Ode an mein Smartphone…

smartphoneWir wissen es alle, welchen Zauber Neuigkeiten auf uns ausüben können. Seit einigen Jahren können wir drahtlos und standortunabhängig auf alle Informationen der Welt zugreifen.
Wir sind in der Lage, fast alle Dinge des täglichen Lebens mit den smarten Dingern zu erledigen. Kaum ein Gerät hat unser Leben derart verändert wie diese kleinen, netten Bildschirmchen.

Wo wir auch hinblicken, in die Trams, Busse, Züge, ja sogar bei vorbeifahrenden Automobilisten (+innen) – in Warenhäusern; an die Tischchen der Restaurants, wenn zwei Verliebte, gebannt auf diese kleinen viereckigen Flächen ihre Zeit vergessen, nur leider nicht wegen des geliebten Partners, dessen glänzende Augen sich im (unangenehmen) Widerschein des kalten Lichtes spiegeln – kurz: überall erblicken wir sie, vertieft in irgendeine Nachricht, in irgendein Bildchen, ein bisschen Musik, ein Spielchen und wer weiss was noch alles…

Mann/Frau gehört natürlich selbst dazu, will ja nicht hintendrein hinken im Strome der Zeit, uncool sein, hat sich selbst längst an den Wert dieser Dinger gewöhnt (auf dem auch dieser Text geschrieben wurde). Und dennoch: Wie langweilig sind sie eigentlich! Wie unendlich nervig, wie sehr ziehen sie uns in ihren Bann, bis unsere Augen brennen, weil wir schlicht vergessen zu blinzeln. Wir versklaven uns, machen uns zu Robotern des technischen Fortschritts mit immer wiederkehrenden, teilweise irrationalen Handlungsmustern…

Und dabei sind sie doch so langweilig! Immer das gleiche Bild, wohin wir blicken! Nach irgendetwas Interessantem spähend! Ständig checkend, ob es etwas Neues gibt, irgendeine Sache, die uns – wieder einmal – von den alltäglichen Sorgen abziehen kann; eine neue Nachricht auf Whatsapp vielleicht? Eine neue Mail vielleicht? Schon wieder diese Twitter-Benachrichtigungen, diese ewig langweiligen Mitteilungen, dass jemand irgendetwas favorisiert hat, „retweetet“ hat, was man, fast schon automatisiert, mitgeteilt hatte, weil man es ja so wichtig fand …

Man erfährt jederzeit und in Echtzeit, wer – was – wo tut, wer – wann – wo ist und was er/sie gerade denkt oder fühlt. Man sieht unendlich viele „neue“ Nachrichten in den mobilen Zeitschriften, Blogs, Portalen… …und alles das soll man lesen?!? Auch dieses hier?! Ach wie langweilig ist all das plötzlich! Langweilig, weil es keine wirklich coolen Neuigkeiten mehr gibt, die uns zu einem ultimativen „Kick“ verhelfen könnten! Es sind einfach zu viele, zu viele unnütze oder auch zu viele gleiche, immer wiederkehrende Nachrichten. Kriege, Verbrechen, wenn sie nicht gerade in unmittelbarer Umgebung passieren, werden ignoriert, von einem dumpfen Bewusstsein verdrängt, weil sie kaum mehr fassbar sind. Das Zuviel hat uns überwältigt… Das Mehr konditioniert… und: Das Wesentliche ist in die Ferne gerückt…

Es gibt kein „vernünftiges“ Mass mehr (was ist schon „vernünftig“; wer weiss es denn noch?). Der Überfluss hat gesiegt. Das Alles-und- jederzeit Verfügbare stillt irgendetwas ganz Zentrales in uns nicht mehr. Etwas, was jenseits der Zeit, jenseits des verfügbaren liegt. Und dennoch: etwas ahnen wir gleichwohl… Aber, es bleibt immer an der Oberfläche dieser Bildschirme hängen. Still und heimlich (oder besser: unheimlich), schleicht sich allmählich Unmut ein: Handy ein, Handy aus, ein, aus, ein, aus… Moment, nochmal schnell checken – – – vielleicht passiert gerade – JETZT – etwas ganz unglaubliches, etwas, was mir diesen lang ersehnten Kick verleiht, mich anstachelt, antreibt, weiter bringt… doch – wieder nichts. Alles, was kommt, wird schnell wieder vergessen, versandet im Nichts, im Nirwana eines endlosen Gähnens…

Selbst die vielen wundersamen Games mit ihrer 3-Dimensionalen, phantastischen Grafik, vermögen mit der Zeit nicht mehr wirklich zu befriedigen. Level um Level wird erreicht. Alles verlangt immer wieder nach noch mehr, noch besserem, noch schnellerem, nach etwas in uns, was endlich einmal (in ferner Zukunft vielleicht) zufrieden gestellt werden könnte.
Aber das letzte Level – wird niemals erreicht! Irgendwann wird alles langweilig. Alles… …weil wir nach etwas anderem suchen. Wir suchen immer wieder von Neuem – nach Neuem, nach dem Ultimativen, nach dem Letztgültigen, nach dem, was uns irgendwann einmal so tief befriedigt, dass wir nichts Neues mehr wollen!!! Etwas zeitloses, raumloses – ein ewig Seiendes… Aber die Illusion, der Reiz des Neuen packt uns immer wieder, zieht uns in den Bann des Besonderen, was den mühsamen Alltag versüßt. Wir können uns ihm nicht entziehen. Wir werden immer nur für eine gewisse Zeit befriedigt, dann – ist es aus… Ende – Tod… „dumm geboren und nichts dazu gelernt…“, heißt es dann…

So reiht sich Höhepunkt an Höhepunkt in unserem Leben.
Aber nach jedem Höhepunkt folgt ein Fall in die Tiefe.
Wir schwanken wie Schiffchen in den Stürmen des eigenen Seelen-Gewirrs
und merken dabei nicht, dass dieses Suchen solange weitergehen,
wiederkehren muss,
bis wir angekommen sind.
Angekommen… im Jetzt

…bei uns selbst…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mit fremden Augen sehen…

Fremde AugenSehr gerne würde ich einmal in die Augen anderer Menschen hineinschlüpfen. Wie würde ich die Welt aus deren Blickwinkel wohl sehen? Ganz banale Dinge, wie einen Stuhl, einen Tisch, einen Baum durch ihren Blick wahrnehmen. Auch wenn es dasselbe Objekt ist, was ich da vor Augen hätte, so würde ich mit Sicherheit doch nicht dasselbe sehen.

