchaus sein, dass Sie an bevorstehende Feste gedacht haben und den Gänsebraten vor Ihren Augen «gesehen» haben, während Sie gleichzeitig die Buchstaben zu Worten zusammenfügten! Nur der Inhalt des Gelesenen ist Ihnen nicht präsent. Somit hätten Sie das Erlebnis, was ich oben angesprochen habe!

Wir werden bemerken, dass die Frequenzen der Aufmerksamkeit auf die Handlungen oft nur sehr geringe Zeit aufrechterhalten werden können. Das dualistische und trennende System ist so lange eine Realität, bis wir den inneren Standpunkt wechseln können! Vorher soll niemand über Kant schimpfen! Die Kunst der Beobachtung besteht indes noch aus einer anderen Qualität. Statt dass sich der Vorgang nun ins Objekt hinein fixiert und dort haften bleibt, wacht im Hintergrund eine Präsenz, welche gleichzeitig auch die inneren Vorgänge während des Handlungs-Aktes beobachtet, ohne nun aber wieder von ihm abzugleiten!

Die Inhalte, die wir vermitteln und mit der Welt kommunizieren, sind immer an Begriffe gebunden. Nonverbale Kommunikationsformen werden auf einer unbewussteren Ebene gebildet. Letztlich müssen diese, um wieder ins wache Bewusstsein transformiert zu werden, erneut zu einem Begriff umgeformt werden. Alle diese Formen, ob verbal oder nonverbal, schaffen immer etwas Verbindendes. Begriffe bilden eine Art Überbau, ein Symbol für die wahrgenommenen Inhalte. Damit diese Inhalte nicht ständig neu umschrieben und wiederholt werden müssen, werden ihnen die Begriffe, zur allgemeinen Verständigung, angeheftet.

Es ist dennoch schwierig, das Verbindende der Begriffe in einheitlichen Formen aufrecht zu erhalten. Begriffe werden zu potenziellen Kampfwerkzeugen, zu Abgrenzungsmechansimen. Je komplexer die Wahrnehmungen, welche vom Nutzer mit dem Begriff verwoben sind, desto schwieriger wird es, einen gemeinsamen Nenner dahinter zu finden. In einer dualistischen Welt der Trennung und Abgrenzung, hat der Begriff immer weniger eine universelle Wirkung! Vielmehr umfasst er nur noch das subjektive, persönliche Selbstbild seines Trägers. Begriffe sind nie die Sache selbst. Es ist ähnlich wie mit abstrakten Symbolen. Begriffe sind letztlich Etiketten, die wir an etwas Sichtbares oder Unsichtbares anheften, um einer Erfahrung Ausdruck zu verleihen.

Nehmen wir irgendeinen beliebigen Begriff, sagen wir «Büchse». Wir nennen dieses Ding, was da vor uns steht «Büchse» und meinen damit etwas Bestimmtes. Dieses Etwas ist aber nicht erfassbar mit einem einzigen Begriff, denn es lassen sich viele Büchsenarten unterscheiden. Mit «Büchse» bezeichnen wir die Wahrnehmung sehr oberflächlich. Um es genauer zu beschreiben, so dass ein blinder Mensch das ganz genau gleiche Bild davon haben könnte wie wir, müssten wir sehr viel investieren. Wir müssten einen langen Vortrag halten und die kleinsten Feinheiten umschreiben. Erst so ergäbe sich ein einigermaßen befriedigendes Bild.

Wenn es schon mit der «Büchse» nicht gelingen mag, wie soll dies mit einem Begriff wie «Gott» möglich sein? Es ist nicht nur nicht möglich, sondern sogar äußerst gefährlich. Das sieht man an den Kriegen und an dem Leid und dem vielen Blut, welches in den vergangenen Jahrtausenden und bis in die Gegenwart hinein geflossen ist. Man lernt jahrelang Begriffe kennen und ist damit beschäftigt, diese Begriffe mit Inhalt und Wahrnehmungen zu füttern. Die Gefahr, die eigenen Vorstellungen hinein zu interpretieren und mit dem Wort zu verknüpfen ist groß. Viele solche Bemühungen werden durch Gewalt vollzogen.

Begriffe können in dieser Weise zu riesigen Gedankenkomplexen heranwachsen. Diese Konstruktionen können zurückwirken auf uns selbst und eine machtvolle Eigendynamik erlangen. Dazu kommt wiederum das Problem der Verhaftung. Deshalb wird sehr oft über Inhalte gestritten. In der Kunst, der Religion, in der Politik und in der Wirtschaft, weil den Streitenden das Verbindende und die Ganzheit hinter den Begriffen fehlt. Wir verlieren etwas dadurch, dass der Begriff keine universelle Kraft mehr hat. Man kann sich fragen: Warum ist das so? Und war es früher auch immer so? Begriffe wirkten in früheren Zeiten vielfach noch mantrisch und ganzheitlich, heute sind sie symbolische und abstrakte Worthülsen geworden. Sie wirken oft suggestiv oder haben den Charakter von Schlagworten. Alles Kampfbegriffe, welche das Gesagte bestätigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Anthroposophie ist ein Begriff

