Der Apfel fällt nicht weit vom Leben

ApfelDas menschliche Leben beginnt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nämlich dann, wenn es vom Ursprung getrennt wird! Das ist sehr eigenartig und eigentlich traurig! Wenn sich jemand etwas anderes wünschen könnte, so möchte er oder sie doch den Zusammenhang mit dem Ursprung behalten! Mit dem Schnitt in die Nabelschnur versiegt jedoch jede Hoffnung auf diesen Zusammenhang.

So verbunden waren wir eine Einheit mit dem Leib der Mutter. Eine Art „Samenkorn“, genannt Embryo, welches von einer Kraft genährt wird, die wir schlicht „Leben“ nennen und von der die Wissenschaft etwa so viel weiß, wie der Regenwurm vom Mond oder von der Sonne. Er sieht das Licht zwar, aber es bleibt für ihn ein undurchdringbares Mysterium.

Wenn der Apfel vom Baum fällt, dann erst beginnt sein eigentliches „individuelles“ Leben! Solange er noch mit dem Ast verbunden ist, wird er noch von den Kräften des Baumes genährt. Vergleichbar dazu könnte man sagen, dass auch der Mensch, so wie der Apfel, erst dann seinen „individuellen“ Weg beginnt, wenn er von der Nabelschnur getrennt wird. Auch in ihm ist der Same für seine Nachkommen, so wie im Apfel die Kerne sind. Aber ist der Apfel vom Baum gefallen, beginnt genauso seine Todesreise! Denn jetzt geht es nur noch in eine Richtung. Er reift, so wie der Mensch in den ersten 15-20 Jahren, zwar noch ein wenig nach und erreicht seinen höchsten Glanz und seine Süsse. Aber danach?

Das kollektive Ego hat jeglichen Zusammenhang mit dem Tod vergessen. Es benimmt sich so, als wenn er nicht existieren würde. Niemand will daran denken. Keiner will älter aussehen als er ist, sondern jünger. Es werden riesige Summen und Leiden auf sich genommen, um all dem zu entrinnen, was mit dem Apfel bald einmal passiert: Er schrumpelt vor sich hin und (ver-)schwindet schließlich. Kein Apfel wird dem entweichen können. Und ebenso wenig der Mensch und jedes andere Lebewesen. Leben in der Formidentität ist und bleibt begrenzt. Aber keiner will es wissen. Die Vorstellung wird in die ferne Zukunft verschoben. Die alten Menschen werden hinter dicken Mauern versteckt. Viele Menschen sehen sie nicht gerne, weil sie ein Spiegel dessen sind, was auf uns alle eines Tages mit Sicherheit zukommen wird…

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Hier der erste Versuch, die Artikel in Hörform zu präsentieren:

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Brief eines Lehrers an seine Schüler

Lehrer

Liebe Schülerinnen und Schüler

In den letzten Jahren habe ich mit mir und mit Ihnen gekämpft und gerungen. Mühsam versuchte ich, es Ihnen in allen Belangen recht zu machen, Ihnen den Stoff so zu vermitteln, dass er Lust bereitet und motiviert. Dies tat ich im besten Glauben, damit etwas Gutes zu tun, nämlich Ihnen etwas auf Ihren Lebensweg mitzugeben, um alle Grunderfordernisse zu erfüllen, die in der heutigen komplexen Welt – vielleicht leider – erforderlich sind und verlangt werden.

Je mehr und je länger ich mich um solches bemühte, umso weniger vermochte ich Ihre Motivation zu spüren, Ihre Bereitschaft auszumachen, das anzunehmen, was ich Ihnen geben wollte. Doch nicht nur die Motivation schien zu schwinden, sondern auch die Achtung voreinander und das gegenseitige Vertrauen. Dass auch die Leistungen unter dem grossen, allseitigen Druck, bedenklich in den Keller fielen, ist eigentlich nur folgerichtig und wenig verwunderlich. Die Grundbedingungen, das Fundament schien zerbrochen, weil der Zusammenhang immer mehr fehlte.

So habe ich mich nach langem Ringen mit mir selbst, entschlossen, diese Situation ab dem heutigen Tage und mit sofortiger Wirkung zu ändern! Ich verlange nichts mehr von Ihnen! Sie können gehen! Ich erwarte auch nicht, dass Sie wiederkommen sollen. Ich bin Ihnen deswegen auch gar nicht böse, weil ich weiss, wie schwer Sie es haben. Einigen wird diese Situation nicht so sehr gefallen. Die meisten von Ihnen – so bin ich überzeugt, sind aber sehr froh darüber. Ich selber bin nicht froh, aber auch nicht traurig.

Sie können eine Woche ausbleiben; Sie können zwei, drei, vier oder mehr Wochen ausbleiben: Solange Sie wollen! Ich gebe Ihnen eine Liste mit, was die Lernziele dieses Jahres sind. Am Ende des Schuljahres dürfen Sie ungeniert zu mir kommen und die Prüfungen ablegen. Sie können aber auch jederzeit bei mir Hilfe anfordern, ja Sie können auch weiterhin den Unterricht regelkonform besuchen. Ich bin immer für Sie da. Sie können es halten, wie Sie wollen. Wenn Sie gar keine Schule mehr haben möchten, dann müssen Sie es vor sich und Ihren Angehörigen selber verantworten und alle daraus entstehenden Folgen gut überdenken.

Rechnen Sie damit, dass Sie früher oder später in eine Krise geraten. Aber diese Krise muss wohl sein. Erst durch sie kann der gegenwärtige Nullpunkt durchschritten werden. Wie es weitergehen soll, liegt also ganz in Ihren Händen!

Hochachtungsvoll,
Ihr Lehrer

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Intuition und Selbstbeobachtung

intuitionIm Alltag orientieren wir uns gewöhnlich an den sinnlich wahrnehmbaren Objekten der Welt und verarbeiten sie. Wir erleben diese Dinge als getrennt von der Außenwelt, in unserem Inneren sich vollziehende Tätigkeit. Solange wir unser orientiert sein nur danach ausrichten, entsteht alles, was aus einer solchen Trennung immer wieder geschehen muss: Das kann Zweifel, Zwist, Zwiespalt und Schmerz, eine Entzweiung meiner subjektiven Welt mit dem wahrgenommenen Inhalt sein. Es kann aber auch ein Gleichklang, eine Einstimmung, Einverständnis zum Objekt entstehen. Je nachdem, wie unsere Beziehung dazu ist.

