Willkommen im Club der Unbelehrbaren!

UnbelehrbareGehören Sie, wie ich, zu den Menschen, die sich im Laufe der Jahre zwar recht viel Wissen angeeignet haben, aber in der Umsetzung des Gelernten oft schlicht zu faul sind? Zwar kennen Sie alle möglichen Einwände, die man zu gewissen Handlungen, Konzepten, Anschauungen machen könnte, wissen auch, dass Ihr Verhalten Sie in manchen Situationen nicht weiter bringt, tun es aber trotzdem immer wieder (oder gerade nicht)?

Willkommen im Club der Unbelehrbaren! Ich kenne diese Pleite zur Genüge und mache stets von neuem wieder Vorsätze in Richtung Besserung (nicht nur am Jahresende). Doch wie Sie ebenfalls wohl wissen: der Weg zur Hölle ist genau damit gepflastert…

Warum nur tut man sich so schwer damit, einmal Erkanntes wirklich und radikal umzusetzen? Warum fällt man immer wieder auf dieselben Tricks und Trotts herein?
Wissen befriedigt offenbar unser Gemüt so sehr, dass wir – trotz Einsicht – keinen Bedarf mehr haben, tiefer zu gehen und vor allem, in die Tat zu schreiten. Wir leiden vielleicht an einer Krankheit und plötzlich erfahren wir vom Arzt, wie die Krankheit heißt, nur das. Allein der Name befriedigt uns scheinbar zur Genüge. Das Wissen darum, wie die Krankheit heißt und vertrauen zu dem ganzen Heilungsapparat, der bestimmt ein Mittelchen dagegen hat, genügt offensichtlich den meisten. Die Hoffnung darauf entlastet uns sehr, obwohl das Leiden dadurch nicht weniger geworden ist. Vielleicht laufen die Prozesse ähnlich in unserem Geldsystem, deren natürlicher Zerfall sich “auf Teufel komm raus“ und entgegen jeder Vernunft, verzögert und verlängert durch raffinierte finanztechnische Methoden. Doch lassen wir diesen Aspekt beiseite. Die Grundsatzfrage lautet: Warum verfallen wir immer wieder denselben Mustern, Lastern und Eigenheiten und lassen uns von ihnen leiten.

Vielleicht haben Sie gelernt Auto zu fahren? Dann kennen Sie den Unterschied von Wissen und Erleben sehr gut! Würden Sie noch heute, nach vielen Jahren in der Praxis, mit dem Verstand fahren und an jede Hand- oder Fußbewegung denken während des fahrens und lenkens, dann hätten Sie wohl bald einen Totalschaden! Müssten Sie jedes mal überlegen, wo das Brems- und wo das Gaspedal ist, kämen Sie sehr schnell in oberbrenzlige Situationen! Und genauso ist es mit allen unseren Handlungen, unseren gelernten Verrichtungen. So geht es dem Maurer und dem Schreiner ebenso, wenn sie ihr Handwerk ausüben. Was man sich anfangs erst mühsam über den Kopf aneignen musste, geht nach einiger Zeit in eine Art lebendigen Tuns über, prägt sich in „Leib und Seele“ ein, wie man so schön sagt. Diese Art von „gelebtem Handwerk“ geht dem rein intellektuellen Tun mit „lockerer Hand“ voran!

So ist es mit allen Dingen, egal ob sie die praktischen Taten betreffen oder unser Gedankenleben. Nur, in gewissem Sinne sind auch die Gedanken praktische Taten. Auch hier gibt es immer beide genannten Ebenen, die intellektuelle, rein vom Kopf her verstandene und die in tiefstem und wahrstem Sinne begriffene! So können die unterschiedlichsten Konzepte entstehen, wie wir die Welt anschauen und verändern möchten. Immer geht das Erlebte tiefer, weiter als das intellektuelle, rein vom Kopfe her gesteuerte Wissen.

So ging es mir mit manchen Büchern, die mir wirklich am Herzen lagen. Anfangs waren es nur Texte/Gedanken anderer. Man las den Inhalt, verstand einiges, anderes wiederum nicht. Es mag sein, dass von Anfang an eine Art Zauber darin lag, den man aber noch nicht so recht zu deuten wusste. Aber er ließ uns die Texte immer wieder von neuem lesen. Und mit jedem lesen, mit jedem verflossenen Zeitabschnitt gewann der Inhalt mehr und mehr an Tiefe. Irgendwann ist die Verbindung damit so groß geworden, dass man damit zu Leben beginnt. Es ist mit Bestimmtheit nicht mehr dasselbe Buch, derselbe Inhalt, wie das dogmatische Aufnehmen von Wissen davor! Wenn Gedanken lebendig werden, verlieren sie jeden Staub und jede Trockenheit eines “aufgetörnten“ Verstandes. So lebendig erging es mir persönlich nur mit sehr wenigen Büchern. Die meisten liest man ohnehin nur einmal oder gar nicht zu Ende. Gerade die angesprochene Erfahrung aber zeigt, wie viel mehr Tiefe die „Gedanken“ haben können, jedenfalls viel tiefer, als wenn man sie nur oberflächlich aufnimmt. Und dies gilt natürlich in allen Belangen, nicht nur bei Büchern, Texten, sondern auch in Begegnungen, Erfahrungen, „Erlebtem“!

Für Außenstehende ist es nicht immer leicht herauszufinden, ob jemand Gedanken/Taten wirklich (nach-) erlebt oder nur trocken wiedergibt. Die Erfahrung dessen geschieht oft intuitiv, aber zuweilen unbewusst. Dennoch haben erlebte Gedanken wesentlich mehr Kraft und Energie in sich, als die trockenen, auch wenn die Worte die gleichen bleiben. Das erkennt man durchaus. Denn man kann es eben selbst nacherleben! Die Kraft der gelebten Gedanken überträgt sich auf den Leser und insbesondere auf den Zuhörer. Auf der anderen Seite bewirken trockene Gedanken oft das Gegenteil: zuweilen schläft man dabei ein. Dies wäre wohl der Glücksfall.
Die Unbelehrbarkeit jedenfalls hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir nicht bereit sind, uns auf die tiefere Ebene der Dinge einzulassen. Auf der Oberfläche spielen immer Argumente gegen Argumente, Tatsachen gegen andere Tatsachen. Das Verweilen auf dem einmal Erlernten konserviert unser Bewusstsein, trocknet es aus. Vielleicht geschehen die wirklich wichtigen Dinge sogar ausserhalb dieser Gedankenwelt. Vielleicht ereignet sich das Wesentliche zwischen den Gedanken?

Gedankenschnippsel vom Sonntagnachmittag, den 13. September 2015…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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