Schlägt dir einer auf die rechte Wange, so halte auch die linke hin…

„Schlägt dir einer auf die rechte Wange, so halte auch die linke hin“. Aus dem Bewusstsein der Form-Ebene heraus betrachtet, ist dieser Satz einer der absurdesten Ratschläge, die man sich nur vorstellen kann. Denn recht betrachtet müssen wir in der Welt der Formen genau umgekehrt handeln. Wenn zwei sich streiten, so werden beide alles daran setzen, Argumente vorzubringen, die den anderen Schachmatt stellen.

Es wird in solchen „Zweikämpfen“ immer einen Sieger und einen Verlierer geben. Das irdische Bewusstsein verteidigt den eigenen Standpunkt gegen den anderen oft aufs äußerste. Nichts von dem oben zitierten christlichen Vorbild ist da mehr zu erkennen.

Manche geben sich schneller geschlagen, ziehen sich zurück oder tun dem Frieden zu lieb etwas, was sie eigentlich nicht tun wollten. Dennoch machen sie die Faust im Sack und grollend innerlich. Betrachtet man den Vorgang aus psycho-energetischer Sicht, so kommt man allerdings zu einem sehr überraschenden Schluss.

Die Kampfsituation schafft negative Energien bei allen Beteiligten. Stelle ich mich aktiv verteidigend gegen den anderen, so verstärke ich die allgemeine negative Energie. Der andere sucht diese Verstärkung, weil sie ihm Nahrung gibt, einen Kick verleiht. Jeder von uns hat das selber schon erlebt und kann dies nachvollziehen. Und jeder, oder wenigstens die meisten von uns, kennen auch das umgekehrte, dass ihm oder ihr Energie entzogen werden, wenn der andere auf Angriff ausgeht.

Umgekehrt verhält es sich jedoch dann, wenn ich im übertragenen Sinn, die zweite Wange hin halte . Richtig verstanden geht es hierbei aber nicht etwa darum, sich künstlich zurückzuziehen oder etwas vorzuspielen. Vielmehr ist ein Zustand der inneren Ruhe gegenüber dem Angreifer gemeint. Ein Zustand, der uns in gewissem Sinne unangreifbar/unantastbar macht. Ein unsichtbarer Schild, was wir errichten dadurch, dass wir das, was uns entgegen geschleudert wird, innerlich nicht annehmen. Es muss dabei deutlich unterschieden werden zwischen dem künstlichen und einem authentischen, inneren Rückzug. Der letztere erfordert ein hohes Mass an Geistesgegenwart und Selbstwahrnehmung. In manchen Fällen gelingt dies besser, in anderen kaum oder gar nicht.

Jedenfalls tritt in solcher ehrlicher und authentischer innerer Ruhe beim Angreifer das Gegenteil ein. Seine Kraft erlahmt! Die negative Energie wird neutralisiert oder, im besten Falle, sogar in eine positive Energie umgewandelt.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Kleine Geschichte von Maximilian, dem ersten Banker

Versetzen Sie sich einmal zurück ins Jahr, sagen wir mal 1642*. Lautes Marktgeschrei überall. Viele Menschen, die sich um die Stände drängeln. Da gibt es fast alles, was zu dieser Zeit gebraucht wurde: vom Schnürsenkel bis zur Lederschürze, vom Obst, über Gemüse, Fleisch, Fisch bis hin zu Werkzeugen. Messerschleifer bieten ihre Dienste an und Fahrende führten ihre wundersamen Künste auf. Mitten unter diesen Menschen sind Sie.
In einem kleinen Beutel, den Sie eng bei sich tragen, haben Sie ein paar Gold- oder Silbertaler versteckt. Sie kaufen dieses und jenes ein; das Nötigste halt, was Sie für die nächsten Tage brauchen und machen sich wieder auf – zu Fuss – um zu ihrem bescheidenen Häuschen zu gelangen, wo die hungrige Familie schon wartet. Aber unterwegs müssen Sie durch einen dunklen Wald gehen. Und obwohl es oft gut gegangen war, sollte es diesmal anders kommen: Sie werden von zwei Räubern überfallen, die ihnen ihr ganzes Hab und Gut abnehmen! Nebst den Waren, sind dies auch die verbliebenen Goldmünzen oder Silbertaler!

Solche Szenen waren in jener Zeit nicht ungewöhnlich. Es gab viele Räuber im Lande. Und man tat gut daran, achtsam zu sein, wenn man durch die Gegend reiste! Dies war auch in jener kleinen Stadt nicht anders. Aber zu der Zeit wohnte da ein schlauer Geschäftsmann. Er war von Beruf Goldschmied. Sein Name war Maximilian.

Eines Tages trat er vor das Volk auf dem Marktplatz und alsbald standen schon sehr viele Leute um ihn herum. Gebannt folgten sie seinen Gedanken. Maximilian hatte nämlich die Idee, dass alle Leute, die dies möchten, zu ihm kommen sollten, um ihr Gold und Silber sicher aufzubewahren. Der Goldschmied hatte ein grosses Haus mit dicken Mauern. Darin hatte er sich aus festem Stahl Tresore bauen lassen, genug gross, um alles Gold und Silber der Bewohner dieser Stadt aufzubewahren. Aber die Bewohner brauchten ihre Münzen um zu zahlen! Wie sollten sie darauf verzichten?! Dazu hatte Maximilian sich folgendes ausgedacht. Jeder, der ihm sein Gold oder Silber brachte, bekam dafür einen Schein, der beglaubigte, dass er oder sie rechtmässige Besitzer seines Goldanteiles war. Auf dem Papier standen der Name, das Datum der Einlagerung und der Betrag als Gegenwert des Edelmetalls und der Unterschrift.

Mit diesen Scheinen konnte nun jeder Bürger und jede Bürgerin bezahlen! Statt die schweren Münzen mit sich herumzuschleppen, hatten sie nun nur noch einen oder mehrere Papierscheine in ihren Portofeuilles! Die Idee hatte so schnell Erfolg, dass alle begeistert dabeiblieben. Sie wussten ja, dass sie ihr Gold oder Silber jederzeit abholen konnten, wenn sie dies nur wollten. Dieser Gedanke blieb in den Köpfen haften. Wozu das schwere Zeug mitschleppen, wenn der Schein doch ebenso viel Wert besass!? Zudem hatte dieser Schein noch einen grossen Vorteil. Jeder Bürger bekam obendrein am Jahresende noch einen Zusatzschein für die Lagerung der Münzen und Barren ausgestellt, der sogenannte „Zins“. Da musste Mann und Frau doch einlenken! Zwar konnten auch diese Scheine gestohlen werden, aber das transportieren und verstecken ging doch viel einfacher als vorher.

Dies war sozusagen die Geburt des Geldes! Denn nichts Anderes war Geld am Anfang, als der Gegenwert eines diesem zugrundeliegenden Wertes, meistens in Form von Gold! Natürlich hob bald niemand mehr sein Gold ab! Es blieb fortan in Verwahrung von Maximilian, der so zu der ersten Bank wurde, die es gab! Tage, Wochen, Monate, ja Jahre lag dieses Gold einfach so da herum! Es lag nutzlos und verwaist da in dunklen Tresoren und wurde von niemandem mehr begehrt! Die Zeit verging im Flug. Und Maximilian kam erneut eine grossartige Idee! Wenn doch sowieso niemand dieses Gold und Silber mehr abholte, so konnte er doch auch mehr Scheine ausgeben, als Gold und Silber gelagert waren! Die Tatsache, dass plötzlich ALLE ihr Gut wieder abholen würden, sank praktisch gegen Null. Und so kam es, dass auch niemand bemerkte, was Maximilian tat. Denn er alleine hatte die Kontrolle über den Gold- und den Geldbestand! Er vergab bald Kredite! Er füllte Scheine aus, ohne dass ihm jemand dafür Gold zum Lagern bringen musste! Dafür musste der Geldleiher ihm Zinsen zahlen. Und die wundersame Geldvermehrung nahm seinen Lauf.

Alsbald waren Jahrzehnte vergangen. Alles funktionierte bestens und der alte Maximilian übergab das Geschäft seinem Sohn. Dieser war mindestens so gewieft wie er. Er trug das Gen der Geldvermehrung in sich. Und so baute er immer mehr solche Häuser, die er von nun an «Bank» nannte. Längst waren die Scheine viel mehr geworden als das in den Tresoren gelagerte Gold! Das Gesetz, welches besagte, dass nicht mehr Geld im Umlauf sein durfte, als sein realer Goldgegenwert, wurde von einem der Familie nahestehenden amerikanischen Präsidenten Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts abgeschafft. Das Verhältnis stieg alsbald in horrende Höhen und keiner dachte mehr daran, dass früher der Gegenwert gegolten hatte. Man vergass Gold und Silber vollkommen.

Aber nach dutzenden von Generationen war man immer noch bei diesen Geldscheinen geblieben. Und der Betrug damit blieb aufrecht. Mit der Erfindung der digitalen Technik, ergaben sich plötzlich ganz neue Dimensionen! Denn von nun an, war es möglich geworden, dieses Papier, genannt Geldscheine, lediglich in Zahlen umzuwandeln! Und ein nächstes Zeitalter war angebrochen!

Das «System» hatte sich verselbstständigt. Keiner konnte es mehr aufhalten! Gold und Silber konnte man zwar noch kaufen, aber ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf das reale Vorkommen des physischen Metalls! Dazu erfand man besondere Finanzinstrumente und nannte sie «Futures», «Hedge-Fonds» oder «ETF» usw. Von nun an wurde «gehebelt» und «leer verkauft». Das heisst, man konnte etwas kaufen oder verkaufen, was es gar nicht gab! Welch wundersames Instrument für Anleger und Spekulanten. Dadurch sanken die realen Preise oder sie stiegen zumindest nicht in dem Mass, wie man dies erwarten musste aufgrund von Angebot und Nachfrage. Diese beiden spielten eigentlich keine Rolle mehr bei solchen Finanztechniken. Alles wurde zu Papier und dann zu virtuellen Zahlen gemacht! Die Geldmenge stieg in schier unglaubliche Höhen, weil nun sogenannte «Notenbanken» jede Bank mit Zahlen und Geld beleihen konnten. Ja es kam sogar der Tag, an dem die Notenbanken den Banken sogar Geld dafür zahlte, dass sie bei ihnen Geld ausliehen. «Negativzinsen» wurden Tatsache! Man befand sich quasi in einem Schlaraffenland, wo das Geld auf den Bäumen wuchs – aber leider nicht für alle Menschen.