rudolf-steinerEine Würdigung der Impulse Rudolf Steiners und – gleichzeitig – eine kritische Betrachtung der Bewegung.
Ein Begriff (z.B. „Anthroposophie“) deckt in erster Linie die persönliche, individuelle Vorstellung jedes Fragenden ab, wenn er dich fragt, ob du ein „Anthroposoph“ bist. Dem zuzustimmen ist sehr gefährlich, denn wir kennen die Vorstellungen, die das Gegenüber mit diesem Begriff verbindet, nicht! Und schon sind wir mitten drin…

Die Würdigung gilt dem Menschen Rudolf Steiner und hat durchaus eine persönliche Färbung. Es ist meine Beziehung zu ihm und das Verhältnis, welches sich vor mehr als 33 Jahren zu seinem Werk gebildet hat. Im Frühling 1981 (mit 25), kam mir der Name Steiners zum ersten Mal zu Ohren. Die Annäherung führte über sehr unterschiedliche Stationen schliesslich ins Heute.

Als ich damals mit der Anthroposophie in Kontakt kam, hatte ich einen naiv-kindlichen Zugang und betrachtete alles in einem rosafarbenen Schleier. „Esoterische“ und spirituelle Themen beschäftigen mich schon seit meiner Kindheit. Psychologische Fragen über Mensch, Gott und die Welt, die damit zusammenhängen ebenso wie Fussball und Lesen.

Damals war ich intensiv mit Büchern eines gewissen Carlos Castagneda`s und jenen lebensvollen Romanen von Hermann Hesse beschäftigt. Es prägte sich eine sehr idealisierende Haltung in mein (Unter)-Bewusstsein ein. Von bewusstem Sein kann nicht im Geringsten die Rede sein, weil ich aufgesogen war mit Inhalten aller Art und schnell alles für bare Münze nahm, was mir diesbezüglich in die Hände, oder in den Sinn, kam. Als ich zum ersten Mal Bücher Steiners las, gab es keinen Unterschied zwischen einem Castagneda, Hesse und ihm. Sie sprachen selbstverständlich alle vom gleichen und liessen meinen Interpretationen und Phantasien viel Spielraum.

Was ich gelesen hatte, und das war am Anfang sehr viel, integrierte ich in mein Denken. Ich färbte mein Tun und Handeln danach. Ich sah, dass es anderen auch so erging und es entstanden ähnliche, oft symbiotische Beziehungen im Umfeld von Steiners Anhängern. Man war sich in grundlegenden Fragen wie Reinkarnation und Karma in internen Kreisen meistens einig. Ein Zitat des Meisters galt als unanfechtbares Glaubensgut, was es nach aussen zu verteidigen galt. Differenzierte Fragen wurden hingegen deutlich weniger gleichmütig diskutiert. Ich habe niemals so viele Idealisten an einem Ort erlebt, wie damals.

Dann geschah etwas, was meinem innersten Wesen vollkommen widersprochen hatte: Eine persönliche Absonderung gegen anders Denkende und ein Entwicklungsstillstand wurde spürbar. Das erlebte ich spätestens, als ich die Ausbildung als Werklehrer und Kunsttherapeut am Goetheanum abgeschlossen hatte und wieder in „die Welt da draussen“ eintauchen musste/durfte. Es wurde mir zum innersten Bedürfnis, diese Re-Integration von neuem zu suchen und mich zu öffnen. So kam ich auf kleinen Umwegen schliesslich an die Psychiatrische Universitätsklinik in Basel, wo ich drei Jahre tätig war, bevor ich eine eigene kunsttherapeutische Praxis eröffnete.

Diese Beschreibungen sollen die Beziehung zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie als Entwicklungsprozess, auf einem individuellen Weg, darstellen. Am ersteren blieb alles, an der letzteren wenig, insofern es sich um den Begriff und einer vorgefertigten Vorstellung darüber handelt! Aus dem Verhältnis als Guru und Lehrer, erwachte allmählich eine innere Bruderschaft zu Rudolf Steiner. In den vergangenen 30 Jahren kam es nie zu einem grundsätzlichen Bruch, trotz meines individuellen und unkonventionellen Weges.

Das erwähnte Stehenbleiben bei den vorgefertigten Interpretationen der anthroposophischen Inhalte war mir zunehmend ein Dorn (-ach) im Auge. Davon (von den Interpretationen,nicht von den Inhalten) habe ich mich gelöst. Das ständig neue überdenken und neue formulieren von Erlebnissen und Erfahrungen brachten mich dazu, auch bei anderen Weltbildern wieder den Zugang zu Antworten über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu suchen.

