Leiden auf dem inneren Schulungsweg

Auf dem Passwang

Spiel der Gedanken

Solange wir am Inhalt der Gedanken verhaftet bleiben, können wir keine Intuition haben. Inhalt ist Wissen. Wissen ist Denkinhalt. Dieser Inhalt kann auf verschiedene Art gebildet werden. Der “Wissenspool“ wird aus verschiedenen Quellen gefüttert. Die unmittelbarste und effizienteste ist die Quelle der eigenen Erfahrung, die aus einer seelischen Erlebniswelt resultiert. Aber auch alle angelesenen, angehörten und angesehenen Quellen füttern diesen Pool. Daraus werden Vorstellungen gebildet. Man muss sich jederzeit klarmachen, woher diese Inhalte kommen. Jede Handlung erfolgt normalerweise in unserem Alltagsbewusstsein aus den Intentionen dieses Pools. Dabei spielt es keine Rolle, welchen moralischen Ansprüchen diese genügen oder nicht. Wichtig ist die Tatsache, dass es Inhalte bleiben. Ob die Quelle der Buddhismus, die Thora oder die Bibel ist, bleibt unbedeutend. Aber auch das Wissen aus der Welt der Erfahrungen wird in seiner verdichteten Form kein guter Diener sein. Denn Erfahrungen können sich ändern. Wissen muss immer in Bewegung bleiben, wenn es fruchtbar sein soll. Erstarrung ist der Tod jeder Erkenntnis.

Intuition ist immer die Abwesenheit von Inhalt! Es bedeutet jedoch nicht Abwesenheit des Denkens! Vielmehr ist sie der Quell, der Ursprung des Denkens. Dies ist im Übrigen auch die seinsgemässe Übersetzung des Wortes “Logos“. Erst in der Selbstbeobachtung können wir diesen Ursprung erfassen. Die meisten Menschen handeln aus dem Inhalt heraus. Dies ist die primäre Quelle unseres Wirkens. Geistige Entwicklung bedeutet, dass wir die Verhaftung mit dem Inhalt mehr und mehr reduzieren. Denn Inhalt ist in gewissen Sinn auch eine Verblendung, eine Art Schleier. Dessen Erkenntnis geschieht aus der Änderung des Standpunktes. War es bislang der Gedankeninhalt, der uns führte und leitete, wird es in der Folge eine andere Instanz sein.

Der Inhalt bleibt dennoch wichtig. Man kann ihn nicht lassen, ohne den Standpunkt geändert zu haben, sonst landet man in der Willkür der Emotionen und bald auch in der psychiatrischen Klinik! Dies alles ist kein abstraktes Gelaber oder philosophischer Intellektualismus. Dies gerade ist der primäre Charakter alles Bloß Inhaltlichen. Selbstverständlich sind alle Hinweise darauf ebenso intellektuell. Also auch dieser! Dadurch, dass sie den Umstand erkennen und darüber hinausweisen, sind solche Gedanken dennoch fruchtbar. Die letzten Bücher, die man im Leben überhaupt noch liest, tragen genau diesen Charakter!

Inhalt als Aspekt des All Einen

Inhalte sind immer Aspekte eines All-Einen, eines göttlichen. Auch durch sie erfasst man durchaus Göttliches. Aber es bleiben eben Aspekte. Und Aspekte sind Einseitigkeiten. Forschen bedeutet für viele, eine immer stärkere Zergliederung in immer feinere Teilheiten. Dadurch wird die Absonderung vom All-Einen immer grösser. Man entfernt sich immer mehr von Gott. Die Differenzierung birgt somit die Gefahr, das Wesentliche zu verlieren. Ihr Hauptmerkmal ist der Begriff. Und Begriff ist Denkinhalt. Die Verhaftung mit ihm bedeutet Intellektualität. Intellekt ist nichts Schlechtes per se. Es bedeutet auch Erkenntnisvermögen, welches durch das Denken geschaffen wird. Intellekt ist notwendig. Not wendig. Er wendet die Not. Er schafft Bewusstsein von den Dingen. Aber dies geschieht immer auf der Basis einer Zergliederung, einer Differenzierung. Dies wird auch hier praktiziert. Aber zu dem Zweck einer höheren Erkenntnis, die über den gedachten Inhalt hinausreicht. Wir hangeln uns nach und nach zu der Spitze in der obigen Zeichnung. Dies geschieht durch Reduzierung der Begriffe. Durch Zusammenfassung, Konzentration auf das Wesentliche. Es führt letztlich zum Einen, zum Logos, dem Ursprung des Denkens.