Währenddem die einen so hantierten und hebelten, was das Zeug hielt, schufteten die anderen sich schier zu Tode um wenigsten Hartz 4 zu kriegen! Viele gingen zu Grunde, krepierten jämmerlich. Es gab Orte auf dieser Welt, wo die Armut so gross wurde, dass sich die Menschen nicht einmal mit einem Jahreseinkommen diejenigen Schuhe kaufen konnten, die sie für die sogenannte «westliche Welt» nähten!

Die Maximilians und seine Neffen, Enkel, Urenkel und was noch alles, florierten mit den gehebelten Geldern in stinkigen Geschäften. Es kam auch vor, dass der eine oder andere Präsident von Amerika wurde oder sonst eine hohe Position innehatte. Der Krake breitete sich leider nur allzu leicht aus. Und kaum meinte man, einen Tentakel erledigt zu haben, wuchsen zwei, drei, ja tausend andere nach! Inzwischen hatten sich die Menschen aber so sehr daran gewöhnt, dass kaum mehr einer bei solchen Praktiken aufmuckte oder widersprach. Es herrschte eine Art «Bewusstseinstrübe» im Land und die meisten gaben sich damit zufrieden, dass sie ihr kleines «Schäfchen» zu ihrem Nutzen nach Hause tragen konnten. Sich das eine oder andere leisten zu können, darauf waren sie mächtig stolz. Der Staat, der ja nur allzu sehr um das Wohl der Bürger besorgt war, schüttete hin und wieder kleine Zückerchen über das lechzende Volk und konnte es damit wieder beruhigen – bis zur nächsten Wahl. Man dachte sogar eine zeitlang, man könne es aus Helikoptern abwerfen, das war so eine Art Fluggerät, welches die Menschen in jener Zeit erfanden. Solches Geld wurde dann auch „Helikoptergeld“ genannt. Nach den Wahlen verblasste alles wieder für lange Zeit.

Und wenn sie nicht gestorben sind, scheffeln sie auch heute, im Jahr 2037, immer noch schlafend ihre kleinen mühevoll verdienten Freudenschätze und überlassen das grosse Ganze gern den Verwandten Maximilians, die es langsam aber sicher zu Tode richteten, währenddem sich ihr Geld von damals locker und fast unmerklich halbierte…

*Diese Zahl soll fiktiv stehen und hat keine geschichtliche Relevanz.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Lernen im Alter

Ein viel und heiss diskutiertes Thema wurde nun auch vom «EMR», der Schweizer Registrierungsstelle für KompletmentärtherapeutInnen, im aktuellen Newsletter aufgegriffen. Die Argumente laufen darauf hinaus, dass auch «ältere» Menschen, Therapeuten und Praktizierende noch Fortbildungen besuchen müssen. Das Lernen im Alter sei ebenso wichtig, meinen die Verantwortungsträger, wie in jungen Jahren und erweitere die Kompetenzen im Berufsalltag. Laotse wird da zitiert: «Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück»… wie wahr, wie wahr!

Wer würde diesem Satz nicht 100% zustimmen!?

Persönliche Bedenken

Womit ich persönlich Anstoss nehme, ist eigentlich nur der Begriff des «Lernens». Es vergeht für mich persönlich kein Tag ohne Lernen, unaufhörlich, wohl bis zum Tode. Jeder denkende und reife Mensch reflektiert und verarbeitet seine Erlebnisse und zieht daraus die notwendigen Konsequenzen. In diesem Sinne ist selbst eine therapeutische Begleitung für den Praktizierenden im höchsten Mass Lernstoff! Sie wird es durch den inneren Nachklang, dem Nachspüren einer Sache: Durch das Aufarbeiten und Innewerden der gewonnenen Einsichten in unterschiedlichen Situationen. Im Nacherleben werden Gedanken geschöpft, die uns motivieren, weiter zu forschen, einzudringen in die Tiefe der Probleme der gemachten Erfahrungen. Das sind gewiss auch «ein – same» Wahrnehmungen, die in keinem Seminar simuliert werden können. Es sind innige und meditative Erlebnisse.

Lernen hat im eminentesten Sinne mit Selbsterkenntnis zu tun. Das Gefäss des Erlebens ist das eigene Selbst, der Akteur unser Denken, welches das Fühlen und Wollen begleitet. Die Urteile, die wir fällen und bilden, sind zwar oft auch Einbildungen, mehr noch aber sind sie die Schätze des gelebten Lebens. Sie stehen nicht fix und abgeschlossen im Raum, sondern bleiben stets wandelbar und beweglich. Erst so werden sie zu echter Ausbildung; Ausbildung von Fähigkeiten nämlich. Hier wird Lernstoff gebildet!

Kern der Fortbildung

Der Kern der Fortbildung besteht für mich in dieser Erkenntnis. Leider stehen dieser Einsicht so manche Hindernisse entgegen. Was heute an vielen Fortbildungen angeboten wird, sind Sonderzustände, vermeintlich wissenschaftliche Theorien, die sich kaum im Lebensalltag und in meiner Erfahrungswelt integrieren lassen. Dazu stosse ich immer wieder an die Tatsache, dass schlicht nur Weniges davon «anerkannt» wird. Die Anerkennung der eigenen Fortbildung ist auch mein Streitpunkt, nicht der Umstand, dass man sie stets praktizieren soll. Ich habe viele Gespräche, Lesegruppen und Lebenssituationen erlebt (und erlebe sie noch bis ins hohe Alter), die mir weitaus mehr brachten, als so manche teuer erkauften Seminare und Tagungen, die man nur besucht, weil sie «anerkannt» werden. Nur eben, die echten, hilfreichen, sie «zählen» meistens nicht. «Da kann ja jeder kommen und sein Lesestündchen für Fortbildung verkaufen!» – «Na und?» so frage ich zurück, «wer weiss denn besser Bescheid, was mich fördert und weiterbringt, als ich selbst?»

Fortbildungshinterziehung

Ich glaube kaum, dass es Menschen gibt, die sich absichtlich auf die faule Haut legen und eine echte Fortbildung verweigern. Im Grunde geht es in dieser Diskussion, wie so oft in ähnlichen Themen um die Verwertung, um die Absicherung, um die Kontrolle. Sie ist ein Misstrauensvotum jedem Menschen gegenüber. Und wer sich «Therapeut» nennen will und dabei quasi einen auf «Fortbildungshinterziehung» macht, ist sowieso fehl am Platze. Und diejenigen, die meinen sie müssten die eigene Entwicklung mit der Rute antreiben, wenden sich im Grunde gegen das Innerste eines Menschen, gegen seine Würde.

Es geht also eigentlich darum, wie lange soll die «Kontrolle der Fortbildung» gehen, nicht darum, soll man im Alter noch lernen oder nicht. Letzteres steht sowieso jedem frei. Jeder tut es in eigener Verantwortung. Und diese wird gerade in den sozialen Berufen doch strengstens erwartet. Sie gehört sozusagen zu den Kernkompetenzen eines sozial Tätigen Menschen. Es wundert mich, dass man diesen Unterschied nicht bemerkt und dass man die Würde und Eigenverantwortung in solcher Weise torpediert, dass man strengste Kontrollen darüber führen muss oder will. «Ja wir müssen es wegen den Behörden tun!» – Dies wäre wenigstens eine ehrliche Antwort, würde aber das Grundproblem wenig klären.

Also selbstverständlich bis ins hohe Alter

Ich gehöre zu den letzten Menschen, die eine echte Fortbildung, eine stete persönliche Entwicklung in Frage stellen. Dazu meine ich genügend Stoff geliefert zu haben in meinen zwei Büchern: «Selbst Reflexion als soziale Kernkompetenz» und «Lebendige Prozesse». Ich bin so gestrickt, dass mir etwas anderes als dieses stete Vorantreiben in Erkenntnisfragen und Lernhandlungen unerträglich wäre. Weniger wäre mir manchmal lieber. Aber die Förderung auf diesem Gebiet müsste meines Erachtens viel stärker von einer geistigen Seite her betrachtet werden. Das Motiv der Lernhandlung ist ein Trieb in uns, der nach Erkenntnis strebt – und der jedem Menschen wohl eigen ist. Und dieser Trieb hängt mehr als alle anderen «Triebe» (wie jener des Kontrollwahns) mit unserem eigentlichen Wesenskern zusammen. Er muss in absoluter Freiheit ergründet werden und verträgt keinerlei Druck von aussen. Das Gegenteil wird oft erreicht, wenn man diesen Druck erzeugt! Dies ist – nebenbei gesagt – eine sehr wesentliche therapeutische Erkenntnis.

Schatten der Weisheit

Erst das Alter, so würde ich aufgrund all dieser Gedanken noch ergänzen, bringt einem Menschen oft die wirklich klärenden Erkenntnisse! Was irrt man in jungen Jahren oft herum; und das ist auch not – wenig, aber es hilft eben keineswegs, wenn man dabei die Fortbildungsnachweise in der Tasche hat. Das hilft zwar der Anerkennung in der therapeutischen Landschaft, genauso wie die Wände voller Diplome, aber den Kern der Sache trifft es damit nicht notwendigerweise. Der Kern steckt in jedem Menschen selbst und bleibt oft verschlossen. Und dies, obwohl viel Wissen angesammelt wurde. Gerade dieses Wissen ist es, welches so manche tiefgreifenden Erlebnisse über Jahre verdeckt. Insofern kann Fortbildung durchaus auch etwas kontraproduktives haben. Sie ist der «Schatten der Weisheit».