Es wäre sicher falsch davon auszugehen, dass wir dasselbe sehen würden. Denn mit den Augen sind unsere Vorstellungen und unsere Gedanken über die Dinge, die wir sehen, eng verknüpft . Wir sehen nie wirklich objektiv!
Der mit der Wahrnehmung verknüpfte Gedanke entstellt jedes Objekt und bringt es in einen rein subjektiven, persönlichen Zusammenhang. Ich würde vermutlich sehr erstaunt sein darüber, was ich mit den Augen des anderen sehen würde. Ja, ich würde schon gar nicht dieselben Dinge anschauen, wenn ich durch die Stadt gehen würde. Vielleicht würde ich plötzlich Objekte erkennen, die ich vorher noch nie gesehen habe, die mir bisher niemals aufgefallen sind, weil ich ganz einfach den Sinn dafür nicht hatte. Es wäre mir z.B. wichtig, welche Schuhe die Menschen anhaben, oder ob ihre Fingernägel gepflegt seien!
Ich würde Läden entdecken, von denen ich keine Ahnung hatte, dass es sie überhaupt gibt. Und selbstverständlich würde mir alles vollkommen fremd vorkommen, sehr fremd, weil das innere Bild, welches ich mit diesen Wahrnehmungen verknüpfte, keinen Gleichklang mit meiner eigenen Sichtweise mehr fände. Es wäre nicht mehr dieselbe, „meine“, Stadt, die ich vorher so gut gekannt hatte. Es wären nicht mehr dieselben Menschen, mit denen ich verkehrte. Vielleicht würde ich sogar ein bisschen ver – rückt…

Alles, was wir sehen, verbinden wir mit unserer persönlichen Welt und es bildet sich daraus eine abgeschlossene, subjektive, eigene (Innen-) Welt. Sie ist für andere Menschen oft nur schwer nachvollziehbar oder nacherlebbar. Selbst dieser Text ist aus einem Gehirn geflossen, welches vollkommen andere Inhalte hat, als der oder die Leserin es haben mögen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht „etwas“ auf geheimnisvolle Weise zusammen, aber das ist doch verhältnismässig selten. Viel häufiger ist diese “ja, aber…“- Einwendung zu vernehmen. Wenige Menschen können etwas, was ihnen von außen zukommt (oder zufällt), bedingungslos annehmen.

Warum ist das so? Warum fühlen wir uns immer so kompetent und souverän dem anderen gegenüber? Sicher, es gibt viele Fragen, in denen wir uns zurückhalten sollten, wo wir eingestehen müssen, dass wir nichts von der Sache verstehen und wo wir uns gerne belehren lassen. In jüngeren Jahren vielleicht noch öfters, als in älteren. Aus meiner Erfahrung heraus, die natürlich auch eine ganz persönliche ist, überwiegt aber das moderat gewichtige „Kompetenzverhalten“ bei vielen Menschen. Dabei sind Kommentare, wie oben erwähnt, doch eher selten zu hören. Viel häufiger ist doch das “ja, aber…“…

Die mit den Wahrnehmungen und Erlebnissen verbundenen Gedanken sind Produkte unserer eigenen, individualisierten Biographie. Im Grunde können wir sie mit niemandem teilen. Es braucht auf dieser Ebene der Kommunikation immer ein gewisses Entgegenkommen und Wohlwollen des Gesprächspartners. Die „Meinungsprodukte“ (oder Konstrukte) werden durch die Erinnerung und durch Bestätigung von aussen, die wir uns oft erkämpfen müssen/wollen, zunehmend gestärkt und verfestigt. Es bilden sich aus schmalen Waldpfaden nach und nach breite “Autobahnen“ neuronaler Datenverknüpfungen in unserem Gehirn! Je mehr wir in unserem Gedankenkonstrukt bestätigt werden, sei es durch entsprechende Erlebnisse: “siehst du, ich habe es immer gesagt, dass es so kommen werde…“, oder sei es durch das Einholen äußerer Bestätigungen: “…bin ich nicht gut!?!“. So werden aus den objektiven Wahrnehmungen mit der Zeit stark gefärbte Verhärtungen und Fixierungen, denen wir uns kaum mehr entziehen können.

Die Dinge werden dann halt so gesehen, wie wir sie sehen wollen. Das geht zuweilen unter die Ratio, bis in konstitutionelle und instinktive Verankerungen hinein… Hier nützen keine verstandesmässigen Zugeständnisse mehr. Es gibt auch in der Politik kultivierte Bestätigungsmodelle: sie heißen CDU, SP, FDP, SVP, Grüne oder auch anders. Das persönliche Abweichen von den Parteiprogrammen führt oft zu Gruppenzwang oder Ausschluss. Auf diese Art und Weise wird sichergestellt, dass geordnete, vorgegebene Gedanken, Programme und Strukturen aufrecht erhalten bleiben, selbst wenn es einem vernünftigen Sachverhalt widerspricht. Man nennt das zuweilen auch Gehirnwäsche. Aber nicht nur in der Politik ist solches zu finden. Auch in der Gesellschaft sind viele bindende Konventionen verankert, die zuweilen keine Spielräume für eine Öffnung mehr bieten. Dies alles würde uns erst dann wirklich bewusst werden, wenn wir in andere Menschen hineinschlüpfen könnten. Vielleicht hilft manchmal nur schon dieser Gedanke weiter, um auf andere Gedanken zu kommen. Das kann ein Anfang sein…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Blicke hinter die Kulissen der Persönlichkeit

KettenWie eng Wahrnehmung und Denken miteinander verknüpft sind, wird üblicherweise nicht bemerkt. Denn das Bewusstsein ist in der Regel außer Stande, den Ablauf eines Erkenntnisprozesses mitzuverfolgen.

Heute sah ich auf der Fahrt zur Arbeit, die ich jeden Morgen mit dem Fahrrad unternehme, am Himmel einen kleinen dunklen Fleck. Innerhalb des kleinsten Zeitraums schaltete sich für mein Empfinden, zeitgleich mit der Wahrnehmung, der Gedanke an ein Flugzeug ein und verband sich mit dem Objekt. Was objektiv nichts anderes war als ein dunkler Fleck, wurde von mir sofort mit einem Begriff belegt. Ebenfalls praktisch zeitgleich stellte sich in mir das Gefühl „groß“ ein. Das heißt, ich empfand dieses Objekt am Himmel sehr groß, weil es von meinem Bewusstsein mit dem Gedanken „Flugzeug“ gekoppelt wurde und ich im Nu die entsprechenden proportionalen Verhältnisse konstruiert und interpretiert hatte. Ein Flugzeug am Basler Himmel ist sicher keine Seltenheit. Deshalb ist dieser Gedanke zunächst auch nicht abwegig. Schnell stellte sich durch die Art der Bewegung des Objektes heraus, dass es ein Vogel war und kein Flugzeug. Unmittelbar veränderte sich die Empfindung „groß“ um in „klein“.

Dies alles passierte in kürzester Zeit, das heißt im Bruchteil einer Sekunde. Alle diese Vorgänge in meinem Kopf geschahen zudem automatisch und ohne die Kontrolle meiner Selbst. Das Geschehen wäre völlig uninteressant in die Anti-Annalen meiner persönlichen Geschichte eingegangen, zusammen mit tausenden von ähnlichen Erlebnissen, die sich durch den Tag hindurch daran angeschlossen hätten, wenn nicht… ja was? Wenn dieser kleine Einblick nicht durch ein anderes, wacheres Bewusstsein erfolgen konnte, welches sich ganz unverhofft im Hintergrund einschaltete.

Die Abläufe von Wahrnehmung und Denken finden in der Regel im Dunkel des Unbewussten statt. Dabei schalten sich Vorgänge in das (Un-) Bewusstsein ein, die sich aus unserer Vergangenheit und aus den Gewohnheiten und Vorstellungen, welche wir, bis in die neuronalen Strukturen des Gehirns hinein, daraus gebildet haben. Dies zu bemerken ist für die meisten Gedanken dieser Art nicht möglich. Deshalb werden sehr oft auch Handlungen eingeleitet, die aufgrund solcher Wahrnehmung-Gedanken-Empfindungsketten erfolgen und dadurch nicht vollbewusst sein können.

Gewiss, nicht jeder hätte mit dem Objekt den Gedanken „Flugzeug“ verbunden. Manche hätten auch gleich den Vogel „gesehen“. Andere hätten schon gar nicht an den Himmel geschaut, oder wiederum andere hätten vielleicht an ein UFO gedacht. Je nachdem wie herum diese Ketten verbunden sind und welche Erfahrungen damit zusammenhängen, würde jeder und jede für sich etwas anderes darin sehen. Dies, obwohl es bestimmt Grenzen gibt, die das normale Verhalten überschreiten, zum Beispiel, wenn jemand mit dem dunklen Fleck den Begriff „Schwein“ verbunden hätte. Die aus den Erlebnissen gebildeten Interpretationen spielen eine ebenso wichtige Rolle und diese können durchaus bis ins Pathologische gehen. Der berühmte „Rorschach Test“ in der Psychiatrie und viele andere Wahrnehmungsphänomene, dokumentieren diesen Vorgang  deutlich.

Die meisten von uns würden jedoch kaum davon berichten können, was sich unbewusst ununterbrochen abspielt, weil sich solche Wahrnehmungen sofort wieder im Dunkel des Purgatoriums verlieren. Sie schaffen es meist gar nicht bis an die Oberfläche des Wachzustands.

Wie gesagt, allein auf der halbstündigen Fahrt von Weil nach Basel werden es vermutlich hunderte von solchen kleinen „Erlebnissen“ gewesen sein, die mir begegneten, ohne dass ich jetzt noch davon Kenntnis hätte. Einiges bleibt hängen. Meistens sind es Dinge oder Ereignisse, die eine kleine Schockwirkung hervorrufen, ein Auto, was von links auf uns zu fährt, oder sonst irgendwelche besonders auffälligen Dinge.

Unser waches Bewusstsein ist auf „Sensation“ und weniger auf „Intuition“ ausgerichtet. Alles andere als Sensation ist so langweilig oder mühsam, dass es nur schlafend oder träumend, wenn überhaupt, von uns wahrgenommen wird. Es wird nicht einmal bemerkt während dem das Auge darauf gerichtet ist. In den meisten Fällen hängen wir so „schauend“ irgendwelchen Gedanken nach, die für uns „wichtiger“ sind. Sie bilden eine Art Schleier, der sich vor das Auge schiebt und uns das Aufnehmen der Sinneseindrücke verbaut.

Was hat dies für Folgen? Es hat die Folge, dass wir uns, aus diesem Kontext heraus betrachtet, schwer vorstellen können, freie Menschen zu sein. Diese „Bewusstseinsketten“ haben einen unmittelbaren Bezug zu all den Dingen und Ereignissen, die uns jahrzehntelang als Persönlichkeit „gebildet“ haben. Aus solchen Erfahrungen wurden uns, nicht ohne Schmerzen, Urteile, Vorurteile, Meinungen, Ansichten förmlich „eingetrichtert“. Heute ist es ja ein Leichtes, dies auch mit wissenschaftlichen Methoden zu beweisen. Die Neurologie hat in den letzten Jahren viele Dinge bestätigt, die noch vor einigen Jahrzehnten als Hirngespinste irgendwelcher abgefahrener Esoteriker gegolten haben.

Es wäre fatal, wenn wir diesen Automatismen vollkommen ausgeliefert wären. Dann könnten wir in der Tat nicht mehr von „menschlicher Freiheit“ sprechen. Das ganze Rechtssystem müsste in den nächsten Jahrzehnten völlig neu überdacht werden, denn die Frage, wer die Verantwortung für unsere Taten übernehmen soll, wäre sehr komplex! Etwa so komplex, wie wenn wir die Rechtslage eines Wolfes beurteilen müssten, der ein Schaf gerissen hat.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Und habt ihr die Liebe nicht… | zweiter Teil

rotes herzZweiter Teil | Wir, vor allem die westliche Gesellschaft, sind Augenmenschen durch und durch geworden. Auch die Liebe nährt sich häufig vom Visuellen. Der schöne Körper, das schöne Gesicht, das Äußere wird zum Hauptfaktor für ein Gefühl, welches in dieser Weise unsere Vorstellungen nährt, bis man das «begehrte Objekt» besitzen will. So, wie man das Auto oder das Haus oder den Pelzmantel und andere Gegenstände besitzt. Das «Es» findet im Grunde sich selbst veräußert.

Das narzisstische Ich findet sich wahnsinnig toll. Das ist die positive Abspaltung, die nur deshalb positiv bezeichnet wird, weil sie ein positives Gefühl verursacht: Verliebtheit. Es ist der Umkehreffekt der negativen Abspaltung oder Projektion, die ein negatives Gefühl auslöst. Das geschieht zum Beispiel in Form von Aggressionen, die von außen an uns herankommen, aber eigentlich uns selbst gehören. Ob positiv oder negativ: Abspaltung bleibt Abspaltung. Sie gehört nicht der Außenwelt an, sondern uns. Und das bemerken wir nicht. Darin liegt die Tragik. Und in diesem Fall ist es eine Tragödie der «Liebe» oder dem, was wir als solche bezeichnen.

Man kann die Liebe nicht ohne soziale Verantwortung beurteilen. Alle die Missstände, Scheidungen, Probleme in Partnerschaften bis hin zu Gewalt in der Ehe und in der Sexualität, entstehen aus der Missachtung dieser Verantwortung! Da helfen alle schönen Sprüche von platonischer Liebe und seelischer Verbundenheit nichts, wenn damit soziale Bindungen zerstört werden. Es gibt keine Liebe, die für sich alleine besteht! Es gibt höchstens falsche Begriffe für egoistisch-narzisstische Emotionen. Die echte und freie Liebe steht immer im Zusammenhang mit der Verbindlichkeit im Umfeld! Diese Illusion nebelt das freie Ich ein und zwingt es zurück an die gebundenen Verhältnisse. „Es“ ist ebenso wenig frei, zu tun oder zu lassen, was es will. Es gibt nur noch Bindung, Verbindlichkeit und Gebundenheit!

In der Erkenntnis dieser Verbindungen, zusammen mit der Erkenntnis seiner selbst, werden erst freie, moralische Impulse geschaffen! Sie müssen möglichst gut ins eigene „Netzwerk“ integriert werden. Das kann nicht immer gelingen, weil manche Verbindungen zu komplex und zu zerstörerisch sind. Es ist verständlich, wenn Ehen, trotz sozialen Abstrichen, unter solchen Umständen gelöst werden! Liebe ist an sich etwas absolutes, undefinierbares, nur fühlbares. Nicht aber der Weg dahin. Aus dem „Schattenboxen“ wird erst durch viele Niederlagen und persönlichen Verluste hindurch eine wirkliche, echte und nicht binden wollende Liebe wachsen können! Das gebundene Ich wird sich irgendwann, spätestens wenn die erste Verliebtheit abflaut, fragen, wo die Legitimation dafür über alle die Jahre hinweg bestehen bleibt? Sind wir doch oft in wirklich schwierigen Umständen gefangen! Was von der Gebundenheit zur Sprache kam, wird hier zu einem unvorstellbaren und bedrängten, schmerzvollen Leben! Wer soll mir verbieten, aus dieser Gefangenschaft auszubrechen? Kann oder muss ich denn alles alleine tragen?

Die moralische (christliche) Erklärung wird stets das Durchhalteargument anbringen. Das «Opfer», welches damit für den oder die anderen (Kinder, Ehemann, Ehefrau usw.), verbunden sei, wird verherrlicht. Mit solchen Parolen werden mit Sicherheit keine Probleme gelöst! Die sozialen Umstände in vielen Ehen sind nicht einfach, sondern oft hoch komplex oder sogar tragisch. Sie können nie mit einem pauschalen gut oder schlecht beantwortet werden. Die Verflechtungen sozialer, wirtschaftlicher und emotionaler Art sind dermaßen groß, dass sie nicht ohne weiteres alleine gelöst werden können. Nicht grundlos sind die Worte Liebe und Leben vom Klang her, so nah beieinander! So wie alles Lebendige fließend ist, mit Rhythmus und Wandelbarkeit zu tun hat, genauso ist die Liebe etwas Wandelbares. Man denkt, das trifft sich gut, da kann man tun und lassen, was man will. Wandelbar sein, heiße ja, unverbindlich bleiben zu können. Wer so denkt geht fehl! Über Liebe kann man erst dann wirklich sprechen, wenn man selber frei geworden ist. Nicht von den Lastern frei, sondern frei von der Gebundenheit mit den Lastern, was nicht dasselbe ist!

