Illusion der Sicherheit

Sonne

„Das eigene Selbst ist gut versteckt; von allen Goldminen ist die eigene die letzte, die man ausgräbt“ (Friedrich Nietzsche)

Erinnern Sie sich noch an Kobe? Oder an Haiti? Vielen Menschen entschwindet sogar das Erdbeben von Neuseeland, dem jüngsten vor Japan, wieder langsam aus dem Gedächtnis. Für direkt Betroffene ist das natürlich anders. Unmittelbare Betroffenheit wird sich wohl erst nach vielen Jahren, im ganzen Leben oder sogar über Generationen hinweg, wenn überhaupt, langsam legen! Das, was die Welt daran wahrnimmt, hat aber eine sehr geringe „Halbwertszeit“.

Medien können heute mit rasanter Geschwindigkeit Informationen verbreiten. Aber ebenso schnell verflachen die Erinnerungen, sobald sich diese wieder anderen Themen zuwenden. Es herrschte z.B. bei der Katastrophe von Japan, in der ganzen Welt spürbare Betroffenheit. Dies umso mehr, als man etwas zu verlieren scheint, was man, zumindest seit den 50er Jahren, gewohnt war und was seither zu einem der wichtigsten Lebensmaximen in der Gesellschaft geworden ist: Die Sicherheit!

Die Tendenz, alles versichern zu wollen, steigt. Wir wollen Sicherheit bezüglich unserer Finanzen, Sicherheit bezüglich unserer Beziehungen, Sicherheit in Wohnsituation, am Arbeitsplatz. Doch die feste, unkündbare Beamtenstelle ist schon seit einigen Jahren nicht mehr vorhanden. Die Lage ist instabil geworden, das haben jetzt wohl auch die letzten Zweifler begriffen. Es gibt keine Sicherheit mehr! Selbst unsere leibliche Sicherheit droht in Gefahr zu geraten. Atomkraftwerke, welche bersten und alles verseuchen, Ölkatastrophen, die unsere Gewässer verschmutzen. Das ganze Natursystem scheint aus dem Gleichgewicht zu geraten. Menschen sterben zu zehn-, zu hundert-tausenden – oder gar zu Millionen in dieser Welt. Ihr Schicksal wird in Kriegen oder solchen erwähnten Katastrophen besiegelt.

Und wir? Sind wir noch in Sicherheit? Was ist denn Sicherheit? Auf welche Faktoren stützten wir uns ein Leben lang? Woher nehmen wir die Kraft, wenn diese Stützen fallen? Gerade jetzt wird diese Frage brennender denn je! Wir waren es nie gewohnt, nach innen zu schauen und unsere eigenen Ressourcen aufzudecken. Zu sehr waren wir um den materiellen Wohlstand besorgt. Wenn ich jetzt nach außen schaue, wie sich alles bewegt, verwandelt und erschüttert wird, dann sehe ich kaum mehr Hoffnung oder Licht. Für viele Menschen auf dieser Welt wird es nie mehr so sein, wie vorher. Der Zusammenhang in der Gesellschaft ist so komplex und vernetzt, dass wir auch nicht mehr so locker ans andere Ende der Welt blicken können, via Spendengelder ein paar Franken abgeben, das Gewissen damit beruhigen und die Sache damit abhaken können.

Für mich stellt sich die ganz grosse Frage: Wieviele Erschütterungen muss es noch geben, bis wir endlich aufwachen! Es war in den letzten 50 Jahren nicht notwendig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Mal abgesehen von der Ölkrise in den Siebzigern, haben wir in den letzten Jahrzehnten kaum Anlass gehabt uns die Frage nach dem Sinn unseres Lebens zu stellen. Der Sinn bestand darin, dass man sein Einfamilienhaus bis zur Pensionierung abbezahlt hatte. Oder dass man sich alle Dinge leisten konnte, um ein angenehmes Leben zu leben: Genung zu Essen hatte, gesunde Kinder, den Hund, vielleicht die Ferien in der Karibik und einige Extras obenddrauf. Heute scheinen sich diese Werte langsam zu verwandeln, die Krise weicht alles auf und setzt es in Relation zum Gewesenen.