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Mato – Ein Leben für die Kunst

Wissenschaft: Segen oder Fluch?

Beitrag zu einer Studie über „Wissenschaft in der Anthroposophie“

“Die Erhöhung des Daseinswertes der menschlichen Persönlichkeit ist doch das Endziel aller Wissenschaft“ Rudolf Steiner Vorwort zu „Wahrheit und Wissenschaft“.

Es wird heutzutage viel Wert darauf gelegt, die anthroposophischen Leitgedanken Rudolf Steiners (natur-) wissenschaftlich zu belegen. Doch muss diesem Bestreben immer die Frage voraus gehen: was ist wissenschaftlich? Wie definiert sich diese heilige Kuh der gegenwärtigen Zivilisation? Und muss man ihr zwingend Folge leisten? Was erreicht man damit? 

Mit „wissenschaftlich“ verbindet man in erster Linie Objektivität und Beweisbarkeit. Beides sind relative Grössen und Begriffe. Wichtig ist der Bezug, worauf sie gerichtet sind. Eines von Rudolf Steiners Grundlagenwerken ist die philosophische Auseinandersetzung mit der Anthroposophie, die er vor allem in der “Philosophie der Freiheit“ eindrücklich darlegt. Dabei wird der Fokus nicht primär auf Objektivität gelegt, wie sie in der Wissenschaft gefordert wird, sondern auf die Verbindung von Subjekt und Objekt, und damit auf das denkende Ich, welches forscht. Das Augenmerk liegt also in der Tatsache des Forschenden und nicht primär auf dem Erforschten. Diesem Umstand wird leider viel zu wenig Beachtung geschenkt. Man unternimmt abenteuerliche Versuche, geistige Inhalte in physisch sichtbare und relevante Zusammenhänge zu pressen und vergisst dabei – sich selbst, das Instrument.

Kann man Anthroposophie im heute üblichen wissenschaftlichen Kontext “beweisen“?

Meine Antwort ist ein klares Nein: denn sie ist eben eine Geisteswissenschaft. Dem Geistigen liegen andere Gesetze zugrunde, die eine erweiterte Erkenntnisfähigkeit erfordern. Der forschende Anthroposoph mag auf diesem Weg eine gewisse spirituelle Reife erlangt haben: den Inhalt zu vermitteln und auf das alltägliche Bewusstsein herunter zu brechen, ist kaum möglich.

Der wichtigste Impuls müsste meines Erachtens nicht im Herunterbrechen liegen, sondern im Erhöhen des Bewusstseins. Der Fokus müsste auf diese Tätigkeit gelegt werden. Warum soll man beispielsweise  dem im Alltagsbewusstsein verhafteten Menschen die Tatsache eines „höheren“ Ich’s “beweisen“? Welcher Sinn liegt darin? Ist das nicht ein missionarisches Anliegen? Und wie viel fruchtet eine solche, nur auf Überzeugung basierte Erkenntnis? Vielmehr müsste letztere aus eigenem Erleben erfolgen. Damit steht die Aufgabe der Bewusstseinsentwicklung über dem Vermitteln von Inhalten. Sie beweisbar zu machen muss scheitern, wenn der Empfänger nicht die entsprechenden Antennen dafür entwickelt hat.

Das Vermitteln von Inhalten kann dem wohlwollenden Empfänger durchaus wichtige Impulse geben, die ihn auf den Pfad der höheren Erkenntnis führen. Dieser Weg liegt den meisten Anthroposophen zugrunde, die sich heute als solche bezeichnen. Die Gefahr besteht darin, dass man sich irgendwann in den Inhalten verliert. Man vergisst sich selbst und verhaftet sich mit den Objekten. Dadurch dogmatisiert sich jeglicher Inhalt, egal worauf er sich bezieht und wie hoch sein Wahrheitsgehalt ist. Mag dieses „Objekt“ Gott sein oder eine Maschine. Das Problem wird im Grunde nur dadurch gelöst, dass man in Selbsterkenntnis vor dem denkenden Inhalt erwacht.

Jede These hat eine Gegenthese

Eine weitere Gefahr dieser Art Beweisens wird dadurch geschaffen, dass sich die Empfänger nicht immer wohlwollend dem vermittelten Inhalt gegenüberstellen (wollen). Jeder im obigen Sinn geführte Beweis schafft letztlich immer eine Gegenthese. Die so ausgefochtenen Auseinandersetzungen führen nicht selten zu einer Streitkultur und zu Provokationen. Wenn nicht die Forderung zu einem erhöhten Bewusstsein besteht, sondern eine blosse Auseinandersetzung auf der physischen Ebene bestehen bleibt, so werden meines Erachtens falsche Werte vermittelt und geschaffen.

Die Frage, warum man sich auf der physischen Ebene durch nur dieser entsprechende Wissenschaftlichkeit so sehr bemüht, muss ebenfalls hinterfragt werden. Oft sind es schlicht Anerkennungsfragen, hinter denen letztendlich auch die Frage nach Finanzierung von Projekten und Initiativen steht. Würde der ideelle Aspekt in den Vordergrund gerückt, so müsste anders vorgegangen werden. Denn genau hier setzt wieder die Frage der Erkenntnis und des Bewusstseins an. Weil aber solche Projekte mit der Finanzierung, zum Beispiel der anthroposophischen Therapien, steht und fällt, ist man gezwungen, sich den Fragen der damit verbundenen Behörden und Fachgremien zu stellen. Deren Bereitschaft, sich auf „höhere“ Ebene einzulassen wird dabei wohl eher gering bleiben. Inwieweit diese schwierige Aufgabe Anpassungen erfordert, bleibt abzuwarten. Es scheint mir jedenfalls eine unheilige Allianz zu sein.

Wo liegt das Hauptmotiv der Forschung?

Doch zurück zum obigen Zitat Rudolf Steiners. Die Grundsatzfrage müsste doch immer lauten: was ist das Hauptmotiv, warum jemand Wissenschaft betreibt? Nicht die blosse Tatsache, dass man wissenschaftlich sei ist gefragt, sondern warum? Man kann sich gut vorstellen, dass jemand durch Wissenschaft sich Vorteile verschaffen will. Das Motiv könnten wirtschaftliche Vorteile sein oder Machtvorteile. Ebenso gut können Emotionen im Spiel sein, die so etwas wie Befriedigung verschaffen gegenüber anderen, Stolz, Schadenfreude uvm. Im Umfeld solcher Bedürfnisse muss man sich fragen, wie weit man gezwungen wird, mitzuhalten.

Das Motiv der “Erhöhung des Daseinswertes“ hat natürlich eine ganz andere Relevanz. Hier geht es nie um Zwang, sondern um die Freiheit. Es geht um die reine Erkenntnisfrage. Der Druck der Anforderung von Wissenschaftlichkeit macht sich vor allem dann breit, wenn es um Finanzierung von Leistungen geht. Dahinter steckt fast immer die Nutzenfrage. Was nützt diese oder jene Therapie, diese oder jene Methode. Die Therapie mag noch so viele empirische Erfolge aufweisen, bewiesen ist sie im naturwissenschaftlichen Kontext natürlich nicht. Damit tun sich selbst pharmazeutische Firmen oft schwer. Wenn ein Medikament, welches 15000.- CHF im Monat an Behandlungskosten verursacht, zu dem Ergebnis führt, dass das Leben des Behandelten (vielleicht) 10 Monate verlängert wird, so liegen die Fakten der Beweisbarkeit doch auf einer dünnen Eisschicht? Zudem kann es kaum jemand anders beweisen, als diese Firma selbst.

Der wissenschaftliche Anspruch

Auf der Grundlage solcher Problematik entsteht oft der wissenschaftliche Anspruch in der Medizin, aber auch anderswo. Nur dass Bedingungen für alternative Methoden oft deutlich resoluter sind. Vor diesem Hintergrund erkennt man erst recht, wie sehr das Motiv der Wissenschaft im Zentrum stehen muss. Ist sie eine blosse Reaktion auf diesen äusseren Druck oder ist sie innerstes Erkenntnisbedürfnis?

Rudolf Steiner ergänzt seine Bemerkung in „Wahrheit und Wissenschaft“ folgendermassen: “…wer letztere (die Erhöhung des Daseinswertes der menschlichen Persönlichkeit) nicht in dieser Absicht betreibt, der arbeitet nur, weil er von seinem Meister solches gesehen hat, er “forscht“, weil er das gerade zufällig gelernt hat. Ein “freier Denker“ kann er nicht genannt werden.“ – und weiter: “Aber vielleicht verlangt die Wissenschaft der Gegenwart gar nicht nach ihrer philosophischen Rechtfertigung! Dann ist zweierlei gewiss: erstens, dass ich eine unnötige Schrift geliefert habe, zweitens, dass die moderne Gelehrsamkeit im Trüben fischt und nicht weiss, was sie will“.

Praktische Fragen

Selbstverständlich sind solche Aussagen und Ideale über philosophische Grundforderungen Allgemeinplätze, idealistische Abhandlungen, die den wahren Kern der Wissenschaft tatsächlich oft verfehlen. Deshalb muss man wohl ins Praktische eintauchen, um der Sache näher zu kommen. Eine wissenschaftliche Frage, die heute sehr aktuell ist, könnte zum Beispiel lauten: wie reagieren Krebszellen auf verschiedene Stoffe. Um dies zu erforschen, entnimmt man üblicherweise die Zellen ihrem lebendigen Organismus und verlagert das Geschehen nach aussen. Dann fügt man diesen isolierten Zellen verschiedene Stoffe zu und rapportiert den Verlauf des Prozesses akribisch. Dabei gibt es Stoffe, die sich für den Krankheitsverlauf positiv auswirken und andere die einen negativen oder gar keinen Effekt zeigen.

