Selbst-Reflexion, was ist das eigentlich?

SelbstreflexionWenn man den Begriff Selbstreflexion hört, kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, was das eigentlich bedeutet. Im Kontext der Psychologie meint es in der Regel dies: Zu beobachten, wie man reagiert, wie man handelt, wie man fühlt und denkt. Sich selbstkritisch in manchen Situationen in Frage stellen und die Gedanken, die man äußert, auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Es geht in erster Linie um Wahrheit, um richtiges, wahrheitsgetreues Denken und Wahrnehmen. Selbstreflexion in diesem Sinn, findet auf der Ebene der Gedanken statt. „Ist es wirklich richtig, dass ich dieses oder jenes gesagt, getan habe?“ –  „Habe ich diese Mitarbeiterin richtig behandelt, oder war ich zu streng mit ihr?“ – „War es falsch, dass ich mich aus der Gruppe zurückgezogen habe?“ usw.

Solche und ähnliche Fragen bilden den Inhalt der Reflexion auf sich selbst im psychologischen Zusammenhang. Es macht durchaus Sinn, die eigenen Taten und Gedanken, Emotionen und Gefühle immer wieder zu überprüfen und selbstkritisch zu hinterfragen. Wer dies tut, gewinnt im Laufe der Zeit Abstand zu gewissen Emotionen und bereichert damit gewiss sein Leben.  Die Gedanken, die ich mir dazu gemacht habe, gehen jedoch tiefer und sie berühren eine neue Schicht der Erfahrung.

Die Beurteilung und, je nach dem, Verurteilung, die Kritik an die selbst gebildeten Gedanken, ändern zwar den Standpunkt des Betrachters in mir, wenn ich die Selbstreflexion im psychologischen Kontext betrachte. Ich schreite sozusagen von meinem „Kind-Ich“ zum „Eltern-Ich“ in mir. Das Kind in mir hat etwas Unrealistisches oder Dummes gesagt oder getan. Nun kommt der strenge Vater in mir und verurteilt, oder bestraft sogar diese Tat, diese Gedanken. „So geht das aber nicht, mein Sohn! Bist du nicht ganz bei Trost…!“ Durch diesen Akt der Selbstbeurteilung fühle ich mich vielleicht wohler und bemühe mich, fortan, „vernünftiger“ zu sein. Mein „Vater-Ich“ geht nun erhaben, stolz und kontrolliert durch die Welt und verurteilt vielleicht alle, die sich so kindisch zeigen!

Das kann eine Weile gehen, aber das „Kind-Ich“, der kleine Ursli, regt sich halt von Zeit zu Zeit wieder in mir, bäumt sich auf und treibt schon bald wieder seinen Schabernack.  Es ist ein stetes Spiel in verschiedenen Rollen. Es sind kaum nur zwei solche Rollen. Die beiden erwähnten, und in der Transaktionsanalyse bekannten Rollen, sind aber dennoch beispielhaft und stellvertretend für viele vergleichbare Verhaltensmuster. Es können sich auch andere Teilselbste in uns aufbäumen und sich gegen wieder andere auflehnen oder sich gegenseitig bekämpfen. Was ich nie sehen werde auf der Gedankenebene ist die Herkunft und der Charakter dieser verschiedenen, in mir stattfindenden Auseinandersetzungen und Schlachten.

Da kommt meinetwegen das Eifersuchts-Ich plötzlich auf die Bühne. Meine Gedanken sind voll von Eifersucht. Sie werden gepackt und „übermannt“ von einer unsichtbaren und unbekannten Kraft, die mich plötzlich in Beschlag nimmt. Es gibt zwei Dinge, die im „Autopiloten“ meines Selbstes dann auftreten. Entweder ich werde mit Haut und Haaren von diesem „Gespenst“ der Eifersucht aufgesogen und vereinnahmt. Dann bin ich komplett verwoben und verhaftet mit diesen Gedanken und den Gefühlen, den Emotionen, die sich daraus bilden. Ich identifiziere mich als Selbst, als „Ich“ (oder besser als Ego), vollkommen mit diesem „Wesen der Eifersucht“. Oder es könnte sein, dass meine Entwicklung, meine Lebensschule so weit fortgeschritten ist, dass ich dieses „Wesen Eifersucht“ schon im Stadium der Entstehung erkenne und ihm gegenübertrete. Jetzt komm vielleicht wieder eine Art „Vernunft-Ich“ auf den Plan. Es flüstert mir ins Ohr: „Schau, jetzt bist du doch schon ein alter Mann, hast schon so viel Tragisches erlebt, da wird dich dieses Gefühl doch nicht so schnell erschüttern! Sei stark! Sei ein Mann und stelle dich ihm, du bist doch kein Warmduscher…!“

Aber wie schon vorher, stellt sich nun dem einen Gefühl, der einen Emotion, lediglich eine andere entgegen. Dies kann ganz verschiedene Facetten haben. Schlimmer wäre es, wenn es kein solch „vernünftiges“ Ich wäre, sondern vielleicht ein „Rache-Ich“, welches auf den Plan tritt und mich von neuem vereinnahmt. Nur eben von einer anderen Seite! Mag sein, dass es mich sogar soweit treibt, dass ich eine kriminelle Handlung begehe. Statt Eifersucht, Rache, Neid, Hass, Missgunst, Trauer usw. ließen sich hunderte von anderen Emotionen, Gefühlen aufführen, die so interagieren. Alle fordern zur gegebenen Stunde ihren Tribut. Beim einen Menschen sind diese stärker und jene Reaktionen folgen darauf. Beim anderen Menschen wiederum sind andere stärker usw.

Diese ganzen Kämpfe finden in uns selber statt. Und je nachdem, welche Erlebnisse und Erfahrungen wir im Leben durchgemacht haben, konstituieren wir unterschiedliche Teilselbste in uns. Bei der „normalen“ Selbstreflexion, wie ich sie oben kurz skizziert habe, kommen wir lediglich immer wieder „vom Regen in die Traufe“, wie man so schön sagt. Aus der emotionalen Dynamik aber kommen wir nicht heraus! Dazu braucht es nochmal einen anderen, inneren Standpunkt. Und dieser Standpunkt muss außerhalb des Denkens sein! Es ist die wache Präsenz, die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im Menschen, die, nun ohne Beurteilung, ohne Vorurteile und ohne Kritik (denn dies sind alles nur immer wieder NEUE GEDANKEN!) auf einer anderen, tieferen  Ebene lebt.

Das ist der Grundansatz meiner Gedanken im gleichnamigen Buch. In diesem Sinn ist die Selbst-Reflexion gemeint. Deshalb habe ich diese zwei Wörter auch auseinander genommen, weil mit Selbst, ein identifiziertes, verhaftetes Ich gemeint ist, welches reflektiert wird. Im Grunde genommen wird es beobachtet, nicht reflektiert. Aber der Begriff Selbstreflexion ist heute in der anderen Art und Weise so bekannt und „eingebürgert“, dass es wenig Sinn macht, schon von einem höheren Standpunkt auszugehen… Es bedeutet letztlich, diese Anteile in sich nicht zu bekämpfen und zu verdrängen, sondern es geht um deren Integration. Denn im Akt des Erkennens verlieren sie ihre Wirkung. Sie haben den „Herrn im Haus“ ekannt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Die inneren Überzeuger

Überzeuger„Es“ spricht mit mir…

„In Dir wohnt ein Wesen, was sag ich, dutzende, wenn nicht hunderte von Wesen, die Dich, jeder für sich, überzeugen wollen. Sie schustern Argumente für oder gegen dies und jenes und schmieden damit ihre Kampfschwerte, um Dich in ihrem Namen zum Sieg zu führen.

Aber es sind nur scheinbare Siege. In Wirklichkeit schwächen sie Dein eigentliches Selbst. Sie sind hartnäckig und verfolgen Dich solange, bis Du ihnen nachgibst, bis sie Dich voll und ganz in Deinen Besitz genommen haben. Wisse, diese Wesen, nenne sie meinetwegen „Deine inneren Überzeuger“ oder sonst wie, sie sind stark und mächtig.