Sind wir denn nur diese „Selbstheit“, die sich als „Merkmalsidentität“ (Begriffe von Winfried Wagner) an den äußeren Dingen orientiert? Oder sind wir vielleicht doch etwas mehr? Macht es einen Sinn, das Leben nur an die äußeren Werte zu binden, wenn man sich als zweibeiniges mit Fleisch behangenes Skelett ein Leben lang daran orientiert, wie man nach außen wirkt, um 70 oder 80, vielleicht auch 90 Jahre später wieder dem Erdboden gleich gemacht zu werden?

Erschütterungen sind gut dazu, um uns aufzuwecken! Wir sind nicht nur diese „Merkmalsträger“, sondern haben, wenn wir nach innen schauen noch eine andere Erfahrung: Unser Selbstsein! Die Katastrophen bringen uns näher an diese Fragen und es ist wichtiger denn je, diesem inneren Wesen nachzuspüren! Man muss alle Kraft verwenden, um in den bedrohten Gebieten Leben zu retten und uneingeschränkt alle äußeren Hilfsmittel nutzen, um andern Menschen zu helfen! Es nützt nichts, wenn wir nur hinter den Räucherstäbchen sitzen und stundenlang meditieren, ohne den grössten Wert auf die Hilfe nach außen zu pflegen! Wenn wir uns besinnen, wie viel Potenzial in uns steckt, welche Ressourcen brach liegen, nur weil wir ein Leben lang den Schein statt das Sein pflegten, dann merken wir, was wir verpasst haben.

Diese Kräfte sind da und es ist unsere Aufgabe, sie zu ent-decken. Dazu muss man nicht den ganzen Tag meditieren. Meditation ist nicht eine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Qualität! Ich nenne sie Geistes-Gegenwart. Der erste Schritt ist die Einsicht, dass wir nicht durch unsere Außenwelt bedingt sind, sondern durch uns selbst.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Müssen wir wirklich „umdenken“?

mato | bild
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Der Spruch ist in aller Munde und weitet sich in der Politszene epidemisch aus: die Menschheit müsse „umdenken“! „Umdenken“ ist im Grunde ein Unwort! Der Literatur Professor Peter von Matt sagte vor kurzem in einem Interview in der basellandschaftlichen Zeitung: „…und hoffnungslos ist nur die Erwartung, dass die ganze Menschheit umdenken soll!“ Es war ein Gespräch über „Das Buch gegen den Tod“ von Elias Canetti. Die Aussage bringt mich dazu, nicht, „um“, aber nachzudenken.

Aus der Perspektive Canettis kann ich es nicht beurteilen, aber mit Sicherheit aus meiner – insofern ich ein freier Mensch bin… Nur, bin ich frei? Bin ich frei, wenn ich mich entschließe, den Kapitalismus durch den Sozialismus zu ersetzen? Gut, ich kann „einsichtig“ werden und plötzlich kapieren (durch umdenken), dass der Kapitalismus einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Kann durch irgendwelche Lebensumstände, die in mir eine soziale Ader weckten zum Sozialisten werden. Insofern beginne ich vielleicht schleichend damit, „umzudenken“…

Der Aufruf des Umdenkens alleine bringt aber noch absolut keine Veränderung mit sich! Denn das „Umdenken“ ist immer Folge einer inneren Umwandlung; meist einer rein persönlichen Umwandlung. Der Ansatz muss also immer in dieser Kraft der Umwandlung liegen. Nur, wie wandelt man Massen um?! Allein durch Argumente, durch Überzeugung?

Meist geschieht dies so: Entweder durch (Massen-) Beeinflussung mit genialen Werbemethoden. Und sonst? Durch Überzeugung? Das ist deshalb so schwierig, weil fast jeder Mensch eine andere, nämlich seine eigene, persönlich zusammengezimmerte Überzeugung mit sich herum trägt. Und weil er diese vehement zu verteidigen sucht, um sein Gesicht nicht zu verlieren, wird dies ein äußerst schwieriges Unterfangen.