Liebe hat immer mit innerer Freiheit (beider Partner!) zu tun, aber ebenso viel mit Selbsterkenntnis! Sie ist letztlich ein Gleichgewichtszustand zwischen Körper, Seele und Geist. Überwiegt das eine die Anderen, entstehen Probleme. Grundsätzlich kann ich alle Menschen gleichermaßen lieben! «Liebet einander bis ans Ende aller Tage!“. Wenn sich die Liebe zu einem bestimmten Menschen ver- einseitigt, wird mein Ehepartner, insofern nicht er oder sie dieser Mensch ist, möglicherweise nicht einverstanden sein! Und dennoch kann man mit Sicherheit in einem Leben mehr als einen einzigen Menschen lieben (lernen)! Jede Liebe ist ein individuelles Manifest zweier Menschen. Und weil jeder Mensch anders ist, gibt es unendliche solche Liebes-(mani)feste. Sie kann sich in unterschiedlichen Bindungen ausdrücken. Wir kennen gleichermaßen die Bruderliebe, wie die Liebe zum Ehepartner, die Liebe zu den eigenen Kindern und viele andere Arten, die wir alle mit demselben Wort belegen: Liebe.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft?

Und habt ihr die Liebe nicht… | erster Teil

rotes herzErster Teil | „Und habt Ihr die Liebe nicht…“ steht bei Paulus in den Römerbriefen wiederholt geschrieben. Welch ein geflügeltes Wort für viele Facetten des Lebens und einem bunten Strauß von Emotionen unserer Persönlichkeit, sei sie nun frei oder gebunden. Ist Sexualität Liebe! Oder ist Liebe Sexualität? Rein „platonische“ Verbindungen? Sind sie auch Liebe? Oder Seelenverwandt-schaft? Es gibt Sprachen, in denen die Liebe, wie wir sie kennen, in hunderte von Begriffen differenziert ist.

Verliebtheit und Liebe, wie steht es damit? Für alles wird derselbe Ausdruck verwendet. Es ist der Ausdruck für ein wunderbares Gefühl, was uns im Herzen trifft. Wer liebt, spürt vielleicht, wie sich „etwas dreht“, bei manchen im Bauch, bei anderen im Herzen, wie die berühmten Schmetterlinge. Punkt. Das wars. Mehr brauchen wir eigentlich nicht mehr zu erklären oder? Jeder von uns weiß Bescheid! Und dennoch sind sehr unterschiedliche Erfahrungen und Erlebnisse damit verbunden. Im Laufe unseres Lebens marschierten wir vermutlich alle durch viele verschiedene solche Liebesgeschichten und «Liebschaften» hindurch. Zwei (oder drei) Aspekte spielen hier die Hauptrolle: Ein Ich (in Beziehung zu einem Du) und ein Es! Der Schatten des Letzteren schleicht über alles hinweg und durch vieles hindurch. Er verdunkelte manche Gefühle im Lauf unserer Lebens- und Liebesgeschichte. Warum ist es denn so schwer, über die Liebe zu sprechen? Warum empfinden wir sie so unterschiedlich? Warum liebe ich diese Frau so sehr und sie mich nicht? Oder umgekehrt? Liebe kommt und geht. So scheint es. Gibt es die „Liebe des Lebens“? Oder sind das alles Wunschvorstellungen eines idealisierten Ichs? Fakt ist: Das gebundene Ich bleibt auch in der Liebe gebunden. Diese Gebundenheit zeigt sich in einem Blumenstrauss äußerst vielfältiger Variationen. Und kaum einer würde zugeben, dass er gebunden ist, weil das Es immer in der Illusion der Freiheit lebt, solange es sich nicht selbst erkennt. Verhaftungen sind nur deshalb unfrei, weil sie nicht erkannt und letztlich integriert werden.

Aber jetzt, wo wir das wissen und vielleicht ein kleines Stück des Wegs weiter gegangen sind? Was ist jetzt? Sind wir jetzt glücklich geworden? Nein? Wenn sich ein verheirateter Mann in eine andere Frau verliebt, wird er tausend Rechtfertigungsgründe dafür finden, was jetzt besser sei in der neuen Beziehung! Von seinem sexuellem Mangel wird er vielleicht erzählen oder über «Seelenverwandt-schaft» mit der neuen Partnerin. Er spricht davon, wie sich seine Beziehung «ausgelebt» habe, «ausgetrocknet» sei. Wie man sich nichts mehr zu sagen habe, nicht mehr dieselben Interessen habe und so weiter. Er hat sich «frisch» verliebt! Aber was heißt hier frisch? Die alte Liebe war auch einmal frisch, nun ist sie ausgeleiert, erloschen? Also holt man sich einen neuen Kick? So einfach ist das? Wohl kaum…

Der Alltag in einer Partnerschaft bringt Menschen oft näher zusammen als sie es gerne hätten. Kleinigkeiten sind es, die uns dann plötzlich unendlich ärgern. Wie jemand schnäuzt, sich bewegt, wie er/sie Luft holt beim Sprechen, wie er/sie isst, wie er/sie die Gabel hält oder die Zahnpasta Tube ausdrückt und so weiter. Es sind immer wieder diese Kleinigkeiten, die zu wuchern und zu wachsen beginnen und uns vom anderen zunehmend trennen. Dasselbe tat er/sie auch schon damals, als man sich kennen lernte und bis «über beide Ohren» verliebt war. Da hat es keinen gestört, es war «schnusig» oder «süß» oder man hat es gar nicht erst beachtet…

Doch dann beginnt langsam die Mühle des Alltags an dem Bild dieses einst so geliebten «Wundermenschen» zu reiben. Die Mühlräder des Es beginnen, dieses Bild zu zerstören. Vielleicht wird jede Alltagshandlung bald zur Marter. Die Gedanken heften sich plötzlich nur noch an die «Macken» des anderen (die letztlich mit einem selber zu tun haben?). Sie werden aufgeblasen, bis sie das Schöne, was man einst so liebte, zu verdecken beginnen. Aus dem einstigen Wundermenschen wird jetzt ein Zahnpasta-Tuben-Monster oder ein Nasengrübler oder ein Haarfetischist. Der Alltag zermalmt, was wir einst als große Liebe gesehen haben. In einer Fernbeziehung, «Mailbeziehung» oder mit anderen sozialen Medien, wird man mit diesen Dingen des Alltags nicht konfrontiert. Jeder versucht seine beste und vorteilhafteste Seite zu zeigen.