Unterschätze sie niemals. Versuche nicht, Dich von deren Harmlosigkeit „überzeugen!“ zu lassen. Wer auch immer dies tut, ob von innen oder von außen, von mir in Dir selbst – oder von einem Freund; wisse, dass der Weg der Verharmlosung gefährlich ist, weil er Dich dumpf macht. Er führt Dich immer weiter von Dir selber weg. Alle diese Überzeuger wollen Dich auf ihren Weg führen. Und das heißt, weg von Deinem eigenen.

Sie sind Geschöpfe deiner selbst. Du hast sie einst erschaffen! Durch Verletzungen und durch Irrtum. Jetzt verfolgen sie Dich ständig. Du hast sie durch Vorurteile und Kritik gestärkt. Und solange sie von Dir Nahrung erhalten, werden sie immer grösser und mächtiger – und sie werden Dich quälen bis an Dein Ende.

Dennoch sind sie letztlich Deine Freunde, denn sie wollen nichts anderes, als Dich, auf dem Pfad der Selbsterkenntnis, vorwärts bringen. Der Schmerz, der innere Schmerz, soll Dich wecken! Wenn Du das begriffen hast, wird dieser Schmerz nachlassen und Du wirst neu geboren werden.“

Ich sage Dir das alles als Dein „Es“, denn „ich bin der Geist, der stets verneint und am Ende doch das Gute meint„…

Urs Weth: „Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz“

Schon wieder ein neuer „Rat-Geber“!

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Es gibt doch schon so viele Ratgeber, Sach- und Fachbücher! Da kommt einem schon manchmal das grosse Gähnen. Und jetzt kommst du und preist deins auch noch der Welt an. Eines mehr. Eines von tausenden und abertausenden von Büchern. Unermesslich viele. Warum soll man denn jetzt ausgerechnet dieses hier lesen!? Muss das denn sein?

Von „Wie erhöhe ich auf Kosten anderer erfolgreich meinen Aktienkurs?“ bis hin zu „Wie werde ich schnell und schmerzlos glücklich?“, alles ist vorhanden. Was gibt es nicht alles für Botschaften, die für eine bessere Welt plädieren, wenn auch oft für deine persönliche bessere Welt! Was willst denn du für eine Botschaft vermitteln? Was bringt dein Buch, deine Gedanken neues, was andere nicht bringen?

Zugegeben, eigentlich, wenn ich ehrlich bin, geht es mir fast ebenso und ich verhalte mich sehr schnell auch genau so, wenn ich einem neuen Buch begegne, was mir ein anderer anpreisen will. Nämlich mit Ablehnung und diesem: nein, nicht schon wieder! Ist doch eigentlich eine trostlose Sache!  Auch ich bin schnell mit meinem Urteil parat, wenn ich vor einer Flut von Informationen stehe und „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe“. Das heisst ja nichts anderes, als das „Ganze“ zu verlieren, im Anblick an die vielen Teilheiten, Informationen und Details.

Vielleicht ist dies eben genau der Grund, weshalb ich mir die Mühe genommen habe, selbst ein Buch zu schreiben?

Den Blick von der tausendfachen und unerschöpflichen Aussenwelt, der Welt der Formen, ab-, und zu mir selbst hin zu wenden… Erst so bin ich letztlich fähig, zu erkennen, woraus ich mein eigenes Urteil überhaupt bilde, woher sie kommen, welchen Grund sie haben, diese Bewertungen. Wer spricht, wenn ich „Ich“ sage… Das heisst, in welcher Kompetenz spricht dieses Ich (ich). Wer ist es in mir, der urteilt? Ich, als Weltenbürger mit all meinen angesammelten Titeln, Zeugnissen und Anerkennungen? Der „Besitzer“ eines Mercedes, Toyotas oder meinetwegen auch eines Fahrrades (wie in meinem Fall), eines Hauses, der Familie mit Kindern und tausenden von anderen Dingen? „Ich“ mit meinem Wissens- und Erfahrungsschatz, meinen Vorstellungen, die ich (vielleicht sehr erfolgreich) daraus gebildet habe und all den geschaffenen persönlichen hieraus entspringenden Vorurteilen und Denkmustern. „Ich“, mit all diesen – pardon, „Einschränkungen“? Ist das alles? Soll das alles gewesen sein? Und bin womöglich trotzdem unglücklich? Aktienkurs oben, Glück unten?

Dieses Ich (ich-es), ist/sind die Kernfrage(n) meines Buches und meiner Gedanken. Und dann eben die daraus gefundene Erkenntnis, dass es jenseits dieser Welt eine andere Ebene gibt, eine andere „Dimension“, die ich aber genau darum nicht erkenne, weil ich verwoben, verhaftet bin mit der Gedankenebene, die mich „entführt“ in die Abgründe (oder Höhenflüge) ihrer Inhalte. Und die ich eben wegen der Identifikation mit ihr nicht wahrnehmen kann/will…

Das Erleben dieser anderen Dimension kann erfahren werden. Ich habe es erlebt, es ist mir Gewissheit geworden… Nun ja, lesen kann man viel darüber: sie wird und wurde eigentlich von allen (wirklichen) Erkenntnislehrern der Vergangenheit und Gegenwart verkündet. Sie bildet zum Beispiel den Inhalt des ersten Kapitels bei Rudolf Steiners, über die Grenzen der Anthroposophie hinaus bekannten und anerkannten Buches, „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“.

Der Kern dieser Erfahrung ist das Erleben des Gegenwartsbewusstseins. Und dieses kann nur in der Selbstbeobachtung erkundet, vielleicht besser erlebt, werden. „Selbstreflexion“, ein Begriff, den ich bewusst im Titel meines Buches gewählt habe, mag etwas moderner klingen als Selbstbeobachtung. Es ist eigentlich der einzige  Grund, warum ich ihn gewählt habe. Auch der Hintergedanke, dass ich nicht gleich in die Esoterikecke gedrückt werden möchte, spielt dabei eine Rolle. Nicht weil ich glaube, dass Esoterik etwas Schlechtes sei, sondern viel mehr, weil mir ebendiese erwähnten Vorurteile spirituellen Themen gegenüber, so prägend erscheinen. Und dies allein kann für viele schon ein Hinderungsgrund für diese, wichtigste Erfahrung des Lebens, sein. Aber gerade jene wollte ich damit ansprechen, weil ich glaube, dass diese ewigen „Grabenkämpfe“ langsam überwunden werden sollten in einer Zeit, wo bereits die moderne Wissenschaft an die Türen eines „Jenseits“ klopft.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Unser Lebensscript

weilrheinDie Gedanken-Identifikation ist ein Hauptmerkmal des „gebundenen Ich“. Sie ist der prägende Faktor im «Es-Zustand». „Identifikationsmodule“, die man sich im Laufe eines Lebens aneignet, angefangen bei der Bindung mit der weiteren und engeren Umgebung, der eigentlichen «Heimat», bilden die Muster für die Themen des Lebensscripts. 

Wir identifizieren uns kontinental als Europäer, ferner als als Angehörige eines Landes. Die Identifikationsstärke hängt von der emotionalen und gedanklichen Verbundenheit, die wir in dieser Umgebung erbringen, ab. Vom Bundesland hin zur Wohngemeinde, dem Quartier, der Straße, des Hauses, in dem wir wohnen, bis hin zum eigenen Körper: Sie bilden weitere, immer enger werdende Identifikationsmuster.