Die Begegnung mit dem Du

In der Therapie und im Sozialen generell wird deshalb die Begegnung mit dem Du wichtiger als jede Interpretation, jedes Urteil und jede Analyse. In der Beziehung zum Du, begegne ich dem Wesen des anderen. Es ist nicht mehr ein Teilaspekt, ein vereinseitigter “Lichtäther“, “Wärmeäther“ oder “Klangäther“. Jegliche Art von Gliederung verliert ihre Kraft. Sie kann sogar zum individualisierten Wirklichen werden. Was vorher einseitige Wahrnehmung blieb, verschmilzt jetzt im Wesentlichen. Und das ist die Liebe. Dadurch wird man nicht etwa blind für die Schwächen des anderen! Die Charakterisierung von Menschen und Wahrnehmungen und das Urteil, die Interpretation sind zweierlei Dinge. Im letzteren liegt eine Einschränkung. Dies widerstrebt der Liebe.

Der Weg der Erkenntnis und vor allem der Selbsterkenntnis ist steinig. Das zweite ist zunächst die Wahrnehmung der eigenen Gedankeninhalte. Wir wehren uns gern dagegen – gedanklich natürlich. Gerade in spirituellen Kreisen will man sich auf keinen Fall zugestehen, dass das Denken etwas so Wichtiges sein soll. Das ist Selbstbetrug! “Das Denken ist nicht wichtig, du sollst mehr fühlen“, ist ein solcher Gedanke, der sich selbst betrügt! Wenn ich so sehr auf dem Inhalt der Gedanken herumreite, dann ist damit nicht gesagt, dass man keine solchen haben soll. Es geht immer um den inneren Führer und um die Frage “wer denkt in mir?“. Denkt ES In mir, oder denke ICH? Die Verhaftung mit dem Inhalt vereitelt diese Wahrnehmung. Dies zu erkennen ist das erste kleine Erwachen. Wenn wir aus diesem Raum der Stille heraus in unser Gedankenleben schauen, erkennen wir erst, wer die Impulsgeber sind.

Wirken der Elementale

Woher kommen denn die Inhalte? Sie werden angestachelt. Innere und äußere Wahrnehmungen “triggern“ bestimmte Kräfte in uns. Jeder hat andere Zugänge zu seinen Eindrücken. Nicht alles beeindruckt jeden. Durch die Umstände des Lebens, durch Erlebnisse und Erfahrungen werden manche stärker gefördert als andere. Dies ist ein sehr individueller Prozess. Die angesprochenen Kräfte werden dadurch unterschiedlich stärker. Manche verkümmern auch wieder. Es sind Phantome. Sie bilden sich abseits des Wesenskerns. Daskalos, der zypriotische Heiler, nannte sie auch Elementale. Sie wirken und schaffen im ganzen Gefüge unseres Wesens entscheidend mit und bilden in ihrer Gesamtheit unser Ego. Das ist ein Teil der zu uns gehört, der aber dennoch abgesondert vom eigentlichen ICH agiert.

Durch die angesprochenen inneren und äußeren Wahrnehmungen wird etwas in diesem “zweiten Wesen“, dem Ego, ausgelöst. Wir vermögen uns dieser Kraft nicht zu entziehen und binden uns an sie. Sie drückt sich gleichfalls im Gedankeninhalt aus. Dadurch untergräbt sie das Wirken einer höheren Kraft in uns, deckt sie gewissermaßen zu. Diesen Vorgang bemerken wir nicht oder kaum, weil wir uns zu sehr mit dem Inhalt verbinden. Wir wähnen uns als ICH im Ego und bemerken es nicht. Das ist die große, die größte Illusion! Es sind meistens die materiellen Dinge, die uns so binden, aber auch alle Arten von Dogmen, Glaubenslehren, an die wir uns ketten. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Art diese Dogmen sind, ob materielle oder spirituelle! Denn, ja, auch letzteres ist möglich!

Der erste Akt geistiger Erkenntnis

Man kann diese Dinge vom Verstand her zwar durchaus begreifen. Man kann sie sogar in Seminaren weiter vermitteln. Dennoch ist das wirkliche Erlebnis der Verhaftung ein erster Akt zur geistigen Erkenntnis, den man nicht so schnell vergisst. Die Folge ist die Stärkung einer anderen, höheren Kraft in uns. Es ist eine Art Präsenz, die im Akt des Denkens immer wacher wird. Das heißt, die Inhalte werden vor das Bewusstsein geschoben. Es entwickelt sich die Fähigkeit der Selbstbeobachtung. Hier wird man sich bald einer weiteren Hürde bewusst. Hat man vorher nicht bemerkt, woher und wohin die Gedanken flossen, so ist dies jetzt allmählich der Fall. Dies bereitet große Schmerzen! Erst jetzt wird man sich der großen Fülle dieser bisher unterbewussten Tätigkeit gewahr. Und man wird sich ebenso einer gewissen Ohnmacht gegenüber diesen Kräften bewusst. Es kann durchaus sein, dass an diesen Punkt etwas Seltsames passiert.

