Das „heilige“ Feuer

FeuerflammeWie oft rennt man seinen täglichen Pflichten hinterher und bereitet sich durch ein blosses Aktion-Reaktionsverhalten viele selbst geschaffene Probleme und Konflikte. Dabei erlebe ich mich als Menschen in einer gewissen Abgeschlossenheit und Ratlosigkeit diesem Phänomen gegenüber. Die persönlichen Vorstellungen, die ich mir im Laufe des Lebens geschaffen habe spielen eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Rolle.

Vorstellungen sind der Motor des Agierens. Sie sind verantwortlich, ob Emotionen und Gefühle im Inneren wach, bedrängend oder befreiend wirken. Die Vorstellung löst einen Impuls im Gefühlsleben aus, welches meinen Willen antreibt und die entsprechende Handlung einleitet. Das ist Inhalt vieler Aufsätze dieses Blogs. Was hat das mit dem „inneren Feuer“ zu tun? Und warum nennt es C. F. Meyer „heilig“? Der Schweizer Dichter und Erzähler hat in einem Gedicht mit dem Titel „Das heilige Feuer“ einen Zustand des menschlichen Bewusstseins zu beschreiben vermocht, der sich über alltägliches erhebt. Ich frage mich, was dieser Erfahrung Meyers zugrunde gelegen haben mag und möchte seinem Erlebnis nachspüren.

Jeder kennt Vincent van Gogh und sein Schicksal. Er lebte in einer Welt, die sich nicht immer wohlwollend um ihn kümmerte. Er suchte sich künstlerisch und privat die schwierigsten Aufgaben aus, arbeitete z.B. längere Zeit als Prediger in den belgischen Kohlebergwerken unter ärmlichsten Verhältnissen und unter grösster Belastung seiner Gesundheit.
Aus einer Theologenfamilie stammend, wurde in ihm allmählich eine soziale Ader geweckt. Ein eifriger Kampf um das Gute in der Welt begann. Wenngleich dieser Kampf mit vielen persönlichen Moralvorstellungen verbunden war, wie aus seinen Augen eine „gute Welt“ auszusehen habe, suchte van Gogh als Künstler doch immer weiter. Er war ein Mensch, der sich nicht allzulange an einem Ort verweilen konnte. Das gilt physisch ebenso wenig, wie ideologisch.
Er tauchte ab in das, was man „Unterwelt“ nennen könnte, erlebte alle Facetten des Lebens, die man sich vorstellen kann. Und aus dieser leidenden und ringenden Natur seines Wesens heraus entstand in ihm der innere Drang zu malen! Farben! Er frass sie förmlich, berauschte sich an ihnen.

Aber Van Gogh war in den Augen der meisten Künstler seiner Zeit, alles andere als ein Talent! Er wurde von vielen Kollegen der damaligen Zeit verachtet, wurde als Stümper, als Dilettant gesehen ohne Zukunft. An Kunstschulen fand er keinen Zutritt, weil seine Werke und Zeichnungen deren Vorstellungen nicht genügten. Es fehlte an „Professionalität“ nach damaligen Massstäben, und, gemäss dem Urteil seiner Zeit, an Begabung. Van Gogh glaubte das schliesslich selbst auch. Und er litt sehr darunter!
In seinen Tagebüchern und Briefen gibt er diese Leiden eindrucksvoll an seinen Bruder Theo weiter: „In jenen Tagen der Mühle (er spricht von einem frühen Erlebnis mit Theo) – wie sympathisch mir diese Zeit auch immer bleiben wird – wäre es mir doch unmöglich gewesen, das, was ich sah und fühlte, aufs Papier zu bringen. Ich sage daher, daß die Veränderungen, welche die Zeit zuwege bringt, mein Gefühl im Grunde eigentlich nicht verändern, ich denke, daß es nur in einer anderen Form entwickelt wird. Mein Leben, und vielleicht après tout auch das Deinige, ist nicht mehr so sonnig wie damals, aber ich will dennoch nicht zurück, gerade weil ich infolge einiger Mühen und Widerwärtigkeiten etwas Gutes auftauchen sehe, nämlich die Fähigkeit, mein Gefühl ausdrücken zu können.“ (van Gogh Briefe, erster Teil, S. 596)