Man kann davon überzeugt sein, dass soziales Denken etwas positives ist! Schon auf der nächsttieferen Stufe der Diskussion, wenn es um die reale Umsetzung dieser Ideen geht, werden sich vielfältige Meinungsverschiedenheiten zeigen. Wir werden es ohne dezente oder penetrante Werbemethoden nie schaffen, Massen von etwas zu überzeugen. Es braucht immer eine gewisse Konzentration der Gedanken oder besser Vorstellungen. Bilder müssen geschaffen werden, die sich einbrennen, die uns emotional berühren; eine Art „Schlag-Zeile“ oder ein „Königsargument“, welches viele mit „ins Boot“ holt und entsprechend positiv vermarktet wird. Das ist es, was es braucht. Wenn jemand eine sogenannte  „gute Idee“ hat, dann muss er zur Umsetzung sehr viele Menschen finden, die diese Idee auch gut finden! Aber schon in der Anfangsphase seiner Initiative wird er schnell merken, wie schwierig das ist! Wie viel Arbeit des Überzeugens steckt dahinter!

Viele sind sich einig, die Welt, so wie sie jetzt „funktioniert“, ist nicht gerade ein Musterbeispiel von Gerechtigkeit und Edelmut. Gewiss, manche bestreiten sogar dies. Diejenigen nun, die diese Einsicht aber haben, sind sich nicht einig, wenn es darum geht, etwas daran zu ändern. Das ist die Krux des ganzen „Umdenken“- Problems. Die Heilslösung sieht jeder aus einem anderen, oft ebenfalls nur persönlich erfahrenen, Blickwinkel. Und so bleibt sie, die Welt, halt weiterhin so, wie sie ist, wie sich die Sache nun einmal „eingespielt“ hat.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Drei geniale Schweizer

Gotthardpass
Gotthardpass

Schweiz, Anfang des 19. Jahrhunderts. Immer wieder gab es, wie auch in dieser Zeit, schillernde und herausragende Persönlichkeiten, die entscheidendes geleistet haben. Mag man heute dies oder jenes Urteil über diese Menschen haben, so muss man dennoch ihre großartigen, oft wagemutigen und selbstlosen Leistungen unverhohlen anerkennen. Damals gab es drei, die letzthin in Sat 3 vorgestellt wurden: Henry Dufour, Henry Dunant und Alfred Escher. Ohne den ersten gäbe es die Schweiz in der heutigen Form wohl nicht mehr. Der zweite lebte für eine Idee, die damals als vollkommen unrealistisch und idealistisch gegolten hat: Das „Rote Kreuz“. Und ohne den dritten wären der Gotthardtunnel und das Eisenbahnnetz, wie es heute noch besteht, sowie die internationale Anbindung der Schweiz, an den Rest Europas, wohl verloren gegangen.

Alle drei Männer haben sich gegen größten Widerstand und unter Gefährdung ihrer Gesundheit, oder gar ihres Lebens, für eine Sache eingesetzt. Und alle haben dabei den Ruhm ihrer Leistungen anderen überlassen müssen. Henry Dufour war Ingenieur, riss viele Mauern ab, plante und baute dafür sein Leben lang Brücken und vermass die ganze Schweiz, sodass auch heute noch erstklassiges Kartenmaterial vorhanden ist. Nach ihm wurde der höchste Berg Europas, die Dufourspitze, benannt. Er wurde zudem als Oberst der Tagsatzungsarmee, im Sonderbundkrieg 1847, als General eingesetzt. Dieser Krieg, der geprägt war von der Auseinandersetzung einer liberalen Schweiz gegen eine mächtige innerschweizerische, katholische Verschwörung, hatte das Potential, dieses Land zu zerreißen und anderen Mächten zu überlassen. Dass Dufour es schaffte, den Krieg zu seinen Gunsten zu entscheiden und sämtliche Sonderbundkantone kapitulierten, war nur aus seiner tiefen menschlichen Haltung seiner verfeindeten Brüder auf der anderen Seite gegenüber, zu verdanken. Denn er wollte mit seiner Kriegsführung möglichst wenig Blut vergießen, weil er sich selbst mit dem Feind menschlich verbunden fühlte. Sein oberstes Ziel war die Wiedervereinigung aller Kantone und somit der Weiterbestand der Schweiz. Selbst gegen den größten Widerstand seiner eigenen höchsten Offiziere, hielt er Angriffsbefehle zurück, versuchte lediglich den Gegner sozusagen „Schachmatt“ zu stellen, ihn zu umstellen, so dass dieser kapitulieren musste. Dies gelang ihm in fast schon genialer Art und Weise. Nur wenige Menschen starben in diesem, nur wenige Wochen dauernden, Bürgerkrieg. Die Folge war nicht nur die Wiedervereinigung, sondern auch ein verstärktes Zusammenstehen aller Kantone. Als Folge gelang es 1848, aus dem Staatenbund einen Bundesstaat Schweiz zu begründen.

