Die Illusion vom Glück

GlückViele Menschen streben vor allem nach einem im Leben, nach Glück. Es ist der meist gehegte und genannte Wunsch nebst der Gesundheit. Glücklich zu sein ist für sie die größte Errungenschaft ihrer persönlichen Entwicklung. Nur, was heißt es eigentlich, glücklich zu sein, und wie wird man es?

Viele Menschen meinen, das Glück hänge irgendwo als süße Frucht an einem Baum und könne dort jederzeit gepflückt und gegessen werden. Glück in der Funktion des Geldes, was man eben besitzt oder nicht besitzt, ist ebenso absurd. Beides sind Illusionen. Ebenso wenig wird einem (normalerweise) das Geld tatenlos zuströmen, wie das Glück. Und wenn es tatsächlich tatenlos zufließt, was ja bei manchen Menschen mit klugen Tricks möglich zu sein scheint, so werden sie damit auch nicht wirklich glücklicher. Das Gegenteil scheint sogar der Fall zu sein, wenn man die Selbstmordstatistiken zur Kenntnis nimmt. Vergessen Sie also, tatenlos glücklich werden zu wollen! Tun Sie, wonach Sie getrieben werden, wonach Ihre ethisch-moralischen, sittlichen, kulturellen und/oder sozialen Ziele Sie hinbewegen und Sie werden im Nebeneffekt ein Übermaß von diesen Früchten genießen können!  Die Illusion vom Glück weiterlesen

Selbst-Reflexion, einmal anders betrachtet

SelbstreflexionWenn man den Begriff Selbstreflexion im allgemeinen Kontext hört, kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, was das eigentlich bedeutet. In der Psychologie meint es in der Regel dies: Zu beobachten, wie man selbst in bestimmten Situationen reagiert, handelt, wie man fühlt und denkt. Sich selbstkritisch in Frage stellen und die Gedanken, die man äußert, auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Es geht in erster Linie um die Objektivierung eigenen Verhaltens, um richtiges, wahrheitsgetreues Denken und Wahrnehmen. Selbstreflexion in diesem Sinn, findet auf der Ebene der Gedanken statt. „Ist es wirklich richtig, dass ich dieses oder jenes gesagt, getan habe oder tun werde?“ –  „Habe ich diese Mitarbeiterin richtig behandelt, oder war ich zu streng mit ihr?“ – „War es falsch, dass ich mich aus der Gruppe zurückgezogen habe?“ u.s.w. u.s.f.  Selbst-Reflexion, einmal anders betrachtet weiterlesen

Karl Popper und der kritische Realismus

Karl_PopperDer Philosoph Karl Popper wurde am 28. Juli 1902 in Wien geboren. Vor allem die Werke von Platon, Hegel und Marx beeinflussten und veranlassten ihn zur Gegenthese einer „geschlossenen Gesellschaft“. Von ihm stammt unter anderem der Begriff der „offenen Gesellschaft“

Einige Aspekte zu seinem Werk:
In Wikipedia steht folgendes:
“Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnisvermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt. Der Mensch aber ist in seiner Erkenntnisfähigkeit dieser Welt durch seine Wahrnehmung begrenzt, so dass er sich keine endgültige Gewissheit darüber verschaffen kann, dass seine Erfahrungen und Meinungen mit der tatsächlichen Wirklichkeit übereinstimmen (Kritischer Realismus). Er muss daher davon ausgehen, dass jeder seiner Problemlösungsversuche falsch sein kann.“

Er kann, in diesem Zusammenhang betrachtet, nicht nur davon ausgehen, dass seine Problemlösungsversuche falsch sein können, sondern zwingend falsch sein müssen. Das ist eben der Haken an der ganzen Sache! Somit geht auch die Theorie des kritischen Realismus bachab. Sie vernichtet sich sozusagen selbst. Denn sie verschließt die Tore zu einer objektiven Welt, indem sie diese (zumindest aus der Sicht des menschlichen Erkenntnisvermögens heraus), negiert, und deren Realität von der subjektiven Sichtweise trennt (Dualismus). Genau damit stellt sie ihrerseits ein objektives Urteil, auf vermeintlich subjektiver Basis, auf. Popper weist meines Erachtens verständlicherweise auf die Relativierung unserer Urteile hin. Er stellt dieses Relative als Voraussetzung in der zwischenmenschlichen Kommunikation hin. Meinungen, Ansichten, Weltanschauungen treffen aufeinander und bekämpfen oder ergänzen sich, je nach Blickwinkel. Dabei setzt er jedoch die Grenze der Erkenntnis sehr tief an. Er gesteht, seiner Erfahrung gemäß, und vermutlich unbewusst, auch anderen Menschen keine höherere Erkenntnis zu, als er sie selbst erfahren hat. Alle haben sozusagen „ein bisschen recht“. Die “Wahrheit“, wenn man das Produkt dieser Überlegungen im Lichte des kritischen Relativismus überhaupt so nennen darf, findet sich, dessen These nach, erst in der eigenen Auseinandersetzung mit Themen oder im Austausch untereinander, wenn auch nicht zwingend.

Wenn das menschliche Erkenntnisvermögen, wie es Popper, Kant und andere proklamieren, tatsächlich so begrenzt ist, dass es sich keine Gewissheit darüber verschaffen kann, ob die reale Welt wirklich so ist, wie sie ist, dann gleicht jedes Urteil einem Zufallstreffer. Die Wahrheit wird sozusagen ein interaktives Zufallsprodukt. Sie entbehrt damit einem realen Fundament. Gleichzeitig erlischt jeglicher Sinn des zwischenmenschlichen Austausches. Jeder Satz müsste mit “könnte sein oder auch nicht“ kommentiert werden. Bestenfalls könnte die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Sache eingestanden werden. Dabei würde man unweigerlich die Frage stellen müssen, worauf die Einschätzung dieser Wahrscheinlichkeit/Unwahrscheinlichkeit denn beruht? Wer richtet? Wer entscheidet? Und wie entsteht die Begrenzung der eigenen Erkenntnis einer Sache gegenüber? Jeglicher geistiger Halt geht so verloren, relativiert sich. Ob der kritische Realismus sich auch streng logischen (z.B. mathematischen und wissenschaftlichen) Erkenntnissen gegenüber in dieser Weise stellt ist mir unbekannt. Die Anwendbarkeit bezieht sich jedenfalls auf alles, was spekulative, nicht exakte Wissenschaft ist und dazu gehören philosophische, religiöse und weltanschauliche Fragen. Aber genau dort wäre mehr Klarheit wichtig und gefordert.

Nicht dass ich persönlich die Relativität der Wahrheit im alltäglichen Urteil bestreiten würde. Auch dieses Statement ist so betrachtet nur relativ richtig. Der Begriff an sich ist nicht umfassend und abschließend, sondern lässt immer Ergänzungen, Korrekturen, Differenzierungen zu. Wer aber aus der Relativität heraus Erkenntnisgrenzen setzt, der befindet sich in seichtem Gewässer und wird bald stranden müssen. Konsequent weitergedacht, dürfte der kritische Realist keine Grenzen setzen, sondern alle Grenzen aufheben. Denn jedes Urteil darin würde problematisch werden, auch das eigene…
Die Relativität hat immer Potenzial nach oben. Dabei kann offen gelassen werden, ob der Mensch dabei nicht auch in vollkommen neue Dimensionen vorstoßen kann, die zur absoluten Freiheit führen können. Erst die Erfahrung wird es zeigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mann oh Mann

Mann seinDas Bild des Mannes ist relativ geklärt, zumindest war es das bis vor vier, fünf Jahrzehnten. Das Rollenbild sieht indessen auch beim größten Teil der heutigen Familien noch ähnlich aus, Mann als Hauptverdiener, Frau mit Haushalt und Kindern beschäftigt. Mit Ausnahme einer kurzen Revolution in den 60ern/70ern, hallen die traditionellen Verhältnisse auch heutzutage wieder nach wie in alten Zeiten, so scheint es. Trotz Alice Schwarzer und nachfolgender Kämpferinnen in Sachen Frauenfrage scheint sich am althergebrachten Rollenverständnis kaum etwas verändert zu haben. Viele Frauen, auch „emanzipierte“, fühlen sich erfüllt in ihrer Aufgabe in „Haus (Hof?) und Herd“.