Die Synergien zwischen den verschiedenen Weltbildern und Religionen standen im Mittelpunkt und keine abgeschlossene Glaubensdoktrin. Es wurde mir klar: Begriffe können eine Sache benennen, und ihnen einen Anker geben, an dem man sich festhalten kann. Die Rückaufschlüsselung dieses Ankers ist viel schwieriger, weil derselbe Begriff unterschiedliche Bedeutungen haben kann und somit nicht objektiv ist.

Das Bewusstsein der Begrenztheit unserer Vorstellungen (wir nennen es landläufig „denken“) wurde mir immer klarer. So begann ich nach bewusstem Sein zu suchen, welches sich über die reine gedankliche Ebene erhebt. Ich war davon überzeugt, dass wir grundsätzlich keine Begrenzung in der Erkenntnis haben, wie uns dies Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ nahegebracht hatte. Was ich aber im Denken suchte, offenbarte sich nun bald in der selbstreflektiven, bedingungslosen Schau desselben.

Dieses Erlebnis bedeutete für mich eine neue Wende in meinem persönlichen Entwicklungsweg. Wenn ich, so sagte ich mir, das Bewusstsein des Wahrnehmens der Gedanken erlebe, dann enthebe ich mich gleichzeitig der Identifikation mit diesen Gedanken. Das Erleben im Zustand der Selbstbeobachtung und der „Achtsamkeit“, wie ihn die buddhistische Tradition kennt, war ein Schlüssel zur Freiheit, ohne deswegen dem Buddhismus oder einem anderen „Ismus“ beitreten zu müssen…

Die Dinge widersprechen sich nicht. Man muss nicht Buddhist werden, um dies zu begreifen. Es gibt immer nur ein zu sich selbst finden.

Ich fühle mich heute näher verbunden mit Rudolf Steiner! Näher denn je! Das Beobachten des Denkens in seinem wichtigsten Werk: Der „Philosophie der Freiheit“ zeugt davon und entschlüsselte mir neue Erkenntnisse. Steiner wollte den Begriff „Anthroposophie“ jeden Tag neu definieren!

Was wäre wohl aus der Gesellschaft geworden, wenn die Menschen heute keinen Begriff mehr hätten, an welchen sie sich klammern könnten? Wenn die vermeintliche „Wahrheit“ nicht mehr aus unendlichen Diskussionen herausgepresst werden müsste, sondern bewusstseinsmässig im Jetzt erfahrbar würde. Wenn wir in jeder Situation aus uns selbst die Wahrheit finden müssten, ohne Bezugnahme oder Rezitation von irgendwelchen klugen Sprüchen! Wenn nur noch diese Erfahrungen und Erlebnisse relevant würden auf einer internationalen, vollkommen unabhängigen Plattform, die keinen Namen hat und aus dem Herzen jedes Einzelnen entspringen würde…

Steiners Anthroposophie ist diesem Gedanken sehr nahe gekommen. Nur, wohin steuert dieses zunehmend träge werdende Schiff, welches den Namen heute trägt und verantwortet und welches sich im riesigen Ozean der Ideologien zu verirren droht, sich mehr und mehr spaltet in Untergruppen, Nebengruppen und in feindliche Lager. Wie unabhängig und frei ist die Gesellschaft (…und die damit zusammengeschlossenen Verbände) heute noch?

Solche Fragen bewegen mich unaufhörlich. Ich bin nicht am Ende meiner Weisheit angekommen und werde dies auch nie schaffen. Ich stelle lediglich ehrlich und offen meine persönliche Sicht der Dinge dar. Offenheit im Rucksack tragend, allen ernsthaften Bemühungen gegenüber, seien sie mir ideologisch näher oder ferner… so lautet mein Lebensmotiv.

Die einzige Abhängigkeit, oder besser Verantwortung, habe ich meinem eigenen, inneren geistigen Führer gegenüber. Er aber hat keinen Namen und bleibt für immer unaussprechlich.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und ein KinderbuchUrsli und der Traum vom Schiff

Glaube macht selig?

Glaube, WissenDer Weg von der Information hin zum eigenen Standpunkt ist mit vielen Hindernissen gepflastert. In der Regel werden Gedanken von außen aufgenommen und nur empfindungsmässig „kontrolliert“. Gedanken werden selten umgewandelt und zu Ende gedacht. Weil nun aber viele Informationen von außen mit einem rosafarbenen Mäntelchen daherkommen und in schöne Kleider verpackt sind, ist man nicht mehr geneigt den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.

Sowohl in der Politik, in der Werbeindustrie, in den Medien, kurz: überall wo man die Gunst möglichst vieler Menschen erwerben will, macht man sich deren Tugend der Massen zu nutzen: die Abstumpfung und Lethargie. Verpackung ist alles, Inhalt ist nix! Der grösste Mist wird verkauft, die hinterhältigsten Politiker gewählt, wenn der Wille nicht aufgebracht wird, Tatsachen auf den Grund zu gehen und ihnen auch ungeschminkt in die Augen zu schauen. Nur ist es kaum möglich, immer und zu jeder Zeit hinter alle Fassaden blicken zu können und alles zu hinterfragen. Man bekommt mit der Zeit so etwas wie eine „Empfindungsmeinung“.