Und, last but not least, die Identität des Geschlechtes, des Zeitgeistes, der Sittenkonventionen, der Bildung; sie alle sind weitere prägende Faktoren und schaffen an der subjektiven Anlage der gebundenen Persönlichkeit. Aus diesen Anlagen gehen die Triebfedern für unsere Willensimpulse und deren Handlungsmotive hervor. Aus den gesammelten Erfahrungen des Lebens entstehen immer wieder neue, passive Vorstellungen und Begriffsinhalte, welche ihrerseits erneuten Einfluss auf unseren Willen nehmen. Daraus gehen neue Zielvorstellungen und neue Motive hervor.
Für die meisten Menschen ist diese Identifikation «lebensnotwendig». Anders herum ist der Verlust dieser Identitäten mitunter lebensbedrohlich. Identifikationen sind der prägende Aspekt des Heimatgefühls, eines Wohlbefindens, des familiären Zusammenhanges und vielem mehr. Gleichzeitig ist es aber immer auch ein Zustand der Ausgrenzung! Jede Familie, jedes Volk, jede parteiliche Genossenschaft, kurz alles, was sich sippenmässig zusammenrottet, bildet gleichzeitig einen Antipoden, eine polarisierende Außenwelt zu andersdenkenden, zum Fremden, den eigenen Gewohnheiten und Bräuchen entgegenstehenden. Es entsteht Konfrontation, Abgrenzung gegen das Andersartige und Ungewohnte! Wenn wir uns umgekehrt ständig erniedrigen und meinen, wir seien ja nichts als erbärmliche Würmchen im Vergleich zum Universum, dann identifizieren wir uns in der Tat mit dem Kleinsten in uns, dem gebundenen Ich. Denn dieses gebundene «Es-Ich» ist klein und erbärmlich. Es ist ein Würmchen im Vergleich zum Universum! Aber sind wir nur dieses Würmchen? Wer so denkt, der erlebt den absoluten und größten aller Tode, den man sich je vorstellen kann. Es gibt für ihn kein Vorher und kein Nachher. Aber der Tod, von dem wir immer sprechen, vor dem wir so unendliche Angst haben, dieser Tod ist nichts anderes als der Tod des gebundenen Ich in uns. Das kleine ich ist Körper und alles, was durch die Identifikationen mit diesem zusammenhängt! Wer sagt: gewiss, der Tod sei ja absolut, der kennt nur ein Ich und das ist das kleine, welches in seinem «Ego-Tunnel» lebt. Er ist letztlich vor allem mit dieser Vorstellung identifiziert. Entsprechend hart wird der Bruch – sprich Tod – in das «Nichts» danach! Der identifizierte Mensch ist immer das, was er sich vorstellt! Die Beschäftigung mit dem Vergänglichen und mit dem eigenen Tod muss früh genug erfolgen, nicht erst in den letzten Lebensstunden. Dadurch wird alles einfacher. Identifikation heißt aber auch, dass ein Teil meiner Persönlichkeit, meines Identitätsgefühls, meiner Daseinsberechtigung immer von einer äußeren Zugehörigkeit abhängt. Bei jeder Identifikation ist eine Abhängigkeit als Grundemotion zu erkennen, welche etwas Zwingendes und Unausweichliches in unsere Handlungen bringt. Im Laufe des Lebens kommen weitere Verbindlichkeiten dazu. Wir treten Vereinen bei, politischen Parteien, religiösen oder kulturellen Strömungen und so weiter. Alle Arten von Prinzipien, ob «gute» oder «schlechte» (Bio Freak oder Bier-Freak) sind Identifikationsfaktoren, welche die Persönlichkeit des gebundenen Ich an etwas Äußeres fesseln will.

Der beste Kenner solcher Gesetzmäßigkeiten auf der Formebene ist die Werbeindustrie! In kaum einem anderen Feld wird die Schaffung neuer Identitätsbindungen durch Vorstellungen so resolut und so wirkungsvoll getätigt wie bei guter Werbung. Würden die Mechanismen nicht in der hier dargestellten Weise ablaufen, die Werbebranche hätte keine Chance, ihre Produkte allein durch die Schaffung von Bildern und Texten an die Käufer zu bringen! Nicht einmal der Aufdruck: «Kann tödlich sein» tut dem Kauferfolg dabei offensichtlich Abbruch. Nur durch unsere enge Verbindung, die wir zu eigenen Gedankenmodellen und Bildern haben, werden die Produktanpreisungen in dieser Weise auf uns einwirken können. Sie führen unmittelbar zum Erfolg und in die Handlung (sprich Kauf) des Kunden. Am Beispiel der Firma Apple wird dokumentiert, wie einfaches Design zusammen mit guter Technik und durch genialen Werbemethoden zusammen mit einem eingängigen Branding aufbereitet, die breiten Massen euphorisiert! Marketingstrategien dieser Art kennen die Bedingungen ihrer Kundschaft und deren Verhaftungspotential mit dem Form-Ich sehr gut. Auch wenn das Produkt «objektiv gut oder schlecht» ist, die Wirkung bleibt davon unabhängig und unumstritten.

Form-Ich-Identifikation bedeutet immer in gewissem Sinne Unfreiheit. Mein gebundenes Form-Ich grenzt sich immer gegen das andere Form-Ich ab und bildet eine in sich geschlossene Glocke.
Dadurch ist zwangsläufig eine Einschränkung in der Kommunikation gegeben. Wo das gebundene Ich tätig ist, da herrscht Identifikation mit der äußeren Welt – zu welcher eben auch fixe Vorstellungen gehören – und da ist keine Freiheit möglich. Identifikationen sind genau genommen nur Illusionen, Maya. Sie haben keinen realen Bezug zu der Welt, sondern sind passive und fixierte Gebilde, verfestigte Konstruktionen unseres personifizierten Es, welches wir nach außen projizieren. Gedanken haben großes Potential für die menschliche Entwicklung wenn sie fließend, wandelbar und aktiv bleiben. Die Tendenz, die Gedanken zu zementieren ist fest in unseren Köpfen
verankert. Dogmatismus ist verhärtete wissenschaftliche Gesinnung. Gedanken sind lebendige, fließende Kraftströme, welche in ihrem Wesen leicht und flüchtig sind. Allein die Tatsache, wie viele Meinungsänderungen normalerweise in einem Leben stattfinden (könnten), zeigt diese Beweglichkeit auf. Jede Identifikation ist eine Abgrenzung um den freien Kern des wahren Selbst, Behinderungen auf dem Weg zu sich selbst. So gesehen sind wir alle «ein bisschen behindert». Identifikationen müssen über das Denken aufgelöst werden. Das Denken überlistet sich im Akt der Selbsterkenntnis! Sie ist der Ausgangspunkt zu aller Veränderung auf dem Weg zur Freiheit. Wenn man sämtliche Bindungen abbrechen würde, um Identifikationen loszuwerden, fände man sich schnell in einer neuen Verhaftung. Denn jedes neue Prinzip löst zwar ein altes auf, schafft jedoch gern immer wieder ein Neues. Dieser stete Kreislauf muss durchbrochen werden.

Mit dem Lösen von äußeren Verbindungen ist das Grundproblem indessen nicht behoben. Man kann auch nicht die Verbundenheit mit der Heimat oder der Familie einfach kappen. Das Auflösen von Verhaftungen ist nicht ein langsamer und mühseliger Prozess über Jahre hinweg. Es ist nicht ein gänzlich frustrierender Ablösungskampf von allen Bindungen, oder der Übergang zu einem asketischen Lebensstil. Einzig das achtsame Erleben im Jetzt, löst uns von jeder Abhängigkeit! Dieser Akt ist jederzeit möglich! Das Beobachten des Denkstromes verändert die Bewusstseins-Perspektive. Sie ist eine Grundforderung unserer Zeit. Bleiben Sie überall dabei!

Gehen Sie weiterhin an die Parteiversammlungen oder zum Fußballspiel, trinken Sie weiterhin das Bierchen oder einen guten Wein mit einem Freund und genießen Sie auch fortan die schönen Annehmlichkeiten des Lebens! Es muss nichts weggeschafft werden. Etwas Neues muss dazukommen! Und davon schreibe ich die ganze Zeit in diesem Buch! Die Lösung von Verhaftungen hat vor allen Dingen mit Bewusstsein zu tun. Alles Weitere wird sich von alleine ergeben! Freude haben am schönen Spiel auf der einen Seite oder sich aufzureiben, wenn die heimische Mannschaft ihr Spiel verliert, sind zwei verschiedene Dinge! Hier werden die Abhängigkeiten sichtbar! Schauen Sie sie an! Viele Dinge werden sich dennoch, fast von selbst, verändern im Leben. Nur geschieht dies nicht mit dem Verstand, sondern es ergibt sich von alleine, etwa so, wie der Nebel sich plötzlich am Sonnenlicht aufzulösen beginnt.
Dann wird ganz bestimmt niemand dem Nebel nachtrauern.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft?