Dennoch hört man hier und da Unmut. Vor allem, wenn das Ende der „ersten Phase“ (wenn die Kinder ausser Haus sind) naht. Ist die chronische Selbst-Überschätzung des Mannes oder jene der ständigen Selbst-Unterschätzung der Frau und ihrer beider Rollen charakterlich vorgeprägt und auf ewig in die Steine der Menschheitentwicklung gemeißelt? Und die noch wichtigere Frage, oder ist es schon eher ein Rätsel, schließt sich daran an: wann beginnt das Mann-Sein? Oder das Frau-Sein, also das geschlechtliche Leben überhaupt? Und was ist davor? Auf der physischen Ebene kann man zumindest die erste Faktenlage relativ exakt bestimmen. Ein Chromosom prägt schon früh die geschlechtliche Ausrichtung. Davor sind wir offensichtlich geschlechtslos. Zwar behaupten ja viele, es gäbe kein Davor, aber die Frage des Woher bleibt dennoch offen. Betrachtet man die psychischen Faktoren, so wird die Sache aber auch danach erheblich schwieriger zu fassen sein. Und um letztere geht es primär, wenn man ein wenig Licht in die anfangs gestellten Fragen bringen will.

In Fachkreisen tendiert man dahin, dass die geschlechtliche Rollenprägung vor allem in der Kindheit entsteht. Der Begriff der „Rolle“ ergibt sich aus einer gewissen Ausrichtung der erzieherischen Massnahmen und Interventionen sowie dem familiären Rollenverständnis. So beeinflussen sowohl die Verhaltensweise, wie auch das Selbstverständnis der jeweiligen Rolle des Vaters und der Mutter, Geschwister usw. auch die soziale Ausrichtung der Kinder bezüglich deren Rollenbild. Diese adaptieren wie ein Prägestempel deren Bild auf das ihre und tragen es durch ihr Leben. So „funktioniert“ in der Regel Erziehung nach dem allgemeinen Verständnis.
Dabei wird wiederholt von „Rolle“ und von „Funktionen“ gesprochen. Die Rolle im üblichen Sinn ist ein vorgeprägtes Verhaltensmuster, welches in unserem Leben handlungsleitende Impulse impliziert. Das Muster kann auch nachgeahmt und als Kunstmittel eingesetzt werden. Dies genau tun die Schauspieler. Ähnlich „funktionieren“ aber die meisten „normalen“ Menschen. Dadurch handeln und wirken wir in der Gesellschaft gemäß deren Normen, Konventionen, Sitten, Pflichten und Rechten. Eine Rolle kann aber nie das Wesentliche sein! Die Frage taucht immer auf: Was steckt dahinter? Wer ist es, der die Rolle spielt, der hinter der Maske steckt!
Oder anders: Was ist das Wesentliche? Das ist die zentrale Frage. Inwiefern müssen wir unser Verhalten an den Prägungen der Gesellschaft ausrichten oder wieviel persönliche Freiheit steckt darin?

Frau sein, Mann sein sind unzweifelhaft entscheidende Faktoren in den Betriebsrädern einer äußeren Ordnung. Die Gesellschaft, unsere Freunde, Bekannten, Verwandten sehen uns gerne im geschlechtlichen Kontext und beurteilen uns nicht selten ausschliesslich danach. Die Rolle prägt uns, ohne Zweifel. Und wir prägen mit ihr wieder die Gesellschaft. Denn auch wir sehen uns oft gerne im Mantel des Geschlechts und handeln danach. Aber was oder wer steckt dahinter?

Wir umgehen immer wieder uns selbst, das Wesentliche, das Zentrum, den Ausgangspunkt. Das ist die innere Ausrichtung jenseits jedes Rollenbildes. Hier entscheiden nicht Kriterien des Mannseins, Frauseins, noch jeglicher anderer Aspekte, sondern einzig und allein die Schöpferkraft unserer Intuitionen. Mein Fazit: der Kern des Menschen ist ungeschlechtlich und wir sollten auch danach beurteilt werden. Die Clichées, die den Geschlechtern anhaften, bewirken viel Leid und Unrecht. Um dies aufzuzeigen muss man nicht weit ausholen: Stichwort Lohnfragen, Gleichstellung etc. Aus der Sicht des Mannes erlebt man die Welt, das Umfeld anders als aus der Sicht der Frau. Dies ist kein Widerspruch zu dem eben gesagten. Eine Neuorientierung in der Genderfrage müsste tiefer in die menschliche Natur eindringen können. Da nützen oberflächliche Paragraphen und Gesetzeskämpfe nicht viel. Das Bewusstsein reicht auf diesem Niveau nur bis zu äusserlichen, rein zweckmässigen Argumenten. Mit Emanzipation kann letztlich nicht nur jene vom anderen Geschlecht gemeint sein, sondern eine von der geschlechtlichen Abhängigkeit überhaupt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Der Schablonenmensch

SchablonenmenschWir sind als Naturwesen und als Gesellschaftsmitglied in feste Strukturen eingebettet. Im Kindheitsalter sind diese Strukturen noch relativ wandelbar. Beim Verlassen der Kindheit sammeln wir unzählige Erfahrungen und Erlebnisse und bündeln sie in unserem Gehirn zu neuronalen Schablonen und festen „Datenbahnen“.

Dadurch schaffen wir ein abgeschlossenes Gefäß, gefüllt mit einschlägigen Erlebnissen, die wir durch Prinzipien geformt und eingepresst haben. Dieses Konstrukt tragen wir fortan durch unser ganzes Leben. Wir richten unsere Wahrnehmungen darauf aus. Der Verlauf dieses Lebens bleibt zwar potenziell wandelbar, unsere Erkenntnisse tendieren jedoch zur Verhärtung. Diese abgeschlossene Form nähren wir ab und zu mit Bestätigungen von außen oder begründen sie, rechtfertigen sie durch Provokationen anderer. So befestigen wir sie in ihrer Grundstruktur andauernd. Dadurch verdicken wir unsichtbare Mauern gegen außen und schließen uns immer mehr in diesem virtuellen Kerker ein.

Unser Handeln wirkt mit zunehmendem Alter normiert. Die Natur entlässt uns irgendwann mit zwanzig, dreißig Jahren und beendet ihre Wirksamkeit an unserer körperlichen Entwicklung. Die Gesellschaft und das soziale Leben wirken unentwegt weiter. Die Interaktionen befestigen sich somit nachhaltig. Das Agieren wirkt automatisiert, angepasst, etikettiert. Verständnis gegenüber Fremden, Andersdenkenden in tieferem Sinne bleibt aus, weil die geistige Beweglichkeit verloren geht. Etikette trifft auf Etikette. Maske auf Maske. Handlungsnormen, Sitten und Gebräuche, Traditionen und Gewohnheiten prägen den Routinealltag unseres Lebens.

Ein düsteres Bild von fertigen Automaten, schattenhaften Robotern zeichnet sich ab. Ist es überzeichnet dargestellt? Wie war das in den Dreissigern, Vierzigern? Und leider nicht nur damals. Nach außen wirkt alles oft relativ lebendig und es funktioniert in gewissem Rahmen auch ganz gut. Nach innen entstehen Frustration und Täuschungen, die entlarvt (ent – täuscht) werden müssen, Misstrauen und Verständnislosigkeit. Das gesellschaftliche Leben korrigiert sich in diesem Kontext weniger durch wahrhaftige Einsicht, als vielmehr durch Anpassung. Größere Korrekturen geschehen leider nur durch Katastrophen. Die Tatsache, dass es in dieser Abgeschlossenheit funktionieren kann, täuscht über die desolate Situation hinweg. Wahrhaftige Begegnungen und wirkliche Freundschaften werden immer rarer, „freundliche“ Feindschaften immer grösser.