Der zweite, Henry Dunant, ebenfalls in Genf geboren, wie Dufour, wuchs in einer begüterten Familie auf und erlebte bereits in Algerien und später in Norditalien viel Leid, als Napoleon III in der Schlacht von Solferino mit den Franzosen gegen die Österreicher kämpfe. Dunant kam dort in ein Lazarett und erlebte, wie von Kanonen zerrissene Soldaten und Zivilisten beider Kriegsparteien, um ihr Überleben kämpften. Er pflegte und unterstützte, unter schwersten Bedingungen, den Arzt, ohne jede medizinische Kenntnis, jedoch mit größter menschlicher Anteilnahme. Seine Briefe und Berichte, die er einer Freundin in Genf schickte, verbreiteten sich mit deren Hilfe schlagartig über die Genfer Presse in alle Welt, sodass das Tabu unmenschlichster Kriegsführung gebrochen wurde und ans Tageslicht kam. Dunant erntete nicht nur Unmut, sondern geriet in größte Not, und dies nicht nur von Seiten der Feinde, sondern auch von vielen Freunden und von seinen Familienmitgliedern. Sein Vorgehen war für diese so etwas, wie ein politischer Verrat. Gegen die größten Widerstände schrieb er ein Buch, welches schnell in ganz Europa gelesen, ebenso gelobt, wie auch zerrissen wurde. Um die Verletzten aus dem, nun noch stärker von den Franzosen kontrollierten, Lazarett zu bringen, zeichnete er mit seiner blutverschmierten Hand ein großes rotes Kreuz auf die weißen Laken der Kranken. Dunant verstand das Lazarett nie als Gefangenenlager, sondern als Krankenlager für Menschen in Not, egal, welcher Kriegspartei sie angehörten und er konnte nicht verstehen, dass man keine Mittel zur Hilfe bereitstellen wollte. Mit diesem Blutkreuz auf weißem Leinen als Fahne, ritt er mit einem Zug Kriegsverletzter, Pflegern und Zivilisten, voran, und durchquerte so die heißen Feuergefechte einer tobenden Schlacht. Beide Parteien stellten ihre Waffen sofort beiseite als sie die sich nähernde Kolonne mit den roten Kreuzen, dem christlichen Symbol beider, sahen und ließen die Menschen passieren! Aus dieser waghalsigen und wagemutigen Initiative entstand nach langen Wirren und Diskussionen schließlich das internationale rote Kreuz, als kriegsneutrale Organisation, welche von allen Staaten Europas unterzeichnet wurde.