Ich erfahre und erlebe sie in der Skepsis oder auch als dumpfe Zustimmung wieder. In vielen Fällen werde ich damit gute Erfahrungen machen. In manchen Fällen greife ich auch daneben. Jede Information, die mich berührt, erzeugt in mir zunächst Zustimmung oder Skepsis. Beide bilden sozusagen meine Arbeitshypothese für die Weiterverarbeitung. Sie kann eine gute erste Grundlage sein für alle erkenntnisbildenden Prozesse. Was danach folgt, ist eigenschöpferische Kraft. Der Erkenntnisakt geht immer durch die Gefühle hindurch bis er, wieder zurück in meinem Kopf angelangt, zur Meinung wird. Verfolge ich diesen Vorgang weiter zurück und frage mich, was liegt denn dem Glauben zu Grunde, so stoße ich zunächst immer auf ein Gefühl! Aber was ist die Grundlage des Gefühles? Gefühle sind Produkte meiner Erlebnisse und Erfahrungen.

Alles, was mich in meinem Leben berührt, was ich verarbeite und innerlich bewege (oder verdränge), bildet an diesen Gefühlen mit. Hinter all den Erfahrungen stehen meine Lebensumstände.

Wo wurde ich hineingeboren, in welche Kultur, in welches Land, in welche Stadt, welches Dorf, welche Landschaft. Was für Menschen umgeben/umgaben mich, prägen mit, trösten, plagen oder bilden, erziehen mich? Freunde, Bekannte, Eltern, aber auch Feinde: es entstehen Feindbilder. Vorlieben oder Neigungen formen mich, schmieden am Glück oder am Leid meines Lebens. Glaube Sie alle bilden an meinen Empfindungen, welche dann dumpf in den Untergrund tauchen und alles Verhalten und Beurteilen in meinem Leben mitbestimmen. Lebensumstände bilden an den Glaubensbekenntnisse.

Diese Lebensumstände sind eingeleitet worden durch die Geburtsumstände. Dahinein spielt die die Vorgeschichte der Geburt ebenso eine Rolle, wie auch der Verlauf der Geburt selber. Wer noch weiter zurück will, wird wieder auf das Problem des Dualismus stoßen und den Ursprung an verschiedenen Orten suchen. So werde ich als Materialist als einzige Bedingungen die Gene und irgendwelche biochemischen Prozesse akzeptieren, währenddem ich als spiritueller Mensch dahinter eine geistige Realität sehen kann. Dieser wird die Ursache des Glaubens letztlich ebenso gewiss als karmischen Ursprung definieren können wie der Materialist den seinen in den Genen und biochemischen Prozessen sucht.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wahrheit in der Politik

PolitikIn keinem anderen Gebiet ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit von so zentraler Bedeutung, wie in der Politik. Die Meinung des Volkes wird in der Demokratie von den gewählten Politikerinnen und Politikern in den Parlamenten vertreten. Dies wäre zumindest der Idealzustand der meisten westlich orientierten Staatsformen. Deswegen heissen sie ja auch Demo (Volk) -kratie (Herrschaft).

Der Prozess der Wahrheitsfindung in der Demokratie der vielfältiger Vorgang eines aktiven Volkes. Aus dem daraus entstehenden gemeinsamen Volkswillen werden jene Menschen gewählt, welche – im Idealfall – diesen bekundeten Willen am besten unterstützen. Dabei sind die diesem Prozess vorausgehenden Bekenntnisse der aufgestellten Personen und nicht etwa deren Taten von entscheidender Bedeutung. Je nach hierarchischer Stufe, wo sich diese Menschen befinden in ihrer politischen Laufbahn, hat man immerhin gewisse Anhaltspunkte über ihre, im Laufe der Amtsperiode umgesetzten Handlungen. Man kennt mit der Zeit deren Motive. Vorher aber ist man auf die Worte und Gedanken angewiesen, welche nach aussen vertreten werden.

Das Entscheidende sind aber, gerade in der Politik, die Taten und nicht die Worte!

Wegweisende Ideologen sind in diesem Gebiet allenfalls die Politikwissenschaftler und Experten. Sie liefern vielfach die Grundlagen für die Entscheidungen in den Schaltstellen der Macht. Diese Grundlagen sind für die allgemeine Masse eher undurchdringbar und undurchschaubar. Die Ergebnisse solcher Forschungen (oder Fachkommissionen) werden in die Tat umgesetzt: Seien es die Finanzexperten, die Geschichtsprofessoren oder andere wissenschaftlich, kulturell oder soziologisch tätige Experten. Entscheidungen von der Basis werden so grössten Teils umgangen.

Das alles hat eine gewisse Berechtigung, um die Qualität der Entscheidungen zu garantieren. Aber wie so oft gibt es auch eine problematische Seite dieser Umstände. Wie in allen vorher angesprochenen Bereichen wird auch hier die Autorität, das Vertrauen, auf wenige Personen reduziert und damit ein Machtpotential geschaffen. Ob dieses Machtpotential ausgenutzt wird oder nicht, liegt dann an der Vertrauenswürdigkeit dieser Menschen.

Wir können so die eine Seite der Problematik erkennen: Die beschriebenen Konstellationen sind sozusagen nur Diagnose der gegenwärtigen Sozialstrukturen. Die Frage steht im Raum: Was ist die Therapie? Welche Wege müssten wir beschreiten, damit auf lange Sicht hin das Dilemma von Glauben und Erkennen/Wissen gelöst werden kann?

Im Allgemeinen wird das Problem der vermeintlichen Unwahrheiten und Missverständnisse nicht beim eigenen Erkenntnisvorgang gesucht, sondern alleine am Inhalt . Anstelle von vorhandenen Dogmen werden dann neue herangeholt, von denen Mann/Frau noch grösseres Heil erwarten. Mit anderen Worten: Es wird oft erkannt, dass man bisher nur noch nicht zum „rechten Glaubensinhalt“ gestoßen sei und man deshalb nur weitersuchen müsse. So stützt man sich also nicht auf die eigene Erkenntnisfähigkeit, sondern auf ein in der Zukunft gerichtetes Ereignis, welches von aussen den entscheidenden, „richtigen Inhalt“ an uns herantragen soll.

So löst ein Glaubensbekenntnis jeweils ein anderes ab. Und das gilt genauso in der Politik. Das System der Parteien mag viel Positives gebracht haben in den vergangenen Jahrhunderten. Ebenso gewiss kann man sagen, dass sich die Fronten der verschiedenen Meinungen hinter den Bollwerken der Parteien zunehmend verhärtet haben. Jeder Parteiangehörige erachtet sein Parteiprogramm als die Lösung aller Probleme. Er identifiziert sich mit seinen Inhalten. Könnte er sich nicht identifizieren, würde er nicht beitreten.

Wir haben also den etwas merkwürdigen Fall, dass viele Menschen sich an eine einheitliche Partei- oder Religionsmeinung anklammern und diese nach aussen vertreten, obwohl sie damit ihre individuellen Möglichkeiten einschränken müssen. Dies tun verschiedene Menschengruppen in verschiedenen Parteien mit den jeweils gleichen, unverrückbaren Überzeugung. Die vorgegebenen Inhalte lassen nur wenig Spielraum für die eigenen individuellen Taten zu.
Das so konditionierte Gehirn passt sich allmählich den Inhalten an. Die Hirnwindungen falten sich sozusagen nach dem Parteiprogramm um und entfremden den inneren Wesenskern seines Trägers vom äußeren Vorzeige-menschen. In Konfessionen, Parteien, Gruppierungen aller Art besteht diese Gefahr gleichermaßen solange, bis sie erkannt wird.

Man kann die Sache auch umgekehrt anschauen und es so ausdrücken: Gerade der Umstand, dass dieses oder jenes Programm so oder so geartet ist, hat angezogen, weil es dem eigenen Denken vermeintlich nahe liegt. Man überschätzt indessen die Kraft von Partei- und anderen Programmen gewaltig. Bedenkt man, wie flexibel unser Gedankenleben sein kann/könnte und wie sehr sich die Gedanken entwickeln können im Laufe eines Lebens, dann müssen uns solche vorgefertigten Muster eher behindern als fördern! Das gebunden sein an äußere Inhalte reduziert jede Entwicklungsmöglichkeit. Dort ist Veränderung träge oder gar nicht möglich, weil die so geformten Inhalte verständlicherweise viel weniger beweglich sind. Es gibt Grundmaximen, die uns ein Leben lang begleiten wie z.B. jene nach sozialer Entfaltung, kulturellem Bestreben oder Gemeinschaftsbildung. Es ist sicher so, dass gerade Parteiprogramme viele solche grundlegende Maximen beinhalten und dabei viel Spielraum für die eigene Entfaltung belassen (könnten). Das Grundproblem, die Grundfrage bleibt jedoch bestehen: Wie kann man Brücken bauen zwischen den verschiedenen Ideologien, Religionen, Parteien, Weltanschauungen! Und an diesem Punkt ist man wieder bei der Frage nach der Wahrheit angelangt. Gibt es einen Ort, einen Standpunkt, von dem aus sich die verschiedenen Meinungen verbindend betrachten lassen? Ein immerwährendes Thema in diesem Blog… und einer Frage, der auch mein Buch ¨über Selbstreflexion nachgeht…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freiheit und Beziehung

frei seinWie frei sind unsere Lebensentscheidungen?

Im Laufe unseres Lebens lernen wir viele Menschen kennen. Was macht es aus, dass manche Beziehungen länger halten als andere? Warum ersticken einige schon im Keim und andere reifen über lange Zeit, ja dauern, manchmal über ein ganzes Leben, nach? Welche Kräfte spielen da mit?

Die ersten Menschen die uns begrüssen sind unsere Eltern, unsere Mutter allen voran! Es ist das erste Gesicht, welches wir sehen und das uns auf der Welt empfängt. Was uns in den folgenden Jahren des Heranwachsens umgibt, sind Menschen, die uns, wie wir sagen „vom Schicksal“ gegeben sind. Meistens sind es die Blutsverwandten, jene Menschen, mit denen wir über den „genetischen Strom“ verbunden sind.

Wir lernen aber im Laufe unseres späteren Lebens noch viele andere Menschen kennen. Die meisten wählen wir selbst aus. Es sind Menschen, die uns, so glauben wir, mehr innerlich nahe stehen. Wahlverwandtschaften. Sei es durch ähnliche Interessen, durch einen ähnlichen Charakter, manchmal vielleicht auch nur durch rein ästhetische Gesichtspunkte. Manche vertragen wir gut, andere weniger gut. Gegen Letztere grenzen wir uns ab oder weichen ihnen aus.

Begegnungen kommen oft ohne unser bewusstes Zutun zustande. Was wir danach damit machen, liegt hingegen in unseren eigenen Händen. So empfinden wir vielleicht auch unsere erste Liebe als ein „vom Schicksal gegebenes“ Ereignis. Wir erwidern dieses Gefühl. Ein Gefühl der Verbundenheit mit einem anderen Menschen entsteht. Was nährt dieses Gefühl? Warum hält es manchmal nur kurz an? Und wenn es anhält, wie „frei“ bleibt es dann? Passen wir nicht einfach unsere Gefühle im Laufe der Zeit den äusseren Gegebenheiten und Bedingungen an? Anders herum gefragt: muss alles ausgetragen und ausgehalten werden, für was wir uns einmal entschieden haben? Wie verhält es sich mit dieser ominösen Aussage: „Bis dass der Tod euch scheidet?“ Woher stammt sie und auf welchem Urteil steht sie? Wie viel Verantwortung können wir uns selbst  mit solchen Aussagen überhaupt zugestehen? Superlative wie diese stammen doch eher aus dem Mittelalter und aus einer noch alten, verkrusteten katholischen Vorstellung heraus, nicht aus einem inneren, freien Entscheid. Basieren sie nicht eher auf einem laschen, wenig tragbaren Gefühl, welches man landläufig „Verliebtheit“ nennt. Wo sind die Grenzen des Durchhalten-Müssens und wo/wie sind die „Abzweiger“ für andere Entscheidungen zu finden?

Fakt ist: Alles Leben ist Entwicklung (Hegel, Goethe, Paracelus uvm. bestätigen dies). Jeder Mensch entwickelt sich individuell. Je mehr wir wach bleiben, uns selbst beobachten lernen und persönliche Entwicklung in uns zulassen, umso mehr können wir in unserem Leben erreichen, beziehungsweise lernen und erfahren. Nur, ebenso gut können wir Entwicklungen durch unsere Gedanken auch hemmen. Das geschieht dann, wenn wir unsere innere Mitte, den inneren Ruhepol verlieren.

Ein Beispiel: Sie müssen schmerzvoll den Tod eines Ihnen nahe stehenden Menschen beklagen. Die Klage, das Leid ist notwendig, um die Gefühle des Abschiednehmens verarbeiten zu können. Die Trauer ist wichtig, um sich innerlich von dem Menschen zu verabschieden, ihn „gehen zu lassen“. Die Phase der Trauer dauert einige Zeit. Dann verlieren sich normalerweise die damit verbundenen Gefühle durch den Abstand. Wenn es uns nicht gelingt, die Gedanken loszulassen, bilden sich immer wieder dieselben starken Gefühle. Diese Gefühle sind schmerzhaft und verursachen viel Leid in uns. Aber wir gewinnen mit der Zeit auch so etwas wie Lust am Schmerz! Der Schmerz kann uns dann ein Gefühl der Verbundenheit mit dem verstorbenen Menschen geben. Aber es ist nur eine scheinbare, keine reale Verbundenheit. Wir ziehen in dieser Weise die Vergangenheit stets von neuem in unser Bewusstsein herein.

Wir tendieren dazu, uns mit den Erlebnissen zu identifizieren und erhalten immer wieder „schmerzvolle Nahrung“. Ohne sie können wir bald nicht mehr leben. Der Prozess kehrt sich jetzt um. Wir sind nun an die Peripherie, dort wo die Gedanken kreisen, gedrängt und haben unsere innere Stabilität, den inneren Ruhepol, verloren. Aus der Stille wird Lärm. Der „Lärm in unserem Kopf“ (wie Eckardt Tolle sagt). Wir ernähren uns von diesen Gedanken, brauchen sie, ziehen sie an und züchten sie so lange in unserem Gehirn, bis sie dort physiologisch, irreversibel und nachweisbar, neurologisch feststellbar, verankert sind.