Der Schablonenmensch isoliert sich in seinem eigenen, festgefahrenen Käfig der Meinungen, Dogmen und Prinzipien. Er sieht das letzte Stadium der Entwicklung der Menschheit darin, das Beste daraus zu machen und durch immer detailliertere, eindringlichere, pointiertere und raffiniertere Gesetze und Richtlinien, der Gesellschaft einen scheinheiligen und „gesicherten“ Überbau einzupflanzen. So soll der Kitt geschaffen werden, der zusammenhält, was sonst zerfallen müsste. Doch der Schein trügt. Diese Entwicklung hat ihre Grenzen. Die notwendige Folge sind immer mehr „Lücken im System“. Dadurch werden Kriege geschürt und Krisen provoziert. Das Ende ist ein notwendiger Kampf aller Egos gegeneinander.

Zum Glück ist dieses düstere Menschenbild nicht definitiv und abschließend vorgezeichnet! Es bleibt immer der berühmte Funken der Hoffnung aufrecht! Jeder Schatten wird von einem Licht geworfen. Ein stilles Licht, welches in uns aufleuchtet und einen kleinen freien Raum offen lässt, eine kleine Tür, die wir jederzeit öffnen können…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Vom Sinn des Lebens

Sinn des Lebens Irgendwann in ihrer weltlichen Karriere stellen sich viele Menschen die Frage nach dem „Sinn ihres Lebens“. Nur wenige sind fraglos zufrieden und glücklich mit dem, was sie haben, auch (oder gerade?) wenn sie viel besitzen.
In meiner Tätigkeit als Therapeut wurde ich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten häufig mit Sinnfragen aller Art konfrontiert, die im Grunde immer auf ein „zu sich kommen“ hinzielen. Nur, was heißt „zu sich kommen“?

Begegnet man Menschen, die sich intensiv mit spirituellen Fragen beschäftigen, hört man oft unterschiedliche „Weisheiten“ zu dem Thema, die manchmal sehr unbefriedigend sein können. So hört man dort auch oft den Einwand, dass man nicht zuviel darüber nachdenken sollte, was der „Sinn des Lebens“ sei, sondern lernen müsse, mehr „in sich hinein zu fühlen“. Die Frage allein schon, so heißt es dann, zeige auf, dass man zu sehr „im Kopfe“ sei, was ein Hindernis in der spirituellen Entwicklung bedeute. Die „Suche“ nach dem Sinn des Lebens, heißt es dann oft, höre dann ganz auf, wenn man im „Jetzt“ angekommen und gegenwärtig „geworden“ sei, sich quasi „gefunden“ habe. Hm, schön erklärt, dann nichts wie los, fangen wir gleich damit an! Hören Sie also auf zu denken!

Da diesen Anspruch (des im „Jetzt“ lebens) die meisten Menschen (noch) nicht erfüllen können und man in der Gegenwart auch nicht „geworden ist“ (sondern zeitlos „ist“), stellt sich die Frage halt weiterhin und von neuem – und man kommt zunächst nur mit Denken weiter. Mit dieser Antwort ist also nicht viel gewonnen. Verkürzt hieße die Lösung des Problems für mich vielleicht etwa so: Der Sinn des Lebens besteht darin, Erfahrungen zu sammeln, um sich weiter zu entwickeln. Was damit aber nicht beantwortet ist und zuweilen einen fahlen Geschmack hinterlässt ist die Frage, für wen oder wozu man dies denn tun solle, was bringts, wem hilfts? Für sich selbst? Sozusagen, als Ego-Trip? Hm, unbefriedigend. Für die „Verbesserung der Welt“ oder der Schaffung „kultureller Vielfalt“ usw? Doch was ist „besser“? Und warum soll man das Denken dabei ausschalten? Stehen die Gefühle tatsächlich höher als die Gedanken? Oder ist dies ein Trugschluss?

Immerhin haben Sie jetzt schon kräftig mitgedacht und womöglich den Kopf hin und wieder in die eine oder andere Richtung bewegt. Bis hierher haben Sie übrigens schon die durchschnittliche Seitenbesuchsdauer auf diesem Blog erreicht! Sie können jetzt also getrost wegklicken…

Sollten Sie aber dennoch unbedingt weiter lesen wollen, so fragen Sie sich, warum Sie dies tun und warum Sie den Kopf geschüttelt haben. Weil Sie vermutlich eine eigene Meinung dazu gebildet haben? Möglich, sonst hätten Sie sich kaum für den Artikel interessiert oder schon gar nicht weitergelesen. Das Bewegen Ihres Kopfes bestätigte – oder tadelte – die von mir angeführten Gedanken. Das heißt, dass Sie sich bereits im Laufe der Jahre ein persönliches, nämlich Ihr (Lebens-) Konzept erarbeitet haben. Aus dessen Erfahrungsschatz beziehen Sie nun Ihre Urteile. Und davon möchten Sie sich jetzt womöglich nicht so leicht umstimmen lassen! Ein solches Konzept ist zum Beispiel jenes einer Gefühlsmystik? Wie auch immer Ihres aussehen mag, es beruhte und beruht jedenfalls auf intensivster gedanklicher Arbeit Ihrerseits. Wenn Sie jetzt damit auf die Welt blicken, können Sie relativ schnell eine Einschätzung diverser Situationen zu verschiedenen Themen abgeben. Ihre Gefühle richten sich indessen ganz an das von Ihnen geschaffene Weltbild. Sie empfinden Missmut, wenn Ihnen etwas widerfährt, was sich in der Abgleichung mit Ihren eigenen Konzepten wenig oder gar nicht decken lässt. Und das Gegenteil passiert Ihnen im Fall der teilweisen oder totalen Übereinstimmung. Dann nämlich sind Sie vermutlich glücklich mit dem vorgebrachten oder gelesenen.

Mag sein, sagen Sie, aber was hat das Ganze nun mit dem Sinn des Lebens zu tun? Scheinbar wenig – und doch sehr viel! Will heißen, Ihre persönliche Situation und das Leid, die Freude im Leben, hat immer mit einer dieser inneren „Abstimmungen“ oder „Abgleichungen“ der anderen Inhalte zu tun. Glück oder Unglück fühlen sich an wie gestimmte oder ungestimmte Saiten auf dem Instrument Ihrer Seele. Dies lässt Sie hoffen oder zweifeln, lieben oder hassen. Das ist alles?
Sind wir also, so kann man sich jetzt fragen, hoffnungslose Automaten, nur immer dem Wind, den Wellen oder dem Sturm eines inneren Seelenmeeres ausgeliefert? Heißt die Losung des Übels bestenfalls „positiv denken“ um einigermaßen über die Runden zu kommen? Und was ist der Sinn dahinter?

Allein das Gewahr werden dieser Tatsache enthüllt so manches Leid. Und insofern Sie dies immer näher an der Gegenwart tun (und nicht erst im nachdenken oder reflektieren!), enthüllt sich Ihnen auf einmal etwas Neues. Dieses „dahinter erleben„, deckt eine Schicht ab, unter der Sie zuvor eingehüllt, sozusagen eingenebelt waren. Nur aus dieser neuen Perspektive heraus, in der Selbstbeobachtung (neudeutsch Selbst-Reflexion), können Sie auf sich selbst blicken oder eben zu sich selbst kommen. Damit treten Sie heraus aus der „Gefangenschaft“ Ihrer Seele. Die Wellen können Ihnen nichts mehr anhaben, denn Sie wandeln jetzt auf ihnen (wie Jesus dies getan hat, ein sehr schönes Sinnbild!!). Aus dieser neuen Perspektive heraus begreifen Sie erst ihr wahres Leben, ihr Schicksal und Ihr Verhalten!
Dies geht selten von heute auf morgen, sondern ist mit steter Übung verbunden. Immer wieder werden wir dabei fallen (oder absaufen)! Wir sehen aber dieses „Licht am Ende des Tunnels“ stets deutlicher und richten unser Leben mehr und mehr darauf hin aus.

Der Eintritt in das Innerste hat begonnen. Das ist der primäre Sinn des Lebens…

Nur ist dies kein Ego-Trip. Denn dieses Ego haben Sie soeben verlassen. Und Sie werden erst jetzt die wirkliche Verbundenheit mit der Welt erfahren können. Damit aber hat sich wohl auch die zweite Frage erledigt, jene nach dem wozu und für wen. Alles ist immer für alle, aber immer aus Ihrer intuitiv erfassten, individuellen, situationsangepassten (moralisch abgestimmten) und somit freienTat heraus, will heißen aus dem JETZT.
Das klingt zunächst unverständlich und schmeckt sehr nach bloßem daran glauben und diesem viel beschworenen Wir-Gefühl der Eso-Szene. Und dennoch kennen die meisten Menschen dieses Erlebnis wenigstens ansatzweise. Nur vergisst man es (oder besser: sich selbst) ständig wieder. Kaum hat uns die Nebeldecke der Vorstellungen und Glaubenssätzen wieder erfasst und eingelullt, ist es schwer, an eine Sonne darüber zu glauben. Da hilft nur dranbleiben…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Endlose Jagd nach Inhalten

JagdDie Hauptaufgabe der Bewusstseinsentwicklung kann nicht primär darin bestehen, immer neue Inhalte (informative Seite) zu schaffen und einzuverleiben. Der Blick und die Jagd nach Inhalt verdeckt den dahinterliegenden Vorgang der (Selbst-) Erkenntnis. Ich erachte diesen als das entscheidende Bewusstseins-Werkzeug unserer Zeit.

Dieses Aushalten des Inhaltslosen ist für die stets nach Sensation und Action ringende Seelenverfassung unserer modernen Gesellschaft ein unhaltbarer Zustand. Die Welt soll die Nahrung liefern, der es uns aus uns selbst heraus ermangelt.
„Erkenntnis-Dramatik“ vollzieht sich an einem Punkt, nicht an der Breitseite des Lebens und ebenso wenig am Panorama der sichtbaren Welt. Und um diesen einen Punkt geht es. Er ist das Nadelöhr jeglicher spiritueller Entwicklung. Gewiss, man kann das bestreiten, wie man alles bestreiten kann. Man kann die Wahrnehmung und die sogenannten „realen Verhältnisse“ überbewerten und ins Zentrum rücken. Dort wird man endlos und vergeblich nach Geist suchen. Deshalb wird von vielen auch bestritten, dass es ihn gibt (naiver Atheismus und Realismus usw.). Der eigene (geistige) Denkakt wird dabei übersehen.

Nur wer versteht, dass im Ineinandergreifen von Begriff und Wahrnehmung das innere Licht im Subjekt des Denkenden erscheint, hat das Werkzeug zu unmittelbarer geistiger Erkenntnis in der Hand. Wer die Inhalte selbstvergessend alleine auf der Wahrnehmungsseite sucht, wird nichts dergleichen finden. Die materiellen Erscheinungen der Welt erschließen sich im Erkenntnisakt jedes einzelnen. Das Erleben tritt, geistesgegenwärtig, am Schnittpunkt von Welt und Ich auf.

Das ist der Punkt, um den sich ALLES dreht…

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Darauf bezieht sich auch der Fokus des Inhaltlichen dieses Blogs. Es ist sozusagen der (letzte) Inhalt vor dem Inhaltslosen. Indem wir unser Augenmerk auf die Außenwelt lenken, versinken wir wahrnehmend und vorstellend in ihr. Wir tauchen ab in unsere Gedankeninhalte und sehen mit diesen in die Welt hinaus. Das tue ich auch in diesem Augenblick. Nur mache ich selbst beobachtend auf eben diesen Tatbestand aufmerksam! Wir können diese Gedanken auch auf uns selber richten, denn wir sind ein Teil dieser Außenwelt, insofern wir einen Körper haben. Ja selbst unsere Gefühle und Taten orientieren sich meistens daran. Bleibt noch das Denken übrig. Aber genau dieses vergessen wir normalerweise im tätigen Akt. Wir können nicht denkend das Denken denken! Aber wir können einen neuen Standpunkt „erobern“, der außerhalb des Denkens steht, und den Fluss der Gedanken beobachten. Dies geschieht im Jetzt. Wer das bestreitet, dem steht eine Erfahrung bevor. (Dazu empfehle ich die Videos von Eckhard Tolle, für mich einer der zündenden Faktoren geistigen Erwachens)

Erst an diesem Punkt wird die „Schwelle“ zur geistigen Welt überschritten. Dies zeigt schon der Tatbestand, dass der Punkt selbst nur gedanklich gefasst werden kann und nichts real materielles darstellt. An dieser Schwelle befinden wir uns schon lange. Deren dumpfes Erleben erzeugt Leid und Schmerz! Leiden heißt Angst haben, Angst vor der Absonderung, der Abspaltung zu unserem geistigen Kern. Wir sind Doppelwesen. Mit einem Teil verankert in der physischen Welt, der andere lebt jenseits dieser Schwelle und möchte sich mit dem materiellen Teil vereinigen. Das verhaftet sein mit diesem spaltet unser Bewusstsein ab von jenem. Es erlebt sich als Teilselbst, beziehungsweise in vielen Teilselbsten! (Konzept Voice Dialogue)

Und weil die Erfahrung des vom Inhalt unabhängigen „Punktes“, zentral, im wahrsten Sinne des Wortes ent-scheidend für die Bewusstseinsentwicklung des Menschen und der Menschheit ist, spreche ich ausschließlich über sie. Jedes Festhalten an „interessanten Inhalten“, könnte von diesem einen, realen Erlebnis ablenken. Neue (geistige) Inhalte (Intuition genannt) werden später daraus entstehen können und erneut ins volle Leben eingreifen. Sie bilden sich aus der in dieser Weise neu geschaffenen Verbindung von (Selbst-)Beobachtung, Intuition und Begriff. Wohlan, sie können auch ohne dieses Schwellenerlebnis, von jenen die es erfahren haben, vermittelt werden und sie zeigen möglicherweise sogar nachhaltige Wirkung. Genau so gut können sie aber auch eine Art Genügsamkeit, blosse Neugier und blinden Glauben erwecken. – „Hat der Doktor nicht schön gesprochen?!„, hallt es dann nach oder: – „Hoch interessant, diese geistigen Zusammenhänge!“ Solche und ähnliche Begründungen brennen sich schnell in die Gehirne spiritueller Anhänger ein. Sie kennen keinen Stachel mehr, der sie auf den eigenen Weg führt. Der Glaube daran, dass es keine Erkenntnisgrenze gibt und die Tatsache allein, dass unser geliebter Lehrer dies auch so denkt, vermag diese noch nicht wegzuschaffen! Das gelingt nur in jedem einzelnen Menschen, der sich auf den Weg zur Selbsterkenntnis macht!