Ein egoistischer Kreislauf des Es beginnt sich so auszubreiten. Ist es denkbar, dass die wirkliche Liebeserfahrung erst beginnt, wenn diese Phase abgeschlossen ist? Wenn wir das «Es» des anderen Menschen zur Genüge kennen und ihm vielleicht überdrüssig geworden sind? Gibt uns der Alltag vielleicht erst dann die Chance, wirklich und wahrhaftig lieben zu lernen, was ja nichts anderes heisst, als den anderen im Kern, in seinem Wesen zu erkennen? Erst jetzt, wo wir anfangen, das Es des anderen zu lieben? Heißt Lieben vielleicht auch hier: Integration! So, wie das eigene Es wieder Ich werden will, zu sich genommen und dann erst verwandelt werden will, so müsste auch das Es den anderen Menschen in einer wirklichen Liebe, die diesen Namen verdient, integriert werden? Diesmal nicht bei ihm/ihr – den Weg muss er/sie selbst gehen – sondern auch bei mir? Ermöglicht dieses Integrieren der „Teilselbste“  des Anderen in mir erst, sein eigenes Es zu erkennen und im Selbst zu integrieren? Jetzt nicht durch ständigen Tadel und mit Nörgelei, sondern schlicht und ergreifend durch Akzeptanz? Das würde heißen: «Es» gehört zum anderen Menschen und trifft auf mich. Und weil Es auf mich trifft, betrifft «Es» mich?

Jede wirkliche und nachhaltige Verwandlung basiert auf Integration, sowohl bei mir, wie beim anderen: «Liebe den anderen (den nächsten) wie dich selbst“. Auch das steht im christlichen Kontext zuoberst. Die meisten Beziehungen enden, weil sie die Illusion der ersten Verliebtheit aufrechterhalten wollen. Diese Verliebtheit war ein Geschenk. Wer es zu halten versucht, der (ent-) täuscht sich und den anderen. Es hat sich aus irgendwelchen mystischen Gründen zwischen zwei Menschen ergeben. Man nenne es Naturtrieb, Karma oder Seelenverwandtschaft.

Wie auch immer. Es ist einfach. Das eine oder andere – oder alle diese – mögen eine Rolle spielen. Und warum bitte soll man(n)/frau sich denn nicht in einen anderen Menschen verlieben können? Wer sagt uns denn, dass wir an einen einzigen Menschen in ewiger Dauer („bis dass der Tod uns scheidet“) gebunden bleiben? Viele Liebespaare suchen ihren Partner nach den Kriterien der eigenen «Großartigkeit» aus! Bis hinein in die äußeren Merkmale. Passen die nach außen projizierten Ideale zum eigenen konstruierten Selbstbild, fühlt man so etwas wie „Verliebtheit“. Es entwickelt sich solchermassen eine narzisstische Spiegelung, einer Art Selbstliebe! Diese Projektionen können in recht fatalen Spielchen (Erwachsenenspiele, so genannt nach Eric Berne) ausarten. Wenn der «geliebte» Mensch seine einst so schönen Attribute verliert (die Haare gehen ihm aus, werden grau oder der Bauch wird etwas zu dick für den eigenen Geschmack), dann baut man das gespiegelte Idealbild plötzlich zum erklärten Feindbild auf!?

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft?

Ein „individuelles Grundeinkommen“

Einleitende Gedanken

monopoly

„Das Geld ist da, der Platz zum Horten auch. Und sie sind ja schön, die Möbel, das Auto, die Klamotten. So füllt sich der Rucksack des Lebens. Und unter ihrem wuchernden Hausstand schleichen die Menschen langsamer und langsamer dahin. Bis endlich alle Bewegungsenergie verbraucht ist und sie zu Archivaren im Museum ihres eigenen Lebens geworden sind…“ (Hermann Scherrer)

Die Frage nach einem „bedingungslosen Grundeinkommen“, die in den vergangenen Jahren hitzige und kontroverse Diskussionen auslöste, hat auch mich zunehmend und nachhaltig beschäftigt. Vor allem die Frage: wie kann ich mich, auch ohne die offizielle staatliche Zustimmung (Stichwort: bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz), für ein solches Anliegen auf Vordermann bringen und mein Leben in wirtschaftlicher Hinsicht individuell optimieren…

Damit soll nun nicht wieder ein neues „System zur Rettung der Menschheit“ propagiert werden, sondern lediglich eine kleine praktische Möglichkeit ohne objektiven Charakter. Es geht mir hier also nicht um die Frage nach der Bewertung eines generellen, staatlich abgesegneten Grundeinkommens, sondern darum, sofort und ohne Rechtfertigungszwang, ganz unverbindlich und höchst privat sozusagen, etwas monetäre Ordnung unter neuen Gesichtspunkten in das eigene Leben bringen.

Entgegen allem Wachstumszwang gehört erstens etwas Mut dazu und zweitens die Einsicht, dass jeder von uns Teil des „Systems“ ist. Auch im Zusammenhang mit meinen Kernanliegen (Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz) oder generell allen Themen gegenüber, wo es um dieses „Kern“ – Geschäft, nämlich dem Finden des eigenen (Kerns) geht …im Zusammenhang also mit diesen Fragen, ist es nicht unbedeutend, auch immer wieder über Geld (im Sinne des Geistes, der darin liegt) nachzudenken. Wie bereits in den zwei Aufsätzen „Die 7 Abhängigkeiten“ erwähnten Argumenten, verhindern gerade diese Geldangelegenheit erfolgreich die tieferliegenden Anliegen unseres Herzens. (Vor allem bei denen, die es nicht haben…). Inzwischen gibt es einige scheinbar erfolgreiche Modelle für ein Leben ganz ohne Geld. Wenngleich solche Bemühungen spannend und lobenswert sind, so bleiben sie dennoch in den meisten Fällen sekundär im „System“ verankert (über Freunde, die Geld haben oder Nahrung, Unterkunft zur Verfügung stellen usw.).

Aufgrund dieser Ideen kam ich auf die Frage, wie sich das persönliche Leben trotzdem für jeden, unter Berücksichtigung der eigenen sozialen Anliegen, optimieren lässt! Es fielen mir einige Dinge auf, die vielen von uns üblicherweise eigen sind, wenn wir in wirtschaftlichem Sinn an „Optimierung“ denken. Dabei geht es uns – und (fast) jedem Unternehmen auch – hauptsächlich um die Optimierung der Einnahmenseite des Budgets, der „Mehr – Bilanz“, wie ich sie nenne. Dies erfordert ein hartes Abgrenzen und Konkurrenzdruck, ein sich Behaupten gegenüber den anderen, die sich genau so verhalten:

Mehr –  Bilanz:

Absurderweise findet man diese Maxime auch in Bereichen, wo sie etwas seltsam anmuten. Zum Beispiel wenn ein großer Pharmakonzern davon träumt, dass ein Medikament ein „Kassenschlager“ wird. Dies kann es ja nur, wenn möglichst viele Menschen die dem Medikament zugrunde liegende Krankheit haben (bekommen). Man kann sich fragen, ob die Interessen da bei der Gesundheitsförderung liegen. Dies nur als Nebenbemerkung…
Doch zurück zum Thema: Normalerweise hat man (jetzt mal aus privater Sicht) ein Einkommen zur Verfügung, welches sich aus regelmäßigen oder spontanen Einkünften generiert. Daraus errechnet man dann die einzelnen Posten und Ausgaben für fixe und variable Kosten, die man z.B. für ein Jahr zu erwarten hat.
Die meisten Menschen versuchen dabei stets, die Einnahmenseite zu verbessern, sprich immer mehr zu verdienen. „Wenn du mehr hast, kannst du mehr ausgeben und dir mehr leisten„, sagen sie. „Du kannst im nächsten Jahr vielleicht länger Ferien machen oder mal etwas weiter reisen als normal oder es liegen gewisse Extras drin, wie z. B. ein neuer Fernseher oder eine neue Play-Station, ein Motorrad oder ein kleines Pool im Garten, neue Möbel oder ein neues Auto usw.“

Die Rechnung zielt also bei vielen Leuten auf Wohlstandswachstum ab. Dazu kommt (das muss gerechterweise erwähnt werden), dass die Preise stetig steigen , die Lebenskosten werden höher, die Krankenkassen Prämien schwellen von Jahr zu Jahr an usw. (nur: eben gerade deswegen, weil die anderen auch unter dem Motto des „Mehr“ wirtschaften). Ungeachtet dieser gegebenen Faktoren, die (zunächst) nicht beeinflussbar sind, stehen die anderen, persönlichkeitsabhängigen gegenüber. Wohl könnte die Vermutung nahe liegen, dass die Einsicht in dieses Verhalten und eine Kehrtwende aller, die sich dessen bewusst werden, durchaus auch auf die Preise, im positiven Sinne, nachhaltige Auswirkungen hätten. Die Kehrtwende müsste über eine andere Art der Bilanzierung erfolgen, die ich hier die Weniger – Bilanz nenne.

Weniger – Bilanz 

Ich habe mir die Überlegung gemacht, wie kann man das Gegenteil der erwähnten Entwicklung erreichen und eine Kehrtwende einleiten. Das hieße nicht etwa sparen, verzichten, leiden und Abstriche machen bis zum „geht-nicht-mehr“, sondern, bei einem weiter andauernden Wohlgefühl, dennoch Kostenaufwände zu minimieren. Die Bilanz würde dann etwas anders aussehen, weil die Frage umgedreht wird. Also nicht, wie kann ich immer mehr erhalten um mir mehr zu leisten, sondern wie viel muss ich arbeiten, um demjenigen Standard gerecht zu werden, den ich aufrecht erhalten möchte! Das mag nun nach Vollaskese aussehen und auf manche Hardcore-Egos abstossend wirken. Aber das muss nicht zwingend so sein. Die Verlagerung findet zwar mittel- und langfristig auf der Seite der persönlichen Ansprüche statt, was das Geld anbelangt, wiegt dafür umso mehr die andere Seite auf, Raumgewinn und Zeitgewinn. Es ist also lediglich eine Frage der Prioritäten – und damit mehr Freiheit. Dazu unten mehr…

Um nun konkret zu werden, kann man eine Kostenrechnung der Ausgangslage aufstellen. Welche Kosten verursache ich gegenwärtig. Dafür gibt es dutzendweise Checklisten im Internet, die helfen, solche Kosten realistisch einzuschätzen. Diese Aufstellung zeigt mir dann eine Gesamtsumme meines aktuellen Standards. In meinem Fall (als Selbstständiger), könnte ich nun ausrechnen, wie viele Arbeitseinheiten ich pro Woche leisten muss, um diesen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Dazu teile ich die Summe der, meines Erachtens unabdingbaren, Ausgaben durch die Jahreswochenzahl und die Honorareinheit, die ich berechne. Dies ergibt die zu leistenden Stunden meines persönlichen Nutzungsniveaus, welches ich aktuell erhalten muss oder will. Vielleicht ist der eine oder andere erstaunt, was dabei herauskommt. Dabei kann sich jeder im Laufe der folgenden Jahre die eine oder andere „Unverzichtbarkeit“ zu Gemüte führen und das Wohlfühlniveau stets nach Belieben nach unten (im Sinne des Geldes), oder nach oben (im Sinne der Freiheit) korrigieren… („das letzte Hemd hat ja eh keine Taschen…“)

Man kann sich fragen: Was soll das ganze?

Ziel der ganzen Angelegenheit ist die Optimierung freier Zeit, die nicht kostenabhängig ist. Zeit, die mir zur Verfügung steht, genau das zu tun, was mir wirklich am Herzen liegt, fern von jeglicher systemrelevanter und monetärer Pflichtleistung. Diese freie Zeit kann von Jahr zu Jahr optimiert werden. Alle in der Mehr – Bilanz angeführten Posten, lassen sich jederzeit durchchecken. Immer mit der Frage der absoluten Notwendigkeit. Dabei sollte es nie zu großen oder unrealistischen Einschätzungen kommen. Die Freude sollte nie durch negative Belastungen überdeckt werden. Wer es liebt, von Zeit zu Zeit auswärts essen zu gehen und dazu gerne eine gute Flasche Wein trinkt, der kann sich ja überlegen, ob es auch vier mal im Monat reicht statt der bisherigen 8 mal. Damit kann er schon leidlich Geld sparen ohne deswegen gleich unter schwerem Verzicht zu leiden. Dies nur als Beispiel. Für jedes eingesparte Vergnügen bekommt man auf der anderen Seite freie Zeit geschenkt. Dabei ist es ja nicht verboten, dass auch die dortigen Leistungen (also die der „freien Zeit“) Geld einbringen dürfen. Sie müssen nicht zwingend ehrenamtlich sein. Aber es besteht bei der „Weniger – Taktik“ keine absolute Notwendigkeit und keine Abhängigkeit mehr. (Dieses Privileg haben normalerweise nur sehr reiche Leute…)

Es geht ja immer darum, den Raum der eigenen Herzensangelegenheiten zu vergrößern. Das heißt Befreiung von Pflichtabhängigkeit wirtschaftlicher Art. Der Vorgang beschreibt eine Methode, sich selbst eine Art „individuelles Grundeinkommen“ zu sichern ohne den Verlust von Freude und Begeisterung (im Sinne Urslis…;-) und dabei die Abhängigkeiten äußerer Faktoren zu verringern (siehe auch letzte Artikel über die sieben Abhängigkeiten).

Beispiele für Budgetvorlagen

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Der richtige Weg…

fahrradfahrerAuf dem Weg von Weil über Frankreich in die Schweiz nach Basel überquert man eine grosse „Passerelle“, die dort seit einigen Jahren in einem stolzen, geschwungenen Bogen majestätisch den Rhein überquert und Deutschland mit Frankreich verbindet. Sie wird deshalb nicht zu unrecht „Europabrücke“ genannt.

Da mich seit geraumer Zeit mein Arbeitsweg über diese Brücke zur Wirkstatt nach Basel führt, kenne ich mittlerweile die kürzesten Wege dorthin schon ziemlich gut. Etabliert hat sich der eine („Chemie-) Weg“ via BASF und Novartis am Spielcasino und der psychiatrischen Klinik vorbei in Richtung Wasgenring und schliesslich ans Endziel Largitzenstrasse. Vor einigen Tagen sah ich kurz vor der Grenze ein Paar mit ihren Fahrrädern auf mich zukommen. Genau dort, wo sich der Radweg – nach der Schweizergrenze ins Elsass – von der besagten Abkürzung scheidet, kreuzten sich nun die Wege jener zwei Radfahrer und mir. Auf dem sportlichen „Herrenrad“ sass ein ebenso sportlich gekleideter Mittfünziger, der aussah wie Didi Thurau höchstpersönlich. Er entpuppte sich indessen als holländischer Tourist mit vorn auf dem Lenker aufmontierter grosser Radkarte. Die weniger sportliche und etwas einfacher bestückte Frau war unterdessen bereits auf dem abgekürzten Weg in der Ferne entschwunden, als „Didi“ mich nach dem Weg fragte: „Entschuldigen sie, wie komme ich denn zur Europabrücke“. Mit der Gewissheit eines Routiniers antwortete ich zielsicher und bestimmt. „Ja, da gehen sie am besten hier entlang“ und ich zeigte auf die Strasse, wo man gerade noch seine Frau in der Ferne entschwinden sah. „Aber der Radweg ist doch hier aufgezeichnet“, erwiderte der Holländer und zeigte mit grosser Handgeste auf den am Boden eingezeichneten weissen Streifen mit dem aufgedruckten Fahrrad. Dieser Weg führe bestimmt auch irgendwann zur Europabrücke, erklärte ich ihm ruhig, jedoch mit einem erheblichen Umweg via Stadtzentrum des französischen Städtchens Huningue. Inzwischen war seine Frau bereits „um die Ecke gebogen“ und würde in etwa 3 Minuten und in gemächlichem Tempo den Rhein erreicht haben. Didi aber gab sich noch immer nicht zufrieden. Wieder hackte er, auf seine Karte zeigend, jetzt allerdings schon etwas ungehaltener, nach.  „Aber hier, sehen sie denn nicht, da ist der Weg doch eingezeichnet! Und auf dem Boden ist ebenfalls ein Radweg markiert! Es MUSS doch hier entlang gehen!?!“ „Ja, gewiss, gewiss, Sie können den Weg hier auch nehmen“, beruhigte ich den inzwischen aufgebrachten Radler schliesslich und lenkte zustimmend ein. Nur still sagte ich zu mir…: „Sturkopf“. Der Mann büschelte entnervt seine Karte auf dem Lenker zurecht, trat heftig ins Pedal und fuhr den besagten Umweg, während dem seine Frau wohl bereits seit einigen Minuten an der Europabrücke angelangt war.

Noch lange habe ich mir Gedanken über diese Begegnung gemacht. Man kann lange darüber grübeln, weshalb er mich denn überhaupt gefragt hat, wenn er doch schon zum Vorherein sicher war, wo der Weg, SEIN Weg durchführen würde. Wohl nur, um von mir die bereits von ihm vorgefasste Meinung bestätigt zu bekommen, nachdem er deswegen mit seiner Frau Streit bekam – mit ihr, die doch NICHT RECHT HABEN konnte, weil sie NICHT NACH DER KARTE, sondern intuitiv (richtig) gefahren war…

Und die Moral von der Geschichte. Rechthaben ist auch eine Sportart aber eine, die je nach dem erst auf Umwegen zum Ziel führt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

ICH …und die Welt

AussenDer Blick nach aussen ist das „alles-in-Frage-stellende“. Gedanken, Gefühle und Handlungen anderer werden bezweifelt, angefochten, berichtigt, „ergänzt“ (das ist die edle Variante, denn ergänzen kann man immer, alles, ein Leben lang), beurteilt, verurteilt, bevorzugt, benachteiligt und alles, was Berichtigung, Korrektur der anderen („falschen“) Weltbilder ist. Das Eigene ist Zentrum des Bewusstseins, Zentrum des „Für-wahr-haltens“. Die Intelligenz, die Cleverness, Bildung, Wissen usw. sind der Gradmesser dieser Haltung dem Leben und Denken gegenüber.

InnenDer Blick nach innen zeigt eine ganz andere Welt, die Eigene! Er benötigt die Haltung des Betrachters, des Beobachters, der die „Eigen-heiten“ erkennt und wahr-nimmt. Das eigene Urteil wird aus dem Blickwinkel des/der Anderen gesehen. Dessen, der vielleicht eine Welt statt in rot, in blau (oder grün, oder rosa…) sieht. Sie ist ebenso richtig und ebenso falsch, wie meine rote Welt. Sie IST halt einfach. Sie beweist NICHTS. Denn die Färbung ist die Färbung der eigenen (beschränkten) Persönlichkeit. „Wer frei ist von Schuld, der werfe den ersten Stein…“

Innen-AussenSo gibt es zwei Welten. In der ersten bin ich Akteur, Beteiligter, Auslöser, Wirkender, Schaffender. Ich tue dies aus dem Behältnis eigener Erfahrungen, Lehren und Intelligenz. In der Zweiten bin ich „nur“ Beschauer, Betrachter, passiv, aber wach: Erkennender dieser anderen Welt in mir. Ich trete ihr wohlwollend gegenüber, sie umfassend, ja liebend! Aber ERKENNEND. Ich BIN NICHT jene Welt, für die ich mich im Normalfall so sehr einsetze, für die ich so sehr kämpfe. Das ist die grösste Erfahrung jedes Suchenden. Denn was er sucht, ist schon längst in ihm…

Das Einzige, was bezweifelt und verurteilt werden kann ist die Sturheit, Abgrenzung und Intoleranz gegenüber dem/den Anderen… Intoleranz gegenüber der Intoleranz ist die einzige Legitimation für Intoleranz…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Begegnung mit Martin Buber

Martin BuberEine fiktive Geschichte… Mai 1935: Ich stand vor der großen hölzernen Türe eines alten, ehrwürdigen Hauses im 3. Wiener Bezirk. Das Herz klopfte in mir. Gespannt auf seine Erscheinung. Gespannt auf sein Wesen, auf die Gestalt, auf sein Sinnen. Ich zog behutsam an der Glocke und wartete einige bange Sekunden. Da öffnete sich die Tür. Erwartungsvoll erblickte ich eine Hausangestellte, die mich freundlich empfing. Ich sagte, ich sei Kaspar Volkelt und hätte mich bei Herrn Buber für heute angemeldet. Die Frau verschwand einen kurzen Augenblick im Dunkel des Flurs. Nur wenig später erschien er, der Mann, von dem ich so viel gelesen, so viel berichtet und so viel gehört hatte. Ein Mann, dem ich vieles zu verdanken hatte und der für mich so etwas wie mein Meister wurde: Martin Buber.

Unscheinbar, freundlich und warmherzig begrüsste er mich und bat mich einzutreten. Seine gütigen Augen, der weisse lange, etwas struppelige Bart und sein durchgeistigter Blick faszinierten mich. Ich folgte ihm in sein Studierzimmer und setzte mich auf den angebotenen etwas abgewetzten Barockstuhl, der sich gleich hinter seinem bescheidenen Schreibtisch befand. Ich wunderte mich darüber, wie wenig Bücher sich in diesem Zimmer befanden. Nur auf einem kleinen Holzgestell standen einige Werke. Der Schreibtisch hingegen war voll von kleinen Notizzetteln und Papierstreifen. Dazwischen lagen einige alte Zeitungsausschnitte.

