Glaube macht selig, Wissen ist Macht, Erleben Realität

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Vor einigen Jahren noch hätte ich Erkenntnis und Wissen über Glauben gestellt. Heute denke ich darüber nach, ob das wirklich so ist? Ganz im Sinne des letzthin geposteten Gedankens über die „Instabilität als Triebkraft„, ist es durchaus ratsam, immer wieder auch Grundsätzliches in Frage zu stellen…

Auf der Ebene des Wissens ist die Einsicht verhältnismäßig einfach. Hingegen aus einer tieferen Ebene heraus betrachtet, komme ich schnell ins Schleudern. Erkennen ist jedoch nicht nur mit Wissen verbunden. Wenn ich mir Dinge aneigne, Zusammenhänge analysiere und gedanklich durchdringe, habe ich etwas gewonnen. Ich schaffe damit Vorteile, die im beruflichen Alltag und für das gewöhnliche Leben wichtig sind. Im Raum der Gegenstände und der Formen fühle ich mich sicherer damit. Dabei geht es vor allem um das Zerstückeln der Welt in kleine und kleinste Teilchen. Etwas anderes kann ich mit dieser Art Wissen nie erreichen.
Der normale User eines Computers zum Beispiel sieht die Kiste, Maus und Tastatur und den Bildschirm vor sich. Er weiß, wie er das Ding zu starten hat und kann einige Programme bedienen, weil er weiß, wo er hinklicken muss. Der etwas „tiefer eingeweihte“ PC-User hat die Kiste schon auch mal von innen betrachtet. Er weiß, da gibt es ein Netztteil, ein Motherboard mit Sockel und Prozessor. Er findet vielleicht sogar die Speicherriegel und kann sie auswechseln. Er kann ein Laufwerk anschließen oder einen CD/DVD-Player. Oder vielleicht kennt er sich sogar mit Grafikkarten und Soundkarten aus.

Noch einen Schritt tiefer in die „Materie“ folgt ein User mit Expertenwissen. Der kennt jetzt die Sprache des Computers bis in die feinsten Tiefen. Er weiß, wie er mit den für den Laien skurrilen Zeichen einer Programmiersprache umgehen muss, weiß etwas über Java, C/C+-Programmierung, über Server, Apache, Linux usw. Und dann gibt es diejenigen, welche in die allertiefsten Innereien vordringen können, von denen der Normalsterbliche keine Begriffe mehr hat!

Dies alles ließe sich auch auf andere Bereiche des Wissens anwenden. Wo auch immer wir unseren Blick hinlenken: Immer geht es darum, die Teile zu zerkleinern um tiefer „in die Materie“ einzudringen. So können wir selbstverständlich auch in die Pflanzenwelt oder in die Tierwelt eindringen und uns darüber Gedanken machen, wie alles zusammengesetzt ist. Doch eines werden wir mit dieser Methode niemals herausfinden: das Leben selbst. Deswegen nicht, weil es nicht das Resultat oder das Produkt von Teilchen ist! Die Teilchenwelt lässt sich in die vielfältigsten Zusammenhänge hinein zerlegen und begreifen! Selbst in der Philosophie und in der Geisteswissenschaft kann man dies tun!

Erkenntnisse „höherer“ Art werden somit durch unser Denken entschlüsselt, ohne damit an das Wesentliche heranzukommen. Das Denken befähigt uns, Zusammenhänge zu schaffen. Aber dazu brauchen wir die Teile, aus denen die Zusammenhänge konstruiert werden! Haben wir die Teile, so können wir sie benennen (fehlt nur das geistige Band…). Es stellt sich da und dort ein Wort, ein Begriff ein. Die Begriffe füllen sich mit Vorstellungen. Die Vorstellungen wiederum haben einen subjektiven, persönlichen Charakter. Aber was ist denn dieses „Wesentliche“?

Je mehr wir uns den philosophischen Begriffen nähern, umso subjektiver sind diese Vorstellungen geprägt. Deshalb ist das Wissen wohl wenig geeignet, geistige Zusammenhänge zu finden, die einen objektiven, allgemein gültigen, für den Wissenschaftsanspruch „wahren“, Charakter haben!

Also macht doch nur der Glaube selig?
Von diesem Standpunkt her betrachtet scheint es tatsächlich so zu sein. Wenn wir nicht noch das hätten, was ich „Erleben“ nenne. Das einzige, was in der Realität stattfindet, ist das Erleben! Dies können auch Gedanken sein, auch sie können erlebt werden! Von dem Augenblick an, wo ich in das Erleben der Gedanken eintauche, stellt sich ein neues Bewusstsein ein. Denn das Erleben ist zugleich ein Wahrnehmen der Gegenstände (und auch Gedanken sind Gegenstände!). Gedanken und Gefühle können ebenso wahrgenommen werden, wie Steine, Bäume, Menschen!

Damit verlassen wir aber unsere Bindung an den Inhalt des Gedachten. Dies, obwohl wir Gedanken bilden. Wir schaffen dadurch eine neue Realität, die tiefer mitschwingt. Das ist das Erlebnis dessen, was alles trägt, die Erfahrung des Lebens selbst! Diese Erfahrung macht den Gedanken nicht etwa wertlos, sondern gibt ihm, im Gegenteil eine grössere Kraft, eine tiefere Dimension, macht ihn wesentlich.