Die Kunst der Kommunikation

mato | bilderwelt
mato | bilderwelt

Wenn ich mich mit den Dingen in der Außenwelt beschäftige, habe ich in mir zwei verschiedene „Aufmerksamkeitspolaritäten“, welche Hand und Herz voneinander trennt. Die Tätigkeiten, die ich jetzt gerade tue, ist der eine Pol und die Gedanken und Vorstellungen, die ich mir im gleichen Moment daraus bilde, der andere. Was ich als Interesse bezeichne, verbindet diese beiden Pole.

Der Anspruch des Interesses besteht darin, Übereinstimmung zu erreichen, diese Pole quasi synchron zu machen. Interesse heißt: «in den Dingen sein», anwesend und mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei einer Sache zu sein.

Wenn ich gelernt habe, genau zu beobachten während dem ich handle, werde ich bemerken, dass sich innere Bilder wie ein Schleier vor die äußere Wahrnehmung stellen. Die Handlung werde ich zwar, in gewisser Weise automatisiert, weiter ausführen, aber meine Gedanken befinden sich an einem ganz anderen Ort. Die Augen sind auf ein Objekt gerichtet, welches fokussiert wird, aber sie «sehen» das Objekt selbst nicht mehr, weil sie das innere Auge auf dieses vorgestellte «Schleiergebilde» gelenkt haben.

Es ist aber nicht nur ein Bild, sondern ein vielfältiger Wechsel von Bilderfluten und Vorstellungen, einem Film gleich, welche am «inneren Auge» vorbei ziehen. Die Gedanken sind dann nicht mehr mit dem anvisierten Objekt verbunden, auch wenn die physischen Augen es durchaus noch anstarren, sondern auf diese inneren Bilderwelten fokussiert. Wer das nicht nacherleben kann, für den wird dies abstraktes Geschwätz sein. Zugleich automatisiert sich dabei der Handlungsimpuls. Daraus entsteht die Trennung des Bewusstseins in zwei Ebenen. Wir bemerken diese Bilder nur deshalb nicht, weil wir mit ihnen eins geworden sind, mit ihnen verhaftet, identifiziert sind, das heißt, weil unsere Persönlichkeit damit Eins geworden ist. Wir sind der Gedanke selbst geworden.

Aus diesen passiven Vorstellungsbildern sondern sich gleichzeitig Energien ab, welche unser Gefühlsleben vereinnahmen und beeinflussen. Der depressive Mensch hat in der Regel viele solche Bilderfluten mit negativen Inhalten. Dadurch trübt sich sein Seelenleben entsprechend melancholisch. Dazu kommt die Identifikation mit diesen Bildern. Sie lässt keinen Ausweg aus der Negativität mehr zu. Ich werde der Zustand selbst. Ich wird Es.

Es gibt jedoch eine Form von Aufmerksamkeit, die den Schleier zu durchbrechen vermag und das volle Bewusstsein und die Wachheit auf das Objekt richtet. Hand und Herz gehen erst so wieder gemeinsame Wege. Die eigene «Ich-Organisation» wird dann als Einheit erlebt. Die Energie bleibt am Beobachter gebunden und verleiht der Aufmerksamkeit, und damit der Handlung, die nötige Intensität.

Der Zustand der Trennung von Bewusstsein und Selbst-Bewusstsein ist unser alltägliche Normalzustand. Wir können das an uns selbst beobachten. Wie viel Aufmerksamkeit bringen wir auf ein betrachtetes Objekt und wie oft stellen sich schnell wieder solche passive Vorstellungsbilder vor unser inneres Auge?
Vielleicht ist das gerade jetzt, in diesem Augenblick wo Sie diese Zeilen lesen, der Fall und Sie wachen auf und denken, oh, was habe ich eben gelesen!
Vielleicht werden Sie durch das Lesen oder weil es fett gedruckt ist, aufwachen und denken: «Bitte, was schreibt er da, jetzt muss ich diese Zeile noch einmal lesen!» Ihr Auge war auf die Buchstaben gerichtet. Und weil Sie gelernt haben, automatisiert zu lesen, gingen diese Zeilen über Sie hinweg, ohne den Inhalt mit aktivem Denken aufzunehmen und zu verarbeiten! Es kann durchaus sein, dass Sie an bevorstehende Feste gedacht haben und den Gänsebraten vor Ihren Augen «gesehen» haben, während Sie gleichzeitig die Buchstaben zu Worten zusammenfügten! Nur der Inhalt des Gelesenen ist Ihnen nicht präsent. Somit hätten Sie das Erlebnis, was ich oben angesprochen habe!

Wir werden bemerken, dass die Frequenzen der Aufmerksamkeit auf die Handlungen oft nur sehr geringe Zeit aufrechterhalten werden können. Das dualistische und trennende System ist so lange eine Realität, bis wir den inneren Standpunkt wechseln können! Vorher soll niemand über Kant schimpfen! Die Kunst der Beobachtung besteht indes noch aus einer anderen Qualität. Statt dass sich der Vorgang nun ins Objekt hinein fixiert und dort haften bleibt, wacht im Hintergrund eine Präsenz, welche gleichzeitig auch die inneren Vorgänge während des Handlungs-Aktes beobachtet, ohne nun aber wieder von ihm abzugleiten!

Die Inhalte, die wir vermitteln und mit der Welt kommunizieren, sind immer an Begriffe gebunden. Nonverbale Kommunikationsformen werden auf einer unbewussteren Ebene gebildet. Letztlich müssen diese, um wieder ins wache Bewusstsein transformiert zu werden, erneut zu einem Begriff umgeformt werden. Alle diese Formen, ob verbal oder nonverbal, schaffen immer etwas Verbindendes. Begriffe bilden eine Art Überbau, ein Symbol für die wahrgenommenen Inhalte. Damit diese Inhalte nicht ständig neu umschrieben und wiederholt werden müssen, werden ihnen die Begriffe, zur allgemeinen Verständigung, angeheftet.

Es ist dennoch schwierig, das Verbindende der Begriffe in einheitlichen Formen aufrecht zu erhalten. Begriffe werden zu potenziellen Kampfwerkzeugen, zu Abgrenzungsmechansimen. Je komplexer die Wahrnehmungen, welche vom Nutzer mit dem Begriff verwoben sind, desto schwieriger wird es, einen gemeinsamen Nenner dahinter zu finden. In einer dualistischen Welt der Trennung und Abgrenzung, hat der Begriff immer weniger eine universelle Wirkung! Vielmehr umfasst er nur noch das subjektive, persönliche Selbstbild seines Trägers. Begriffe sind nie die Sache selbst. Es ist ähnlich wie mit abstrakten Symbolen. Begriffe sind letztlich Etiketten, die wir an etwas Sichtbares oder Unsichtbares anheften, um einer Erfahrung Ausdruck zu verleihen.

Nehmen wir irgendeinen beliebigen Begriff, sagen wir «Büchse». Wir nennen dieses Ding, was da vor uns steht «Büchse» und meinen damit etwas Bestimmtes. Dieses Etwas ist aber nicht erfassbar mit einem einzigen Begriff, denn es lassen sich viele Büchsenarten unterscheiden. Mit «Büchse» bezeichnen wir die Wahrnehmung sehr oberflächlich. Um es genauer zu beschreiben, so dass ein blinder Mensch das ganz genau gleiche Bild davon haben könnte wie wir, müssten wir sehr viel investieren. Wir müssten einen langen Vortrag halten und die kleinsten Feinheiten umschreiben. Erst so ergäbe sich ein einigermaßen befriedigendes Bild.