Dennoch schließt uns das subjektive Erleben von unsrer Außenwelt ab, immer mit der Hoffnung auf ein adäquates Erleben, welches sich durch Zustimmung ähnlich denkender Mensch kundtut. Die Realität ist das Trennende, weil sich unsere eigenen Vorstellungen dieser Außenwelt entgegenstellen oder zumindest relativ gegenüberstellen. Man wird versuchen das Trennende – und damit den Schmerz – zu überwinden. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist grundsätzlich die Suche nach einer alles umfassenden Einheit. Manche nennen sie Gott, andere Geist, wieder andere sonst irgendwie.

Solange sich das Denken immer wieder selbstzweifelnd an der bloßen äußeren Wahrnehmung orientiert, werden sich keine solchen Einheitserfahrungen einstellen. Das egoistische „ichlein“ wird eine solche Einheit mit Vehemenz bestreiten, weil sie sein Bewusstsein nicht berührt. Die linke Hirnhälfte behauptet sich gegenüber der rechten. Die Brücke zu einer neuen Erkenntnis liegt in der Überwindung des subjektgebundenen Denkens. Dieses subjektgebundene Denken ist jene Kraft, die von den meisten spirituell orientierten Menschen immer wieder (und dies wohl zu Recht) abgewertet wird. Das Erleben der Denktätigkeit in einem abgeschlossenen persönlichen Innenraum behindert die Erfahrung anderer, neuer Erkenntnisräume. Ein solcher «Raum» wird dann erschlossen, wenn wir uns den Wahrnehmungen und Erlebnissen gegenüber aufschließen können. Dafür brauchen wir aber einen «neuen Blick», welcher sich aus der Anschauung heraus den Rätseln der Welt gegenüberstellt. Aber was heißt das? An einem Beispiel aus meiner Praxis mit künstlerischen Prozessen wird dies erfahrbar.

Wenn Sie eine Skulptur betrachten, kommen Ihnen bestimmte Wahrnehmungen entgegen. Sie sehen zunächst alles einfache, was mit dem Material zusammenhängt. Sie sehen, dass es sich meinetwegen um Granit handelt, und Sie sehen solche Dinge, wie die roh behauene Oberfläche oder die Konsistenz des Steines, seine Härte und seine Kompaktheit. Sie entdecken Verästelungen und Maserungen in der Steinoberfläche und finden sie vielleicht schön. Sie sehen die Farbe und sonst noch einige Attribute, deren Begriffe Ihnen aus dem Alltag bekannt sind. Sie sind froh «alles wieder zu erkennen»! Damit haben Sie sich einen ersten Blick für das Kunstwerk erschlossen, der Sie erfüllt, sind aber dem Wesentlichen an der Form noch nicht begegnet!
Das Objekt steht Ihnen gegenüber (im Außen) und Sie haben entsprechende Begriffe, die Sie ihm entgegenstellen (innen). Damit geben sich die meisten Menschen zufrieden. Und am Schluss, wenn sie die Galerie verlassen haben und man Sie fragt, wie ihnen die Skulpturen gefallen haben, wissen Sie etwa gleichviel wie vorher. Sie wurden von trennenden Begriffen geleitet, die Ihnen zum Vornherein bekannt waren. Diese Begriffe sind Produkte der eigenen Biografie. Sie haben sie in all den Jahren gebildet und sich damit verbunden. Sie bilden letztlich das, was wir unsere Persönlichkeit nennen.

Wenn Sie auf diese Skulptur eingehen wollen, müssen Sie zunächst alle bekannten Begriffe mit grosser Offenheit hinter sich lassen.
Die Formen zeigen sich dann bald in einem anderen Licht und stellen sich uns wesenhaft gegenüber. Hier liegt der Schlüssel einer neuen Erfahrung, die erkannt werden will. Wir erkennen das Lebendige, die Gesten und Gebärden darin. Wir erkennen vielleicht eine aufrichtende Kraft oder wir entdecken etwas Schwerfälliges, eine gewisse Dumpfheit.
Genauso gut könnten wir aber etwas Wärmendes und Lichthaftes, Raumes- und Stoffkräfte in der Form erleben. Mit anderen Worten: Die Form beginnt mit Ihnen zu «sprechen», sie wird lebendig und sie bekommt einen wesenhaften Charakter. Es findet ein lebendiger Austausch zwischen dem Objekt und Ihnen statt. Daraus ergeben sich vielleicht Aufschlüsse eines Typus, welcher sich ähnlich in anderen Formen wieder finden lässt, uns eine neue Qualität erschließt, die sich physisch-sinnlich nicht festmachen lässt.

Begrifflichkeit verwandelt sich in etwas organisch-bewegliches und entfernt sich vom persönlich-subjektiven Standpunkt. Solches Anschauen öffnet den «neuen Blick» und neue Erkenntnisfelder.
Subjekt und Objekt verschmelzen in einer anschauenden Urteilskraft. Sie kann Intuition genannt werden. Die Art des Schauens bestimmt den Inhalt der Erfahrung. Es gibt für die Intuition kein innen und kein außen, wie sie es für das intellektuelle Denken gibt. In der intuitiven Urteilskraft, die zugleich eine «anschauende» ist, fließen Innenwelt und Außenwelt in eins zusammen. Hier befinden Sie sich auf einer Ebene, die Ihnen das Erlebnis eines «All-Eins-Sein», mit einem neuen Gedankenraum nahe bringt. Sie erfahren ihn gewissermassen wie eine Art «Substanz», die um Sie herum lebt und dort erlebbar wird!

