Ich gestalte, also bin ich…

„Meditationen eines Bildhauers…“ im Spiegel der Gesellschaft…

wasseroberflächeDies gleich vorab: Nicht die Form trägt die Kraft meiner Skulpturen in sich, sondern die Fläche. Diese „bahnbrechende“ Entdeckung machte ich heute für mich – oder besser und einfacher gesagt, es wurde mir plötzlich klar… und dies sind ganz überraschende, daraus folgende Gedanken dazu.

Die Form des Wassers zum Beispiel, sie ändert sich in jedem Moment. Sie ist niemals gleich. Würde man einen Ausschnitt dieser Oberfläche 100 mal nacheinander im Sekundentakt einfrieren und heraus schneiden können und diese so entstandenen Formen danach miteinander vergleichen, dann hätte man 100 komplett verschiedene Formen neben einander liegen, so eine Art „Relief- Reigen“ von eingefrorenen Wasseroberflächen.

Und obwohl diese Formen sehr unterschiedlich aussehen würden, hätten sie doch denselben ihnen zugrunde liegenden einprägsamen Charakter, die gleiche Grund- Energie in sich. Man sähe die Verwandtschaft all diesen Formen an, weil sie aus derselben Kraft geschaffen wurden. Ähnlich ist es, wenn ich zum Beispiel mit dem Ton arbeite. Ich habe vielleicht auch irgendwann 100 verschiedene Formen gemacht. Und obwohl ich mir sehr viel Mühe damit machte, mein eigentliches Selbst durch konditionierte Vorstellungen (…und eingefleischte Technik), daraus hinaus zu verbannen, würde man doch stets erkennen, dass diese Formen vom gleichen Menschen geschaffen wurden! Die Ähnlichkeit ist nicht mehr so rein wie jene des Wassers, denn das Wasser kennt nur eine Energie, nämlich die seine. Aber es würde etwas wesentliches von mir sichtbar. Mein „Stil“, oder meine Wesensart oder wie man es nennen mag würden dennoch irgendwie sichtbar. Typisch „Mato“ halt…

Der Mensch hat nebst dieser einen und eigentlichen – zentralen, möchte ich jetzt mal sagen – Kraft, noch tausend andere Persönlichkeitsfacetten, „Kräftchen“, in sich geschaffen, mit denen er sein eigentliches Selbst verdeckt (und auch vergisst). Deshalb werden diese inkongruenten Gestaltungen erst sichtbar. Oft betonen die Gestalter ihre Form mehr als die in ihnen liegenden Flächen, weil der Ton (als Beispiel) dies zulässt, weil er nicht „reklamiert“, wenn ich ihn beeinflusse, „beeindrucke“. Würde ich dasselbe mit dem Wasser tun, so hätte ich Probleme, weil die Energie des Wassers immer sogleich seine Rechte einfordert und mich an seine Gesetzmäßigkeiten bindet. Und das ist die Flüssigkeitsstruktur, die Bewegungsstruktur, die Kraftströme und alles, was dazugehört.

Kanten, Bögen und Mulden, was auch immer ein Gestalter der Materie einverleiben und einprägen will und kann, es bleibt immer und unzertrennlich ein Teil von uns selbst, ein von unserer eigenen verwandelten oder unverwandelten Energie geschaffenes. Die Hände sind die Werkzeuge, die sich an die Intentionen und Impulse seines Eigners halten, sich an ihm orientieren. Wir können selbstverständlich immer den Kopf einschalten und die Koordination lediglich aus dem Intellekt und aus der blossen Idee heraus steuern. Wir sagen „Würfel“ – und die Hand führt den Befehl „Würfel“ aus. Was sie daran hindert, dies mit einem gewissen Unvermögen zu tun, ist lediglich ihre Ungeschicklichkeit. Die Steuerung der Hände folgt zwar den „Befehlen“ der Vorstellung, aber sie vermag es meist nicht ganz adäquat umzusetzen. Das ist dann die Schnittstelle zur Maschine (…oder wir lassen es von geschickteren Menschen gestalten). Wir sehen dies vielleicht auch schnell ein und fühlen uns ohnmächtig dieser Tatsache gegenüber. Eine konsequente Schulung vieler Faktoren vermag dieses Manko zu verbessern: Eine Art Kunstförderung mittels Wahrnehmungsschulung an vorderster Front, dann aber auch die rein physische Beweglichkeit der Finger. Weiterhin die genaue Kenntnis des Materials, deren Konsistenz und Formverhalten usw. stehen nun plötzlich der Idee voran.

Dies alles reicht aber immer nur dazu, die technische Seite einer Form, unser Können (Kunst kommt ja scheints von können…) voranzubringen. Damit haben wir aber den entscheidenden Schritt noch nicht getan. Die Verbindung zu unserem Wesenskern, der „Zentrale“ unseres Geistes, können wir mit der besten Technik (und auch nicht mittels blossem Wissen) nicht herstellen. Viel eher vermögen wir dies zu verdecken! Der schöne Schein trügt nur zu oft. Für die Kraft, für den Ausdruck der Form brauchen wir mehr! Wir brauchen zwar AUCH die Technik, zweifellos. Dies wird in der gegenwärtigen Kunstszene manchmal unterschätzt! Aber Technik ist nur Grundlage, noch nicht AUSDRUCK. Um diesen Schritt zu erreichen, benötigen wir eine direkte Verbindung von Herz und Hand, was nicht etwa Kopflosigkeit heisst. Bewusstsein ist aber mehr als Gedanke. Und das Bewusstsein muss erweitert werden auf den ganzen Körper! Nur aus dieser Haltung heraus schaffen wir den Schritt in die eigentlich wesentliche Kraft, die dem Werk erst Leben verleiht! Das wäre ein Quantensprung in der Kunst und im Leben!

Und was hat dies für Konsequenzen? Nicht nur in der Kunst, (aber dort wohl unmittelbarer als anderswo), begreifen wir die Welt ganzheitlich. Die Verbindung des eigenen Tuns mit dem dahinterliegenden Tat-Impuls und einem gleichzeitigen Anwesend-Sein mit der Handlung schafft erst diese Tiefe!

Demgegenüber ist vieles in unserer Welt Form-betont. Der Fokus (in der Kunst, wie auch im Alltag), liegt meistens in der Form. Die Kraft, die sich in der Fläche (der Welt, der Erscheinungen) ausdrückt, ist uns mehr oder weniger egal oder unbewusst. Wir nutzen die „Fläche“ bestenfalls als Strukturgeber, jetzt im übertragenen Sinn (als „Make-up“), machen die Oberfläche glatt oder rauh, bunt oder sonstwie. Wir bedienen uns dieser Oberfläche, dem „schönen Schein“ (smartphone, Computer, Play-Station). Aber das Wellen und Wölben, das Buchten, Stauen Pressen und Stoßen etc. – es findet nie auf der Oberfläche statt; es ist IN DEN DINGEN!

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

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