Wenn es schon mit der «Büchse» nicht gelingen mag, wie soll dies mit einem Begriff wie «Gott» möglich sein? Es ist nicht nur nicht möglich, sondern sogar äußerst gefährlich. Das sieht man an den Kriegen und an dem Leid und dem vielen Blut, welches in den vergangenen Jahrtausenden und bis in die Gegenwart hinein geflossen ist. Man lernt jahrelang Begriffe kennen und ist damit beschäftigt, diese Begriffe mit Inhalt und Wahrnehmungen zu füttern. Die Gefahr, die eigenen Vorstellungen hinein zu interpretieren und mit dem Wort zu verknüpfen ist groß. Viele solche Bemühungen werden durch Gewalt vollzogen.

Begriffe können in dieser Weise zu riesigen Gedankenkomplexen heranwachsen. Diese Konstruktionen können zurückwirken auf uns selbst und eine machtvolle Eigendynamik erlangen. Dazu kommt wiederum das Problem der Verhaftung. Deshalb wird sehr oft über Inhalte gestritten. In der Kunst, der Religion, in der Politik und in der Wirtschaft, weil den Streitenden das Verbindende und die Ganzheit hinter den Begriffen fehlt. Wir verlieren etwas dadurch, dass der Begriff keine universelle Kraft mehr hat. Man kann sich fragen: Warum ist das so? Und war es früher auch immer so? Begriffe wirkten in früheren Zeiten vielfach noch mantrisch und ganzheitlich, heute sind sie symbolische und abstrakte Worthülsen geworden. Sie wirken oft suggestiv oder haben den Charakter von Schlagworten. Alles Kampfbegriffe, welche das Gesagte bestätigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Anthroposophie ist ein Begriff

rudolf-steinerEine Würdigung der Impulse Rudolf Steiners und – gleichzeitig – eine kritische Betrachtung der Bewegung.
Ein Begriff (z.B. „Anthroposophie“) deckt in erster Linie die persönliche, individuelle Vorstellung jedes Fragenden ab, wenn er dich fragt, ob du ein „Anthroposoph“ bist. Dem zuzustimmen ist sehr gefährlich, denn wir kennen die Vorstellungen, die das Gegenüber mit diesem Begriff verbindet, nicht! Und schon sind wir mitten drin…

Die Würdigung gilt dem Menschen Rudolf Steiner und hat durchaus eine persönliche Färbung. Es ist meine Beziehung zu ihm und das Verhältnis, welches sich vor mehr als 33 Jahren zu seinem Werk gebildet hat. Im Frühling 1981 (mit 25), kam mir der Name Steiners zum ersten Mal zu Ohren. Die Annäherung führte über sehr unterschiedliche Stationen schliesslich ins Heute.

Als ich damals mit der Anthroposophie in Kontakt kam, hatte ich einen naiv-kindlichen Zugang und betrachtete alles in einem rosafarbenen Schleier. „Esoterische“ und spirituelle Themen beschäftigen mich schon seit meiner Kindheit. Psychologische Fragen über Mensch, Gott und die Welt, die damit zusammenhängen ebenso wie Fussball und Lesen.

Damals war ich intensiv mit Büchern eines gewissen Carlos Castagneda`s und jenen lebensvollen Romanen von Hermann Hesse beschäftigt. Es prägte sich eine sehr idealisierende Haltung in mein (Unter)-Bewusstsein ein. Von bewusstem Sein kann nicht im Geringsten die Rede sein, weil ich aufgesogen war mit Inhalten aller Art und schnell alles für bare Münze nahm, was mir diesbezüglich in die Hände, oder in den Sinn, kam. Als ich zum ersten Mal Bücher Steiners las, gab es keinen Unterschied zwischen einem Castagneda, Hesse und ihm. Sie sprachen selbstverständlich alle vom gleichen und liessen meinen Interpretationen und Phantasien viel Spielraum.

Was ich gelesen hatte, und das war am Anfang sehr viel, integrierte ich in mein Denken. Ich färbte mein Tun und Handeln danach. Ich sah, dass es anderen auch so erging und es entstanden ähnliche, oft symbiotische Beziehungen im Umfeld von Steiners Anhängern. Man war sich in grundlegenden Fragen wie Reinkarnation und Karma in internen Kreisen meistens einig. Ein Zitat des Meisters galt als unanfechtbares Glaubensgut, was es nach aussen zu verteidigen galt. Differenzierte Fragen wurden hingegen deutlich weniger gleichmütig diskutiert. Ich habe niemals so viele Idealisten an einem Ort erlebt, wie damals.

Dann geschah etwas, was meinem innersten Wesen vollkommen widersprochen hatte: Eine persönliche Absonderung gegen anders Denkende und ein Entwicklungsstillstand wurde spürbar. Das erlebte ich spätestens, als ich die Ausbildung als Werklehrer und Kunsttherapeut am Goetheanum abgeschlossen hatte und wieder in „die Welt da draussen“ eintauchen musste/durfte. Es wurde mir zum innersten Bedürfnis, diese Re-Integration von neuem zu suchen und mich zu öffnen. So kam ich auf kleinen Umwegen schliesslich an die Psychiatrische Universitätsklinik in Basel, wo ich drei Jahre tätig war, bevor ich eine eigene kunsttherapeutische Praxis eröffnete.

Diese Beschreibungen sollen die Beziehung zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie als Entwicklungsprozess, auf einem individuellen Weg, darstellen. Am ersteren blieb alles, an der letzteren wenig, insofern es sich um den Begriff und einer vorgefertigten Vorstellung darüber handelt! Aus dem Verhältnis als Guru und Lehrer, erwachte allmählich eine innere Bruderschaft zu Rudolf Steiner. In den vergangenen 30 Jahren kam es nie zu einem grundsätzlichen Bruch, trotz meines individuellen und unkonventionellen Weges.

Das erwähnte Stehenbleiben bei den vorgefertigten Interpretationen der anthroposophischen Inhalte war mir zunehmend ein Dorn (-ach) im Auge. Davon (von den Interpretationen,nicht von den Inhalten) habe ich mich gelöst. Das ständig neue überdenken und neue formulieren von Erlebnissen und Erfahrungen brachten mich dazu, auch bei anderen Weltbildern wieder den Zugang zu Antworten über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu suchen.

Die Synergien zwischen den verschiedenen Weltbildern und Religionen standen im Mittelpunkt und keine abgeschlossene Glaubensdoktrin. Es wurde mir klar: Begriffe können eine Sache benennen, und ihnen einen Anker geben, an dem man sich festhalten kann. Die Rückaufschlüsselung dieses Ankers ist viel schwieriger, weil derselbe Begriff unterschiedliche Bedeutungen haben kann und somit nicht objektiv ist.

Das Bewusstsein der Begrenztheit unserer Vorstellungen (wir nennen es landläufig „denken“) wurde mir immer klarer. So begann ich nach bewusstem Sein zu suchen, welches sich über die reine gedankliche Ebene erhebt. Ich war davon überzeugt, dass wir grundsätzlich keine Begrenzung in der Erkenntnis haben, wie uns dies Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ nahegebracht hatte. Was ich aber im Denken suchte, offenbarte sich nun bald in der selbstreflektiven, bedingungslosen Schau desselben.

Dieses Erlebnis bedeutete für mich eine neue Wende in meinem persönlichen Entwicklungsweg. Wenn ich, so sagte ich mir, das Bewusstsein des Wahrnehmens der Gedanken erlebe, dann enthebe ich mich gleichzeitig der Identifikation mit diesen Gedanken. Das Erleben im Zustand der Selbstbeobachtung und der „Achtsamkeit“, wie ihn die buddhistische Tradition kennt, war ein Schlüssel zur Freiheit, ohne deswegen dem Buddhismus oder einem anderen „Ismus“ beitreten zu müssen…

Die Dinge widersprechen sich nicht. Man muss nicht Buddhist werden, um dies zu begreifen. Es gibt immer nur ein zu sich selbst finden.