„Eigentlich ist der Grundgedanke meiner „Philosophie der Freiheit“ gewesen, dass ich aufmerksam darauf gemacht habe: In das Denken, dass sich der moderne Mensch erworben hat, kann er sein Ich-Wesen wirklich hineinschieben… Und so wird der Mensch seines Ich-Wesens sich wirklich bewusst im reinen Denken, wenn er so die Gedanken fasst, dass er aktiv, tätig in ihnen lebt.“ Rudolf Steiner (aus einem Vortrag vom 03. Februar 1923)

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Warum dieser Blog kein Renner wird

DatenkosmosEine selbstkritische Betrachtung…
Es gibt sehr viele Blogs, ich gebe es zu, und unendlich viele Informationen und Milliarden von Meinungen und Ansichten im virtuellen Datenkosmos des Internets. So manches ist massentauglich, anderes weniger, dieser Blog ist es sicher nicht! Und warum? Weil die Leute immer genau dort gepickst werden, wo es ihnen am meisten weh tut: bei sich selbst.

Nicht etwa, dass ich auf sie zeigen und ihnen meine Meinung ins Gesicht schleudern möchte, wie es viele andere tun; nein eben nicht! Ich stupse sie immer dort, wo es am meisten weh tut und stelle die ewig gleiche Frage nach den wirklichen inneren Motiven, die jeden/jede von Ihnen antreibt. Diese innersten Motive, die Beweggründe und die Triebfedern zu unserem Tun, denken und fühlen, sind die tiefsten und scheinbar unzugänglichsten und doch „offenbaren Geheimnisse“ unserer Persönlichkeit. Die Frage danach bringt immer das eigene Gewissen auf den Plan. Das ist sehr, sehr unangenehm. Lieber weicht man aus, als dass man sich mit sich selbst anlegen will. Es könnten ja Dinge aufgedeckt werden, die wir lieber gar nie wissen wollen, weil sie an unserer Selbstsicherheit und unserer Selbstgewissheit nagen und das Ego zerstören möchten.

Meine Aufgabe in diesem Blog ist es, penetrant auf diesen Lebens-Hintergrund jedes einzelnen Menschen, mit teilweise unangenehmen Folgen, hinzuweisen. Und warum tu ich das? Warum erzähle ich nicht Gechichten aus meinem eigenen Leben? Unrecht was mir geschehen ist, Unrecht, das auf der Welt passiert; von Kriegen und von den Bösen, die unsere Gesellschaft vernichten wollen, von dem großen Kapital und von den skrupellosen Finanzhaien, die über Leichen gehen, um ihre nie enden wollenden Gewinne einzufahren und damit ihre Macht ausweiten? Warum beklage ich mich nicht über die unseligen Pharma-Riesen, die immer wieder alte (und neue?) Krankheiten neu erfinden – um jeden Preis – weil sie davon (und nur davon) ihre satten Gewinne einfahren. Nebenbei gesagt: Warum sollten sie uns gesund machen wollen, wenn „gesund sein“ heißt, weniger Umsatz zu generieren? Oder ich könnte mich über all die dumpfen Gemüter ärgern, die einfach nicht checken wollen, was auf dieser Welt alles schief läuft und ich könnte sie bekehren wollen, um ihnen mein Rezept (eines von Millionen) zur Verbesserung der Welt zu predigen!

Oder warum schreibe ich nicht von der blöden Kuh am Postschalter, die mich wegen lumpiger 20 Gramm Mehrgewicht des Pakets wieder nach Hause schickte und die bereits bezahlte Frankierung zunichte machte. Oder ich könnte auch von den ätzenden Computererlebnissen erzählen, von dieser elendiglichen, unleidigen Kiste, die mich jeden Tag auf die Palme treibt, weil deren Innereien (die Chips) nicht das tun, was ich gerne möchte, oder zumindest nicht in der Zeit, die ich gerne hätte, um effizienter zu arbeiten und – eben – Zeit zu gewinnen. Zeit, die ich einst glaubte gewinnen zu können dank der hochheiligen digitalen Technikkuh, was aber einem radikalen Selbstbetrug und Denkfehler gleichkam. Verrat! Überall Verrat und Elend! Und dann diese endlose, Tinte saufenden Billigdrucker-Monster mit hochauflösender Technik, die das Schnäppchen zum Horror machen, weil man für das Verbrauchsmaterial bald einen Kredit aufnehmen muss! Nicht zu schweigen von all den Pennern, die mir tagtäglich den Vortritt im Verkehr abschneiden oder dumme Kommentare abgeben…

Sie sehen, es gäbe genug zu jammern. Dies alles wäre zudem ein gefundenes Fressen für die Seele der meisten Leserinnen und Leser, weil sie sich damit identifizieren könnten, weil ihnen vielleicht jeden Tag dasselbe oder ähnliches zustößt und weil die Klage etwas Entlastendes an sich hat. Weil sie dann selbst ihre unerhörten Geschichten weitergeben könnten, um damit so etwas wie Rechtfertigungs-Glücksgefühle aufzubauen. Wie geil ist das, wenn man „verstanden“ wird, wenn ein anderer Mensch das eigene Leid bestätigt und möglicherweise noch anheizt! Oder Sie könnten ihre Vernichtungsalven herunter leiern, um zu zeigen, wie falsch man mit diesen Aussagen doch liegt, wie wenig man doch begriffen habe und wie es „richtig“ zu sein hat. Das Gefecht wäre somit eröffnet. Und das kann große Befriedigung bringen.

Solche Gefühle bediene ich mit diesem Blog in der Tat nicht. Sie wären es, die erst Geld und Aufmerksamkeit bringen würden. Fragen Sie einen Journalisten. Das Gegenteil wird hier angeregt. Das Selbst-Betrachten. Es erfordert kompromisslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Das Motiv hat nie mit Rechtfertigung zu tun: „Aber der oder die sind doch die Schuldigen!?“, sondern mit dem anderen Teil der Geschichte, jenem, der mit mir selbst zu tun hat. Wer dies nicht begreift, der findet das alles möglicherweise bestenfalls laues Zeug. Man kann sich fragen, wozu das Ganze?

Ich bin mir sicher, dass diese Botschaft und die persönliche Arbeit jedes Einzelnen an sich selbst, die Welt massiv verbessern würde! Dass es keine Kriege, keinen Betrug und keine Missgunst, keine Eifersucht und keinen Hochmut mehr geben würde. Dass Aufrichtigkeit, Toleranz und Verständnis diese ewigen Schuldzuweisungen nach und nach ersetzen würden. Dass die sture Beharrlichkeit von religiösen Fanatiker und extremen Gruppierungen, die sich allmählich wieder den mittelalterlichen Praktiken annähert, durch Selbstreflexion ausgemerzt würde, vernichtet würde, in Staub und Asche zerfallen müsste.

Nicht viele wollen dies hören, nicht nur die religiösen Fanatiker nicht, die natürlich zuallerletzt. Aber wie steht es mit Ihnen? Sind Sie bereit? Wie viel Dogmatismus, Tradition, Konvention, wie viele Automatismen und Glaubenssätze (religiöse und materielle) leben noch in Ihnen? Die Fragen sind unangenehm und ich bezweifle, dass sich durch meine bescheidenen Beiträge damit etwas nachhaltig verändern wird, aber ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie bis hierher gelesen haben… und vielleicht ein kleines Licht aufgegangen ist…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Gespräch mit Rudolf Steiner

rudolf-steinerZum 154. Geburtstag Rudolf Steiners (1861-1925)…

Virtueller, in künstlerischer Weise gestalteter Dialog mit Rudolf Steiner zur heutigen Weltlage und der persönlichen Situation des anthroposophischen Impulses. Das Thema will zu einem Dialog über die „Anthroposophie“ Rudolf Steiners (und darüber hinaus) anregen. Es folgen Fortsetzungen…

UW: Herr Doktor Steiner, ich bedanke mich herzlich, dass Sie sich die Zeit nehmen, dieses Gespräch zu führen!

RS: Ich bedanke mich!