Aufgrund solcher Studien werden Medikamente hergestellt. Weil der Stoff im Medikament aber nicht isoliert zur Wirkung kommt, sondern im lebendigen Zusammenhang mit einem Ganzen steht, gibt es nicht berechenbare Nebeneffekte: Sogenannte “Nebenwirkungen“ sind die logische Konsequenz davon. “Bitte lesen Sie die Verpackungsbeilage“…

Die Dimension des Lebens

Dieses Beispiel zeigt auf, dass der naturwissenschaftlichen Forschung eine wichtige Dimension fehlt, nämlich jene des Lebens. Um aber dahinter zu kommen, welche Wichtigkeit diese fehlende Kraft in der Forschung hat, müsste der Forschende sich grundsätzliche Fragen, nämlich philosophische, stellen! Erst über den Umweg einer philosophischen Fragestellung gelangt man zu neuen Forschungsaspekten. Da jedoch die Erkenntnis einer “Lebenskraft“ dem Beweis derselben vorangehen muss, setzt dies die Offenheit und Unvoreingenommenheit des Forschers voraus!

Und genau dieser Schritt müsste von der “anderen Seite“ getan werden, bevor man eine Beweissituation schafft! Genau an dieser Hürde scheitern die meisten Versuche aller Erklärungen. Deshalb wird sich jede Art von wissenschaftlicher Tätigkeit im spirituellen Bereich gezwungenermaßen schwer tun, wenn sie auf die materiell ausgerichtete physische Wissenschaft trifft. Das Dogma des Materialismus ist der grosse Verhinderer fruchtbaren Zusammenwirkens. Es ist der grosse Schatten dieser Art von Naturwissenschaft, der sich zu allem Übel schon im Ansatz ein unwissenschaftliches Fundament für den Dialog schafft!

Auch dieser Aspekt zeigt einmal mehr auf, dass der ideelle Überbau eine Erkenntnisfrage und somit auch eine Bewusstseinsfrage ist. Auch auf diesem Weg stossen wir wieder auf einen ähnlichen Grundsatz. Dieser steht über allem wissenschaftlichen Forschen.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

„Ich glaube nur, was ich sehe…“ – Dogma

GlaubenVom materialistischen Standpunkt aus betrachtet, geschieht unser denken – fühlen – wollen über das Nervensystem und damit im Gehirn als deren zentralem Organ. Jeder Mensch hat ein ihm spezifisches, individuelles und unvergleichbares Gehirn.

Aus der Sicht des Materialismus erfolgen Gedanken und Gefühle aufgrund biochemischer Prozesse in den Nervenbahnen. Wenn also der Materialist sagt: „ich denke“, dann ist dieser Gedanke seiner Theorie gemäß nichts anderes, als ein Vorgang von diversen Abläufen in den Schaltstellen seines Gehirns. Jetzt kann man sich fragen, woher es denn kommen kann, dass auch nur zwei Menschen den gleichen Gedanken haben können, warum z.b. alle Materialisten sich an diese ihre eigene Theorie anlehnen können?

Wo bleibt Gott?

Das müsste doch zur Folge haben, dass es etwas Übergeordnetes gibt, etwas, was quasi über all diesen Gehirnen „in der Luft liegt“. Ein Prozess, der verschiedene Aussagen oder Meinungen zu einem Thema miteinander verbindet und von vielen Gehirnen verstanden wird, kann niemals in einem einzigen, individuellen Gehirn stattfinden. So weit so gut. Es muss also „etwas“ geben, was dem zugrundeliegenden Erkenntnisprozess übergeordnet ist und was sich in vielen Gehirnen gleichzeitig oder nacheinander manifestieren kann. Je nach Art und Offenheit des Denkenden, verbinden sich somit Gedanken untereinander zu einem objektiven Tatbestand. Wenn Sie das, was ich hier schreibe, nachvollziehen können, dann ist der Beweis erbracht, dass dem so ist. Nämlich: Dass Sie (im gleichen Moment!) – wo Sie dieses lesen – denselben Gedanken mitdenken können! Ist das nicht unglaublich? Und dann sind Sie gewiss auch kein Materialist, auch wenn Sie sich vielleicht gerne so nennen oder sehen mögen…

Und nun zum Dogma

Aber auch wenn Sie es nicht verstehen, heisst das noch lange nicht, dass Sie ein Materialist sind. Es ist nämlich gar nicht so einfach, einer zu sein! Es könnte durchaus sein, dass ich meine Worte für Sie ungünstig gewählt habe, oder Begriffe eingeflochten habe, die Sie nicht zu deuten wissen – oder dass es Ihnen erst durch mehrmaliges Lesen erschliesst, was gemeint ist und so weiter…
Diese Denkmöglichkeit liegt aber jenseits des Materialismus! Sie ist sozusagen Materie unabhängig! Sobald wir das Denken außerhalb des Gehirns legen, haben wir als pragmatisch denkende Menschen ein Problem. „Ich glaube nur an das, was ich sehe…“. Dieser berühmt-berüchtigte Satz dementiert alles, was sich jenseits vom Sichtbaren, Wägbaren usw. abspielt. Konsequenterweise müssten selbst Smartphones bezweifelt werden und jegliche digitale, webbasierte Übertragung von Daten, wie ich sie eben in diesem Moment, wo ich diese Gedanken via Datenbahnen in die Wolke sende, tätige.
Aber weil es eben funktioniert, glaubt man es auch. Man macht eine grosszügige Ausnahme. Aber da beginnt auch gleichzeitig das Problem des Dogmas. Natürlich funktionieren noch ganz andere Dinge: Tausende und abertausende von sogenannten „Wunderheilungen“, seltsamen Phänomenen und dergleichen, könnten die Sache mit dem „ich glaube nur, was ich sehe“ – Dogma ebenso ins Wanken bringen. Denken Sie darüber nach…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

 

Kann der Materialismus denkend überwunden werden?

LebensquelleObwohl das Denken an sich schon eine geistige Tätigkeit ist, wird es schwierig sein zu beweisen, dass es eine solche (geistige) Realität überhaupt gibt! Dies liegt am Charakter der normalen, materialistischen Denkweise. Aus diesem Umstand geht hervor, dass es für den Menschen keine wirkliche Freiheit geben kann! Denn ein solches Denken ist vom Gehirn (also von der materiellen Existenz unseres Körpers) abhängig und kann somit auch zu nichts anderem führen. Wie können wir diesen Graben überwinden? Rudolf Steiner hat in seiner „Philosophie der Freiheit“ Wesentliches beigetragen, diesen Konflikt zu lösen. Er zeigt auf, wie die Existenz einer solchen geistigen Welt auch denkend in Erfahrung gebracht werden kann.

Eine interessante Begegnung

Vor kurzem habe ich einen mir nahestehenden Mann wieder getroffen, den ich sehr schätze als Mensch und Mentor und der mir in meinem Leben zu einem sehr wichtigen Schritt verholfen hatte. Ohne ihn, hätte ich vieles verpasst: er schaffte mir den Zutritt in die psychiatrische Klinik in Basel als „anthroposophischer Kunsttherapeut“. Dort konnte ich im Rahmen der Ergotherapie, einige Jahre arbeiten, was wesentliche und entscheidende Erfahrungen mit sich brachte. Er selber, als therapeutischer Leiter dort wirkend, ist seit einem Jahr in Rente.

Ich traf ihn in der Stadt und redete mit ihm eine ganze Weile. Es ist mir bekannt, dass er schon seit langer Zeit als Zen-Buddhist und Lehrer wirkte. Umso erstaunter war ich, als er mir mit feierlichem Ernst ungefähr folgendes sagte: es sei doch schade, wenn man gewisse Entscheidungen nicht zu treffen wage (es ging um die Trennung in der Ehe), und unglücklich ein Leben lang beim Partner bleibe, aus Mitleid, Angst, Gewohnheit oder anderen Gefühlen heraus. Dem konnte ich selbstverständlich ohne zu zögern zustimmen. Etwas irritiert reagierte ich auf diesen Zusatz: Man lebe ja schliesslich nur einmal und da müsse man die richtigen Entscheidungen treffen. Auf mein erstauntes Erwidern: „Ach ja, meinst Du wirklich, dass wir nur einmal leben?“ – reagierte er nur mit einem mitleidigen, eher abweisenden Lächeln über diese Bemerkung.

Einmaliges Leben?

Dennoch ging mir seine entschlossen wirkende Aussage lange nach. Wer kann schon von sich behaupten, so fragte ich mich selbstkritisch, zu WISSEN, dass er oder sie mehrmals lebt oder gelebt hat! Es ist und bleibt immer eine Glaubenssache, wenn man von Erfahrungen und Erlebnissen spricht, die „jenseits“ der Materialität gemacht werden/wurden. Selbst vom Denken kann man behaupten, es sei doch nur eine Art synaptische Produktion von Neurotransmittern, ein rein biochemischer Vorgang im Gehirn also. Und wenn das Gehirn weg sei, sprich, wenn jemand gestorben ist, so sei auch alles andere weg. Es gäbe keine sogenannte „geistige“ Welt. Das seien lediglich Hirngespinnste…

Philosophie der Freiheit

Obwohl ich absolut nicht dieser Meinung bin, fällt es mir immer wieder schwer, nachhaltige „Beweise“ zu liefern, die solche Aussagen klar zu widerlegen vermögen! Ich stiess, im Umgang mit dieser Begegnung, zum gefühlten 1000.sten Mal auf das Buch Rudolf Steiners, welches mich seit Jahrzehnten begleitet und in Trab hält: Die „Philosophie der Freiheit“ – und der Frage, kann ein Geist, der von seinem Hirn gesteuert wird, jemals frei sein? Es mag für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht eine Enttäuschung, sein, dass ich mich nicht endlich geschlagen gebe. Sie haben möglicherweise schon gedacht: Nun kommt er zur Vernunft und sieht es ein, dass wir nur einmal leben können!? In Tat und Wahrheit sieht es schon ein bisschen anders aus in mir. Mein Erkennergeist will die Wahrheit ergründen, keine Sprüche oder Dogmen gelten lassen, egal, aus welcher Ecke sie kommen mögen. Jedenfalls, nur in dem besagten Buch fand und finde ich wirkliche Ansätze, bereits auf der DENKERISCHEN Ebene, den Wahn des Materialismus zu durchbrechen! Das scheint notwendig zu sein, um dem materiellen Bewusstsein zu Klarheit zu verhelfen. Indessen bleibt die Frage, kann das Denken jemals durchbrochen werden?