Sobald der «Gegenstand» der Betrachtung nicht mehr eine außenstehende, sichtbare (oder auch unsichtbare) Form ist, sondern WIR SELBST, fallen das Objekt und das Subjekt zusammen. Wir richten diese anschauende Urteilskraft auf uns selbst. Diese Form der Intuition erfahren wir durch Selbstbeobachtung. Dabei lösen wir das persönliche Individuum aus seiner Umgebung heraus und erkennen es in Geste, Haltung, Tätigkeit oder jeglicher «Form» des Ausdrucks als spezifische Individualität wieder. Die «Form» ist (in der Selbstbetrachtung) nicht als ein übergeordneter Typus erfahrbar, sondern wird ein Typus für sich, oder auch eine Gattung für sich: ein Individuum.

In dem Buch: «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der goetheschen Weltanschauung» schreibt Rudolf Steiner folgendes zum psychologischen Erkennen, beziehungsweise zu einer wissenschaftlichen Methode der psychologischen Erkenntnis, auf die sich dieses Erlebnis bezieht:

„Was Intuition ist wird hier (…in der psychologischen Methode…) Selbstbetrachtung. Das ist bei der höchsten Form des Daseins sachlich auch notwendig. Das, was der Geist aus den Erscheinungen herauslesen kann, ist die höchste Form des Inhaltes, den er überhaupt gewinnen kann. Reflektiert er dann auf sich selbst, so muss er sich als die unmittelbare Manifestation dieser höchsten Form, als den Träger derselben selbst erkennen. Was der Geist als Einheit in der vielgestaltigen Wirklichkeit findet (…im Betrachten der organischen Natur…) das muss er in seiner Einzelheit als unmittelbares Dasein finden. Was er der Besonderheit als Allgemeines gegenüberstellt, das muss er seinem Individuum als dessen Wesen selbst zuerkennen. Man sieht, dass man eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht…“

Und weiter:
„…man hat in unserer Zeit (…er schreibt dies 1885!) an die Stelle dieser Methode eine andere setzen wollen, welche die Erscheinungen, in denen sich der Geist dar lebt, nicht diesen selbst, zum Gegenstande der Psychologie macht. Man glaubt, die einzelnen Äußerungen desselben ebenso in einen äußerlichen Zusammenhang bringen zu können, wie das bei den unorganischen Naturtatsachen geschieht. So will man eine „Seelenlehre ohne Seele“ begründen. Aus unseren Betrachtungen ergibt sich, dass man bei dieser Methode gerade das aus den Augen verliert, auf das es ankommt. Man sollte den Geist von seinen Äußerungen loslösen und auf ihn als Produzenten derselben zurückgehen. Man beschränkt sich auf die ersteren (…die Äußerungen…) und vergisst den letzteren (…Produzenten…). Man hat sich eben auch hier zu jenem… Standpunkte verleiten lassen, der die Methoden der Mechanik, Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will.“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Das „heilige“ Feuer

FeuerflammeWie oft rennt man seinen täglichen Pflichten hinterher und bereitet sich durch ein blosses Aktion-Reaktionsverhalten viele selbst geschaffene Probleme und Konflikte. Dabei erlebe ich mich als Menschen in einer gewissen Abgeschlossenheit und Ratlosigkeit diesem Phänomen gegenüber. Die persönlichen Vorstellungen, die ich mir im Laufe des Lebens geschaffen habe spielen eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Rolle.

Vorstellungen sind der Motor des Agierens. Sie sind verantwortlich, ob Emotionen und Gefühle im Inneren wach, bedrängend oder befreiend wirken. Die Vorstellung löst einen Impuls im Gefühlsleben aus, welches meinen Willen antreibt und die entsprechende Handlung einleitet. Das ist Inhalt vieler Aufsätze dieses Blogs. Was hat das mit dem „inneren Feuer“ zu tun? Und warum nennt es C. F. Meyer „heilig“? Der Schweizer Dichter und Erzähler hat in einem Gedicht mit dem Titel „Das heilige Feuer“ einen Zustand des menschlichen Bewusstseins zu beschreiben vermocht, der sich über alltägliches erhebt. Ich frage mich, was dieser Erfahrung Meyers zugrunde gelegen haben mag und möchte seinem Erlebnis nachspüren.

Jeder kennt Vincent van Gogh und sein Schicksal. Er lebte in einer Welt, die sich nicht immer wohlwollend um ihn kümmerte. Er suchte sich künstlerisch und privat die schwierigsten Aufgaben aus, arbeitete z.B. längere Zeit als Prediger in den belgischen Kohlebergwerken unter ärmlichsten Verhältnissen und unter grösster Belastung seiner Gesundheit.
Aus einer Theologenfamilie stammend, wurde in ihm allmählich eine soziale Ader geweckt. Ein eifriger Kampf um das Gute in der Welt begann. Wenngleich dieser Kampf mit vielen persönlichen Moralvorstellungen verbunden war, wie aus seinen Augen eine „gute Welt“ auszusehen habe, suchte van Gogh als Künstler doch immer weiter. Er war ein Mensch, der sich nicht allzulange an einem Ort verweilen konnte. Das gilt physisch ebenso wenig, wie ideologisch.
Er tauchte ab in das, was man „Unterwelt“ nennen könnte, erlebte alle Facetten des Lebens, die man sich vorstellen kann. Und aus dieser leidenden und ringenden Natur seines Wesens heraus entstand in ihm der innere Drang zu malen! Farben! Er frass sie förmlich, berauschte sich an ihnen.