UW: Etwas, was  mir seit Jahren auf dem Herzen liegt und mich sehr beschäftigt, und was ich Sie gerne zuerst fragen möchte, ist folgendes. Wenn ich heute in die Welt schaue und all die Ereignisse um mich herum wahrnehme, die tagtäglichen menschenfeindlichen Geschehnisse, so kommt es mir vor, als ob es nicht gelingen will, wirkliche und nachhaltige Fortschritte im Sinne der von Ihnen initiieren Anthroposophie wahrzunehmen. Zumindest was die Entwicklung der einzelnen Menschen angeht, kann man doch gewiss ein paar Fragen stellen. Die Verstrickungen in die festgefahrenen materiellen Verhältnisse, die vielen Kriege und Missstände, scheinen mir so komplex, unüberbrückbar und unverrückbar geworden zu sein, dass ich den Sinn und Zweck einer anthroposophischen Geisteswissenschaft, wie sie heute betrieben wird, nicht mehr richtig nachvollziehen kann. Wenn Sie nun heute, als Begründer dieser weltweiten Bewegung, hineinschauen in deren Wirken und Tun, was wäre das allerwichtigste und aller dringlichste, was Sie den Menschen, die sich damit verbunden fühlen, sagen möchten?

RS: Diese Frage scheint mir durchaus berechtigt! – Denn tatsächlich ist es ja so, dass sich nach meinem Tode so manche Dinge zugetragen und verzerrt haben und in verschiedene Richtungen auseinander getrieben wurden. Das ist der Preis dafür, dass man vielerorts selbst nicht mehr zusammenhalten kann, was zu meinen Lebzeiten noch an der eigenen Person „gemessen“ werden konnte. Aber genau dieses „Messen an einer anderen Person“, ist das allerschlimmste, was passieren kann und konnte. Die Inhalte der von mir damals „Anthroposophie“ genannten Geisteswissenschaft, blieben als Reste in allem zurück, was davon schriftlich in einem für die damaligen Verhältnisse angepassten Begriffssystem, übrig geblieben ist. Damals war aber eine ganz andere Zeit und es galten andere geistige Gesetze als heute! Das gilt es zu erkennen! Heute müsste alles viel unmittelbarer und direkter und mit großer Einfühlung in die Verhältnisse geschehen. Es dürfte nichts mehr in der gleichen Weise an den von mir seinerzeit vermittelten Inhalten hängen bleiben. Das liegt allerdings mehr an der Verwandlung der Begrifflichkeit, als am damals vermittelten geistigen Kern der Aussagen und Erkenntnisse.

UW: Können Sie uns diesen Punkt noch etwas genauer erläutern?

RS: Gut, ich gebe ein Beispiel: Die von mir im Jahre 1894 geschriebene „Philosophie der Freiheit“, war der Einstieg einer denkend durchdrungenen Gesinnung und Geisteshaltung, die, richtig verstanden, zur Schwelle einer dahinter, im verborgenen liegenden – für das normale Bewusstsein nicht zugänglichen, nicht materiellen – geistigen Welt führen sollte. Es war der Versuch, auf philosophischem Wege, heranzuführen an diese Schwelle. Alles dasjenige, was ich im Weiteren schrieb und vorgetragen hatte, sollte an dieses Schwellenerlebnis anschliessen, was jeden nach Erkenntnis strebenden Menschen in seinem tiefsten Wesen ansprechen sollte. Das Durchschreiten dieses Nullpunktes, dieses Nadelöhrs aus dem philosophischen Kontext heraus, war aber dasjenige, was ich für den Zeitgeist und dem wissenschaftlichen Verständnis am Ende des 19. Jahrhunderts für das dringlichste empfunden habe. Um von Innen her an die Inhalte heranzukommen, im Nacherleben heranzukommen, die ich den Menschen damals mitteilte, musste die künstlich gezogene Grenze des Dualismus von der zur Selbsterkenntnis drängenden Seele durchbrochen werden. Der Begriff „Anthroposophie“ war schlicht die Weiterführung der bis dahin auf dem Erkenntnisweg geltenden Philosophie. Er ist, wie alle Begriffe, zugleich zu einem Hindernis geworden und ich hätte ihn am liebsten täglich neu erschaffen! So wie alles, was sich daraus ergibt, immer nur im eigenschöpferischen Nachschaffen und Neubilden, in einer Art „ethischem Individualismus“ und durch „moralische Impulse“, möglich wird. Daraus enstehen stets neue und überraschende, freie Erkenntnisse, die jeder für sich aber erst mit der jeweiligen eigenen „moralischen Technik“ erschaffen muss, bis sie tätig umgesetzt werden kann. Nur wer sich in diesem Sinne an der Schwelle befindet – oder wer sie überschreitet und in diesen Innenraum eintreten kann – ist im wahren Sinne ein „Anthroposoph“, also einer, der der „Weisheit des Menschen“ von innen heraus erlebend gegenübertreten kann.

UW: Erlauben Sie mir die Frage: Inwiefern wird denn in diesem Kontext heute, aus Ihrer Sicht betrachtet, „Anthroposophie“ betrieben und in diesem von Ihnen gemeinten Sinne weitergeführt?

RS: Weitergeführt werden kann sie ja nur aus der Innenschau heraus. Das heißt, aus dem Erleben heraus! „Anthroposophie“ ist ja eigentlich eine Erfahrungswissenschaft. Sie erfordert Erkenntnisse der sogenannten „höheren Welten“ (auch das sind ja alles zunächst nur Begriffe!). Das meiste, was ich heute wahrnehme, ist noch immer an das Erleben dessen gebunden und verhaftet, was ich in der damaligen Terminologie die „Verstandes- und Gemütsseele“ nannte. Das heisst, es besteht aus einem analytischen und kombinierenden Zusammenreimen von verschiedenen Inhalten, im Sinne des metaphysischen Realismus. Dabei sind die einzelnen Inhalte durchaus richtig, aber es fehlt das „geistige Band“, beziehungsweise die Bewusstwerdung der bereits schon im Erkenntnisakt betriebenen ideellen Gedankengebilde, die der metaphysische Realist vergisst! Dieses „geistige Band“ kann nur über das eigene Nacherleben – in der Selbsterkenntnis – geschaffen werden. Was sich in dieser Weise, der „Verstandesseele“ offenbaren kann, sind nur sehr eingeschränkte, fragmentierte Erkenntnisse, die sehr schnell auch in Verirrungen und Wirrnisse führen können, weil das verbindende Glied fehlt. Der Intellekt erfordert in diesem Sinne keine Erlebnisse, denn er kann auch ohne diese seine Schlüsse ziehen! Genauso wie die materielle Welt, die „Dinge an sich“, ebenso gut ohne unsere Erkenntnisse existieren können.

UW: Was muss denn heute getan werden, damit die Anthroposophie wieder den Faden aufnehmen kann, der verloren zu sein scheint?

RS: Der geistige Faden ist es, der wieder gefunden werden muss. Das heißt nicht weniger, als dass eine neue Erkenntnisstufe erreicht werden muss. Dazu ist aber dringend notwendig, dasjenige zu erreichen, was ich damals mit dem Begriff „Bewusstseinsseele“ in Verbindung gebracht habe. Es ist heute dringender denn je geworden, diesen Schritt wirklich und bedingungslos zu tun! Die Bewusstseinsseelenentwicklung in diesem Sinne verlangt zunächst Selbstbesinnung und dann Selbstbeobachtung. Das Zurückgehen von all den Inhalten und Gebilden, die man sich wie eine neue Sprache angeeignet hat, das Zurückgehen auf sich selbst, auf die Tätigkeit im eigenen Seelenleben, auf die Gedanken und Gefühle, die in jedem Menschen leben, konsequent zu beachten. Diese Art von Selbstbesinnung, wie ich sie auch in meiner „Geheimwissenschaft im Umriss“ damals beschrieben habe, ist der entscheidende Schlüssel auf dem Wege zum Erleben einer geistigen Realität. Alle andere Erfahrung ist stets umhüllt von den Vorstellungen und Gedankengebilden, die wir uns selbst auferlegt haben im Laufe unseres Lebens. Sie werden dem wissenschaftlichen Anspruch der geistigen Erkenntnis nicht gerecht und finden keinen rechten Boden auf der neu zu erwerbenden Stufe der Bewusstseinsentwicklung des Menschen

UW: Wenn das Wirken der Anthroposophie in diesem Sinne gefasst werden soll, dann stellt sich mir die dringende Frage nach einer Erneuerung der Bewegung und wie sie sich auf diese direkte Art und Weise diesen neuen Boden schaffen soll. Immerhin sind die Wurzeln tief im Boden der bloßen Ideenwelt bereits weit ausgetrieben.