Ich fühle mich heute näher verbunden mit Rudolf Steiner! Näher denn je! Das Beobachten des Denkens in seinem wichtigsten Werk: Der „Philosophie der Freiheit“ zeugt davon und entschlüsselte mir neue Erkenntnisse. Steiner wollte den Begriff „Anthroposophie“ jeden Tag neu definieren!

Was wäre wohl aus der Gesellschaft geworden, wenn die Menschen heute keinen Begriff mehr hätten, an welchen sie sich klammern könnten? Wenn die vermeintliche „Wahrheit“ nicht mehr aus unendlichen Diskussionen herausgepresst werden müsste, sondern bewusstseinsmässig im Jetzt erfahrbar würde. Wenn wir in jeder Situation aus uns selbst die Wahrheit finden müssten, ohne Bezugnahme oder Rezitation von irgendwelchen klugen Sprüchen! Wenn nur noch diese Erfahrungen und Erlebnisse relevant würden auf einer internationalen, vollkommen unabhängigen Plattform, die keinen Namen hat und aus dem Herzen jedes Einzelnen entspringen würde…

Steiners Anthroposophie ist diesem Gedanken sehr nahe gekommen. Nur, wohin steuert dieses zunehmend träge werdende Schiff, welches den Namen heute trägt und verantwortet und welches sich im riesigen Ozean der Ideologien zu verirren droht, sich mehr und mehr spaltet in Untergruppen, Nebengruppen und in feindliche Lager. Wie unabhängig und frei ist die Gesellschaft (…und die damit zusammengeschlossenen Verbände) heute noch?

Solche Fragen bewegen mich unaufhörlich. Ich bin nicht am Ende meiner Weisheit angekommen und werde dies auch nie schaffen. Ich stelle lediglich ehrlich und offen meine persönliche Sicht der Dinge dar. Offenheit im Rucksack tragend, allen ernsthaften Bemühungen gegenüber, seien sie mir ideologisch näher oder ferner… so lautet mein Lebensmotiv.

Die einzige Abhängigkeit, oder besser Verantwortung, habe ich meinem eigenen, inneren geistigen Führer gegenüber. Er aber hat keinen Namen und bleibt für immer unaussprechlich.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und ein KinderbuchUrsli und der Traum vom Schiff

Glaube macht selig?

Glaube, WissenDer Weg von der Information hin zum eigenen Standpunkt ist mit vielen Hindernissen gepflastert. In der Regel werden Gedanken von außen aufgenommen und nur empfindungsmässig „kontrolliert“. Gedanken werden selten umgewandelt und zu Ende gedacht. Weil nun aber viele Informationen von außen mit einem rosafarbenen Mäntelchen daherkommen und in schöne Kleider verpackt sind, ist man nicht mehr geneigt den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.

Sowohl in der Politik, in der Werbeindustrie, in den Medien, kurz: überall wo man die Gunst möglichst vieler Menschen erwerben will, macht man sich deren Tugend der Massen zu nutzen: die Abstumpfung und Lethargie. Verpackung ist alles, Inhalt ist nix! Der grösste Mist wird verkauft, die hinterhältigsten Politiker gewählt, wenn der Wille nicht aufgebracht wird, Tatsachen auf den Grund zu gehen und ihnen auch ungeschminkt in die Augen zu schauen. Nur ist es kaum möglich, immer und zu jeder Zeit hinter alle Fassaden blicken zu können und alles zu hinterfragen. Man bekommt mit der Zeit so etwas wie eine „Empfindungsmeinung“.

Ich erfahre und erlebe sie in der Skepsis oder auch als dumpfe Zustimmung wieder. In vielen Fällen werde ich damit gute Erfahrungen machen. In manchen Fällen greife ich auch daneben. Jede Information, die mich berührt, erzeugt in mir zunächst Zustimmung oder Skepsis. Beide bilden sozusagen meine Arbeitshypothese für die Weiterverarbeitung. Sie kann eine gute erste Grundlage sein für alle erkenntnisbildenden Prozesse. Was danach folgt, ist eigenschöpferische Kraft. Der Erkenntnisakt geht immer durch die Gefühle hindurch bis er, wieder zurück in meinem Kopf angelangt, zur Meinung wird. Verfolge ich diesen Vorgang weiter zurück und frage mich, was liegt denn dem Glauben zu Grunde, so stoße ich zunächst immer auf ein Gefühl! Aber was ist die Grundlage des Gefühles? Gefühle sind Produkte meiner Erlebnisse und Erfahrungen.

Alles, was mich in meinem Leben berührt, was ich verarbeite und innerlich bewege (oder verdränge), bildet an diesen Gefühlen mit. Hinter all den Erfahrungen stehen meine Lebensumstände.

Wo wurde ich hineingeboren, in welche Kultur, in welches Land, in welche Stadt, welches Dorf, welche Landschaft. Was für Menschen umgeben/umgaben mich, prägen mit, trösten, plagen oder bilden, erziehen mich? Freunde, Bekannte, Eltern, aber auch Feinde: es entstehen Feindbilder. Vorlieben oder Neigungen formen mich, schmieden am Glück oder am Leid meines Lebens. Glaube Sie alle bilden an meinen Empfindungen, welche dann dumpf in den Untergrund tauchen und alles Verhalten und Beurteilen in meinem Leben mitbestimmen. Lebensumstände bilden an den Glaubensbekenntnisse.

Diese Lebensumstände sind eingeleitet worden durch die Geburtsumstände. Dahinein spielt die die Vorgeschichte der Geburt ebenso eine Rolle, wie auch der Verlauf der Geburt selber. Wer noch weiter zurück will, wird wieder auf das Problem des Dualismus stoßen und den Ursprung an verschiedenen Orten suchen. So werde ich als Materialist als einzige Bedingungen die Gene und irgendwelche biochemischen Prozesse akzeptieren, währenddem ich als spiritueller Mensch dahinter eine geistige Realität sehen kann. Dieser wird die Ursache des Glaubens letztlich ebenso gewiss als karmischen Ursprung definieren können wie der Materialist den seinen in den Genen und biochemischen Prozessen sucht.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wahrheit in der Politik

PolitikIn keinem anderen Gebiet ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit von so zentraler Bedeutung, wie in der Politik. Die Meinung des Volkes wird in der Demokratie von den gewählten Politikerinnen und Politikern in den Parlamenten vertreten. Dies wäre zumindest der Idealzustand der meisten westlich orientierten Staatsformen. Deswegen heissen sie ja auch Demo (Volk) -kratie (Herrschaft).

Der Prozess der Wahrheitsfindung in der Demokratie der vielfältiger Vorgang eines aktiven Volkes. Aus dem daraus entstehenden gemeinsamen Volkswillen werden jene Menschen gewählt, welche – im Idealfall – diesen bekundeten Willen am besten unterstützen. Dabei sind die diesem Prozess vorausgehenden Bekenntnisse der aufgestellten Personen und nicht etwa deren Taten von entscheidender Bedeutung. Je nach hierarchischer Stufe, wo sich diese Menschen befinden in ihrer politischen Laufbahn, hat man immerhin gewisse Anhaltspunkte über ihre, im Laufe der Amtsperiode umgesetzten Handlungen. Man kennt mit der Zeit deren Motive. Vorher aber ist man auf die Worte und Gedanken angewiesen, welche nach aussen vertreten werden.

Das Entscheidende sind aber, gerade in der Politik, die Taten und nicht die Worte!

Wegweisende Ideologen sind in diesem Gebiet allenfalls die Politikwissenschaftler und Experten. Sie liefern vielfach die Grundlagen für die Entscheidungen in den Schaltstellen der Macht. Diese Grundlagen sind für die allgemeine Masse eher undurchdringbar und undurchschaubar. Die Ergebnisse solcher Forschungen (oder Fachkommissionen) werden in die Tat umgesetzt: Seien es die Finanzexperten, die Geschichtsprofessoren oder andere wissenschaftlich, kulturell oder soziologisch tätige Experten. Entscheidungen von der Basis werden so grössten Teils umgangen.