Alfred Escher schließlich, der dritte im Bunde, war von der Idee befeuert, einerseits die von den Alpen getrennten, schweizerischen Regionen miteinander zu verbinden. In ganz Europa entstand in jener Zeit ein großes Netzwerk von Eisenbahnen.  Die Schweiz drohte mit seiner einzigen Linie (von Baden nach Zürich), langsam aber sicher, ins Abseits zu geraten. Wozu brauche man denn Eisenbahnen, beschwor vor allem wieder die ländliche Bevölkerung. Bauern und Konservative stellten sich massiv dagegen und verstanden nicht, was ihnen das Ganze bringen würde. Escher kämpfte, mit seinem damaligen Tessiner Freund, Bundesrat Stefano Franscini, um die Idee einer Verbindung vom Norden in den Süden der Schweiz und damit einer Verbindung, die die Schweiz wieder ans internationale Netz anbinden konnte. Es sollte der längste Tunnel der Welt werden! Escher war überzeugt von der Möglichkeit der Realisierung seines Projektes und konnte schließlich auch das Parlament in Bern davon überzeugen. Den Zuschlag erhielt ein gewisser Louis Favre aus Genf. Der versprach, das Projekt in 8 Jahren und zum tiefsten Preis aller Gebote, zu realisieren. Zuvor entstanden schon andere wichtige Bahnverbindungen im Land, für die sich Escher einsetzte. Escher wollte bezüglich Gotthard nicht von ausländischen Banken kontrolliert werden und gründete, ohne jede Kenntnis des Bankenwesens, in Zürich am Paradeplatz, eine kleine Bank. Auch eine Versicherungsanstalt stellte er eigens dafür auf die Beine. Beides, um die Fäden einer später gegründeten Gotthardgenossenschaft, in den landeseigenen Händen zu behalten. Sowohl die Bank, wie auch die Versicherungsgesellschaft  entwickelten sich bis heute zu weltweit renommierten Institutionen mit Namen „Credit Suisse“ und „Swiss Re“. Auch Escher musste später im Alter zusehen, wie ihm das Projekt aus den Händen glitt. Zum einen, weil sich Favre in den Kosten verschätzt hatte, was dann fast zum Stillstand des Projektes führte. Und zum anderen, weil dieser kurz darauf, an Herzversagen, verstarb. Der Bau konnte in letzter Not und nur dadurch weitergeführt werden, weil sich Alfred Escher, mit Druck von aussen, erst aus der Bank und dann auch aus dem Präsidium der Gotthardgesellschaft zurückgezogen hatte. Die Einweihung seines Lebenswerks fand schließlich ohne ihn statt. Er wurde nicht dazu eingeladen! Bundesrat Emil Welti, dem Escher selbst zu seinem Amt verholfen hatte, erntete stattdessen die Lorbeeren.

Die drei biografischen Skizzen haben bei mir einen extrem starken Eindruck hinterlassen. Wie auch immer das politische Urteil dieser Männer aussehen mag, es gibt Dinge, die ich jenseits der Grenze des Beurteilers anerkennen muss. Das eine ist die hohe moralische Kompetenz und das Eintreten für eine menschlichere Welt, welche von allen drei Männern gelebt wurde. Und das andere ist die Fähigkeit, sich in ein Fachwissen und in Verhältnisse einzuarbeiten, auch wenn man darin keinerlei Vorkenntnisse hatte. Sowohl Alfred Escher, wie auch Henry Dunant hatten in den Projekten, für welche sie all ihre Kraft und, man kann wohl sogar sagen, ihr Leben opferten, keinerlei „Professionalität“! Beide arbeiten sich „nur“ aus der Kraft der Begeisterung heraus in die Thematik ein. Sie schufen letztlich Werke, die ihren Einfluss bis in die Gegenwart nachhaltig prägen. Auch Henry Dufour war nicht als General ausgebildet worden. Er erlangte dieses Amt als Oberst einer Milizarmee. Als Ingenieur war er in einem ganz anderen Bereich ein „Profi“. Und dennoch zeigte er in der besagten Situation geniale Fähigkeiten.

Was mich in diesem Zusammenhang insbesondere immer wieder beschäftigt, ist die Frage nach der Bildung. Man beschwört gerne immer wieder die notwendige „Professionalität“ und beharrt in der Beurteilung auf angelernten, studierten, schulischen Kompetenzen. Nur solche Fähigkeiten können, so sagt man, darüber entscheiden, ob jemand imstande ist, eine Aufgabe, was immer es auch sei, zu erfüllen.