Aber Van Gogh war in den Augen der meisten Künstler seiner Zeit, alles andere als ein Talent! Er wurde von vielen Kollegen der damaligen Zeit verachtet, wurde als Stümper, als Dilettant gesehen ohne Zukunft. An Kunstschulen fand er keinen Zutritt, weil seine Werke und Zeichnungen deren Vorstellungen nicht genügten. Es fehlte an „Professionalität“ nach damaligen Massstäben, und, gemäss dem Urteil seiner Zeit, an Begabung. Van Gogh glaubte das schliesslich selbst auch. Und er litt sehr darunter!
In seinen Tagebüchern und Briefen gibt er diese Leiden eindrucksvoll an seinen Bruder Theo weiter: „In jenen Tagen der Mühle (er spricht von einem frühen Erlebnis mit Theo) – wie sympathisch mir diese Zeit auch immer bleiben wird – wäre es mir doch unmöglich gewesen, das, was ich sah und fühlte, aufs Papier zu bringen. Ich sage daher, daß die Veränderungen, welche die Zeit zuwege bringt, mein Gefühl im Grunde eigentlich nicht verändern, ich denke, daß es nur in einer anderen Form entwickelt wird. Mein Leben, und vielleicht après tout auch das Deinige, ist nicht mehr so sonnig wie damals, aber ich will dennoch nicht zurück, gerade weil ich infolge einiger Mühen und Widerwärtigkeiten etwas Gutes auftauchen sehe, nämlich die Fähigkeit, mein Gefühl ausdrücken zu können.“ (van Gogh Briefe, erster Teil, S. 596)

Das Leid, welches durch vermeintliches „Nichtkönnen“ entstanden ist, schmiedete an jener inneren Qualität des Charakters, welche ihn zum grössten Maler des vergangenen Jahrhunderts, ja bis in die Gegenwart hinein machte. Er gab entscheidende Impulse weiter, die, Jahre nach seinem Tod, ein neues Kunstverständnis weckten. Nicht das Talent und die bloße handwerkliche, (sogenannt professionelle) Fähigkeit waren also das entscheidende bei van Goghs Erfolg, sondern die Fähigkeit „Gefühle ausdrücken zu können“! Diese Fähigkeit verbindet sich mit einem Aspekt seines Inneren, welche über das Alltägliche Können und über das technische Knowhow hinausgeht. Es wird etwas geweckt, was normalerweise im Verborgenen bleibt. Deswegen konnte er auch die Motive seiner Handlungen oft schwer nachvollziehen. Es brauchte eine neue Wahrnehmungsfähigkeit, die sich seinem Alltagsbewusstsein zunächst entzog. Ein Blick nach innen, ein innerer Beobachter in ihm erwachte allmählich.
In diesem Zustand erkennt er neue Aspekte seiner gesamten Biographie, erkennt die Facetten seiner Persönlichkeit. Vincent van Gogh befreite sich durch die Malerei aus der Gefangenschaft seiner verworrenen, inneren Welt, stückweise allerdings und unvollkommen und leider nicht bis zum Ende, wie bekannt ist…

Er spürte beim Malen, daß er nicht Herr in seinem Hause war und daß er im künstlerischen Prozeß an diesem verletzten inneren Menschen arbeiten konnte. Die Dramatik seines Todes (der bekanntermassen im Suizid endete) ist eine Folge des phasenweisen Verlustes einer Feuerkraft, die zunehmend erlosch, bedingt durch seine psychische Struktur.
Im künstlerischen Prozeß entfaltete er neue Möglichkeiten, die ihn an diese Erlebnisse heranbringen konnten. Van Gogh war zeit seines Lebens ein Unbekannter. Er wurde erst nach seinem Tod berühmt. Er selbst erntete keinen Ruhm mehr! Er stand inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs und war einer der geistigen Träger und Säulen seiner Zeit. Aber er wurde nicht erkannt, weil er in seiner Kunst etwas Zukünftiges verwirklichte, was man damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, weder nachvollziehen, noch verstehen konnte. Das ist die Tragik seines Lebens.

Auch gegenwärtig stehen wir in einer solchen Umbruchphase. Aber die Zeichen der Zeit werden von der breiten Masse nie erkannt. Das „innere Feuer“, welches auch Vincent van Gogh inspirierte, dieses innere, heilige Feuer, was er aber nicht restlos verwirklichen konnte in seinem Leben kann uns in jedem Augenblick beflügeln! Es ist permanent anwesend. Es leuchtet und wärmt in jedem Menschen im Hintergrund und wartet nur auf seine Ent-Deckung.
Dieses innere Feuer enthüllt sich an der aktiven, bewußten Beobachtung eigener seelischen Strukturen, „Teilselbsten“ und verhärteten Vor-Stellungen. Die Zeit fordert Erkenntnis! Die Gesellschaft ist an einem Kulminationspunkt angelangt, einem „spiritual peak“, wo sie entweder an den eigenen, geschaffenen Strukturen zugrunde geht, oder die Herausforderung einer inneren Entwicklung uneingeschränkt annimmt.

Es ist das heilige Feuer, welches sich am Holz einer jeden Persönlichkeitsstruktur (sprich Ego) entzündet und dieses in Asche verwandeln kann. Diesem Ego geben wir Nahrung durch unsere konditionierten Vorstellungen und Gefühle, bedienen sie freundlich mit allen möglichen (geistigen, psychischen und physischen) „Stoffen“, ohne den „Herrn im Hause“ zu erkennen. Neid, Eifersucht, Hass, Aggression, Angst, Bedrängnis, Rachsucht, Eitelkeit und wie sie alle heißen, die so erzeugten Kinder: sie fordern früher oder später ihre Rechte ein…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

 

Willkommen im Club der Unbelehrbaren!

UnbelehrbareGehören Sie, wie ich, zu den Menschen, die sich im Laufe der Jahre zwar recht viel Wissen angeeignet haben, aber in der Umsetzung des Gelernten oft schlicht zu faul sind? Zwar kennen Sie alle möglichen Einwände, die man zu gewissen Handlungen, Konzepten, Anschauungen machen könnte, wissen auch, dass Ihr Verhalten Sie in manchen Situationen nicht weiter bringt, tun es aber trotzdem immer wieder (oder gerade nicht)?