Das alles hat eine gewisse Berechtigung, um die Qualität der Entscheidungen zu garantieren. Aber wie so oft gibt es auch eine problematische Seite dieser Umstände. Wie in allen vorher angesprochenen Bereichen wird auch hier die Autorität, das Vertrauen, auf wenige Personen reduziert und damit ein Machtpotential geschaffen. Ob dieses Machtpotential ausgenutzt wird oder nicht, liegt dann an der Vertrauenswürdigkeit dieser Menschen.

Wir können so die eine Seite der Problematik erkennen: Die beschriebenen Konstellationen sind sozusagen nur Diagnose der gegenwärtigen Sozialstrukturen. Die Frage steht im Raum: Was ist die Therapie? Welche Wege müssten wir beschreiten, damit auf lange Sicht hin das Dilemma von Glauben und Erkennen/Wissen gelöst werden kann?

Im Allgemeinen wird das Problem der vermeintlichen Unwahrheiten und Missverständnisse nicht beim eigenen Erkenntnisvorgang gesucht, sondern alleine am Inhalt . Anstelle von vorhandenen Dogmen werden dann neue herangeholt, von denen Mann/Frau noch grösseres Heil erwarten. Mit anderen Worten: Es wird oft erkannt, dass man bisher nur noch nicht zum „rechten Glaubensinhalt“ gestoßen sei und man deshalb nur weitersuchen müsse. So stützt man sich also nicht auf die eigene Erkenntnisfähigkeit, sondern auf ein in der Zukunft gerichtetes Ereignis, welches von aussen den entscheidenden, „richtigen Inhalt“ an uns herantragen soll.

So löst ein Glaubensbekenntnis jeweils ein anderes ab. Und das gilt genauso in der Politik. Das System der Parteien mag viel Positives gebracht haben in den vergangenen Jahrhunderten. Ebenso gewiss kann man sagen, dass sich die Fronten der verschiedenen Meinungen hinter den Bollwerken der Parteien zunehmend verhärtet haben. Jeder Parteiangehörige erachtet sein Parteiprogramm als die Lösung aller Probleme. Er identifiziert sich mit seinen Inhalten. Könnte er sich nicht identifizieren, würde er nicht beitreten.

Wir haben also den etwas merkwürdigen Fall, dass viele Menschen sich an eine einheitliche Partei- oder Religionsmeinung anklammern und diese nach aussen vertreten, obwohl sie damit ihre individuellen Möglichkeiten einschränken müssen. Dies tun verschiedene Menschengruppen in verschiedenen Parteien mit den jeweils gleichen, unverrückbaren Überzeugung. Die vorgegebenen Inhalte lassen nur wenig Spielraum für die eigenen individuellen Taten zu.
Das so konditionierte Gehirn passt sich allmählich den Inhalten an. Die Hirnwindungen falten sich sozusagen nach dem Parteiprogramm um und entfremden den inneren Wesenskern seines Trägers vom äußeren Vorzeige-menschen. In Konfessionen, Parteien, Gruppierungen aller Art besteht diese Gefahr gleichermaßen solange, bis sie erkannt wird.

Man kann die Sache auch umgekehrt anschauen und es so ausdrücken: Gerade der Umstand, dass dieses oder jenes Programm so oder so geartet ist, hat angezogen, weil es dem eigenen Denken vermeintlich nahe liegt. Man überschätzt indessen die Kraft von Partei- und anderen Programmen gewaltig. Bedenkt man, wie flexibel unser Gedankenleben sein kann/könnte und wie sehr sich die Gedanken entwickeln können im Laufe eines Lebens, dann müssen uns solche vorgefertigten Muster eher behindern als fördern! Das gebunden sein an äußere Inhalte reduziert jede Entwicklungsmöglichkeit. Dort ist Veränderung träge oder gar nicht möglich, weil die so geformten Inhalte verständlicherweise viel weniger beweglich sind. Es gibt Grundmaximen, die uns ein Leben lang begleiten wie z.B. jene nach sozialer Entfaltung, kulturellem Bestreben oder Gemeinschaftsbildung. Es ist sicher so, dass gerade Parteiprogramme viele solche grundlegende Maximen beinhalten und dabei viel Spielraum für die eigene Entfaltung belassen (könnten). Das Grundproblem, die Grundfrage bleibt jedoch bestehen: Wie kann man Brücken bauen zwischen den verschiedenen Ideologien, Religionen, Parteien, Weltanschauungen! Und an diesem Punkt ist man wieder bei der Frage nach der Wahrheit angelangt. Gibt es einen Ort, einen Standpunkt, von dem aus sich die verschiedenen Meinungen verbindend betrachten lassen? Ein immerwährendes Thema in diesem Blog… und einer Frage, der auch mein Buch ¨über Selbstreflexion nachgeht…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Freiheit und Beziehung

frei seinWie frei sind unsere Lebensentscheidungen?

Im Laufe unseres Lebens lernen wir viele Menschen kennen. Was macht es aus, dass manche Beziehungen länger halten als andere? Warum ersticken einige schon im Keim und andere reifen über lange Zeit, ja dauern, manchmal über ein ganzes Leben, nach? Welche Kräfte spielen da mit?

Die ersten Menschen die uns begrüssen sind unsere Eltern, unsere Mutter allen voran! Es ist das erste Gesicht, welches wir sehen und das uns auf der Welt empfängt. Was uns in den folgenden Jahren des Heranwachsens umgibt, sind Menschen, die uns, wie wir sagen „vom Schicksal“ gegeben sind. Meistens sind es die Blutsverwandten, jene Menschen, mit denen wir über den „genetischen Strom“ verbunden sind.

Wir lernen aber im Laufe unseres späteren Lebens noch viele andere Menschen kennen. Die meisten wählen wir selbst aus. Es sind Menschen, die uns, so glauben wir, mehr innerlich nahe stehen. Wahlverwandtschaften. Sei es durch ähnliche Interessen, durch einen ähnlichen Charakter, manchmal vielleicht auch nur durch rein ästhetische Gesichtspunkte. Manche vertragen wir gut, andere weniger gut. Gegen Letztere grenzen wir uns ab oder weichen ihnen aus.

Begegnungen kommen oft ohne unser bewusstes Zutun zustande. Was wir danach damit machen, liegt hingegen in unseren eigenen Händen. So empfinden wir vielleicht auch unsere erste Liebe als ein „vom Schicksal gegebenes“ Ereignis. Wir erwidern dieses Gefühl. Ein Gefühl der Verbundenheit mit einem anderen Menschen entsteht. Was nährt dieses Gefühl? Warum hält es manchmal nur kurz an? Und wenn es anhält, wie „frei“ bleibt es dann? Passen wir nicht einfach unsere Gefühle im Laufe der Zeit den äusseren Gegebenheiten und Bedingungen an? Anders herum gefragt: muss alles ausgetragen und ausgehalten werden, für was wir uns einmal entschieden haben? Wie verhält es sich mit dieser ominösen Aussage: „Bis dass der Tod euch scheidet?“ Woher stammt sie und auf welchem Urteil steht sie? Wie viel Verantwortung können wir uns selbst  mit solchen Aussagen überhaupt zugestehen? Superlative wie diese stammen doch eher aus dem Mittelalter und aus einer noch alten, verkrusteten katholischen Vorstellung heraus, nicht aus einem inneren, freien Entscheid. Basieren sie nicht eher auf einem laschen, wenig tragbaren Gefühl, welches man landläufig „Verliebtheit“ nennt. Wo sind die Grenzen des Durchhalten-Müssens und wo/wie sind die „Abzweiger“ für andere Entscheidungen zu finden?

Fakt ist: Alles Leben ist Entwicklung (Hegel, Goethe, Paracelus uvm. bestätigen dies). Jeder Mensch entwickelt sich individuell. Je mehr wir wach bleiben, uns selbst beobachten lernen und persönliche Entwicklung in uns zulassen, umso mehr können wir in unserem Leben erreichen, beziehungsweise lernen und erfahren. Nur, ebenso gut können wir Entwicklungen durch unsere Gedanken auch hemmen. Das geschieht dann, wenn wir unsere innere Mitte, den inneren Ruhepol verlieren.