Es gibt noch viel mehr Beispiele, als die drei angeführten, die belegen könnten, dass solche Professionalität auch ein Hemmschuh sein kann, um zu wirklich genialen Lösungen zu kommen. Alles, was ich mir an Inhalten aneignen, einstudieren und anlesen kann, mögen wichtige Bausteine und Fertigkeiten sein. Wie oft ist es jedoch so, dass wir im Schulalltag schlicht zu wenig Motivation verspüren, um die nötige Tiefe des Erlernten auszuloten. Umgekehrt kennen wir alle wohl die Situation, wie schnell man lernt, wenn man mit Feuer und Interesse bei einer Sache ist. Die Titel, die wir, oft stolz, durch unser Leben tragen, haben oft nicht mehr wert, als dass sie Freischeine für manche hochdotierten Stellen bedeuten. Ob die Doktorarbeit selbst erdacht, oder bloß ein Plagiat ist, ändert daran auch nicht wirklich viel. Das Papier, welches meine Fähigkeiten ausweist, ist im besten Fall ein gutes Fundament, um in mein Berufsleben einzusteigen. Im Laufe der Jahre kommen Aufgaben an uns heran, die wir nie in einer Schule simuliert haben. Das Erlernte hilft in komplexen Themen oft wenig. Erst das Durchdringen der Aufgabe mit einem aus den Erfahrungen des Lebens geschaffenen Grundverständnis, öffnet die Tore für das Neue, Unbekannte. Eine Kraft, die Intuition genannt werden kann. Aus ihr gebiert die Genialität. Mag es noch so verschroben sein, wenn wir ein Loch durch 15 km Granit-Gestein bohren wollen, damit die Züge einst hindurch fahren können; nichts ist unmöglich, wenn es auch von den meisten Menschen im Vorfeld als verrückt bezeichnet wird.

Urs Weth, Autor von: Selbstreflexion als soziale Kernkompetenz und andere Bücher…

Glaube macht selig?

Glaube, WissenDer Weg von der Information hin zum eigenen Standpunkt ist mit vielen Hindernissen gepflastert. In der Regel werden Gedanken von außen aufgenommen und nur empfindungsmässig „kontrolliert“. Gedanken werden selten umgewandelt und zu Ende gedacht. Weil nun aber viele Informationen von außen mit einem rosafarbenen Mäntelchen daherkommen und in schöne Kleider verpackt sind, ist man nicht mehr geneigt den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.

Sowohl in der Politik, in der Werbeindustrie, in den Medien, kurz: überall wo man die Gunst möglichst vieler Menschen erwerben will, macht man sich deren Tugend der Massen zu nutzen: die Abstumpfung und Lethargie. Verpackung ist alles, Inhalt ist nix! Der grösste Mist wird verkauft, die hinterhältigsten Politiker gewählt, wenn der Wille nicht aufgebracht wird, Tatsachen auf den Grund zu gehen und ihnen auch ungeschminkt in die Augen zu schauen. Nur ist es kaum möglich, immer und zu jeder Zeit hinter alle Fassaden blicken zu können und alles zu hinterfragen. Man bekommt mit der Zeit so etwas wie eine „Empfindungsmeinung“.

Ich erfahre und erlebe sie in der Skepsis oder auch als dumpfe Zustimmung wieder. In vielen Fällen werde ich damit gute Erfahrungen machen. In manchen Fällen greife ich auch daneben. Jede Information, die mich berührt, erzeugt in mir zunächst Zustimmung oder Skepsis. Beide bilden sozusagen meine Arbeitshypothese für die Weiterverarbeitung. Sie kann eine gute erste Grundlage sein für alle erkenntnisbildenden Prozesse. Was danach folgt, ist eigenschöpferische Kraft. Der Erkenntnisakt geht immer durch die Gefühle hindurch bis er, wieder zurück in meinem Kopf angelangt, zur Meinung wird. Verfolge ich diesen Vorgang weiter zurück und frage mich, was liegt denn dem Glauben zu Grunde, so stoße ich zunächst immer auf ein Gefühl! Aber was ist die Grundlage des Gefühles? Gefühle sind Produkte meiner Erlebnisse und Erfahrungen.

Alles, was mich in meinem Leben berührt, was ich verarbeite und innerlich bewege (oder verdränge), bildet an diesen Gefühlen mit. Hinter all den Erfahrungen stehen meine Lebensumstände.