Buber zog einen Stuhl herbei, setzte sich mir gegenüber und schaute mit leichtem Schalk in mein Gesicht: Bitte, Herr Volkelt, begann er mit einem warmen, ruhigen Ton – stellen Sie Ihre Fragen. Ich höre Ihnen gerne zu…
Noch etwas unsicher, durch seine Wärme und seine geistige Präsenz aber inspiriert, begann ich zu sprechen: Ich habe Ihre Texte wieder und wieder gelesen, Herr Buber. Ich bin ein grosser Verehrer von Ihnen und möchte einige Fragen zur Kunst stellen, die mich schon lange beschäftigen.
Bitte! – Herr Buber forderte mich mit einer Handbewegung dazu auf.
In Ihrem Buch „Ich und Du“ habe ich folgende Stelle gelesen, die ich Ihnen gerne erst vorlesen möchte. Sie schreiben über das Suchen: – „Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden. Aber daß ich zu ihm das Grundwort spreche, ist Tat meines Wesens, meine Wesenstat“. – Wie muss ich das verstehen, was ist mein wahres Wesen?
Buber, nickend, nach einer Bedenkpause: Das Du begegnet mir. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm. So ist die Beziehung Erwählt werden und Erwählen, Passion und Aktion in einem. Wie denn eine Aktion des ganzen Wesens, als die Aufhebung aller Teilhandlungen und somit aller – nur in deren Grenzhaftigkeit gegründeter – Handlungsempfindungen, der Passion ähnlich werden muß. Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung!
Ich fragte ihn: Muss ich diesen Gedanken nur dem Menschen gegenüber, der mir als Du begegnet, in dieser Weise auffassen, oder ist damit alles gemeint, was mir im Leben begegnet und entgegentritt?
Buber besann sich einen kurzen Augenblick. Er senkte seinen Kopf, schien ganz in sich zu gehen , blickte dann zu mir auf und ein freudiges Gesicht blickte mich jetzt sanft und wohlwollend an: Das ist der ewige Ursprung der Kunst, nach dem Sie da fragen, daß einem Menschen Gestalt gegenübertritt und durch ihn Werk werden will. Keine Ausgeburt seiner Seele, sondern Erscheinung, die an sie tritt und von ihr die wirkende Kraft erheischt. Es kommt auf eine Wesenstat des Menschen an: vollzieht er sie, spricht er mit seinem Wesen das Grundwort zu der erscheinenden Gestalt, dann strömt die wirkende Kraft, das Werk entsteht.
Also ist das Werk ebenso lebendig wie ein Baum, ein Mensch, ein Tier? – fragte ich ihn, nachdem er seine Gedanken zu Ende geführt hatte.
Buber fuhr fort: Die Tat umfaßt ein Opfer und ein Wagnis. Das Opfer ist: Die unendliche Möglichkeit, die auf dem Altar der Gestalt dargebracht wird; alles, was eben noch spielend die Perspektive durchzog, muß ausgetilgt werden, nichts davon darf ins Werk dringen; …so will es die Ausschließlichkeit des Gegenüber. Das Wagnis: Das Grundwort kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden; wer sich drangibt, darf von sich nichts vorenthalten; und das Werk duldet nicht, wie Baum und Mensch, daß ich in der Entspannung der Es-Welt einkehre, sondern es waltet: – diene ich ihm nicht recht, so zerbricht es, oder es zerbricht mich. Die Gestalt, die mir entgegentritt, kann ich nicht erfahren und nicht beschreiben; nur verwirklichen kann ich sie. Und doch schaue ich sie, im Glanz des Gegenüber strahlend, klarer als alle Klarheit der erfahrenen Welt. Nicht als ein Ding unter den »inneren« Dingen, nicht als ein Gebild der »Einbildung«, sondern als das Gegenwärtige. Auf die Gegenständlichkeit geprüft, ist die Gestalt gar nicht »da«; aber was wäre gegenwärtiger als sie? …und wirkliche Beziehung ist es, darin ich zu ihr stehe: sie wirkt an mir wie ich an ihr wirke.
Buber drehte den Kopf zum Fenster. Dort erhob sich gerade ein Sonnenstrahl zwischen den Wolkenbändern und drang in unser Zimmer. Die herbstliche Farbenwelt durchflutete jetzt den ganzen Garten, den man von hier aus gut sehen konnte. Von dort schienen seine Gedanken herein zu strömen:
Schaffen ist Schöpfen, sprach er – Erfinden ist Finden. Gestaltung ist Entdeckung. Indem ich verwirkliche, decke ich auf. Ich führe die Gestalt hinüber – in die Welt des Es. Das geschaffene Werk ist ein Ding unter Dingen, als eine Summe von Eigenschaften erfahrbar und beschreibbar. Aber dem empfangend Schauenden kann es Mal um Mal leibhaft gegenübertreten.
So hatte er meine Frage erschöpfend geklärt… Als ich ihm zum Abschluss für das Gespräch dankte, begleitete er mich zur Türe und gab mir ein Zettelchen in die Hand, welches ich für mich zuhause lesen solle. Ich dankte ihm und verabschiedete mich.
Zuhause angekommen öffnete ich das gefaltete Papierstreifchen und las es laut vor mich hin:

Was erfährt man also vom Du? Eben nichts. Denn man erfährt es nicht. Was weiß man also vom Du? Nur alles. Denn man weiß von ihm nichts Einzelnes mehr…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Fussball-Fieber

FussballSommer, Hitze. Fussball. Herz, was willst du mehr! Alles sitzt, steht, (liegt?, oder steht Kopf…) vor den Fernsehern und Leinwänden der vielen Public Viewing Events, die in allen Ländern der Welt zur größten Show der geliebten Fußballstars einladen.

Wohl kaum einer interessiert sich da für philosophische Themen. Die können im Winter mal ganz interessant sein, wenn die Kugel in den Katakomben der Stadien ruht. Dann, wenn die Langeweile einen überkommt und Schnee und Kälte uns vor größerer Aktivität zurückhalten, dann, ja dann schlägt man vielleicht einmal ein Buch auf, welches man seit Jahren vergessen hatte, Hegel, Fichte, Goethe und wie sie alle heissen…

Gedanken über die Welt, über Leben oder Sinn (und Unsinn) unseres Daseins sind oft unangenehm. Sie kühlen unsere automatisierten Handlungen und Abläufe auf fatale Art und Weise auf den Gefrierpunkt ab. Sie fordern uns vielleicht dazu auf, diese ewigen Fragen des Daseins zu beachten, einmal inne zu halten, zu schweigen, Dinge anzuschauen die wir sonst kaum beachten im Trubel der vielen Aktivitäten einer überbeschleunigten Zeit.

Ich schreibe das nicht etwa ironisch, quasi aus der Position eines Fussballmuffels heraus, sondern – im Gegenteil – als bekennender Fan! Als ehemaliger Junior und Spieler eines mittelmäßigen Thurgauer Fußballvereins, weiß ich um die Faszination dieses wunderbaren Spiels, und um die Anziehungskraft des runden Leders (welches damals in den 70ern noch ziemlich unangenehm ledrig war). Man muss sich ja nicht grundsätzlich ins Abseits stellen um die Welt philosophisch zu betrachten. Gerade das „in den Dingen sein“ (genannt inter-esse), macht das Leben doch so spannend. Egal, was wir tun, das Anteil-nehmen macht die Würze aus!

Philosophie muss nicht belehrend sein, sondern beschreibend.
Sie muss nicht urteilen, sondern erkennen.
Sie soll nicht lähmend sein, sondern begeisternd.

In diesem Sinne lade ich immer wieder zur „philosophischen Unterhaltung“ und zum Mitdenken auf meinem Blog ein. Ähnlich wie im Spiel mit dem Ball, verhält sich doch das ganze Leben. Alle Themen spiegeln sich darin. Von totaler Selbstüberschätzung bis hin zur nüchternen Ungewissheit, von anerkennendem Lob bis zu verachtendem Tadel: Immer wieder wechseln Emotionen, Aggressionen und überschäumende Freude sich ab im Tanze des Ballzaubers. Nichts ist im Grunde berechenbar, nur tendenziell einschätzbar. Die Pässe, Blockaden und Mauern (Hindernisse), die (Frei-) Räume und Attacken, alles entsteht in jedem Moment immer wieder neu und unvergleichlich. Kein Spiel hat denselben Verlauf. Und doch sind die Spielregeln, die Verhältnisse exakt vorgegeben, das Spielfeld um die 100 Meter lang und 65 Meter breit, zweimal 11 spielende Akteure usw. Was innerhalb dieser Einschränkungen passiert ist ungewiss und überraschend wie das Leben selbst, welches ebenfalls gewisse klar gesetzte Rahmen hat.

Hier liegt wohl die grösste Faszination: In dieser relativen und doch planbaren Unsicherheit im Spielverlauf. Auch hier gibt es Stars, Gewinner und Verlierer, wie im Leben auch.

In diesem Sinne: Hopp Schwiiiiiiz!

Schweiz-Flagge

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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