Man trocknet aus. Die Lust an allem entschwindet. Man tut sich schwer damit, sich an den Dingen der Welt zu erfreuen. Man schwebt gewissermaßen im Zwischenraum zwischen zwei Welten. Man fühlt sich der einen, der materiellen nicht mehr zugehörig und ist gleichzeitig noch kein Bürger der zweiten, geistigen Welt. Anzeichen einer Depression können die Folge sein. Dies ist keineswegs ein ICH-Verlust! Vielmehr sind wir dem wahren ICH nähergekommen! Nun gibt es kein zurück mehr! Die immerwährende Übung der Selbstbeobachtung ist der eigentliche Heiler auf Zeit. Vorher ging es einem relativ gut. Hatte man eine Krise, so half irgendein neuer Kick, der Leere entgegen zu treten. Dies erfüllte die Seele eine gewisse Zeit. Der Kick flaute wieder ab, wie er das immer tut. Er braucht immer wieder neue Nahrung. Diese wurde schnell zugeführt und das ganze funktionierte immer eine gewisse Zeit lang ganz gut. Die Unlust vereitelt jetzt diese Dynamik. Es ist fast ähnlich dem Suchtverhalten im Entzug. Nur, das Suchtmittel waren all die Dinge, mit denen man die Stille, die man als Leere empfand, kompensierte.

Konsequenzen in Kunst und Therapie

Die Erfahrung und Erkenntnis solcher Umstände ist enorm wichtig für Kunst und Therapie. Man muss die Quellen kennen, aus denen die Impulse und Inspirationen entspringen, die sowohl zum künstlerischen Akt, wie auch zur therapeutischen Intervention führen; bei sich selbst und beim anderen. Leicht wird aus Verlegenheit eine bloße Vorstellung zur wahren Idee (im Schillerschen und Goetheschen Sinn) erhoben. Es kann auch sein, dass sich manche Vorstellungen noch tiefer einnisten, als es vorher der Fall war! Selbstbeobachtung ist ähnlich dem Licht. Sie entdeckt, deckt ab, deckt auf. Sie beleuchtet die vorher im Dunkeln ablaufenden Aktivitäten. Die Kräfte die dort wirken und wirkten, fühlten sich wohl in der Dunkelheit. Im unerkannten Raum konnten sie sich frei entfallen.

Nun fällt das Licht der Erkenntnis auf sie. Dadurch wird ihr Wirken entblößt. Sie ziehen sich zurück. Aber dies bedeutet ihr Tod! Deshalb kämpfen sie mit anderen Mitteln um ihr Überleben. Sie stärken sich oder schließen sich mit anderen „Elementalen“ zusammen. So können sie sich meistens noch einmal in anderer Weise entfalten. Dies tun sie zum Beispiel, indem sie sich tarnen. Sie treten vielleicht als Wolf im Schafspelz auf, um uns selbst zu täuschen. Wir reden für sie erneut im Zustand der Identifikation. Wir geben uns möglicherweise human oder sozial. Dahinter stecken aber durchaus andere Interessen; Neid oder Machttriebe oder eine gewisse Anerkennungssucht. Wir sinken so möglicherweise tief zurück in den Zustand der Verhaftung. Damit hat uns das Ego wieder im Griff. Wir erkennen dies lange Zeit nicht. Vielleicht predigen wir sogar spirituelle Inhalte, reden von Verhaftung und Geistesgegenwart ohne die Triebfedern dieses Tuns zu durchschauen!

Das Ego: Unser Schutzpanzer

Die erste Stufe solcher Erkenntnis ist also keineswegs sein Endziel, auch wenn man sich „erleuchtet“ fühlt! Und sie ist schon gar nicht harmlos. Bleibt man nicht unerbittlich und aktiv am eingeschlagenen Weg dran, so kann es Jahre dauern, bis wir uns selbst erneut entlarven! Dabei geht es darum, immer tiefer hinter die Motive unseres Handelns zu blicken. Unser Wesen gleicht einer Zwiebel mit so manchen Schichten. Hinter jeder Hülle, die fällt steckt eine andere, tiefere. Die Gefahr ist mit jeder Enthüllung grösser als vorher. Das Ego war uns eine Art Schutzpanzer. In der Verhaftung fühlt man sich in gewisser Weise frei. Aber es ist dies eine Scheinfreiheit. Die Masken fallen mit dem physischen Tod. Es gibt keinen anderen Weg zur Freiheit als nur jenen, wenn man die Entdeckungsreise antritt. Das Werkzeug dazu ist die Selbstbeobachtung. Sie entlarvt den „Doppelgänger“ unserer selbst. Dieses Phantomwesen ist es, welches Leid verursacht. Und das Leid nimmt so lange kein Ende, als wir in der Illusion des Ego leben. Sinn der ganzen Sache ist Heilung. Und mit der Heilung unsrer selbst schaffen wir aktiv an der Heilung der Welt. Das ist der tiefere Sinn dahinter und letztlich der einzig relevante.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

2 Gedanken zu „Leiden auf dem inneren Schulungsweg“

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