Die Gebundenheit bewirkt, dass sich mein Selbst an den Inhalt klammert, sich damit – ein abgedroschenes Wort inzwischen – identifiziert. Dennoch bleibt der Inhalt eine Wegmarke, führt und leitet unser Tun. Aber dieses Tun wird damit reifer, gegenwärtiger und intensiver! Die neu gewonnene Tiefe, fördert zugleich einen anderen Bewusstseinszustand zutage. Manche Menschen schöpfen aus dieser Kraft heraus neue Erkenntnisse, welche sie „Glauben“ nennen. Damit ist eine Gewissheit der Erfahrung verbunden, für die sie keine Worte haben, weil es für solche Erlebnisse in unserer Sprache keine Worte gibt. So betrachtet wird auch dieser Begriff von (meinen) alten Vorstellungen ein wenig geläutert…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Warum ich keine Quadrate male…

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Wenn ich eine grosse, weisse Fläche vor mir habe, bin ich inspiriert, sie zu füllen. Irgendetwas in mir verspürt Lust, Farben zu nehmen, Flächen zu malen, Linien zu malen. Aber was ist dieses Irgendetwas, was mich leitet, mir Begeisterung einflösst, mich quasi mit Energie versorgt? Diese Frage stellte ich mir letzthin. Und ich fragte mich, warum ich eigentlich keine Quadrate male?

Verstehen Sie mich nicht falsch, es ging bei der Frage nicht explizit um Quadrate. Sie sind nur ein Synonym für vieles, was ich nicht male, nie malen würde, weil „es“ mich nicht lockt, nicht begeistert. Da ist es wieder, ein geheimnisvolles „es“, was mich lockt oder nicht, zu malen, kreativ zu sein, den Ton zu gestalten.

Deshalb soll das Quadrat nur als Beispiel für etwas stehen, was ich den „Verstand“ nenne. Denn ohne den Verstand werde ich niemals Quadrate malen können. Deshalb nicht, weil dieser Verstand mir sagt, wie die Form aussieht, die ich malen soll, dass sie rechte Winkel hat und vier gleichlange Seiten. Das müsste ich erst mal hinkriegen und dazu bräuchte ich den Verstand. Es braucht mathematische Intelligenz. Zudem würde das Quadrat einer vorgegebenen Idee entsprechen, der Idee, der Vorstellung: Ich male jetzt Quadrate… oder andere geometrische Formen oder auch andere vorgegebene Figuren, die ich mir zum Vornherein, bevor ich überhaupt den Pinsel berührt habe, in den Kopf gesetzt habe. Habe ich dann den Pinsel in der Hand, „weiss“ ich ja schon ganz genau, was zu tun ist! Es gibt keine andere Möglichkeit mehr. Was folgt, ist bestenfalls „Technik“, Beherrschung des Materials, des Werkzeuges. Jede Abweichung würde mich in eine Krise versetzen, weil es nicht ganz genau so aussieht, wie ich „es mir vorgestellt habe“.
Also bestünde die Kunst darin, sich etwas vorzustellen und es dann „ganz genau“ auf dem Papier, oder sonstwo, umzusetzen? Folgt man den Kunsthäusern der Gegenwart, müsste man bei sehr vielen Dingen davon ausgehen…

Quadrate malen hiesse also, zum Vornherein wissen, was ich male und es danach so gut wie möglich zu realisieren! Das ist ganz genau unser normaler Weg, zum Ziel zu kommen: Wir machen uns ganz viele Gedanken, setzen alles im Geiste zusammen bis „es stimmt“, oder haben ab und zu auch „Spontaneinfälle“, und schreiten dann zur Handlung über, entweder bewusst, wissend, was wir tun, oder eben spontan, aus dem Affekt usw.

Was bei mir im Alltag in der Regel auch so funktioniert, und manchmal durchaus sinnvoll ist, funktioniert beim Malen, beim modellieren usw., nicht mehr. Würde ich es genauso machen, so verginge mir definitiv die Lust dazu. Es gäbe nichts, was ich dem Endergebnis hinzufügen oder wegnehmen könnte, ich würde ganz und gar von einer Idee, von einer Vorstellung gelenkt und müsste dieser dienen, bis alles so ist, wie ich es mir vorgestellt habe.

Gerade hier setzt bei mir die Lust ein, den Verstand beim malen auszuschalten, die Vorstellungen ganz zurückzunehmen, ganz gegenwärtig zu werden, mit all meinen Sinnen, mit dem Denken und Fühlen, und einer anderen Stimme in mir zu gehorchen. Tiefer zu gehen, als dies der Verstand, die normale Intelligenz vermag. Dieses „Es“ wird dann aktiv, beginnt, mich zu leiten, in mich zu fliessen und mich zu führen. Ein Quadrat wird dabei niemals entstehen können, weil die Linien schon vom ersten Moment an eine andere, nicht vom Denken geleitete Richtung einnehmen. Meine Hand lässt sich jetzt nicht mehr vom Kopf her leiten, sondern beginnt, dieser „inneren Spur“ zu folgen. Auch die Flächen, die ich meistens bei grossen Bildern mit der Hand, mit Putzfäden, auftrage, beginnen innerlich zu vibrieren, diesem lebendigen Strom zu folgen, beginnen sich im Raum auszudehnen und zu füllen. Farben über Farben, Linien über Linien folgen so einem eigenen Gesetze. In guten Momenten bin ich dann erfüllt von einem hellen und klaren inneren Licht, einer Art Begeisterung und Freude, die nicht etwa träumt oder gar schläft, sondern noch bewusster ist, als sonst, noch bewusster, als der normale, alltägliche Verstand. Es entsteht das Gefühl eines Verschmolzenseins mit dem Bilde, mit den Farben, den Linien, den weissen Flächen. All dies dehnt sich sogar darüber hinaus und kann einige Stunden anhalten…

Solche Erlebnisse habe ich nie, wenn ich mir etwas bestimmtes vornehme und um die exakte Umsetzung meiner Vorstellungen ringe…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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