Wo wurde ich hineingeboren, in welche Kultur, in welches Land, in welche Stadt, welches Dorf, welche Landschaft. Was für Menschen umgeben/umgaben mich, prägen mit, trösten, plagen oder bilden, erziehen mich? Freunde, Bekannte, Eltern, aber auch Feinde: es entstehen Feindbilder. Vorlieben oder Neigungen formen mich, schmieden am Glück oder am Leid meines Lebens. Glaube Sie alle bilden an meinen Empfindungen, welche dann dumpf in den Untergrund tauchen und alles Verhalten und Beurteilen in meinem Leben mitbestimmen. Lebensumstände bilden an den Glaubensbekenntnisse.

Diese Lebensumstände sind eingeleitet worden durch die Geburtsumstände. Dahinein spielt die die Vorgeschichte der Geburt ebenso eine Rolle, wie auch der Verlauf der Geburt selber. Wer noch weiter zurück will, wird wieder auf das Problem des Dualismus stoßen und den Ursprung an verschiedenen Orten suchen. So werde ich als Materialist als einzige Bedingungen die Gene und irgendwelche biochemischen Prozesse akzeptieren, währenddem ich als spiritueller Mensch dahinter eine geistige Realität sehen kann. Dieser wird die Ursache des Glaubens letztlich ebenso gewiss als karmischen Ursprung definieren können wie der Materialist den seinen in den Genen und biochemischen Prozessen sucht.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wahrheit in der Politik

PolitikIn keinem anderen Gebiet ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit von so zentraler Bedeutung, wie in der Politik. Die Meinung des Volkes wird in der Demokratie von den gewählten Politikerinnen und Politikern in den Parlamenten vertreten. Dies wäre zumindest der Idealzustand der meisten westlich orientierten Staatsformen. Deswegen heissen sie ja auch Demo (Volk) -kratie (Herrschaft).

Der Prozess der Wahrheitsfindung in der Demokratie der vielfältiger Vorgang eines aktiven Volkes. Aus dem daraus entstehenden gemeinsamen Volkswillen werden jene Menschen gewählt, welche – im Idealfall – diesen bekundeten Willen am besten unterstützen. Dabei sind die diesem Prozess vorausgehenden Bekenntnisse der aufgestellten Personen und nicht etwa deren Taten von entscheidender Bedeutung. Je nach hierarchischer Stufe, wo sich diese Menschen befinden in ihrer politischen Laufbahn, hat man immerhin gewisse Anhaltspunkte über ihre, im Laufe der Amtsperiode umgesetzten Handlungen. Man kennt mit der Zeit deren Motive. Vorher aber ist man auf die Worte und Gedanken angewiesen, welche nach aussen vertreten werden.

Das Entscheidende sind aber, gerade in der Politik, die Taten und nicht die Worte!

Wegweisende Ideologen sind in diesem Gebiet allenfalls die Politikwissenschaftler und Experten. Sie liefern vielfach die Grundlagen für die Entscheidungen in den Schaltstellen der Macht. Diese Grundlagen sind für die allgemeine Masse eher undurchdringbar und undurchschaubar. Die Ergebnisse solcher Forschungen (oder Fachkommissionen) werden in die Tat umgesetzt: Seien es die Finanzexperten, die Geschichtsprofessoren oder andere wissenschaftlich, kulturell oder soziologisch tätige Experten. Entscheidungen von der Basis werden so grössten Teils umgangen.

Das alles hat eine gewisse Berechtigung, um die Qualität der Entscheidungen zu garantieren. Aber wie so oft gibt es auch eine problematische Seite dieser Umstände. Wie in allen vorher angesprochenen Bereichen wird auch hier die Autorität, das Vertrauen, auf wenige Personen reduziert und damit ein Machtpotential geschaffen. Ob dieses Machtpotential ausgenutzt wird oder nicht, liegt dann an der Vertrauenswürdigkeit dieser Menschen.

Wir können so die eine Seite der Problematik erkennen: Die beschriebenen Konstellationen sind sozusagen nur Diagnose der gegenwärtigen Sozialstrukturen. Die Frage steht im Raum: Was ist die Therapie? Welche Wege müssten wir beschreiten, damit auf lange Sicht hin das Dilemma von Glauben und Erkennen/Wissen gelöst werden kann?