Wie denken Sie darüber?

Was sagen Sie zu meinen bisherigen Gedanken? Quatsch? Interessant? Toll? Unhaltbar? Eigenwillig? Immer das Gleiche? Möglich, aber auch Ihre Einwände sind immer nur gedacht! Sie können gar nicht anders, als meinen Gedanken in Gedanken zu folgen! Und jetzt denken Sie einmal über das Denken nach statt über den Inhalt! Versuchen Sie, auszubrechen aus dem (Teufels-?) Kreis der Gedanken! Kommen Sie jetzt weiter? Finden/spüren Sie irgendwo einen Punkt ausserhalb des Denkens? Etwas, was NICHT gedacht ist? Denken Sie darüber nach! Selbst wenn Sie über das Denken nachdenken, denken Sie! Immer denken Sie, wir alle, wenn wir ERKENNTNISSE haben wollen, wenn wir etwas von der Welt ERKENNEN wollen, denken. Die absolute Generalfrage lautet also: Können wir BEWUSST auf eine andere Ebene gelangen, als die des Denkens, eine Ebene, die ÜBER, nicht UNTER dem Denken steht?

Das Gefühl ist wichtiger als das Denken?

Sind es vielleicht die Gefühle? Sind wir im Fühlen tatsächlich bewusster als im Denken? Auch dies ein oft vertretener Standpunkt (notabene ebenfalls gedacht). Doch entstehen die Gefühle nicht aus der Gedankenwelt heraus!? Ein Beispiel: Wir treten vor einen Laden. Wir sehen hinter dem Schaufenster schönen Schmuck oder irgendetwas anderes. Um den Schmuck nicht nur roboterhaft visuell anzustarren, sondern ihn zu ERKENNEN müssen wir denken (nebst dem Wahrnehmen), müssen uns einen BEGRIFF davon bilden! Und daraus erst entsteht, sekundär zum Erkennen, ein Gefühl, zum Beispiel die Begehrlichkeit nach dem Artikel!

Gedanken erzeugen Gefühle

Auch wenn das Begriffebilden nicht immer, oder sogar meistens, nicht sehr bewusst passiert, so MUSS es doch passieren, um überhaupt ein Gefühl damit verbinden zu können! Gefühle sind also sekundär, sie stehen in der Bewusstseinshierarchie UNTER oder HINTER dem Denken. Mit dem Wollen ist es doch ebenso. Der Wille erfolgt aus dem Gefühl, in diesem Fall aus der Begehrlichkeit, heraus. Beispiel: Wir bilden den Begriff (denkend): Schmuck; wir fühlen ein Begehren (Gefühl); wir kaufen den Gegenstand (Tat/Wille). In diesem Beispiel wird deutlich, dass Gefühl und Wille normalerweise UNTER dem Denken liegen. Trotzdem müssen diese Gedanken nicht immer vollbewusst sein. Sie können einem automatisierten Traum ähnlich sein, in den Vorstellungen traumhaft aufleben usw. Dazu später mehr.

Dem Dogma entrinnen

Die Frage ist bei weitem noch nicht beantwortet. Denn sowohl Gedanken, wie Gefühle, wie das Wollen, könnten doch einem rein neurofunktionalen Quell im Gehirn entspringen. Und damit ALLE, aber wirklich ALLE unsere Vorstellungen, Dogmen, Erkenntnisse, die wir im Laufe des Lebens gemacht haben. Selbst akrobatische Argumente, welche die Sinnfrage berühren, beziehungsweise den Unsinn und die Verworrenheit dieses Denkens sind doch auch wiederum nichts anderes als Gedanken! Man könnte tatsächlich ver-rückt werden.

Insofern wird die Ebene nicht verlassen, die ja gerade als „geistiger“ Vorgang von Materialisten bezweifelt wird. Dass es sogar Zen Buddhisten sind, die doch selbst jahrelang meditieren und es gewiss zu beachtlichen „geistigen“ Fähigkeiten bringen können, hat mich doppelt stutzig gemacht. Dennoch hilft alles Argumentieren nichts, weil wir diese Ebene normalerweise nicht verlassen können, die doch immer wieder Gedanken und Gegengedanken aneinander reiht. Oder gibt es sie doch? Das ist die Kardinalfrage! Hier und Jetzt – an einem solchen Ort der „Stille“, würde dieses Denken erst aufhören! Was aber steht letzterem höher, steht quasi „über“ ihm? Gibt es ein Bewusstsein, welches wirklich LEIBFREI (bezw. Gehirnfrei) existieren kann? Ist das blosse Nicht-Denken denn schon wirklich leibfrei? Und, geht das überhaupt?

Es gibt tausende von „Beweisen“, wie z.B. medial veranlagte Menschen uns scheinbar aufzeigen, die uns glauben machen, mit Toten sprechen zu können usw. Aber auch hier gibt es haufenweise (materialistische) Einwände, so überzeugend sie auch zu wirken vermögen und die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind. Es kann ja sein, dass das Medium lediglich die Fähigkeit besitzt, die Gedankenströme seines Gegenübers zu lesen und viele solche – eben Gehirn gebundene bedingte Möglichkeiten. Sie alle sind nicht wirklich zu widerlegen, so sehr man sich auch verkrümmt! All dieses Widerlegen ist wiederum gedankenbedingt und an Begriffe geheftet.

Ist leibfreies Bewusstsein möglich

Und wieder komme ich auf Rudolf Steiners Ansatz, der auf Denkebene Anregungen zu geben vermag, um die Tatsache des Bewusstseins in LEIBFREIHEIT wirklich nachzuweisen: Die „Philosophie der Freiheit“. Es soll hier ein klitzekleiner Versuch, soweit im Rahmen eines Blogartikels überhaupt möglich, gemacht werden, wenigstens einen Hinweis darauf zu geben, wie dies geschieht. Welche Dämme durchbrochen werden müssen, um als Nichteingeweihter nicht ewig und unzufrieden auf blossem Glauben stehen zu bleiben. Das Zeitalter, wo Glauben selig machte, ist definitiv vorbei. Um etwas zu bewirken müssen wir uns in ernster Weise begriffliche Klarheit über die Dinge verschaffen.

Manche Philosophen stellten nicht das Denken als Hauptkraft dar, sondern das Bewusstsein. Die Frage erübrigt sich jedoch, ob zuoberst das Bewusstsein zu stehen habe statt dem Denken. Denn will ich über diese Frage urteilen, so muss ich sie (als im Hier und Jetzt lebender Mensch) wiederum denkend ergreifen! Würde man einen Gott, einen Schöpfer des Menschen diese Frage stellen wollen, so wäre sie durchaus berechtigt. Denn dieser müsste mit dem Menschen erst das Denken erschaffen. Weil wir nun aber vom materiellen Standpunkt ausgehen MÜSSEN, um dem Vorwand des spirituellen Dilletantismus zu entgehen, haben wir gezwungenermassen beim Denken den Hebel anzusetzen. Denn alle Einwände, auch Ihre, die Sie möglicherweise bisher haben, sollten Sie bis hierher tatsächlich gelesen haben, waren gedanklicher Art. Deshalb kommt Steiner zum  Schluss: „Ehe anderes begriffen werden kann, muss es das Denken werden. Wer es leugnet, der übersieht, dass der Mensch nicht ein Anfangsglied der Schöpfung, sondern deren Endglied ist“.

Das Denken als Tatsache

Letzteres ist allerdings schon wieder ein rein hypothetischer Gedanke, so meine ich, der einen gewissen geistigen Hintergrund voraussetzt, ist also schon zu weit gefasst und für mich vorläufig irrelevant. Steiner wollte damit eigentlich nur sagen, dass wir vom gegenwärtigen Entwicklungsstandpunkt des Menschen ausgehen müssen und nicht einen vermeintlich „Höheren“ (das Bewusstsein) voraussetzen dürfen. Genauso unstatthaft wäre es, philosophisch andere Dinge als das Denken an den Ursprung der Erkenntnis zu setzen (Atom, Bewegung, Materie, Wille, Unbewusstes usw.), da deren Erforschung und Ergründung immer den Weg erst über das Denken nehmen müssen. Dabei darf zunächst nicht über das Vermögen (oder Unvermögen) „richtig“ zu denken ins Zentrum rücken, sondern lediglich der Umstand, DASS gedacht wird. „Das Denken ist eine Tatsache; und über die Richtigkeit oder Falschheit einer solchen zu sprechen, ist sinnlos.“ Letztlich geht es um die richtige Verwendung des Denkens, nicht um deren Existenz.

Denken ist verpönt

Denken ist verpönt bei vielen Menschen. Und gerade ein spirituell ausgerichteter Mensch wird sich schwer damit tun, sich über das Denken austauschen zu müssen. Ihm sind solche philosophische Anwandlungen zu „intellektuell“ und zu „kopfig“, was ich persönlich überhaupt nicht so sehen möchte. Und gar das Denken zuoberst zu stellen ist ein absolutes „no go“ für solche Menschen. Dass es hier zunächst zuoberst stehen MUSS, verdanken wir dem Umstand, dass wir uns nicht anders austauschen können auf der materiellen Ebene. Und nur hier kann das wirkliche Verständnis überhaupt erwachen für einen über der Materie liegenden, spirituellen Erfahrungsbereich. Dieser aber ist nicht ohne weiteres jedem zugänglich. Er bleibt zumindest dem materiellen Bewusstsein verborgen. Deshalb muss umso mehr von dieser Ebene ausgegangen werden.