Doch zurück zur Frage des Schicksals und unseren Begegnungen. Es wird immer die Frage nach der inneren Freiheit bleiben. Manche bestreiten, dass es möglich ist, frei zu sein. Da gibt es verschiedene Begründungen. Andere kämpfen vehement für diese innere Freiheit des Menschen. Wo ist sie denn zu finden, wenn es denn eine solche gibt? Doch nur in uns selbst. Sie ist und bleibt ein individuelles Erlebnis, deren Wirklichkeit sich jeder selbst erarbeiten muss …und kann. Die „Frage der Freiheit“ kann deshalb jeder nur in sich selbst finden…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wer spricht, wenn Sie Ich sagen?

Bin ich wirklich der, von dem ich meine, ich sei es?

Was meinst du denn, wer du bist? Manche Leute sagen, ich sei ein Christ oder ein Grüner? Bin ich es nun? Was bringt es mir und den anderen, wenn sie wissen, ob ich es bin oder nicht? Sie können sich dann besser ein „Bild“ von mir machen. Viele Leute werden sicherer, wenn sie „es“ wissen, weil sie mich schubladisieren können. Andere Schubladen sind vielleicht: ein Buddhist? Ein Katholik? Sagt man Ja, dann kommt: Aha, jetzt weiss ich, wer du bist! Jetzt kann ich dich „einordnen“! Jetzt bist du für mich einfacher zu fassen, einfacher erklärbar und ich weiss, ich muss mich dir gegenüber so oder so verhalten! Ist doch praktisch! Dann braucht man sich nicht mehr auf die vielen paradoxen Verhaltensweisen des Anderen einzulassen. Sie irritieren uns höchstens.

Aus der Schublade wird meist gleichzeitig ein Vergleich konstruiert mit der eigenen Kiste, in der man steckt. Und dann entsteht das Gut oder Schlecht, die Be-ur-teilung. Und weil man sich meist selbst recht eng einordnet, verfallen mögliche Spielräume einer Begegnung. Nicht umsonst ist man Sozialist oder Konservativ usw. Also findet man dies auch „Gut“. Und alles andere ist demgemäss natürlich „Schlecht“. Alle diese Attribute und Kästchen, worin man Menschen am liebsten stecken möchte sind ausserordentlich bequem, aber auch peinlich. Sie erleichtern einerseits den Umgang, aber andererseits auch den Widerstand, die Auseinandersetzung mit einem menschlichen Wesen. Als solches bin ich in erster Linie ein individualisiertes geistiges Wesen, welches auf der Welt Erfahrungen sammeln möchte, sich entwickeln möchte, reifer werden möchte, die Welt verstehen möchte, fühlen lernen möchte, lieben lernen möchte. Und dazu ergreife ich verschiedene Mittel.

Dazu mögen spirituelle Mittel gehören und Inhalte verschiedener Menschen und Lehrer, denen ich in meinem Leben begegne(te). Es gehören ebenso Bewegungen, „Hand“-lungen dazu, das „Begreifen“ mit den Händen und mit den Sinnen, das Erfahren wollen, das Stürzen, das Traurig sein, das Herantasten an andere menschliche Wesen. Alles ist immer nichts anderes als ein Prozess, ein  lebendiger Prozess. Er heisst Leben! Wir werden ihm nicht gerecht durch unsere festgefahrenen Bekenntnisse. Ich bin. Nicht etwa: „Ich bin Sozialist, ich bin Buddhist“… sondern: „Ich bin“ das ist die einzige Haltung, die dem Menschen gerecht wird. Das Erkennen hört nie auf, es schreitet immerzu fort. Heute bin ich der, morgen ein anderer. Und übermorgen wieder ein anderer. Wie soll es anders sein.

Blockiere ich mein eigenes Sein in einer Schublade, dann nehme ich mir die Möglichkeit des Fortschreitens. Ich erstarre in der Zeit, friere sie ein, blockiere sie. Trete hinaus aus dem einzigen wirklichen und realen Leben: Dem Jetzt, in die Vergangenheit …oder auch in die Zukunft in Form von Illusionen… Vielleicht bin ich heute ein Katholik und morgen ein Buddhist. Dennoch: „Ich bin“ noch immer dasselbe geistige Wesen. Nur eben ein Wesen, was sich verwandelt. Das alles nennt man Leben. Sich diesem Wandeln hinzugeben: ist Liebe. Mein Bekenntnis ist: „Ich bin“ ein Mensch im Prozess, der sich stets verwandelt, stets neue Erfahrungen macht und stets neue Erkenntnisse sucht, um die Welt zu Begreifen. Dieser Mensch ist jetzt auf dieser Erde mit einem Namen, einer bestimmten Statur, einer unverkennbaren Stimme, einem festgelegten Geschlecht. All dies ist „vorgegeben“. Ich verstehe vielleicht nicht warum. Es gibt Theorien dazu, die besagen, dass ich früher schon einmal da war, vielleicht mit einer ganz anderen Statur, einem ganz anderen Geschlecht, einer anderer Stimme und anderen Erlebnissen. Das mag sein. Es kann eine These sein, die vieles verständlich macht. Eine These, die verständlich macht, warum wir doch oft so ungleich und ungerecht auf dieser Welt in Erscheinung treten, mit so unterschiedlichen Bedingungen und Verhältnissen. Theorien haben einen Haken.