Das Leid, welches durch vermeintliches „Nichtkönnen“ entstanden ist, schmiedete an jener inneren Qualität des Charakters, welche ihn zum grössten Maler des vergangenen Jahrhunderts, ja bis in die Gegenwart hinein machte. Er gab entscheidende Impulse weiter, die, Jahre nach seinem Tod, ein neues Kunstverständnis weckten. Nicht das Talent und die bloße handwerkliche, (sogenannt professionelle) Fähigkeit waren also das entscheidende bei van Goghs Erfolg, sondern die Fähigkeit „Gefühle ausdrücken zu können“! Diese Fähigkeit verbindet sich mit einem Aspekt seines Inneren, welche über das Alltägliche Können und über das technische Knowhow hinausgeht. Es wird etwas geweckt, was normalerweise im Verborgenen bleibt. Deswegen konnte er auch die Motive seiner Handlungen oft schwer nachvollziehen. Es brauchte eine neue Wahrnehmungsfähigkeit, die sich seinem Alltagsbewusstsein zunächst entzog. Ein Blick nach innen, ein innerer Beobachter in ihm erwachte allmählich.
In diesem Zustand erkennt er neue Aspekte seiner gesamten Biographie, erkennt die Facetten seiner Persönlichkeit. Vincent van Gogh befreite sich durch die Malerei aus der Gefangenschaft seiner verworrenen, inneren Welt, stückweise allerdings und unvollkommen und leider nicht bis zum Ende, wie bekannt ist…

Er spürte beim Malen, daß er nicht Herr in seinem Hause war und daß er im künstlerischen Prozeß an diesem verletzten inneren Menschen arbeiten konnte. Die Dramatik seines Todes (der bekanntermassen im Suizid endete) ist eine Folge des phasenweisen Verlustes einer Feuerkraft, die zunehmend erlosch, bedingt durch seine psychische Struktur.
Im künstlerischen Prozeß entfaltete er neue Möglichkeiten, die ihn an diese Erlebnisse heranbringen konnten. Van Gogh war zeit seines Lebens ein Unbekannter. Er wurde erst nach seinem Tod berühmt. Er selbst erntete keinen Ruhm mehr! Er stand inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs und war einer der geistigen Träger und Säulen seiner Zeit. Aber er wurde nicht erkannt, weil er in seiner Kunst etwas Zukünftiges verwirklichte, was man damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, weder nachvollziehen, noch verstehen konnte. Das ist die Tragik seines Lebens.

Auch gegenwärtig stehen wir in einer solchen Umbruchphase. Aber die Zeichen der Zeit werden von der breiten Masse nie erkannt. Das „innere Feuer“, welches auch Vincent van Gogh inspirierte, dieses innere, heilige Feuer, was er aber nicht restlos verwirklichen konnte in seinem Leben kann uns in jedem Augenblick beflügeln! Es ist permanent anwesend. Es leuchtet und wärmt in jedem Menschen im Hintergrund und wartet nur auf seine Ent-Deckung.
Dieses innere Feuer enthüllt sich an der aktiven, bewußten Beobachtung eigener seelischen Strukturen, „Teilselbsten“ und verhärteten Vor-Stellungen. Die Zeit fordert Erkenntnis! Die Gesellschaft ist an einem Kulminationspunkt angelangt, einem „spiritual peak“, wo sie entweder an den eigenen, geschaffenen Strukturen zugrunde geht, oder die Herausforderung einer inneren Entwicklung uneingeschränkt annimmt.

Es ist das heilige Feuer, welches sich am Holz einer jeden Persönlichkeitsstruktur (sprich Ego) entzündet und dieses in Asche verwandeln kann. Diesem Ego geben wir Nahrung durch unsere konditionierten Vorstellungen und Gefühle, bedienen sie freundlich mit allen möglichen (geistigen, psychischen und physischen) „Stoffen“, ohne den „Herrn im Hause“ zu erkennen. Neid, Eifersucht, Hass, Aggression, Angst, Bedrängnis, Rachsucht, Eitelkeit und wie sie alle heißen, die so erzeugten Kinder: sie fordern früher oder später ihre Rechte ein…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

 

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