Willkommen im Club der Unbelehrbaren! Ich kenne diese Pleite zur Genüge und mache stets von neuem wieder Vorsätze in Richtung Besserung (nicht nur am Jahresende). Doch wie Sie ebenfalls wohl wissen: der Weg zur Hölle ist genau damit gepflastert…

Warum nur tut man sich so schwer damit, einmal Erkanntes wirklich und radikal umzusetzen? Warum fällt man immer wieder auf dieselben Tricks und Trotts herein?
Wissen befriedigt offenbar unser Gemüt so sehr, dass wir – trotz Einsicht – keinen Bedarf mehr haben, tiefer zu gehen und vor allem, in die Tat zu schreiten. Wir leiden vielleicht an einer Krankheit und plötzlich erfahren wir vom Arzt, wie die Krankheit heißt, nur das. Allein der Name befriedigt uns scheinbar zur Genüge. Das Wissen darum, wie die Krankheit heißt und vertrauen zu dem ganzen Heilungsapparat, der bestimmt ein Mittelchen dagegen hat, genügt offensichtlich den meisten. Die Hoffnung darauf entlastet uns sehr, obwohl das Leiden dadurch nicht weniger geworden ist. Vielleicht laufen die Prozesse ähnlich in unserem Geldsystem, deren natürlicher Zerfall sich “auf Teufel komm raus“ und entgegen jeder Vernunft, verzögert und verlängert durch raffinierte finanztechnische Methoden. Doch lassen wir diesen Aspekt beiseite. Die Grundsatzfrage lautet: Warum verfallen wir immer wieder denselben Mustern, Lastern und Eigenheiten und lassen uns von ihnen leiten.

Vielleicht haben Sie gelernt Auto zu fahren? Dann kennen Sie den Unterschied von Wissen und Erleben sehr gut! Würden Sie noch heute, nach vielen Jahren in der Praxis, mit dem Verstand fahren und an jede Hand- oder Fußbewegung denken während des fahrens und lenkens, dann hätten Sie wohl bald einen Totalschaden! Müssten Sie jedes mal überlegen, wo das Brems- und wo das Gaspedal ist, kämen Sie sehr schnell in oberbrenzlige Situationen! Und genauso ist es mit allen unseren Handlungen, unseren gelernten Verrichtungen. So geht es dem Maurer und dem Schreiner ebenso, wenn sie ihr Handwerk ausüben. Was man sich anfangs erst mühsam über den Kopf aneignen musste, geht nach einiger Zeit in eine Art lebendigen Tuns über, prägt sich in „Leib und Seele“ ein, wie man so schön sagt. Diese Art von „gelebtem Handwerk“ geht dem rein intellektuellen Tun mit „lockerer Hand“ voran!

So ist es mit allen Dingen, egal ob sie die praktischen Taten betreffen oder unser Gedankenleben. Nur, in gewissem Sinne sind auch die Gedanken praktische Taten. Auch hier gibt es immer beide genannten Ebenen, die intellektuelle, rein vom Kopf her verstandene und die in tiefstem und wahrstem Sinne begriffene! So können die unterschiedlichsten Konzepte entstehen, wie wir die Welt anschauen und verändern möchten. Immer geht das Erlebte tiefer, weiter als das intellektuelle, rein vom Kopfe her gesteuerte Wissen.

So ging es mir mit manchen Büchern, die mir wirklich am Herzen lagen. Anfangs waren es nur Texte/Gedanken anderer. Man las den Inhalt, verstand einiges, anderes wiederum nicht. Es mag sein, dass von Anfang an eine Art Zauber darin lag, den man aber noch nicht so recht zu deuten wusste. Aber er ließ uns die Texte immer wieder von neuem lesen. Und mit jedem lesen, mit jedem verflossenen Zeitabschnitt gewann der Inhalt mehr und mehr an Tiefe. Irgendwann ist die Verbindung damit so groß geworden, dass man damit zu Leben beginnt. Es ist mit Bestimmtheit nicht mehr dasselbe Buch, derselbe Inhalt, wie das dogmatische Aufnehmen von Wissen davor! Wenn Gedanken lebendig werden, verlieren sie jeden Staub und jede Trockenheit eines “aufgetörnten“ Verstandes. So lebendig erging es mir persönlich nur mit sehr wenigen Büchern. Die meisten liest man ohnehin nur einmal oder gar nicht zu Ende. Gerade die angesprochene Erfahrung aber zeigt, wie viel mehr Tiefe die „Gedanken“ haben können, jedenfalls viel tiefer, als wenn man sie nur oberflächlich aufnimmt. Und dies gilt natürlich in allen Belangen, nicht nur bei Büchern, Texten, sondern auch in Begegnungen, Erfahrungen, „Erlebtem“!

Für Außenstehende ist es nicht immer leicht herauszufinden, ob jemand Gedanken/Taten wirklich (nach-) erlebt oder nur trocken wiedergibt. Die Erfahrung dessen geschieht oft intuitiv, aber zuweilen unbewusst. Dennoch haben erlebte Gedanken wesentlich mehr Kraft und Energie in sich, als die trockenen, auch wenn die Worte die gleichen bleiben. Das erkennt man durchaus. Denn man kann es eben selbst nacherleben! Die Kraft der gelebten Gedanken überträgt sich auf den Leser und insbesondere auf den Zuhörer. Auf der anderen Seite bewirken trockene Gedanken oft das Gegenteil: zuweilen schläft man dabei ein. Dies wäre wohl der Glücksfall.
Die Unbelehrbarkeit jedenfalls hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir nicht bereit sind, uns auf die tiefere Ebene der Dinge einzulassen. Auf der Oberfläche spielen immer Argumente gegen Argumente, Tatsachen gegen andere Tatsachen. Das Verweilen auf dem einmal Erlernten konserviert unser Bewusstsein, trocknet es aus. Vielleicht geschehen die wirklich wichtigen Dinge sogar ausserhalb dieser Gedankenwelt. Vielleicht ereignet sich das Wesentliche zwischen den Gedanken?

Gedankenschnippsel vom Sonntagnachmittag, den 13. September 2015…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Was hat Religion mit Glaube zu tun?

GlaubeReligiöse Themen werden nach wie vor kontrovers diskutiert und spalten nicht nur die Gemüter, sondern ganze Volksgemeinschaften und Kulturen. Blutige Kriege werden geführt um die Vorherrschaft des eigenen Glaubens. Dogmen stehen gegen andere Dogmen. Glaube trifft auf anders gläubige usw. Ist Religion zum vornherein mit Glaube gleichzusetzen?