Im Allgemeinen wird das Problem der vermeintlichen Unwahrheiten und Missverständnisse nicht beim eigenen Erkenntnisvorgang gesucht, sondern alleine am Inhalt . Anstelle von vorhandenen Dogmen werden dann neue herangeholt, von denen Mann/Frau noch grösseres Heil erwarten. Mit anderen Worten: Es wird oft erkannt, dass man bisher nur noch nicht zum „rechten Glaubensinhalt“ gestoßen sei und man deshalb nur weitersuchen müsse. So stützt man sich also nicht auf die eigene Erkenntnisfähigkeit, sondern auf ein in der Zukunft gerichtetes Ereignis, welches von aussen den entscheidenden, „richtigen Inhalt“ an uns herantragen soll.

So löst ein Glaubensbekenntnis jeweils ein anderes ab. Und das gilt genauso in der Politik. Das System der Parteien mag viel Positives gebracht haben in den vergangenen Jahrhunderten. Ebenso gewiss kann man sagen, dass sich die Fronten der verschiedenen Meinungen hinter den Bollwerken der Parteien zunehmend verhärtet haben. Jeder Parteiangehörige erachtet sein Parteiprogramm als die Lösung aller Probleme. Er identifiziert sich mit seinen Inhalten. Könnte er sich nicht identifizieren, würde er nicht beitreten.

Wir haben also den etwas merkwürdigen Fall, dass viele Menschen sich an eine einheitliche Partei- oder Religionsmeinung anklammern und diese nach aussen vertreten, obwohl sie damit ihre individuellen Möglichkeiten einschränken müssen. Dies tun verschiedene Menschengruppen in verschiedenen Parteien mit den jeweils gleichen, unverrückbaren Überzeugung. Die vorgegebenen Inhalte lassen nur wenig Spielraum für die eigenen individuellen Taten zu.
Das so konditionierte Gehirn passt sich allmählich den Inhalten an. Die Hirnwindungen falten sich sozusagen nach dem Parteiprogramm um und entfremden den inneren Wesenskern seines Trägers vom äußeren Vorzeige-menschen. In Konfessionen, Parteien, Gruppierungen aller Art besteht diese Gefahr gleichermaßen solange, bis sie erkannt wird.

Man kann die Sache auch umgekehrt anschauen und es so ausdrücken: Gerade der Umstand, dass dieses oder jenes Programm so oder so geartet ist, hat angezogen, weil es dem eigenen Denken vermeintlich nahe liegt. Man überschätzt indessen die Kraft von Partei- und anderen Programmen gewaltig. Bedenkt man, wie flexibel unser Gedankenleben sein kann/könnte und wie sehr sich die Gedanken entwickeln können im Laufe eines Lebens, dann müssen uns solche vorgefertigten Muster eher behindern als fördern! Das gebunden sein an äußere Inhalte reduziert jede Entwicklungsmöglichkeit. Dort ist Veränderung träge oder gar nicht möglich, weil die so geformten Inhalte verständlicherweise viel weniger beweglich sind. Es gibt Grundmaximen, die uns ein Leben lang begleiten wie z.B. jene nach sozialer Entfaltung, kulturellem Bestreben oder Gemeinschaftsbildung. Es ist sicher so, dass gerade Parteiprogramme viele solche grundlegende Maximen beinhalten und dabei viel Spielraum für die eigene Entfaltung belassen (könnten). Das Grundproblem, die Grundfrage bleibt jedoch bestehen: Wie kann man Brücken bauen zwischen den verschiedenen Ideologien, Religionen, Parteien, Weltanschauungen! Und an diesem Punkt ist man wieder bei der Frage nach der Wahrheit angelangt. Gibt es einen Ort, einen Standpunkt, von dem aus sich die verschiedenen Meinungen verbindend betrachten lassen? Ein immerwährendes Thema in diesem Blog… und einer Frage, der auch mein Buch ¨über Selbstreflexion nachgeht…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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