Wahrheit in der Politik

PolitikIn keinem anderen Gebiet ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit von so zentraler Bedeutung, wie in der Politik. Die Meinung des Volkes wird in der Demokratie von den gewählten Politikerinnen und Politikern in den Parlamenten vertreten. Dies wäre zumindest der Idealzustand der meisten westlich orientierten Staatsformen. Deswegen heissen sie ja auch Demo (Volk) -kratie (Herrschaft).

Der Prozess der Wahrheitsfindung in der Demokratie der vielfältiger Vorgang eines aktiven Volkes. Aus dem daraus entstehenden gemeinsamen Volkswillen werden jene Menschen gewählt, welche – im Idealfall – diesen bekundeten Willen am besten unterstützen. Dabei sind die diesem Prozess vorausgehenden Bekenntnisse der aufgestellten Personen und nicht etwa deren Taten von entscheidender Bedeutung. Je nach hierarchischer Stufe, wo sich diese Menschen befinden in ihrer politischen Laufbahn, hat man immerhin gewisse Anhaltspunkte über ihre, im Laufe der Amtsperiode umgesetzten Handlungen. Man kennt mit der Zeit deren Motive. Vorher aber ist man auf die Worte und Gedanken angewiesen, welche nach aussen vertreten werden.

Das Entscheidende sind aber, gerade in der Politik, die Taten und nicht die Worte!

Wegweisende Ideologen sind in diesem Gebiet allenfalls die Politikwissenschaftler und Experten. Sie liefern vielfach die Grundlagen für die Entscheidungen in den Schaltstellen der Macht. Diese Grundlagen sind für die allgemeine Masse eher undurchdringbar und undurchschaubar. Die Ergebnisse solcher Forschungen (oder Fachkommissionen) werden in die Tat umgesetzt: Seien es die Finanzexperten, die Geschichtsprofessoren oder andere wissenschaftlich, kulturell oder soziologisch tätige Experten. Entscheidungen von der Basis werden so grössten Teils umgangen.

Das alles hat eine gewisse Berechtigung, um die Qualität der Entscheidungen zu garantieren. Aber wie so oft gibt es auch eine problematische Seite dieser Umstände. Wie in allen vorher angesprochenen Bereichen wird auch hier die Autorität, das Vertrauen, auf wenige Personen reduziert und damit ein Machtpotential geschaffen. Ob dieses Machtpotential ausgenutzt wird oder nicht, liegt dann an der Vertrauenswürdigkeit dieser Menschen.

Wir können so die eine Seite der Problematik erkennen: Die beschriebenen Konstellationen sind sozusagen nur Diagnose der gegenwärtigen Sozialstrukturen. Die Frage steht im Raum: Was ist die Therapie? Welche Wege müssten wir beschreiten, damit auf lange Sicht hin das Dilemma von Glauben und Erkennen/Wissen gelöst werden kann?

Im Allgemeinen wird das Problem der vermeintlichen Unwahrheiten und Missverständnisse nicht beim eigenen Erkenntnisvorgang gesucht, sondern alleine am Inhalt . Anstelle von vorhandenen Dogmen werden dann neue herangeholt, von denen Mann/Frau noch grösseres Heil erwarten. Mit anderen Worten: Es wird oft erkannt, dass man bisher nur noch nicht zum „rechten Glaubensinhalt“ gestoßen sei und man deshalb nur weitersuchen müsse. So stützt man sich also nicht auf die eigene Erkenntnisfähigkeit, sondern auf ein in der Zukunft gerichtetes Ereignis, welches von aussen den entscheidenden, „richtigen Inhalt“ an uns herantragen soll.

So löst ein Glaubensbekenntnis jeweils ein anderes ab. Und das gilt genauso in der Politik. Das System der Parteien mag viel Positives gebracht haben in den vergangenen Jahrhunderten. Ebenso gewiss kann man sagen, dass sich die Fronten der verschiedenen Meinungen hinter den Bollwerken der Parteien zunehmend verhärtet haben. Jeder Parteiangehörige erachtet sein Parteiprogramm als die Lösung aller Probleme. Er identifiziert sich mit seinen Inhalten. Könnte er sich nicht identifizieren, würde er nicht beitreten.