Geht man nach den üblichen journalistischen Schlagzeilen der Boulevard Presse, wird tatsächlich in den wenigsten Fällen ein Unterschied gemacht zwischen Glaube und Religion, wie ein Artikel in „20 Minuten“ vor kurzem wieder bestätigte. Dort wurde angenommen, dass nur noch etwa 1/4 der europäischen Bevölkerung sich als religiös bezeichnet. Vor zehn Jahren seien es noch erheblich mehr gewesen. Das hätte zum einen mit dem schlechten Image der Kirche und zum anderen mit dem Terrorismus zu tun, was ja sicherlich nachvollziehbare Argumente sind. Doch muss Religiosität nicht in einem weitaus grösseren Kontext verstanden und begriffen werden, als nur über Kirchendogmatik und Glaube?

Der Kurzschluss einer Glaubensdogmatik ist meines Erachtens eine Fehleinschätzung und eine unzulässige Vermischung von Begriffen. Religion ist die Verbindung eines Menschen zu seinem wahrem geistigen Ursprung. Wird ein solcher nicht erlebbar, bleibt nur der intellektuelle, dogmatische Ansatz übrig.  “In intellektuellen Begriffen kann der Religionsinhalt nicht erschlossen, sondern nur verdeutlicht werden. Als man anfing, nach Gottesbeweisen zu suchen, war dieses Suchen selbst schon der Beweis dafür, dass man den lebendigen Zusammenhang mit der göttlichen Welt verloren hatte“, schreibt Rudolf Steiner (GA 641/S. 111)

Wenn für einen Menschen der „Ursprung“ seiner Existenz biochemische Prozesse in seiner leiblichen Organisation sind, dann ist diese Verbindung seine “Religion“. Das wäre dann die materialistische Variante. Für jemanden, der seinen „Ursprung“ in einem utopischen Wesen sieht, welches mit Ufos im Weltall herum schwirrt und sehnsüchtig auf Erden erwartet wird, wird dies wiederum dessen persönliche “Religion“, sprich sein Glaubensbekenntnis. Wieder andere finden dieses Wesen in einem fernen Gottesgebilde, wo auch immer dessen “Hauptsitz“ sein mag. Man kann seinen eigenen Ursprung aber ebenso gut einem geistigen Kern zuweisen, der alles mit allem verbindet und somit auch mich selbst mit dem großen Ganzen verbunden sehen. Ob auch dies nur Glaube bleibt, oder erlebbar wird, bleibt allerdings immer noch unbestimmt.

Je nach Sichtweise, Konzept, Weltbild oder bloßem Glauben, wird eine für jeden stimmige, persönliche Religion zusammengeschustert, konstruiert und zelebriert. Sie kann sich wohl auf religiöse Texte anderer beziehen, dennoch bleibt deren Interpretation problematisch und äußerst unzuverlässig, weil sie ebenfalls mit den eigenen Vorstellungen oder den oft unter Gruppenzwang vorherrschenden Vorstellungen von Glaubensgemeinschaften verknüpft bleibt. Dass dies ein rein subjektiv empfundener Akt ist, braucht wohl kaum erklärt zu werden. Insofern hat Religion in den meisten Fällen wohl tatsächlich nur mit Glaube zu tun. Auch hier ist die Bewusstseinsfrage zu stellen.

Unser Bewusstsein bestimmt, welches Konzept hinter der Frage nach dem Ursprung des Daseins steht. Dennoch kümmert sich der Ursprung wenig um deren phantasievolle Interpretation. In den meisten Fällen wird ein solcher Ursprung ungeprüft angenommen – oder eben konstruiert. In den wenigsten Fällen ist der Bezug unmittelbar und lebendig geblieben. Meistens sind es Annahmen, Gedankenkonstrukte, die man entweder plausibel erklären und sie somit anderen zugänglich machen will, weil jeder Mensch grundsätzlich sich selbst am nächsten steht. Einige wenige können aus Erfahrungen und Erlebnissen heraus berichten. Das zugänglich machen für andere Menschen wird deshalb nicht weniger schwierig und ist deshalb ebenso eine Glaubenssache! Was bleibt also übrig? Ist die Frage unbeantwortbar? Muss man Kant endgültig recht geben und ist ein Zusammengehen zweier Welten, einer materiellen und einer geistigen schlicht unmöglich?

Mit anderen Worten: gibt es tatsächlich Grenzen der Erkenntnis, und der Rest ist seliger Glaube? Ich mag die Antwort nicht recht geben. Ich kann sie auch nicht geben. Dazu müsste ich sämtliches Gelernte, in meinen Hirn gespeicherte Wissen erst mal auslöschen. Ich müsste eintauchen in eine neue Erfahrungsebene. Was ich dort, scheinbar selbstvergessen, erlebte, müsste ich wiederum zurück transponieren in die Ebene der Begriffe und des Verstandes, so dass auch Sie, liebe Mitzweifler, es erfassen und möglicherweise nachvollziehen können. Da hilft das Nirvana leider wenig. Doch was hält mich diesem Erleben, wenn es denn ein Nichts wäre, wie man in den östlichen Religionen verkündet, wie hält man dort, in diesem Nichts, Erlebnisse fest, sodass sie im Nachhinein wieder erinnerbar sind?

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Philosophie der Keule

KeuleDer Begriff der Freiheit wird ganz unterschiedlich aufgefasst. Wie macht man eine Erfahrung zugänglich, die scheinbar kaum zu erklären ist? Wie vermittelt man sie in Gedankenform, in Worten und Vorstellungen? Und – gibt es sie überhaupt?