Das Wesen des „Ich“

Mit dem „Denken“ meint Steiner in der erwähnten Schrift aber nicht die Fähigkeit „Gedankenbilder“ zu haben, wie dies oben schon angedeutet wurde und was noch eingehender beleuchtet werden muss! „Man sollte nur nicht verwechseln: Gedankenbilder zu haben und Gedanken durch das Denken zu verarbeiten. Gedankenbilder können traumhaft, wie vage Eingebungen in der Seele auftreten. Ein Denken ist dieses nicht.“ Es tritt immer mehr die Wichtigkeit eines „Punktes“ auf, von dem aus unsere Gedanken getätigt werden, einem „Ich“, welches der Träger dieses Denkens ist. Es wird ausserordentlich bedeutend sein, das Wesen dieses „Ich“ zu erkennen und einzuschätzen im Zusammenhang mit dem Denken. Wäre dieses „Ich“ nicht INNERHALB des Denkens wesenhaft anzufinden, so müsste jede Selbsterkenntnis schattenhaft und unvollkommen bleiben, ja unmöglich sein. „Die unbefangene Beobachtung ergibt, dass nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht IM Denken selbst gefunden werden kann. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken BEWIRKT, wenn man den Bereich des Denkens verlässt“. Dies müsste sich als „selbst-verständlich“ aus dem Gesagten ergeben. Genau hier liegt die Divergenz zum Zen-Buddhismus, wo man versucht, zu einem Ich-losen Zustand zu finden. Dies ist allerdings eine Illusion, denn auch hier liegt das Denken dieses Versuchs wieder quer in der Landschaft!

Ein Neues entsteht

Nun umfassen wir dieses „Ich“, diesen inneren Punkt jedoch nicht nur auf der Seite des Denkens, sondern ebenso auf der Seite der Wahrnehmung ins Licht des Bewusstseins. Dies sind, man muss sich dies immer wieder klar machen, alles ebenso Begriffe, die das Denken bildet. Aus diesem Grund ist es unzulässig, auf der einen Seite ein „Subjekt“ (das Denken) darzustellen und auf der anderen ein „Objekt“ (der Gegenstand), auch diese zwei Begriffe/Ideen entspringen wiederum dem Denken, also einem vermeintlichen „Subjekt“. Die Wahrnehmung ist zwar die Ergänzung, auf welcher Welterkenntnis stattfinden kann, während auf der Seite des Denkens das Selbstbewusstsein erwacht, wenn es sich SELBST zum Gegenstande macht! Dieses Denken nun aber verbindet Welt und Ich und schafft somit erst die Beziehung, aus welcher die Begriffe und Ideen entspringen. Hier schwelt ein tiefes Geheimnis, welches schon im Ansatz über sich hinauswächst, welches quasi den Anfang bildet zu der Frage, von der wir ausgegangen sind: Gibt es ein leibfreies (Gehirnunabhängiges) Bewusstsein. Mit dem Übergriff dieses Ich auf die Welt, auf die Gegenstände in der Welt, erfasst es beziehungnehmend den Umraum und erzeugt etwas vollkommen Neues. Dieses Neue muss begriffen werden…

Fatale Objekt/Subjekt-Spaltung

In der Wahrnehmung tritt uns als denkendes Subjekt ein Objekt entgegen. Aus dieser Perspektive ist unser Bewusstsein sozusagen zweigeteilt. Es gibt und gab Philosophen, die behaupteten, dass die Wahrnehmungsobjekte doch nur durch unser denkendes und Begriffe bildendes Anschauen überhaupt existierten. Wäre mit der Objekt/Subjekt-Spaltung der ganze Vorgang beschlossen, so könnte man dem kaum etwas entgegensetzen. Jedoch ist es ja grade dem Umstand zu verdanken, dass wir MEHR sind als blosses Subjekt, weil wir uns selbst betrachten können! Hier tritt dieses Neue erstmals auf den Plan. Wir können die Welt betrachten und wahrnehmen, aber wir können uns darüber hinaus auch SELBST wahrnehmen. Wir haben ein Bewusstsein vom Vorgang an sich. Damit heben wir aber die Spaltung auf! Was uns (in der Verhaftung) unmittelbar mit den Objekten verbindet, löst sich in der SELBSTBETRACHTUNG auf. Wir sind einerseits denkendes Subjekt, aber darüber hinaus und GLEICHZEITIG auch der Betrachter dieses Umstands! WIR bilden ja erst diese begriffe „Objekt/Subjekt“ aus der Selbstwahrnehmung heraus. Wenn man sich bis hierher Klarheit verschaffen konnte, so wird ein neues Feld erschlossen werden können, welches hier immer wieder beackert werden soll…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Die Kunst als „weicher Faktor“

federWie kann die Kunst konkret nutzbar gemacht werden? Man spricht auch heute noch oft in Unternehmungen und Institutionen vom Leistungslohn. Was für manche Menschen zu einem Schimpfwort geworden ist, geniesst vielerorts breite Anerkennung. Aber was heisst denn Leistungslohn? Was meint Leistung? Wie wird sie gemessen und welche Kriterien bedingen sie. In erster Linie geht es darum, mit Leistungen Faktoren zu erkennen, welche das (vordergründig) wichtigste für die Unternehmung ist, nämlich der Umsatz. Lassen Sie mich eine Schlaufe machen, bevor ich zum Kern der Sache, der Kunst, komme.

Leistungslohn

Konkret geht es immer um Umsatzsteigerung. Wenn in einem Betrieb zwei Arbeiter an einem Fliessband stehen und der erste 10 Einheiten pro Minute schafft und der zweite nur 8 Einheiten, dann ist für die Firma der erste Arbeiter besser als der Zweite. So einfach ist das! Was braucht man da zu kommentieren? Wenn der Durchschnitt der Einheiten meinetwegen bei 8 liegt pro Minute, dann kann man daraus schliessen, dass Arbeiter 1 eine überdurchschnittliche Leistung vollbringt, während dessen Arbeiter 2 nur durchschnittlich arbeitet. Ein angenommener Arbeiter 3, welcher im Schnitt nur 7 Einheiten schafft ist also unter dem Durchschnitt und muss mittelfristig mit der Entlassung rechnen, wenn er seine Leistung nicht zu steigern vermag. Ansonsten wird er zu einem Leistungsbremser für den Betrieb. Das sind ja alles ganz einfache Milchbuchrechnungen. Sie brauchen keine weiteren Ergänzungen.

Jetzt wird vielleicht ein Ansporn dadurch geschaffen in der Firma, dass man sagt, man zahle Arbeiter 1 etwas mehr Lohn als Arbeiter 2 und dem dritten wiederum etwas weniger als dem Durchschnitt. Somit hat man dem dritten eine Motivation gegeben, seine Leistung zu steigern, weil er dann auch mehr Geld verdienen kann. Dies sind sehr pragmatische und gut funktionierende, wirkungsvolle Modelle, die noch gerne praktiziert werden und die ich nun einmal die „harten Faktoren“ nennen will.

Qualitätsfaktoren

Was in der Industrie noch ganz gut einsehbar ist und auch einigermassen zu funktionieren scheint, wird allerdings schon etwas schwieriger durchzuführen sein, wenn die Arbeit nicht mehr in Stückzahlen oder Einheiten berechnet werden kann, sondern meinetwegen mit Einfühlungsvermögen oder Menschenkenntnis. Diese Kriterien finden wir in allen Berufen wieder, die primär oder sekundär mit Menschen zu tun haben. Ich will sie „weiche Faktoren“ nennen.

Während man die harten Faktoren durchaus mechanisch und konditionierend lenken und trainieren kann, wird es bei den weichen Faktoren schon schwieriger mit solchen Massnahmen weiter zu kommen. Hier müssen andere Wege gegangen werden, um so etwas wie „Leistung“ messen und bilden zu können. Es ist durchaus nicht nur die Aufgabe von sozialen Betrieben und Institutionen, wie Spitälern, Heimen oder Schulen usw., um zu erkennen, dass weiche Faktoren eine wesentliche Rolle spielen können.

Leistung eines Lehrers bemessen…

Man könnte sich ja z.B. fragen: Wie messe ich die Leistung eines Lehrers? Bevor ich aber auf diese Frage eingehen will, könnte ich mich auch fragen: Wie messe ich die Leistung eines Personalchefs? Wie messe ich die Leistung eines Managers? Den Manager wird man auch wieder primär in Geldbeträgen, also in Umsatzsteigerungen messen. Das kann kurzfristig mit vielen Möglichkeiten durch Konditionierung und Rationalisierung, durch Kurzarbeit oder durch restriktive Umstrukturierungsmassnahmen zu positiven Messergebnissen führen. Mittelfristig könnten aber andere, nämlich weiche Faktoren dafür sorgen, dass sich ein Betrieb überstrapaziert und dadurch massive Einbrüche erleidet, die jedoch erst auftreten, wenn der entsprechende Manager wieder davongezogen ist (inklusive einer satten Abgangsentschädigung…). Es gibt immer verschiedene Perspektiven, die Entwicklungen zu betrachten und letztlich wird die Frage nach einem stabilen und zufriedenen Betriebsklima wieder laut, weil sie über langfristige Zeiträume hinweg gesehen die positivsten Ergebnisse bringen wird.

Wir kommen gleich zum Punkt

Geben Sie mir noch ein wenig Zeit um endlich zu der Frage der Kunst zurückzukommen, denn die Zusammenhänge werden wohl kaum richtig und einleuchtend verstanden, wenn die Vorbedingungen nicht ausführlich geschildert werden.