Wir haben also den etwas merkwürdigen Fall, dass viele Menschen sich an eine einheitliche Partei- oder Religionsmeinung anklammern und diese nach aussen vertreten, obwohl sie damit ihre individuellen Möglichkeiten einschränken müssen. Dies tun verschiedene Menschengruppen in verschiedenen Parteien mit den jeweils gleichen, unverrückbaren Überzeugung. Die vorgegebenen Inhalte lassen nur wenig Spielraum für die eigenen individuellen Taten zu.
Das so konditionierte Gehirn passt sich allmählich den Inhalten an. Die Hirnwindungen falten sich sozusagen nach dem Parteiprogramm um und entfremden den inneren Wesenskern seines Trägers vom äußeren Vorzeige-menschen. In Konfessionen, Parteien, Gruppierungen aller Art besteht diese Gefahr gleichermaßen solange, bis sie erkannt wird.

Man kann die Sache auch umgekehrt anschauen und es so ausdrücken: Gerade der Umstand, dass dieses oder jenes Programm so oder so geartet ist, hat angezogen, weil es dem eigenen Denken vermeintlich nahe liegt. Man überschätzt indessen die Kraft von Partei- und anderen Programmen gewaltig. Bedenkt man, wie flexibel unser Gedankenleben sein kann/könnte und wie sehr sich die Gedanken entwickeln können im Laufe eines Lebens, dann müssen uns solche vorgefertigten Muster eher behindern als fördern! Das gebunden sein an äußere Inhalte reduziert jede Entwicklungsmöglichkeit. Dort ist Veränderung träge oder gar nicht möglich, weil die so geformten Inhalte verständlicherweise viel weniger beweglich sind. Es gibt Grundmaximen, die uns ein Leben lang begleiten wie z.B. jene nach sozialer Entfaltung, kulturellem Bestreben oder Gemeinschaftsbildung. Es ist sicher so, dass gerade Parteiprogramme viele solche grundlegende Maximen beinhalten und dabei viel Spielraum für die eigene Entfaltung belassen (könnten). Das Grundproblem, die Grundfrage bleibt jedoch bestehen: Wie kann man Brücken bauen zwischen den verschiedenen Ideologien, Religionen, Parteien, Weltanschauungen! Und an diesem Punkt ist man wieder bei der Frage nach der Wahrheit angelangt. Gibt es einen Ort, einen Standpunkt, von dem aus sich die verschiedenen Meinungen verbindend betrachten lassen? Ein immerwährendes Thema in diesem Blog… und einer Frage, der auch mein Buch ¨über Selbstreflexion nachgeht…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Die Kunst in der Wirtschaft

KunstundWirtschaftLeben ist Prozess. Hegel[i] verallgemeinert den Begriff sogar so weit, dass er ihn mit „Bewegung“ schlechthin gleichsetzt. Es gibt keinen anderen als einen lebendigen Prozess. Der Prozess bedingt Bewegung. Bewegung ist ein Vorgang, welcher Entwicklung in sich trägt. Alle Entwicklung ist prozesshaft. Insofern ist dieser Begriff nichts anderes als die Beschreibung einer in der Zeitlinie verlaufenden Bewegung, welche sich auf ein unbestimmtes Ziel hin bewegt.

Was wir als Zwischenschritte darin erkennen, sind Teilprozesse einer großen, umfassenden Bewegung. Sie sind zwar tendenziell planbar, aber nicht in sich abgeschlossen und definitiv. Selbst die einfachsten Prozesse entwickeln sich nicht nach den Gesetzen unserer Vorstellung, sondern nach den Gesetzen des Lebens. Und solche Gesetze kann man erforschen und ihnen Eigenschaften abgewinnen, die sich als hilfreich erweisen im Durchschreiten von anderen Prozessen. Dabei spielt es keine Rolle, wo sie auftreten, ob im wirtschaftlichen Leben, im sozialen Leben, im kulturellen Leben oder in der Kunst.

Das Auftreten von Emotionen und Vorstellungen, welche uns im Laufe eines Lebens betreffen und bewegen, kann in immer wieder ähnlichen Schritten wahrgenommen werden.

