Sucht und Gesellschaft

suchtIn der UPK (Universitäre psychiatrische Klinik) in Basel findet derzeit eine Ausstellung zum Thema: „Rausch, Ekstase, Sucht“ statt. Schon schnell wird dem Betrachter der Dokumente, Bilder, Texte und Tabellen bewusst, dass es sich um ein riesiges gesellschaftliches Thema handelt. Auch wenn es hier um die Geschichte der Suchtpolitik des Kantons Basel Stadt geht, so wird dem Besucher doch schnell klar, dass ein Spiegel für die ganze gesellschaftliche Situation der Gegenwart gezeigt wird.

Was spiegelt sich denn da?
Sucht ist mit Sicherheit weiter zu fassen, als es noch vor einigen Jahrzehnten Fall war. Damals beschränkte sich der Begriff vor allem auf Tabak und Alkohol. In den Sechzigern kamen u.a. die Drogen Opium, Marihuana, Kokain und Heroin dazu, später alle möglichen „designten“ Pülverchen, Mittelchen und Wässerchen.
In den 90er Jahren, als ich noch selbst in der damaligen PUK arbeitete, begann die große Diskussion um den medialen Konsum (Fernsehen, Internet, Games etc.). Damals, in den Anfängen des Internets, war es durchaus nicht Usus, dass man diesen neuen Medien ein Sucht-potential zusprach! Heute ist das kein Thema mehr. Die Gefahren von Verhaltenssucht wurden erkannt und heiß diskutiert.

Es gab vielfältige Hilfestellungen, die dem Phänomen entgegenwirken sollten.
Es wurden zunehmend alle möglichen (und unmöglichen) Experimente unternommen, die das Suchtverhalten Erwachsener und Jugendlicher aufzeigten. So auch aktuell in einer Studie mit einer Klasse in Basel. Es ging darum, 24 Stunden aufs Internet zu verzichten!
Ich wiederhole: 24 Stunden!
Keiner der Klassenmitglieder bestand den Test!
Denn es gab immer wieder einen Grund, die Abmachung zu brechen. Hier einige Stimmen aus dem von den Schülern protokollierten Verlauf:

  • Ich konnte nicht widerstehen meine Mails auf Facebook zu checken…
  • Ich hatte keine andere Wahl, da ich ein Bewerbungsschreiben per Mail versenden musste…
  • Wie ich mich fühle? Langweilig. Langweilig. Langweilig…
  • In der Schule habe ich mein Handy nicht benutzt. Am Nachmittag musste ich Musik hören. Musik ist sehr wichtig für mich…

Bei aller „Logik“ dieser Antworten: das Problem ist langsam im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen. Es ist sicher müssig, sich darüber auszulassen, welche Art von Sucht nun die Schädlichste im lusteren Reigen ist. In jedem Fall geht es immer um den Verlust von Eigenständigkeit. Jede Sucht ist gewissermaßen eine selbst auferlegte Freiheitsstrafe.
Die Abhängigkeit ist in jedem Fall das zentrale Thema. Ob es ein Stoff ist oder ein psychischer oder sozialer Faktor: die Folge bleibt immer gleich: Bindung und Abhängigkeit.

Die Präventionsmaßnahmen oder die „Suchtbekämpfung“ sehen jedenfalls sehr unterschiedlich aus. In vielen Fällen werden weniger die eigentlichen Wurzeln angegangen, als vielmehr ein „gemäßigter Umgang“ mit den Mitteln angestrebt. Aber eben, was heißt gemäßigt? Kann ein Süchtiger überhaupt mäßigen? Oder ist es eben nicht gerade das Überschreiten des gesunden Maßes, was die Sucht erst ausmacht? So oder so, das Übel liegt wohl tiefer.

Natürlich gibt es nahe liegende Zusammenhänge zwischen Sucht und Psyche, zwischen Sucht und Depressionen, zwischen Sucht und Angst, Sucht und Psychose  usw. Man kann aber davon ausgehen, dass die Kernthemen überall tiefer liegen. Die moderne Gesellschaft ist keine Einheit mehr. Auf der einen Seite werden künstliche Gemeinschaften geschaffen, welche diese Einheit vortäuschen sollen (Staatenbünde, Interessengemeinschaften etc.), auf der anderen Seite zerfallen immer mehr die Grundelemente jeglicher Einheit bildender Faktoren, wie Gerechtigkeit, Toleranz, Achtung und Mitgefühl. Die Gesellschaft, so scheint es, ist global ausgebrannt, ist nicht mehr in der Lage, ihre Individuen mitzutragen, Hüllen zu bilden, oder meinetwegen auch ein Heimatgefühl, welches den Reiz von jeglicher Maßlosigkeit verhindern oder zumindest dämpfen könnte. In diesem Fokus steht die Sucht allerdings nicht alleine, sondern wohl jede Art von Überreaktionen, also auch jene von Gewalt und Kriminalität.

Was bleibt als Eindruck übrig?
Die oberste und wichtigste aller Kompetenzen zur Förderung eines gesellschaftlichen Bewusstseins steht und fällt mit der Persönlichkeitsentwicklung jedes Einzelnen. Nur wer sich in der Auseinandersetzung mit sich selbst erkennt, bildet neue soziale Fähigkeiten heran, die diesen Überreizungen entgegenwirken können… genau so stand es schon vor Jahrtausenden am Tempel zu Delphi: „Erkenne dich selbst“.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

RSS
Follow by Email
LinkedIn
Share
%d Bloggern gefällt das: