Warum Materialismus nicht ganzheitlich sein kann

Im letzten Beitrag wurde versucht darzustellen, was mit dem goetheschen Begriff „alles Vergängliche ist ein Gleichnis“ gemeint ist. Die Gedanken sollen hier weiter ausgeführt werden. Dazu wird als Stütze eine Wandtafelzeichnung zu Hilfe genommen(siehe unten).

Definition Urbild

Unten (Wandtafelzeichnung) sieht man im oberen Teil als zentrale Kraft mit einem Punkt gekennzeichnet das „Urbild“. Es befindet sich auf der geistigen Seite aller Dinge. Mit dem Urbild ist eine zusammenfassende Kraft gemeint, die so etwas wie die „Art“ oder „Gattung“ einer Reihe von materiellen Erscheinungen in sich trägt. Nehmen wir alle Eichenbäume auf dieser Welt. Man erkennt das „Eichige“ in allen. Deshalb hat man ihnen den Namen „Eiche“ gegeben. Oder jede Birke. Man „sieht“ durch eine Reihe von Merkmalen, warum es eine Birke und keine Eiche ist. Man erfasst ihre äußere Erscheinung, also was man sieht und kategorisiert es zusammenfassend in dem Begriff der Birke oder der Eiche. Selbst wenn wir viele gemeinsame Aspekte gefunden haben, die das Gemeinsame identifizieren, gibt es „etwas“ was sich durch alles hindurch nicht so einfach benennen lässt. Ein gesundes Kind, welches noch keine intellektuelle Erkenntnis sich angeeignet hat, erkennt das „Eichige oder Birkige“ sofort, ohne die Gründe und Argumente der Wissenschaft dafür klar zu verstehen. Die Tatsache dafür zu finden, dass das so ist, liegt im geistigen Ursprung, der jenseits der materiellen Substanz wesenhaftes verkörpert.

Vernetzung

Die materiellen Bedingungen führten in der moderneren Zeit immer mehr dazu, Gegebenheiten, Personen und Objekte zu „vernetzen“. Die Intention liegt auf der Hand. Man will möglichst viele Bezüge schaffen, gegenseitige Ressourcen ausschöpfen und die Produktivität und Kreativität steigern. Eine Vernetzung auf materieller Ebene ist grundsätzlich vom Urbild abgekoppelt. Darin liegt die Tragik dieser Entwicklung. Denn das Urbild schafft unmittelbar und aus sich heraus den Bezug. Es braucht keine Vernetzung im materiellen Sinne. Es gibt keine Willkür, wenn die Dinge und Menschen im Zusammenhang mit dem Urbild stehen, wie dies in früheren Zeiten noch mehr der Fall war! Willkür ist aber die Regel, wenn es um die vielzitierte „horizontale Vernetzung“ geht. Man versucht Dinge und Situationen, Gegebenheiten miteinander in Bezug zu bringen, die nicht wesensverwandt sind. Würde man das Wesen in den Dingen wiedererkennen, bräuchte man den Umweg über die horizontale Vernetzung nicht! Das Materielle wird vom Geistigen abgekoppelt und abgesondert. Der innere Bezug geht verloren. Das ist fatal.

Trennung als materielle Konsequenz

Gerade in der Kunst findet man die Hohlheit der Bezugslosigkeit in einem Bemühen um willkürliches Zusammenbringen von wesensfremdem. Man will es symbolisch verstanden wissen, ohne Kenntnis des Urbildes. Der Zusammenhang der Welt geht verloren. Die Konsequenz ist die Schaffung von isolierten und oftmals grotesken Begriffen und Bildern. Die Welt wird verrückt. Das heißt, sie wird aus ihrem inneren Zusammenhang gerissen. Plötzlich soll alles mit allem in Verbindung stehen. Alles soll mit allem zusammengebracht werden. Das ist in Anwesenheit des Urbildes eine Selbstverständlichkeit und ergibt sich aus der Sache heraus. Ohne das Urbild ist es eine Farce, eine Karikatur. Ja mehr noch: es ist der Inbegriff der Isolation und der Zerstückelung. Denn nur mit dem Urbild im Hintergrund können Zusammenhänge begriffen und erkannt werden!

Anthroposophie, Versuch einer Definition

Die Anthroposophie gründet auf dem Verständnis und dem Erkennen der Urbilder! Die Urbilder aber sind geistigen Ursprungs. Goethe hat mit der Urpflanze und anderen Forschungen den Weg gezeigt, diese Welt zu erfassen. Nur wenn das Urbild in den Erkenntnishorizont rückt kann der anthroposophische Ansatz (wieder) verstanden werden. Es ist in Mode gekommen, selbst in anthroposophischen Kreisen, alles mögliche zusammenzumischen um einen vermeintlichen Konsens zu schaffen. Unterschiede werden nur noch innerhalb der „horizontalen Vernetzung“ verstanden und kultiviert. Das ist im Grunde die Auflösung des anthroposophischen Ansatzes. Was übrigbleibt sind nur noch anthroposophische Floskeln und Phrasen. Man mischt solche Floskeln in die Begründungen des Zusammenhangs, tut dies aber oft nur auf einer intellektuellen Basis. Damit schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Man meint, sich der gängigen wissenschaftlichen Praxis anpassen (oder anbiedern) zu müssen, vergisst dabei aber den geistigen Zusammenhang. Man „hat die Teile in der Hand, fehlt – leider – nur das geistˋge Band“. Und das „geistige Band“ ist das Urbild. Hierin liegt der wesentliche Unterschied. Die Methode allein ist noch nicht das alleinige Kriterium. Wichtig ist die Anbindung an das Wesen der Dinge.