Das “Gebilde“, welches dann entsteht, ist ein Phantomkörper unserer wahren Identität, unser Schatten. Er ist ein “Abfallprodukt” des emotionalen Reifeprozesses. Da wir aber nicht das Abfallprodukt sind, sondern dessen Produzent, müssen wir lernen, diese Prozesse zu durchdringen und zu verstehen. Erst dann erleben und erkennen wir das Bewusstsein unseres höheren Selbst oder des freien Ich. In diesem Bewusstsein sind wir selbst im Lebensprozess aktive Gestaltende.

Wenn wir lernen, den gebildeten Identifikationsstrom gewahr zu werden und ihn achtsam mitzuverfolgen, dann können wir die Abstufungen dieses Prozesses erforschen und erkennen. Die große Grundbewegung, welche alle diese Prozesse durchzieht, wurde bereits in den dreißiger Jahren von Kurt Lewin entdeckt. Sie beinhaltet die drei Grundelemente von Unfreezing, Transition und Refreezing[ii].

Was in diesen drei Grundelementen dargestellt wird, sind Hauptelemente eines Gesamtprozesses. Solche Entwicklungsvorgänge haben keine zeitliche Einschränkung. Sie sind sowohl in kurzwelligen, als auch in langwelligen Ereignissen auszumachen. Dies sind auch Grundbegriffe des Change-Managements geworden.

Wir können betrachten, was wir wollen: Ein Kunstwerk, einen wirtschaftlichen Prozess, soziale Prozesse, persönliche Entwicklungsprozesse, Kommunikationsprozesse, Krankheitsprozesse, Todesprozesse und so fort, immer wird uns derselbe Verlauf in seiner Grundstruktur entgegenkommen.

Darin sind drei deutliche Phasen erkennbar (mit anderen Worten):

1.      Stagnationsphase (Unfreezing)
2.      Widerstands- oder Rückbildungsphase (Transition)
3.      Impuls- und Umsetzungsphase (Refreezing)

Ich versuchte, die von Lewin erkannten Grundprozesse etwas differenzierter weiterzuverfolgen und sie für die eigene künstlerisch-therapeutische Arbeit nutzbar zu machen.

Unfreezing ist der erste Teil des Prozessablaufes. Hierbei können folgende Wahrnehmungen gemacht werden. Etwas bewegt sich nicht mehr weiter, es stagniert, erlahmt. Die Abläufe sind automatisiert, die Entwicklungslinie verharrt im Stillstand. Man fühlt sich stumpf! (Stufe1)

In einem zweiten Schritt entsteht so etwas, wie ein Schmerzgefühl (Stufe 2). Die Unzufriedenheit über die Stagnation macht sich nach und nach bemerkbar. Man spürt die Erstarrung und die Kälte im Prozess. Die Tatkraft geht verloren, die Begeisterung verschwindet. Alles wird freudlos. Man weiß, dass etwas Neues kommen muss. Es ist aber nicht benennbar und nicht verortbar. Der Bewusstseinszustand ist unbewusst bis träumend. Es wird uns “mulmig”. Das Anbahnen und die Ungewissheit durchsetzen uns mit Unbehagen. Der Druck von außen kann zunehmen und spürbar werden, sei dies der sich anbahnende Tod oder innere Umwälzungsprozesse oder Krisen, die sich unterschwellig so bemerkbar machen.

Was zuerst als Unzufriedenheit in Erscheinung getreten ist, wird nun zu einer Widerstandskraft oder einem inneren Widerstand, der erst aus dem zunehmenden Druck wächst (Stufe 3). Angst durchsetzt uns und erweckt Abwehr. Wir fordern zunächst das Gewohnte, Bewährte und Alte  wieder zurück und weigern uns, nach vorne zu blicken. Im Weiteren bemerken wir, dass sich etwas anbahnt. Wir erahnen die kommende Auseinandersetzung. Diese Phase ist oft sehr schmerzhaft. Weil wir gleichzeitig in unserem Bewusstsein erwachen, je näher sich der Wellengrund auf uns zu bewegt, müssen wir zum inneren Akzeptieren, zur Zustimmung finden.

Nun tritt etwas Entscheidendes ein. Wir müssen uns entscheiden. Das heißt, wir müssen Farbe bekennen. Grundsätzlich tun wir dies nach drei verschiedenen Szenarien. Zunächst tritt eine 4. Stufe an uns heran, die ich mit Akzeptanzphase bezeichnen könnte, welche in folgende drei kleinere Unterprozesse gegliedert ist:

  1. Die Bejahung
  2. Die Verneinung
  3. Die Ignoranz.

Bei der dritten schalten wir alle Bewusstseinsprozesse solange dies geht, wieder aus und verdrängen sowohl Gefühle, wie auch Gedanken im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Wandel. Wir krebsen zurück, haben den Mut nicht nach vorne zu blicken. Dies führt in die Isolation und in eine noch größere Drucksituation, welche die Entscheidung von neuem fordert.