Wie ist dieser „Ort“, der innere Freiraum, dieses Innerste, welches manche Menschen gemäß ihren Berichten erfahren haben, erlebt haben, denen zugänglich zu machen, die es entweder nicht erfahren können oder schon gar nicht daran glauben, dass es erfahrbar sei? Beides wird (zunächst) immer nur über Gedanken vermittelbar sein. Die zweitgenannte Haltung kann sich zuweilen sehr aggressiv äußern, weil die Protagonisten möglicherweise enttäuscht wurden von ihrem eigenen Leben und zum endgültigen und sakrosankten Schluss gekommen sind, dass sowieso alle Menschen Egoisten seien. Ein Leben mit dieser Maxime kann nur noch dramatisch enden und viel Leid durch Abgrenzung erzeugen. Denn schließlich gehört man, dieser Logik folgend, selbst zu ihnen…

Ein wenig Licht könnte in diese Gesinnung kommen, indem man sich die gesamte Entwicklung der Menschheit vor Augen stellt. Immerhin sind in gewisser Weise doch einige soziale Fortschritte zu erkennen? Betrachtet man die ersten Menschen, die noch tagtäglich den Hasen, Schweinen und Enten hinterher rannten und die sehr ungemütlich werden konnten, wenn der Höhlennachbar ihm diese Beute vor der Nase wegschnappte. Dass dieser dann die Keule zu spüren bekam, war sicherlich nicht selten der Fall. Irgendwann besann sich der „Homo sapiens“ und fand, es sei irgendwie unstimmig, den Nachbarn gleich in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Und er befand in einer ruhigen Stunde, dass es dafür eine Strafe geben müsse. Vielleicht waren es ja zuerst nur ein paar Hasen, die geopfert werden mussten. Aber immerhin, ein Anfang war gemacht! Heute lacht man darüber, denn man ist ja im direkten Vergleich sozial höchst „kompetent“ geworden. Man tötet hierzulande nicht mehr so schnell einen anderen Menschen, wenn dieser einem die Beute wegschnappt. Und man tut es – normalerweise – nicht nur deswegen nicht, weil es im Gesetzbuch steht, sondern weil es „moralisch nicht vertretbar“ ist.

Die Moral scheint sich also in den letzten zehntausend Jahren zugegebenermaßen ziemlich verändert zu haben. Der Weg, den die moralische Entwicklung genommen hatte, wanderte sozusagen vom äußeren ins Innere. Jetzt ist das Gewissen quasi zum moralischen Leitstern der modernen Zivilisation geworden. Dies ist es, wonach sich der durchschnittlich entwickelte Mensch heute ausrichtet. Noch vor einigen hundert Jahren war das nicht so. Die Autorität eines Königs oder anderer Befehlshaber wurde zum Maßstab des Handelns bestimmt und bewegte die Massen (was teilweise noch bis in die Gegenwart hinein seine Nachwirkungen zeigt). In jener „Keulen-Zeit“ gab es bestenfalls eine den Tieren nahe stehende Moral, auch wenn es in allen Zeiten höher entwickelte Ausnahmen gab. Kein Tier würde wegen eines schlechten Gewissens auf seine Beute verzichten! Schon eher, weil es „seinen Meister“ gefunden hat, der – darwinistisch gesehen – über ihm steht.

Doch zurück zur Freiheitsfrage. Diese kann parallel zur moralischen Entwicklung betrachtet und positioniert werden! War im Anfangsstadium beim Durchschnittsmenschen noch der reine Naturtrieb handlungsleitend, so rückte das Motiv im Laufe der Zeit immer näher ins Zentrum jedes einzelnen Menschen. Das Gewissen ist sozusagen schon näher an den innersten Kern menschlicher Moral herangerückt. Die Frage bleibt noch unbeantwortet, ob es dort – also quasi am Ziel der Entwicklung – schon angelangt ist, oder ob es noch etwas „Luft nach oben hat“? Wenn ja, dann gibt es (noch) keine wirkliche Freiheit im alltäglichen „Normalzustand“. Dies wäre ein Zustand dieser „oberen Luft“, der erst noch errungen werden muss: also eine Zukunftsidee. Selbst das Gewissen bleibt im Alltagsmodus noch von rein persönlichen Faktoren und Erlebnissen abhängig. Während der Naturtrieb noch nichts mit unseren wahrhaft individuellen Impulsen zu tun hat, sondern naturgemäß einem instinktiven, automatisierten Trieb folgt, ist das Gewissen doch schon viel individueller geworden. Aber es hängt immer noch an vielen äußeren und inneren (also unfreien) Faktoren. Da wäre zum Beispiel die religiöse Erziehung als Richtschnur anzusehen, die unser Leben bestimmt oder schon in frühem Alter imprägniert wurde. Je nach den persönlichen und/oder fremden Glaubenssätzen ändern sich die Kriterien des „Bösen“, die durch dieses Gewissen definiert werden, in ganz unterschiedliche Richtungen: siehe christliche Moral versus islamische Moral, jüdische Moral versus buddhistische Leitbilder usw. usf.

Allein schon das Erkennen dieser Moralentwicklung des Menschen lässt die Hoffnung und Vermutung offen, dass die Gewissensfrage noch nicht das Ende allen Entwicklungspotenzials sein kann. Auch wenn die Erkenntnis und das Erleben dieser Stufe vielleicht noch in weiter Ferne ist, so lässt sie doch ein Ahnen, ein Hoffen übrig. Dieses Erwarten allein schon kann der Antrieb sein, weiter zu suchen, sich zur Freiheit hin zu entwickeln. Ich finde, das macht Mut! Deshalb lade ich Sie herzlich ein, darauf einzugehen, denn es lohnt sich! Die Suche gipfelt sozusagen in der Selbsterkenntnis unter dem Aspekt der „Selbstbeobachtung“ des Menschen. Mit ihr beginnt ALLES! Der Blick auf sich selbst, auf die eigenen Urteile, die Beweggründe, die Motive die das moralische Gewissen bilden, sind der Schlüssel zum tieferen Geheimnis/Verständnis unseres Seins. Aus dem moralischen Gewissen werden so „moralische Intuitionen“. Sie haben ihre Wurzeln in der Geistes-Gegenwart erlebter „moralischer Phantasie“ (Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit).

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Sommermärchen

Kätzchen* So manches Sommermärchen wird im Winter zum eisigen Melodrama. Liebe, Licht und Leben sind grosse Worte hinter denen oft nur ein seichtes Tümpelchen von Illusionen und leeren Phrasen steckt. Allein die Begriffe lassen so manchen Esotümpler abheben. Doch Name ist, wie es so schön heisst, “Schall und Rauch“. Die Verwicklung in Schwelgerei und Phantastik, dörrt wohl jeden gesunden Menschenverstand aus, verführt ihn in die Abhängigkeit obskurer Geister, (…die er selber rief). 