RS: Die Wurzeln müssen auch dort tief verankert sein. Wenn daraus aber etwas entstehen soll, was die Sphäre der bloßen Ideenwissenschaft überwindet, dann muss das bereits Errungene zuerst völlig losgelassen werden. Das Wissen, welches angesammelt wurde und die festgefahrene, überfüllte, abstrakte Terminologie, muss neu aus jedem Menschen durch eigene Erlebnisse, geschaffen werden. Was als „geistiger Zusammenhang“ nur mit dem Verstande begriffen wird, jedoch jeglicher Erfahrung entbehrt, bildet nicht nur Schleier, sondern Krusten vor dem geistigen Schauen. Es verdeckt und verhüllt das Wesentliche und verhindert genau dasjenige, was gesucht werden will… (—.— längeres Schweigen)

UW: Doktor Steiner, Sie beschrieben in dem eben von Ihnen genannten Buch „Geheimwissenschaft im Umriss“ den Weg zu geistiger Erkenntnis so, dass Sie davon erzählten, die Dinge dieser geistigen Welt müssten zuerst geschildert werden, bevor man dort selbst durch eine meditative, spirituelle Schulung in rechter Weise eintreten könne. Es stand dort folgendermaßen geschrieben: „Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Welt ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos“. Das war ja auch der Grund, weshalb Sie den praktischen Teil in diesem Buch, das ja so etwas wie ein Gesamtüberblick der Anthroposophie darstellte, dem inhaltlichen, theoretischen Teil hinten anzustellen.

RS: Heute würde ich den Begriff „Geheimwissenschaft“ durch „Geisteswissenschaft“ ersetzen, also „Geisteswissenschaft im Umriss“ oder besser „Anthroposophische Geisteswissenschaft im Umriss“ Denn geheim ist im Grunde nichts darin. Es sind „offenbare Geheimnisse“, die sich durch das entsprechende Bewusstsein jedem erschließen können, der sich darum bemüht.
Doch nun zu Ihrer Frage: Diese Abfolge machte ich allerdings mit Bedacht. Liest man jenes Buch genauer, so wird man die Sache doch etwas differenzierter ansehen müssen. Der „theoretische Teil“, wie Sie es nennen, will eben bereits weit über dasjenige hinausgehen, was bloße Theorie im intellektuellen Sinne meint. Nicht darauf kommt es an, dass man den Inhalt nur gedanklich aufnimmt und als Wissen verwertet. Das genau tut im üblichen Sinne die Verstandesseele. Was für das praktische Leben durchaus sinnvoll und richtig ist, gilt nicht für das Aufnehmen der vorgetragenen übersinnlichen Inhalte. Vielmehr lebt sich der sich selbst gewahrende Geist im selbstbewussten Aufnehmen solcher Inhalte alleine durch das Mit-Denken erkennend und empfindend in den Inhalt ein. Das ist im Grunde schon der erste, aber sehr wichtige Schritt hin zur Geistesschulung. Auf diesem Weg werden Inhalte nicht dogmatisch übermittelt und weiter gegeben, wie man vielleicht meinen könnte. Vielmehr wird der Leser Miterkenner durch Selbstbesinnung. Dadurch wird nicht der Verstand angesprochen, ebenso wenig eine unterschwellige suggestive Ebene, sondern der sich selbst erkennende Mensch. So gesehen beginnt die Geistesschulung bereits in der Wahrnehmung der Welt.

Es folgen weitere Teile…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freiheitsaspekt in der (anthroposophischen) Kunst

GoetheanumViele Menschen verstehen unter Freiheit zunächst jene nach dem bedingungslosen „tun und  lassen können, was man will“. Das ist sozusagen die „Freiheit vom Einfluss der Anderen“, von einem anderen Menschen, einem Gesetz oder einer Mode usw. Diese Freiheit ist bei dieser Darstellung nicht gemeint, sondern eine persönliche „innere Freiheit“. Also die Freiheit des eigenen Ich vor Konventionen, Modeerscheinungen, Traditionen und von den eigenen festgefahrenen Vorstellungen und Ideen.

Dies verlangt – wie immer in solchen Fragen – Selbstreflexion, aber davon soll jetzt nicht die Rede sein…

Freiheit ja! Aber von was?

Als ich vor über 30 Jahren selbst als konventioneller, junger Architekt eine Reihenhaussiedlung im Kanton Luzern plante, fand ich es total aufregend, als ich den 60-Grad und den 45-Grad Winkel für Balkongeländer „entdeckte“! Damals wusste ich etwa so viel von Anthroposophie und anthroposophischer Kunst, wie ein Schornsteinfeger vom Tiefseetauchen, aber dennoch glaubte ich mich damit aus einem dogmatischen Engpass befreit zu haben und fühlte mich den anderen „Stümpern“, die halt „noch nicht so weit waren“, überlegen.  Auch wenn das jetzt doch sehr überspitzt dargestellt ist (ich hoffe man spürt die Selbstironie), eines ist Tatsache: Man hat sich in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, natürlich auch aus ganz pragmatischen Gründen der Materialkunde – und aus Kostengründen – so sehr an das Dogma des rechten Winkels gewöhnt, dass man sich zum Vornherein schon sämtliche Denkmöglichkeiten nach anderen Gestaltungsaspekten „verbaute“. Zudem sind Häuser ja meistens auch nicht als „Kunstwerke“ angesehen worden. Dennoch könnte man diesen Anspruch bestimmt stellen und das wird ja auch vermehrt getan. Und was hier für die Häuser gilt, kann durchaus auch in anderen Bereichen als formales Prinzip verstanden werden.
Als man vor einigen Jahren in der neueren Kunstszene den Würfel wieder entdeckte (es gibt dutzende prominente Beispiel dafür), schien mir dies wie ein Hohn auf die künstlerisch-formale Entwicklung zu sein. Man wurde sich wie es scheint irgendwie bewusst, dass man sich in den rechten Winkel und in die überzogen klare, oft kalt wirkende Linie „förmlich“ verschossen hatte. Und man fand das so sexy, dass man glaubte, eine Art Renaissance des Bewusstseins vom rechten Winkel und der „Schlichtheit“ zelebrieren zu müssen. Das Gefühl hat im Grunde bis heute angehalten, auch wenn es kaum so formuliert wird.