Ein Beispiel: Sie müssen schmerzvoll den Tod eines Ihnen nahe stehenden Menschen beklagen. Die Klage, das Leid ist notwendig, um die Gefühle des Abschiednehmens verarbeiten zu können. Die Trauer ist wichtig, um sich innerlich von dem Menschen zu verabschieden, ihn „gehen zu lassen“. Die Phase der Trauer dauert einige Zeit. Dann verlieren sich normalerweise die damit verbundenen Gefühle durch den Abstand. Wenn es uns nicht gelingt, die Gedanken loszulassen, bilden sich immer wieder dieselben starken Gefühle. Diese Gefühle sind schmerzhaft und verursachen viel Leid in uns. Aber wir gewinnen mit der Zeit auch so etwas wie Lust am Schmerz! Der Schmerz kann uns dann ein Gefühl der Verbundenheit mit dem verstorbenen Menschen geben. Aber es ist nur eine scheinbare, keine reale Verbundenheit. Wir ziehen in dieser Weise die Vergangenheit stets von neuem in unser Bewusstsein herein.

Wir tendieren dazu, uns mit den Erlebnissen zu identifizieren und erhalten immer wieder „schmerzvolle Nahrung“. Ohne sie können wir bald nicht mehr leben. Der Prozess kehrt sich jetzt um. Wir sind nun an die Peripherie, dort wo die Gedanken kreisen, gedrängt und haben unsere innere Stabilität, den inneren Ruhepol, verloren. Aus der Stille wird Lärm. Der „Lärm in unserem Kopf“ (wie Eckardt Tolle sagt). Wir ernähren uns von diesen Gedanken, brauchen sie, ziehen sie an und züchten sie so lange in unserem Gehirn, bis sie dort physiologisch, irreversibel und nachweisbar, neurologisch feststellbar, verankert sind.

Doch zurück zur Frage des Schicksals und unseren Begegnungen. Es wird immer die Frage nach der inneren Freiheit bleiben. Manche bestreiten, dass es möglich ist, frei zu sein. Da gibt es verschiedene Begründungen. Andere kämpfen vehement für diese innere Freiheit des Menschen. Wo ist sie denn zu finden, wenn es denn eine solche gibt? Doch nur in uns selbst. Sie ist und bleibt ein individuelles Erlebnis, deren Wirklichkeit sich jeder selbst erarbeiten muss …und kann. Die „Frage der Freiheit“ kann deshalb jeder nur in sich selbst finden…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wer spricht, wenn Sie Ich sagen?

Bin ich wirklich der, von dem ich meine, ich sei es?

Was meinst du denn, wer du bist? Manche Leute sagen, ich sei ein Christ oder ein Grüner? Bin ich es nun? Was bringt es mir und den anderen, wenn sie wissen, ob ich es bin oder nicht? Sie können sich dann besser ein „Bild“ von mir machen. Viele Leute werden sicherer, wenn sie „es“ wissen, weil sie mich schubladisieren können. Andere Schubladen sind vielleicht: ein Buddhist? Ein Katholik? Sagt man Ja, dann kommt: Aha, jetzt weiss ich, wer du bist! Jetzt kann ich dich „einordnen“! Jetzt bist du für mich einfacher zu fassen, einfacher erklärbar und ich weiss, ich muss mich dir gegenüber so oder so verhalten! Ist doch praktisch! Dann braucht man sich nicht mehr auf die vielen paradoxen Verhaltensweisen des Anderen einzulassen. Sie irritieren uns höchstens.

Aus der Schublade wird meist gleichzeitig ein Vergleich konstruiert mit der eigenen Kiste, in der man steckt. Und dann entsteht das Gut oder Schlecht, die Be-ur-teilung. Und weil man sich meist selbst recht eng einordnet, verfallen mögliche Spielräume einer Begegnung. Nicht umsonst ist man Sozialist oder Konservativ usw. Also findet man dies auch „Gut“. Und alles andere ist demgemäss natürlich „Schlecht“. Alle diese Attribute und Kästchen, worin man Menschen am liebsten stecken möchte sind ausserordentlich bequem, aber auch peinlich. Sie erleichtern einerseits den Umgang, aber andererseits auch den Widerstand, die Auseinandersetzung mit einem menschlichen Wesen. Als solches bin ich in erster Linie ein individualisiertes geistiges Wesen, welches auf der Welt Erfahrungen sammeln möchte, sich entwickeln möchte, reifer werden möchte, die Welt verstehen möchte, fühlen lernen möchte, lieben lernen möchte. Und dazu ergreife ich verschiedene Mittel.

Dazu mögen spirituelle Mittel gehören und Inhalte verschiedener Menschen und Lehrer, denen ich in meinem Leben begegne(te). Es gehören ebenso Bewegungen, „Hand“-lungen dazu, das „Begreifen“ mit den Händen und mit den Sinnen, das Erfahren wollen, das Stürzen, das Traurig sein, das Herantasten an andere menschliche Wesen. Alles ist immer nichts anderes als ein Prozess, ein  lebendiger Prozess. Er heisst Leben! Wir werden ihm nicht gerecht durch unsere festgefahrenen Bekenntnisse. Ich bin. Nicht etwa: „Ich bin Sozialist, ich bin Buddhist“… sondern: „Ich bin“ das ist die einzige Haltung, die dem Menschen gerecht wird. Das Erkennen hört nie auf, es schreitet immerzu fort. Heute bin ich der, morgen ein anderer. Und übermorgen wieder ein anderer. Wie soll es anders sein.

Blockiere ich mein eigenes Sein in einer Schublade, dann nehme ich mir die Möglichkeit des Fortschreitens. Ich erstarre in der Zeit, friere sie ein, blockiere sie. Trete hinaus aus dem einzigen wirklichen und realen Leben: Dem Jetzt, in die Vergangenheit …oder auch in die Zukunft in Form von Illusionen… Vielleicht bin ich heute ein Katholik und morgen ein Buddhist. Dennoch: „Ich bin“ noch immer dasselbe geistige Wesen. Nur eben ein Wesen, was sich verwandelt. Das alles nennt man Leben. Sich diesem Wandeln hinzugeben: ist Liebe. Mein Bekenntnis ist: „Ich bin“ ein Mensch im Prozess, der sich stets verwandelt, stets neue Erfahrungen macht und stets neue Erkenntnisse sucht, um die Welt zu Begreifen. Dieser Mensch ist jetzt auf dieser Erde mit einem Namen, einer bestimmten Statur, einer unverkennbaren Stimme, einem festgelegten Geschlecht. All dies ist „vorgegeben“. Ich verstehe vielleicht nicht warum. Es gibt Theorien dazu, die besagen, dass ich früher schon einmal da war, vielleicht mit einer ganz anderen Statur, einem ganz anderen Geschlecht, einer anderer Stimme und anderen Erlebnissen. Das mag sein. Es kann eine These sein, die vieles verständlich macht. Eine These, die verständlich macht, warum wir doch oft so ungleich und ungerecht auf dieser Welt in Erscheinung treten, mit so unterschiedlichen Bedingungen und Verhältnissen. Theorien haben einen Haken.

Es sind zwar Erkenntnismodelle, die mir helfen, mich zu orientieren in der Welt, aber sie können auch zu Hindernissen werden. Dann, wenn ich nicht immer wieder liebend in den Prozess des Lebens (und das wirkliche Leben findet nur in diesem Augenblick statt) eintauche, immer wieder das Andere zu verstehen versuche. Modelle bleiben Modelle, solange, bis sie Erfahrung werden. Aber auch dafür muss ich offen bleiben: Dass sie zu Erfahrungen werden können! Und dass es Wege gibt, die dahin führen, dass sie Erfahrung werden können, darauf muss ich vertrauen! Möge der innere Führer jeder Individualität ihn dahin führen, solche Erfahrungen machen zu können. Dazu bleibt mir eins zu tun: stets offen zu bleiben für alles, was auf mich zukommt…

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