Es sind zwar Erkenntnismodelle, die mir helfen, mich zu orientieren in der Welt, aber sie können auch zu Hindernissen werden. Dann, wenn ich nicht immer wieder liebend in den Prozess des Lebens (und das wirkliche Leben findet nur in diesem Augenblick statt) eintauche, immer wieder das Andere zu verstehen versuche. Modelle bleiben Modelle, solange, bis sie Erfahrung werden. Aber auch dafür muss ich offen bleiben: Dass sie zu Erfahrungen werden können! Und dass es Wege gibt, die dahin führen, dass sie Erfahrung werden können, darauf muss ich vertrauen! Möge der innere Führer jeder Individualität ihn dahin führen, solche Erfahrungen machen zu können. Dazu bleibt mir eins zu tun: stets offen zu bleiben für alles, was auf mich zukommt…

Wagnis Denken…

DenkenNicht ein „Darüber-Stehen“ ist Motivation für all die Ausführungen, die in diesem Blog hier dargestellt und „angedacht“ werden. Es ist vielmehr ein „Darinnen-Stehen“, ein Kampf mit all den dunklen, hellen, klaren oder auch undurchsichtigen Kräften, welche sich schliesslich in Worte formen wollen. Dabei steht aber nicht ein Dozieren oder Rechthabenwollen im  Vordergrund. Eher ist es ein stetes Bangen und Zweifeln, gepaart mit grossartigen, überraschenden Einsichten, welche sich hin und her bewegen in einem suchenden Geist und Genossen dieses Zeitalters.

Ehrlichkeit steht zuvorderst und zwar eine Ehrlichkeit vor allem mir selber gegenüber. Mit grösster Selbstkritik diesem rasenden und fluktuierenden Medium „Gedanke“ sich gegenüber zu stellen und nur das hindurchzufiltern, was auch nach langem Hin- und Herbewegen noch Bestand haben kann. Das ist und war immer mein Bestreben. Insofern ist „Wahrheit“ ein seltener Gast im Getriebe unseres Denkapparates. Sie gibt sich oft nicht von alleine, sondern entsteht langsam, herantastend aus dem dunklen Gedankenleben heraus. Alle diese grossen Begriffe, ausgegangen vom GLAUBEN, ERKENNEN, hin zu WAHRHEIT, GEWISSEN, FREIHEIT usw. können nicht in starren Definitionen und Erklärungen verstanden werden. Sie haben vielmehr ein Eigenleben in sich, sind sehr individuell in ihrer Bedeutung und bilden sich erst mit der Zeit aus der Erfahrung heraus. Sie können auch wachsen… oder einfrieren, je nach dem.

Dennoch können viele Erkenntnisse selbst im Nachdenken über solche Begriffe gefunden werden. Sie bilden letztlich auch das Grundgerüst für die Frage nach dem Sinn des Lebens…

Was als Glaube am Anfang dieser Auseinandersetzung stand, führt alles in allem letztlich immer hin zum Freiheitsbegriff. Dabei muss der Weg von jedem einzelnen Menschen selbst begangen werden und jedes „Stadium“ kann befriedigen, weil in jedem Entwicklungsschritt entsprechende Qualitäten stecken, die gerade aus dieser Situation und nur aus dieser Situation heraus entstehen konnten.

So kann ein starker Glaube in irgendeiner Form, sei es nun in Politik, Kultur oder Religion, im wahrsten Sinn des Wortes „Berge versetzen“. In der Medizin nennt man diesen Effekt „Placebo“. Was dort immer etwas erniedrigend kommentiert wird, ist in Tat und Wahrheit eine viel stärkere Kraft, als alle chemisch-biologischen Wirkungen (inklusive Nebeneffekten)!

Auf dem Weg des Menschen tritt immer irgendwann einmal das Bedürfnis nach Erkenntnis auf. Und auf jeder „Stufe“ wird man viele positive Erfahrungen machen können. Aber jeder Schritt hat auch seine Verluste zu beklagen. So geht dem Erkenntnisringen vieles an Kräften verloren, die im Glauben drinnen stecken. Dies ist wohl der Preis auf dem Weg zur Freiheit.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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