Ich bleibe noch die Frage schuldig: Wie misst man den Erfolg eines Lehrers? Das könnte vielleicht Aufschluss darüber geben, was sogenannt weiche Faktoren bedeuten und wie sie die Leistung beeinflussen können.  Auf die Schnelle wird man – nach dem Fliessbandschema gemessen – sagen: Der Lehrer A bringt 10 Schüler durch die Abiturprüfungen, ergo ist er der bessere Lehrer, als derjenige, welcher nur 8 Schüler durchbringt. Klarer Fall: Leistung beruht auf harten Fakten, egal WIE die Sache erreicht wird! Demgemäss kriegt der Lehrer A mehr Lohn, da seine Leistung höher ist als die des Lehrers B. Ähnlich wie der Staatsanwalt, welcher von 20 Angeklagten 15 durchbringt und damit besser ist, als der Staatsanwalt B, welcher von 20 Fällen nur 12 durchbringt, so sieht es auch beim Lehrer aus! Alles klar! Gibt es da noch Fragen?

Menschliche Faktoren

So klingt es zuweilen heute noch absurd, wenn man sich abmüht andere, menschlichere Kriterien einzubringen. Leistung scheint eine Frage der Quantität zu sein, messbar in Stückzahlen, Stundenbeträgen oder Umsatzzahlen. Gut zugegeben, die Umsatzzahlen müssen am Schluss stimmen. Keine Firma wird sich, wenn sie im Markt bestehen will, Umsatzeinbussen nur aus rein humanen Gründen heraus leisten können, indem sie unqualifizierten und meinetwegen sozial schwierigen Menschen uneingeschränkte Rechte einräumt. Die Frage bliebe immer unbeantwortet, ob sie, erstens, damit diesen Menschen einen Gefallen tun und zweitens, ob sich die Einbussen dafür lohnen.

Aber es muss die Frage erlaubt sein, ob sich nicht andere Möglichkeiten finden lassen, welche beide Aspekte gleichermassen befriedigen könnten! Um zum Lehrer zurückzukommen: Der Umstand, dass der eine mehr Schüler durch die Abiturprüfung bringt, muss noch nicht heissen, dass alle diese Schüler auch zufrieden damit sind und eine entsprechende Leistung im Wirtschaftsleben zu erbringen vermögen. Bei der Leistungsbemessung des Lehrers wird nur die Zahl berücksichtigt, die in diesem Beispiel zum Bestehen der Abiturprüfung führt. Es könnten nun sicher auch ganz andere Beispiele angeführt werden, z.B. die Beurteilungen von Prüfungen der einzelnen Schüler, die Promotion in eine nächste Klasse usw. Das Prinzip bleibt das Gleiche. Es steht eine Zahl im Vordergrund, die gemessen wird und die dokumentiert, dass ein Lehrer A gegenüber dem Lehrer B eine bessere oder schlechtere Leistung vollbringt. Es bleibt als Endprodukt ein harter Fakt: die Zahl, bestehen.

Was kann denn daran schlecht sein? Worauf will ich hinaus?

Ohne jetzt gleich von guten oder schlechten Fakten zu sprechen, möchte ich von einer anderen Warte aus versuchen die Sache zu betrachten. Ich könnte z.B. das Schicksal eines der Schüler weiterverfolgen, welcher zu denjenigen gehörte, welche die Abiturprüfung des Lehrers A bestanden haben. Dazu vorab folgende Überlegungen: Lehrer A ist bekannt für seine ausserordentlich hohen Zahlen von rekrutierten Schülerinnen und Schülern. Er hat im Laufe seiner beruflichen Entwicklung einen besonderen Ehrgeiz entwickelt, die Optik seines Lehrplans auf möglichst hohe Optimierungszahlen zu legen. Dazu hat er keine Tricks und Verfahren gemieden, die in irgendeiner Weise diese Zahlen steigern konnten. Unter anderem galt er als ein besonders harter und ehrgeiziger Lehrer, welcher sich einen hohen Kontroll- und Strafmechanimus aneignete, um seine Ziele durchzusetzen.

Nicht selten forderte er mehr von seinen Schülerinnen und Schülern, als denen lieb war. Die chronische Überforderungssituation der Schüler (und mit der Zeit auch seiner selbst), war das eine. Ein anderes war die Strategie eines Profils, welches fast ausschliesslich auf Leistung getrimmt war und sich dadurch auch bei seinen Schülern an den messbaren Werten, den harten Fakten, orientierte. Das trug dazu bei, dass auch die Schüler jenen Mechanismus eingepflanzt bekamen, welcher die Durchschlagskraft, das Aggressionspotential und den nötigen Biss zu fördern vermochten. Viele seiner Schüler entwickelten sich zu blutlosen und eigensinningen Hardworkern, die es in Wirtschaft und Politik zu hohem Rang und „Erfolg“  (im Sinne des oben genannten Managers), brachten. Der andere Teil, und zu denen soll unsere Lebensbeschreibung gehören, gingen an diesem resoluten Bildungsstil zu Grunde…

Ein Beispiel

G. war ein solcher Schüler. Er hatte sich zu Beginn der Schulzeit schon sehr bald an ein hohes Tempo der Lernschritte gewöhnt und wurde in entsprechender Art und Weise auch von seinen Eltern gefordert und gefördert. Er hatte eine hohe Intelligenz und grosse Auffassungsgabe. Zugleich aber war er, nebst seinen mathematischen Fähigkeiten, auch sehr musikalisch begabt. Diese Begabung wurde von den Eltern und dem Lehrer A zwar durchaus geschätzt und gelobt, aber nicht entsprechend gefördert.

Lehrer A sah in dem jungen talentierten Schüler schon bald einen potentiellen Mathematikprofessor oder begabten Forscher. Er setzte besonders viele Kräfte ein, um ihn durch die Vorbereitungen zu bringen. G. war zwar begabt, aber er hatte ebenfalls eine feine und empfindsame Seele. Daher konnte er die Anforderungen nur mit grossen Schmerzen und der Achtung vor seinem Vater bis zum Ende durchtragen. Er bestand die Abiturprüfung schliesslich zur grossen Freude aller mit Bravour und studierte einige Jahre an der Universität die geforderten Fächer. Seine schwache konstitutionelle Natur machten sich immer mehr bemerkbar und zeigten sich schliesslich in einer schweren Krankheit.

Weiche Faktoren

Misst man den Erfolg des Lehrers nun anhand der harten Fakten, waren seine Leistung (und die der Eltern) durchaus optimal. Sieht man aber den weiteren Entwicklungsweg des jungen Menschen mit in Betracht, so kommt man nicht nur aufgrund des tragischen Verlaufs, sondern auch mit dem zählbaren Wert nicht mehr ganz klar!

Und hier erst kommt die Kunst ins Spiel. Sie ist nie nach harten Fakten zu bemessen. Sie orientiert sich nur an den sogenannten „weichen“. Dennoch führt sie den Menschen näher an seine ureigene Quelle heran und fördert alles, was in seinem Eigeninteresse liegt. Und zwar im tiefsten Sinne. Die Verbindung mit der Welt in einer Partnerschaft oder im Beruf, hat immer eine innere Komponente. Der Antrieb zu seinem Tun, wird dadurch nicht nur ehrlicher und authentischer, sondern durchaus auch effizienter! Die Rückwirkung auf das alltägliche und soziale Leben, auch in der Wirtschaft trägt so die allerbesten Früchte.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Es gibt nur einen Gott…

Aegyptischer Gott…nämlich Deinen…

Priester verschiedener christlicher Kirchen äussern sich gebetsmühlenartig und nachhaltig mit einem Verweis auf einen, wie auch immer vorgestellten Gott, wenn sie jemandem eine moralische Anweisung oder einen wohlgemeinten Rat erteilen. Doch wer ist dieser „Gott“, dieses „Wesen“, diese „Kraft“, die sich hinter einem Begriff mit 4 Buchstaben verbirgt? Was stellen sich die Menschen vor, wenn sie dieses Wort hören? Was können wir damit überhaupt anfangen? Wie soll man durch blosse Begriffe zu einem wahren Erkennen kommen? G wie Gut? O wie Ordentlich? T wie Tugendhaft und das in doppelter Ausführung? GOTT…

Ein Gott in Ausschluss von sich Selbst?

Ein solcher priesterlicher „Verweis“ deutet immer auf „Etwas“ hin, auf ein außenstehendes. Es ver – weist auf Dinge, Menschen, Taten, Handlungen, bestenfalls auf eine Kraft und vieles mehr. Doch dieses verweisen ist auch immer ein weg weisen (hinweg deuten) von uns selbst! Es weist überall hin, in die Natur, in den Himmel, in die Welt mit all den Dingen und Wesen darauf. Nur nicht auf uns selbst! Dabei stellt sich mir die dringende Frage – und es ist eine Frage, die mich schon in frühester Kindheit beschäftigte – wer sind denn WIR SELBST. Wer ist dieses denkende Wesen, das ICH BIN, welches hinaus schaut in die Welt, welches diese Natur, Welt, Wesen wahr nimmt? Ist es denn überhaupt „wahr“ genommen, wenn ich selbst NICHTS bin, alles ausser mir aber ALLES sein soll?

Es entsteht ein beissender Konflikt, der lähmend auf das Gemüt wirkt, sobald man versucht, ihn zu lösen. Weil in jedem Moment, in jedem Gedanken, den ich über die Aussenwelt mache, bin ICH SELBST involviert! Ich kann tun und lassen, was ich will: ICH BIN immer dabei? Alles, was ich sehe, fühle, denke, gehört ebenso zu mir, wie in die Aussenwelt, auch wenn sich diese Attribute auf jenes alles dort draussen richten. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mich wieder zu erhöhen, diesen kleinen Wurm, den die Kirchen für uns selbst kreiert haben – wieder gottgleich zu machen! Niemand kann Gott erkennen, wenn er nicht selber gottgleich ist! Goethe sieht es ähnlich:

Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?