Therapeutische Ansätze

Für den Menschen betrachtet, kann man nicht von einer Gattung im gleichen Sinne sprechen wie bei den Tieren oder Pflanzen. Im Grunde ist jeder Mensch ein Individuum, also eine Gattung für sich. Deshalb ist das Urbild hier nicht das „menschliche“ an sich, sondern das eigentlich geistige Ich! Es ist nicht eichig oder birkig, nicht einmal männlich oder weiblich, sondern individuell. Das heißt jeder Mensch hat sein eigenes, eigenständiges und unvergleichbares Urbild. Zu diesem Urbild muss man in einem individuellen Prozess finden, wenn man ihm z.B. therapeutisch gerecht werden will. Jeder therapeutische Ansatz, der diese Anforderung nicht erfüllt, kann dem anthroposophischen Hintergrund nicht standhalten, ohne ihn zu verzerren. Selbst wenn eine Therapieform versucht, rein menschliche und wohlwollende Motive umzusetzen, selbst wenn man versucht, das „menschliche“ allgemein zu verstehen und in feste und abgeschlossene Methoden zu verpacken, ist die oben beschriebene Intention nicht zwingend miteingeschlossen! Das Entwickeln von „Übungsreihen“ für vordefinierte Krankheitsbilder, kann nicht das allein heilbringende sein. Diese gängige (eigentlich etablierte) Praxis in vielen anthroposophisch orientierten Therapieformen, hat die Grundbedingung damit nicht nur nicht erfüllt, sondern sieht sich auch der Gefahr ausgesetzt, sich immer mehr vom zentralen Anliegen zu entfernen! Der eigentliche Heiler ist das geistige Ich. Es ist das Urbild des Menschen.

Die innere Sonne entdecken

Die Aufgabe ist klar: Es will für jeden Menschen das geistige Urbild gefunden werden. Dort allein steckt die Kraft der Heilung. Sowohl das Krankheitsbild, wie auch das Geschlechtliche, der allgemeine Volkszusammenhang, aber nicht nur dies, sondern auch Charakter, Tierkreis oder Ätherarten: das sind alles Krücken! Nicht in ihnen liegt das Heil. Nicht die perfekte Übung für den Alkoholkranken, für den Krebspatienten, für das gesellschaftliche Opfer, für das Burnout, für die Konzentrationsschwäche macht die Heilung. Alle diese Dinge können dazu beitragen, etwas zu bewirken, in die richtige Richtung zu gehen (aber selbst hier muss man wachsam sein, um sich nicht zu verrennen!) Das Urbild, welches jenseits all dieser Prädikate und Situationen liegt, ist ur-gesund – in jedem Menschen. So gesehen handelt es sich darum, die „Hüllen“ erkennbar zu machen, den Schatten, der die innere Sonne eines kranken Menschen verdeckt.

Eine Lanze brechen für die (echte) Anthroposophie

Das und nur dies ist glaubhafte Intervention im Sinne Steiners. Wäre dies nicht der ureigene Impuls der Anthroposophie, wäre die Anthroposophie nur eine von tausenden von Methoden, die artverwandt mit anderen konkurrieren, dann sähe ich keinen Bedarf mehr, mich grade ihr so innig zu widmen. Mein Zugehören zur Anthroposophie wäre dann lediglich „Zufall“. Es wäre die eine Möglichkeit, die sich mal eben ergeben hat in meinem Schicksal. Die Art von Dogmatik, mich einer Methode zufällig zu widmen, liegt mir ganz und gar nicht! Da liegt mir die Freiheit des Menschen zu sehr am Herzen. Über dieses Thema gibt es andere und umfassendere Beiträge auf diesem Blog. Wenn irgendeine Methode oder Erkenntnissuche, die sich anders nennt, das geistige Urbild als Richtschnur in sich trägt, dann dürfte sie sich mehr anthroposophisch nennen, als so manche „offizielle“, in diesem Namen auftretende Methode. Der Begriff ist ja allgemein! Er bezeichnet nicht eine eingefleischte Kommune von meinetwegen alternativen Esoterikern, sondern „lediglich“ den Weg eines Menschen, der das geistige in sich ebenso ergründen will, wie das materielle! Es ist somit ein sehr allgemeiner Begriff, der nicht dogmatische Lehren umfasst, sondern Forschungsergebnisse, die sich aus einer Geisterkenntnis heraus ergeben. Er steht dem Begriff „Naturwissenschaft“ in diesem Sinne ergänzend gegenüber, nur dass er sich auch auf geistiges Gebiet bezieht. Diese Bemühung ist die Gemeinsamkeit der echten Anthroposophen. Wer sich nicht darum bemüht und trotzdem in seinem Namen auftritt, verwendet den Begriff falsch.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…
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