Anthroposophische Kunst

Viele tun sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel schwer damit, dass bei den Anthroposophen die Häuser alle scheinbar den rechten Winkel vermeiden. Sie finden das furchtbar dogmatisch. Es sei quasi eine anthrovorgeprägte, fixe und festgefahrene Idee. Sie fragen sich, warum man denn das tue. Der so geprägte typische „Anthro-Stil“ wird einem rituell-esoterischen Akt zugesprochen, der mit einem bestimmten Menschenbild zu tun habe. Das kann man in gewisser Weise so sehen, stellt sich nur die Frage: in welcher Hinsicht? Nun haben diese Kritiker offenbar überhaupt keine Mühe damit, dass die meisten ihrer Häuser nur immer den rechten Winkel bevorzugen. Das hingegen finden sie überhaupt nicht dogmatisch. Und es hat natürlich nichts mit ihrem Menschenbild zu tun – und esoterisch ist es schon gar nicht…
Das fühlt sich etwa so an, wie dieser Spruch aus der Bibel, wo der eine den Splitter im Auge des anderen kritisiert, aber den eigenen (vermutlich rechtwinkligen…) Balken vor seinen Augen nicht wahrnimmt. Die Frage, was denn die anthroposophische Kunst mit Freiheit (im Sinne der zweit genannten) zu tun habe und was doch seit Steiners „Philosophie der Freiheit“ ihr zentrales Anliegen sein müsste, ist damit natürlich noch nicht geklärt. Aber die Blickrichtung, in die es gehen soll, wird an diesem Beispiel einigermaßen deutlich vorgezeigt.

Das geistige Potenzial in der Kunst

Was bitte soll denn das „Esoterische“  (im Gegensatz zum „Exoterischen“ – in die Aussenwelt gerichteten) in diesem Kontext sein? Eigentlich ist alles in der Welt immer zuerst als „Potenzial“ vorhanden: Ideen, Gefühle, Vorstellungen. Das haben schon Quantenphysiker wie der bekannte, kürzlich verstorbene Professor Hans-Peter Dürr erkannt. Was konkret geworden ist, hat die Ebene des Potenziellen, des (freien) Gestaltungswillens verlassen und verloren. Das geistige Potenzial ist in diesem Moment abgeschlossen, verewigt, vergewaltigt – ist absolut fertig, quasi „versteinert“, wenn es in die  endgültige, (materiellen) Form gegossen wird.
Freiheit in der Kunst würde adäquat bedeuten, Prozesse offen zu lassen. Die Möglichkeiten, die „in Potentia“ existieren, so lange heraus zu zögern wie möglich, den „Gerinnungsprozess“ in die Form, der ja gleichzeitig ein Verhärtungsprozess ist, zu bremsen und zu entschleunigen. So würde der Ausdruck mehr differenziert, verfeinert und mit einem Inneren abgestimmt.
Wenn wir z. B. sagen, das Gefühl der Lust wollen wir zum Ausdruck bringen, und wir drücken es als Würfelform aus, dann könnte man den Künstler vielleicht nicht ganz ernst nehmen. Wenn er dann das Prinzip Hoffnung ebenfalls durch einen Würfel darstellte, dann kämen doch einige zusätzliche Fragen auf. Würde er schließlich auch das Gefühl der Liebe wieder nur als würfelartiges Gebilde darstellen, dann würde wohl nur noch ein allgemeines Kulturgelächter übrig bleiben. Man würde berechtigterweise an der Kompetenz des Künstlers Zweifel haben, weil die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Umsetzung seiner Themen in diesem Fall sehr beschränkt wären oder besser gesagt: weil er immer nur sich selber, seinen Tick, seine Masche, seine eigene Verkalkung oder die Versklavung an eine Modeerscheinung zelebriert. Wenn dies auch pointiert dargestellt ist, so hat das aufgeführte Beispiel trotz seiner Überzogenheit nicht ganz daneben gegriffen. Vielleicht würde dem Künstler zu jedem Thema tatsächlich ein anderer „Einfall“, eine andere Vorstellung kommen, oder er würde sich schon gar nicht solchen „Themen“ stellen wollen. Vielleicht würde er etwas konstruieren, etwas zusammenbauen, ein Symbol, eine Idee nachbauen (lassen), die er oder sie gegoogelt hat, etwas „was zum Denken anregen soll“ usw.

Prozess der „Materialisierung“

Jetzt kann man fragen: „Was hat der denn immer mit seinen Würfeln! Das scheint wohl sein eigenes Problem zu sein!“ Gewiss gibt es mannigfaltige Kunstformen, die nichts mit einem Würfel zu tun haben. Es geht mir hier auch eher um ein Prinzip. Als Symbol gedacht, kann man das Beispiel als ein Synonym für alles verwenden, was eine Art Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten im umfassenderen Sinne bedeutet.
Die Ausdrucksweise eines Künstlers müsste nach meinem persönlichen Empfinden Rechenschaft darüber abgeben, was Forminhalt werden soll: Eine Art Abgleichung von Forminhalt und dem dahinter stehenden inneren „Potenzial“ müsste passieren. Er würde möglicherweise nie umfassend an dieses herankommen, aber er würde es durch immer neue Versuche mit dem Inneren abstimmen wollen, weil es ihn schlicht dazu treibt, dies zu tun. Denn das Potenzial ist eine in ihm wohnende geistige Realität, die sich durch sein künstlerisches Tun in der Materie Ausdruck verschaffen will.
Auf der Suche danach wird er vielleicht in viele irrige Vorstellungen verwickelt werden, wird mannigfaltige Gefühle wie Zweifel und Ängste, aber auch Überheblichkeit, Stolz oder Arroganz durchleben. Eines Tages wird er aus der künstlerischen Krise heraus vielleicht dahinter kommen, dass seine automatisierten und biografisch bedingten Vorstellungen nie die Wirklichkeit dieses seines inneren Potenzials freigelegt haben, sondern nur immer Schein waren, dass sie das wahre Sein eher verdeckt haben! Umso mehr müssen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel fortan ausgeweitet, der Prozess der „Materialisierung“ (im Stoff) gebremst werden, damit er den Zugang zu dieser „heiligen“ Quelle erreichen kann.

Keine neuen Dogmen schaffen

Um auf das obige Beispiel zurückzukommen, müsste man davon ausgehen, dass ihm mit einem grösseren Spektrum an Vielfalt, ein grösseres Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen würde und er somit diesem Inneren besser und umfassender Ausdruck verschaffen kann. Hat er zwischen 1 und 360 Grad, also im Prinzip alle Winkel, zur Verfügung, so kann er seiner Inspiration näher kommen als derjenige, welcher eben nur den einen Winkel, nämlich den „rechten“ (den er sich selbst vorschreibt), zur Verfügung hat. Selbst wenn der letztere die „Entdeckung des Lebens“ macht und noch den einen oder anderen Winkel dazu nimmt, so bleibt er doch immer noch aussen vor. Man könnte selbstverständlich in gleicher Art und Weise von einem Farben-Spektrum statt von Winkeln, oder von anderen Medien sprechen.
Dies ist aus meiner Perspektive der wesentlichste Aspekt in der anthroposophischen Kunst, sozusagen die „Esoterik“ dahinter. Er steht über jedem intellektuellen Konzept. Die Krux ist allerdings, dass man eben NICHTS zum Dogma machen darf! Weder das „Rundumpanorama“, noch der linear-fixierte eine Blickwinkel oder anderes. Die Verfügbarkeit des möglichst grössten Potenzials zur Umsetzung eigener, innerer Impulse ist entscheidend und nicht ein gedankliches Konzept, selbst dann, wenn es pseudoesoterisch klingt. Insofern geht es immer ums Erleben und nicht nur um individualisierte, persönliche Vorstellungen und Konzepte; ja nicht mal nur um diejenigen Gefühle, die sich an diesen Vorstellungen orientieren. Wenngleich diese Vorstellungen, wenn sie zu „individualisierten Begriffen“ werden, quasi erst das „Salz in der Suppe“ bilden und die künstlerische Entfaltung ermöglichen, so sind sie doch immer nur die „Greifarme“ einer dahinter liegenden geistigen Potenz.

Fazit: Welche Einschränkungen, Modeströmungen oder andere Hürden man sich selbst bei diesem Prozess auch immer verschafft: dieses „Erleben“ in die materielle Darstellung hinein zu zwängen, oder es atmen zu lassen, bleibt dem einzelnen Künstler sein ganz persönliches Problem und hat ebenfalls mit (Selbst-) Bewusstseinserweiterung zu tun.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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