Ist ein Begriff identisch mit der Kraft, die ihn bildet?

Gewiss! Aber Achtung! In dieser (Selbst-) Erhebung schwebt eine grosse Gefahr, die wir alsbald zu spüren bekommen. Und diese Gefahr steckt in genau der Fähigkeit, in exakt der Kraft, die uns Menschen im Grunde erst zu Menschen macht: dem Denken! Dieses Denken ist zweischneidig. Einerseits ist es eine KRAFT, die uns ermöglicht Inhalte, Begriffe zu bilden: über uns, über die Welt, auch über „Gott“. Doch ist der Begriff identisch mit der Kraft, die ihn bildet?
Ich kann von mir selbst unendlich viele Begriffe erschaffen: entweder bin ich ein total cooler Typ (aus der Sichtweise des Optimisten in mir) oder ich bin ein absoluter „Loser“ (aus der Sicht des Pessimisten in mir). Die Frage ist aber, wer formt in mir den Optimisten oder den Pessimisten heraus? Dies sind nicht nur die Begriffe alleine: sie sind eigentlich erst die Folge von etwas anderem. Nein, es sind die Erfahrungen und Erlebnisse, die wir durchmachen!

Es ist ein Konstrukt aus der Umgebung, den Menschen, Freunden, Familie, Schule, Umfeld usw., welches mich zu dem formte, was ich heute bin. Die „Schlüsse“ die ich, zwar mittels des Denkens, aber dennoch vollkommen subjektiv, daraus bildete, haben ebenso wenig mit der Kraft (der Quelle) des Denkens zu tun, wie der Faustschlag mit der Kraft des Boxers zu tun hat, wenn er seinen Gegner niederschlägt. Jeder Mensch kann seine Kraft nutzen, wie er (der Mensch) es für richtig und gut hält!

Und damit haben wir uns im Kreise gedreht. Denn über die DenkINHALTE, über die blossen VORSTELLUNGEN kommen wir niemals an die Quelle! Und nur dort kann dieses „ETWAS“, was eigentlich ebenso ein NICHTS ist, sein, was wir landläufig als GOTT bezeichnen. Es ist alles andere als ein Bildnis. Es ist sogar im trefflichsten Sinne ein Heraustreten aus diesen Inhalten und Bildern, die uns das Denken liefert! Denn die Inhalte und Bilder verdecken die Quelle ebenso, wie der Nebel die Sonne verdeckt. Erst wenn Denken bildlos wird, schöpft es aus der Quelle.

Am Ende ist das Mysterium …

Das Herantreten an einen Begriff GOTT ist ein UNDING, weil es mit Begriffen niemals gefasst werden kann, weil es für uns nur in einem Raum der absoluten STILLE erreichbar ist. Und Stille heisst, Stille der Gedanken- (Inhalte!). Dieser Stille-Raum, frei von Vorstellungen und Begriffen erst führt uns – in uns selbst! – an dieses grosse Mysterium der geistigen Welt heran, die wir als GOTT bezeichnen können.

Der Rest ist TUN !

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Unser Hirncache

cache„Vorstellungen sind keine Gedanken, sondern (innere, subjektive) Wahrnehmungen“

Das ist ein Gedanke!

Warum ist das nicht auch eine subjektive Vorstellung?

Ich habe ihn im Moment, im Jetzt aus der unmittelbaren Selbstbeobachtung heraus gebildet. Er stand weder in einem Buch, noch im Internet. Und ich habe ihn auch von niemandem geklaut. Leider sind wirkliche Gedanken in unserem Leben umso seltener, je älter wir werden. Ursprünglich sind wir als denkende Wesen geboren, nicht als Vorstellende. Das Denken sollen wir entwickeln, nicht das Vorstellen. Weil wir aber unser Weltbild meistens auf dieses Vorstellen stützen, ist es subjektiv. Das Denken selbst steht ausserhalb von Subjekt/Objekt!
Schon im Kleinkindalter, setzen wir den Wahrnehmungen Begriffe entgegen. Wir versuchen im Laufe der ersten Jahre das Rätsel der Dinge aufzulösen, indem wir uns denkend bemühen. Dies geschieht nach und nach und in einer äusserst grossen Ernsthaftigkeit und Anstrengung.
Daran bilden wir unser Gedankenleben aus. Im Laufe der Zeit bündeln wir solche Erfahrungen in unserm Innern und speichern sie quasi ab. So etwa wie der Browser, im sogenannten „Cache“, Daten speichert, um sie jederzeit wieder verfügbar zu halten. Wir brauchen sie dann nicht mir irgendwoher zu holen und zu „aktualisieren“ (aus dem endlosen Datennirwana), sondern können sie in Kürze aufrufen und wiedergeben.

Der „Hirncache“

Ganz ähnlich wie der Browser tun wir es auch mit unsern Vorstellungen. Was in unserem „Speicher“ übrig bleibt, in diesem „Hirncache“ , sind eben innere Bilder, genannt die Vorstellungen. Es sind Dinge, von denen wir uns (einst denkend) ein Bild gemacht haben. Dieses Bild ist gespeichert und aufgehoben und wird in ähnlichen Situationen abgerufen. Dabei brauchen wir nicht mehr zu denken! Denn wir haben es ja bereits einmal gedacht. In dieser Art und Weise erstarrt unser Innenleben allmählich, erhärtet das, was wir landläufig das „Denken“ nennen, und wir verkrusten innerlich.

Es gibt selbstverständlich Dinge, die wir nicht jedes Mal neu denken müssen. Wenn wir etwa 3×3 rechnen, dann mühen wir uns nicht jedes Mal ab, wie in der ersten Klasse, um dem Ergebnis auf die Spur zu kommen. Sondern wir entnehmen das Ergebnis quasi fertig aus diesem „Hirncache“. Das tun wir mit vielen Dingen wohl zurecht! Es gibt aber Situationen, in denen es schlicht unangebracht ist, aus dem bereits vorgestellten Ergebnis zu schöpfen. Und es ist nicht nur unangebracht, sondern asozial und durchaus auch unkünstlerisch, dies zu tun. Je mehr wir diese Seite kultivieren, umso mehr werden wir zu Automaten, Robotern.

Es ist ein fataler Irrtum, das Denken mit dem Vorstellen zu verwechseln!

Dadurch, dass wir uns mit unseren Vorstellungen in dieser Weise verbinden – und identifizieren, sodass wir darob das Denken vergessen, verhaften wir uns mit einer niedereren Dimension in uns. Genauso kann der Cache des Browsers ja nicht mit dem unendlichen Datenmeer des Internet verglichen werden. So obszön dieser Vergleich für manche computerfeindliche Menschen klingen mag (auch sie sind nur in Vorstellungen befangen!), so nahe kommt es dennoch dem Charakter dieses Faktums. Nur muss man die Sache natürlich geistiger sehen! Dort würde dieses unendliche Datenmeer (des Internet) quasi mit einem All-Einen, All-Wissenden, All-Seienden verglichen werden müssen, mit dem wir uns nur im Denken, niemals aber mit dem Vorstellen verbinden können.

Die Vorstellungen, die doch so nützlich sind „um das Rad nicht immer neu erfinden“ zu müssen, können trotzdem schwer hinderlich sein. Sie sind es an allen Orten, wo es um eine Gesinnung geht, um eine Weltanschauung oder um Selbsterkenntnis, um „Glauben“, um Religion, um alles eben, wo es um eine innere Haltung geht gegenüber dem Anderen. Nicht Abgrenzung soll erzogen werden (das tut man aber genau mit diesem „Hirncache“), sondern Verbindlichkeit, Empathie, Verständnis. Denn auch der andere Mensch hat einen solchen Hirncache erschaffen. Nur dass er dummerweise niemals kongruent ist mit meinem! Die gespeicherten Daten haben eben ihren Ursprung in den gemachten Erfahrungen und Erlebnissen. Und da sind wir alle sehr unterschiedlich geprägt.

Habe den Mut wieder zu Denken!

Menschen mit einem grossen Hirncache agieren gedächtnisorientiert. Sie sind oft redegewandt, intellektuell und haben in jeder Situation sofort die passende Meinung parat. Sie müssen nicht mehr darüber nachdenken, was ihr Gegenüber eben gerade gesagt hat, sondern schöpfen aus einem Erfahrungspool heraus, der fix und fertig vorgegeben ist. Deshalb brauchen sie auch nicht zuzuhören, was der andere sagt. Denn schon nach wenigen Sätzen stellt sich das fertige Bild ein. So ist es und nicht anders. Wie wagst du es, dies zu bezweifeln! Dabei stellt sich sofort das (in ihrem Sinne) rechte Wort ein. Ob es richtig oder falsch ist, brauchen sie nicht abzugleichen. Es wurde irgendwann einmal gedacht und fixiert. Und steht nun für immer zur Verfügung. Solche Menschen findet man überall. Sie können ebenso materiell gesinnt sein, wie auch spirituell oder hoch religiös!

Beim Denken ist das anders. Ganz anders! Es gibt nie etwas Vorgefertigtes. Zu keinem Ding, zu keiner Aussage, zu keiner Meinung, zu keiner Wahrnehmung. Alles muss immer neu, aus dem Jetzt heraus, geschaffen werden. Darin liegt ein künstlerischer Impuls. Denken ist künstlerisch. Vorstellen formalistisch. Das erste ist lebendig, das zweite tot. Denken schafft aus dem Nichts heraus etwas Neues. Es stellt der Wahrnehmung einen Inhalt entgegen und vereint sich in der Beobachtung zur Intuition. Das ist religiös!

Fazit: Füttere Deinen Hirncache nur in Notfällen. Es braucht ihn – manchmal, leider. Aber mache es Dir nicht zur Gewohnheit, daraus zu schöpfen. Entdecke die Kraft des Denkens wieder!

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

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