So erlebe ich oft die Grundstimmung gleichnamiger oder ähnlich betitelter Social-Gruppen. Das rein gedanklich-philosophische gilt oftmals als DIE Entwertung jeder spirituellen Ausrichtung. “Mit dem Herzen denken“ und ähnliche Gleichungen verhärten sich als kopfige Denkmuster im Eigner derselben: Das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet. Ebenso gut können wir “Meditation“ mit “Dösen“ gleichsetzen. So hallte es in diesen Gruppen zu Hauf nach, wie in diesem Beispiel: “Ich bin heute traurig. Wer kann mir eine Umarmung schenken“. Dergleichen tiefsinnige Bemerkungen brachten es mal locker auf über 600 Likes und fast ebenso vieler Kommentare in wenigen Stunden. Darunter fehlten auch Dutzende von den “herzigen“ Kätzchen nicht, deren Aura wohl zur Grundausrüstung solcher Spiritualität gehören*. Artikel mit tieferem Inhalt bringen nur selten auch nur ein einziges “Like“ zustande, weil deren lesen zuviel Anstrengung kostet und zuweilen auch Unverständnis ernten. Das klingt nach Rache und maßloser Eifersucht. Fehlinterpretation. Solche Gefühle spielen allerdings kaum eine Rolle. Vielmehr ist es Trauer und ein bisschen Wut wohl auch, insofern ein spirituell orientierter Mensch sich eine solche überhaupt erlauben darf; ja Wut über so viel Dumpfheit und Stumpfsinn! Darüber hinaus stellt sich zugegebenermaßen eine permanente Resignation bei mir ein. Denn wie wenig sind viele scheinbar, gerade in solch seichtem Gefilde, bereit, die vorrangigste menschliche Fähigkeit, das Denken, auszuschalten und sich mangels gesundem Menschenverstand und Unkenntnis ihrer Psyche und Bereitschaft zu deren Erkenntnis in äußerst schwierige Lebenssituation manövrieren…

Ich will keineswegs behaupten, dass wir den blossen Intellekt überbewerten und loben und die kalte Abstraktion auf ein hohes Podest stellen sollten. Ein „verlebendigtes“ Denken befreit uns indessen gerade davon: von Abstraktionen und allegorischem Gesäusel! Lebendig oder nicht, die Frage danach wird nirgendwo richtig klar und deutlich gestellt. Ich versuche genau diesem Aspekt gerecht zu werden. Vieles wird in solchen Kreisen in denselben schwammigen Topf geworfen, in die kleinkarierten Kisten unserer Vorurteile und Gewohnheiten gestopft und verpackt, wie jene konservativen, traditionellen, die sie gerade verurteilen. Dabei wird begreiflicherweise das Image der Esoterik nicht gerade verbessert. Das ist sehr, sehr schade! Denn die Überwindung des materialistischen Tuns, Fühlens und Denkens wird meines Erachtens in unserer Zeit dringender als je gefordert. Aber gewonnen wird durch die Gefühlsmystik rein gar nichts. Das Erwachen in die lebendige, reale Welt könnte in der Tat zu einem Sommermärchen werden…

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*Achtung, das Kätzchen als Titelbild ist nur ein Lockvogel…;-)

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und „Ursli und der Traum vom Schiff“, ein Kinderbuch auch für Erwachsene…

Wir meißeln ein Leben lang an „unserem Stein“

SklaveOkay, heutzutage von Sklaverei zu sprechen, mag etwas reisserisch klingen. Denn immerhin können wir – in der westlichen Welt zumindest – einige Vorzüge genießen und unser Leben noch relativ autonom bestreiten und einrichten, relativ… Dass es andernorts nicht so aussieht wie bei uns, muss wohl nicht begründet werden!

Viele Menschen fühlen sich auch in der vermeintlich “freien“ westlichen Welt, nicht mehr wirklich frei. Sie fühlen sich in ihren persönlichen Interessen und Initiativen immer stärker eingeschränkt. Zweifellos ist die Welt sehr komplex geworden und die harten Strukturen und Gesetze blocken viele Aktivitäten schon im Ansatz ab. Rechtssysteme zwingen uns unterschiedlichste Hindernisse und Barrikaden auf, die wir nicht wirklich durchschauen können. Sklaverei sehe ich aber viel mehr an einem ganz anderen Ort, als dem von aussen aufgedrängten! All die abstrakten Ideen und Inhalte, die wir uns in unserem Leben schaffen, bilden in uns klare Vorstellungen von der Welt: wie sie zu sein hat und wie nicht. Wir schaffen Prinzipien und zementieren Meinungen. Und von diesen Prinzipien lassen wir uns letztlich mehr versklaven als von allen äußeren Einflüssen, die uns begegnen. Ich persönlich habe nicht mehr so viel Angst vor der „bösen Welt“, die außerhalb von uns wirkt und uns zu Sklaven machen will.  Wir meißeln ein Leben lang an „unserem Stein“ weiterlesen

Digitale Technik im Kreuzfeuer

TechnikDiskussionen über technologische Möglichkeiten und Machbarkeiten häufen sich. Manche zeichnen Horrorvisionen bei gewissen Entwicklungen auf. Und dennoch sind sie nicht zu stoppen…

Vor zwei Jahrzehnten war es kaum denkbar, dass sich einige Jahre später Jugendliche und Erwachsene nur noch via Smartphone unterhalten. Dass ein einziges Gerät soviel Zeit unseres Lebens beanspruchen würde, hielt man für einen indiskutablen Zustand, hätte man ihn kommen sehen. Als sie dann da waren, diese Dinger und immer raffinierter wurden, brannte sich das Bild langsam, schleichend und unaufhaltsam in der Gesellschaft ein. Die Macht der Gewohnheit, die zunächst alles Neue verdammt und wenn es sich doch erst einmal etabliert hat, vergöttert, ist ein typisches Merkmal der menschlichen Natur…  Digitale Technik im Kreuzfeuer weiterlesen

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