Im ersten Szenario erkennt und anerkennt man den Wandlungsimpuls und entscheidet sich, hindurchzugehen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Klarheit über einen möglichen Verlauf vorhanden ist.

Und das Verneinungsszenario erkennt die Notwendigkeit eines Verwandlungsprozesses ebenso wenig, entscheidet sich aber vollbewusst und willentlich, auszuscheiden, auszuscheren oder umzusteigen, etwas anderes zu probieren oder vielleicht ein Re-Branding zu wagen.

Der Verwandlungsprozess wird aber nur im Bejahungsfall, also im ersten, wirklich weitergeführt. Wenn wir willentlich aussteigen, dann haben wir zwar einen Neuanfang inmitten von anderen Verhältnissen geschaffen, ohne das tieferliegende eigentliche Problem gelöst zu haben. Brüche können den Prozess zwar ebenso weiterführen. Sie werden aber an einem anderen Ort und in einer anderen Weise wieder zum selben Punkt führen müssen.

Jetzt erkennen wir die 5. Stufe. Sie zeigt sich nur im Bejahungsfall. Hier werden neue Kräfte freigemacht! Sie bringen neue Impulse und Ideen. Eine frische Dynamik entsteht, welche den Prozess wieder beflügelt und weiterführt. Der Aufwärtsschwung wird in Gang gesetzt.

In der 6. Stufe des Durchlaufes entstehen aus dem neuen Impuls neue Ideen. Sie „flattern“ gewissermaßen nur so auf uns zu und bereiten eine Vielfalt neuer Möglichkeiten vor. Jetzt entsteht wieder ein kleines Vakuum im Prozessablauf. Die Vielfalt kann uns erschlagen und chaotisch werden. Sie ist noch struktur- und formlos.

Eine kleine Zwischenkrise tritt ein. Sie verhindert die Eingliederung der Ideen in die realen Verhältnisse. Neue Hindernisse treten auf.

In der 8. Phase, der Umsetzungsphase ist Knochenarbeit angesagt. Das kann in den gruppendynamischen Prozessen Probleme verursachen. Es gilt, das Wesentliche heraus zu arbeiten, um die Kernfragen zu klären. Teamarbeit wird hier zentral.

In der 9. Phase geht es um Konsolidierung. Das Erarbeitete muss wieder integriert und eingeordnet werden. Die Abläufe werden wieder normalisiert. Der Sturm ist vorbei. Routine und Alltag machen sich erneut breit. Aus dieser Phase heraus entsteht als letzter und 10. Schritt wieder eine erneute Stabilisierung.

Solche Prozesse, wie sie hier in den 10 Phasen beschrieben sind, laufen wellenförmig durch das ganze Leben. Sie durchdringen unternehmerische, kreative und künstlerische Prozesse ebenso, wie jeden Prozess der eigenen Bewusstseinsentwicklung. Sie sind unaufhörlich, enden nie. Auch die erneute Stabilisierung wird wieder hinüberführen in die Stagnation und wird letztlich wieder von neuem eine nächste Welle auslösen. Durch die Lernerfahrung und durch Fehler erkannte neue Problemlösungen wird insgesamt eine immer neue Aufwärtsbewegungen, die Gesamtentwicklung fördern und reifer werden lassen.

Wir hangeln uns durch diese Wellen quasi hindurch. Gewinnen mehr Selbstvertrauen und innere Reife, weil wir durch Unvollkommenheiten immer mehr (Selbst-) Bewusstsein erschaffen und uns so weiter entwickeln. Das ist  eine bewusstseinsbildende Dynamik.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…


[i] Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831),deutscher Philosoph

[ii] Kurt Lewin Werkausgabe (KLW), Hrsg. Karl Friedrich Graumann, 4 Bände sind erschienen; Klett, Stuttgart ab 1980

RSS
Follow by Email
LinkedIn
Share
%d Bloggern gefällt das: