Liebe kennt keine Kontrolle

LiebeKontrolle ist die Abstimmung eigener Inhalte/Vorstellungen/Gedanken/Gefühle mit anderen Inhalten: Mit jenen von Freunden, Bekannten, von Zeitungen Medien, Büchern usw. Sind sie kompatibel mit den eigenen, werden sie angenommen, sind sie damit nicht kompatibel, werden sie abgelehnt.
Mag etwas krass formuliert sein, gewiss, ist aber dennoch die alltägliche Praxis unserer Begegnungen und Konfrontationen im sozialen Umfeld. Lob den Ausnahmen kann ich hier nur sagen!

Der streng katholische Christ, der sich plötzlich in der Mitte seines Lebens der buddhistischen Lehre hingezogen fühlt, wird bald geneigt sein, ständig solche inneren Abgleichungen mit dem früher gelebten vorzunehmen. Jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl in ihm werden bewertet und abgeglichen. Wird ein Bezug zu seinem „alten Denken“ festgestellt, so wird korrigiert. Bemerkt man’s selber nicht, wird man oft von Gleichgesinnten darauf angesprochen. Dies bedingt Kontrolle. Dasselbe kann dem politisch konvertierten Genossen geschehen, wenn er durch irgendeine äußere Begebenheit die Parteizugehörigkeit gewechselt hat, ganz unter dem Motto: Kontrolle ist besser als Vertrauen.

Jegliche Verhaftung hat die Tendenz, kontrolliert werden zu müssen.
Das heißt, wir haben die unrühmliche Tendenz, einmal gewonnene Einsichten stets mit den alten oder früher gemachten abzugleichen und/oder zu korrigieren. Alte Verhaftungen werden zwar immer wieder gelöst durch die eigene seelische Entwicklung, die fast jeder/jede in irgendeiner Art und Weise wohl anstrebt. Aber sie werden in der Regel lediglich durch neue ersetzt. Dies bedingt die stete Kontrolle und Selbstkontrolle um das System aufrecht zu erhalten.

„Selbstbeobachtung“, wie ich sie immer wieder erwähne in meinen Aufsätzen und Büchern, hat niemals den Charakter der Kontrolle. Kontrolle bedarf der Vorstellungen. Sie sind Kopfsache. Wenn wir uns jedoch den Verhaftungen mit den Gedanken entziehen wollen (was notwendig ist, um ein freies Ich in uns zu entdecken),  dann müssen wir eine neue Bewusstseinsebene außerhalb des Denkens finden. Das hat nichts zu tun damit, das man nicht mehr denken soll! Die Ebene des inneren Beobachters kann aber nicht wieder eine denkende sein. Nicht Denken über das Denken ist also gemeint, sondern reines Beobachten des steten Gedankenstroms.

So erst werde ich mir einer anderen Instanz – dem freien Ich – gewahr. Das heisst, ich beobachte das „Wesen“ /“Teilselbst“, (Voice dialogue/Transaktionsanalyse usw.), welches im Gedanken wirksam und gegenwärtig ist. Das kann nicht wieder ein Gedanke sein, aber es bleibt dennoch eine Form von Bewusstsein. Und es ist ein liebendes Bewusstsein, denn es urteilt nicht, verurteilt nicht, beurteilt nicht und – kontrolliert nichts. Dennoch ist es stärker als das „Gedankenwesen der Teilselbste“. Es hat die Kraft und die Macht, sich jederzeit, jedem Gedanken – und damit auch jedem Gefühl, „guten“ wie „schlechten“ – zu entziehen, weil es erkennend ist. Dies geschieht  durch die Liebekraft in uns.

Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. (Paulus 1. Korinther 13)

Damit sind wir aber außerhalb jeglicher Konformität, jeglicher Konditionierung und jeglicher Dogmatik. Und außerhalb jeglicher Konfessionen oder Weltanschauungen. Dieser freie „Gesichtspunkt“ vereinigt alles durch die Kraft der Liebe.
Wer liebt kontrolliert nicht und wer kontrolliert, der liebt nicht.
In diesem Zustand ist es nicht mehr wichtig, welchen Namen unsere Lehre hat…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Lob des Denkens…

…mit gedanklichen Einwänden

DenkenZuweilen wird gestritten, ob das menschliche Denken nicht mehr zerstöre, als es aufbaut. Es wird manchmal über die Intellektualität der westlichen Gesellschaft gewettert und deutlich gemacht, dass wir mehr menschliche Wärme benötigen und unsere Gefühle stärken sollen, anstatt alles zu analysieren und zu zerpflücken. Dabei gibt es sehr große Meinungsverschiedenheiten darüber, was denn Denken überhaupt sei… und alles dies, mit Verlaub, geschieht mit demselben Werkzeug, welches menschliche Kommunikation auszeichnet: dem Denken! Allein dies zeigt schon die Unmöglichkeit, das Denken streitig zu machen.

Wie auch immer die Einwände dagegen sind; sie können nur immer wieder durch Gedanken vermittelt werden. Sicher, das ist eine Binsenwahrheit und man kann sich darüber ärgern, dass das Denken zum Thema eines Artikels wird, zum wiederholten Male. Überhaupt, was will der ständig mit seinen Aufrufen zur Bewusstseinsentwicklung! Soll das doch mal etwas lockerer nehmen. Sich ein bisschen gehen lassen, gelassener werden. Einwände, die ich gelegentlich zu hören bekomme… es gibt doch so viele andere, schönere Geschichten. Zum Beispiel, wie drollig meine Katze sich wieder am Fußende meines Bettes wälzt. Oder der neueste Song von dieser oder jener Gruppe, auch schön. Vielleicht auch gerade nicht schön. Lässt sich doch so wunderbar streiten darüber, ob der Song nun schön ist oder nicht schön ist.

Auch andere Geschichten wälzen und belasten uns tagtäglich. Wir hören sie, sehen sie am Radio, im Fernsehen: Informationsfluten über Kriege, Schlachten, Mord und Totschlag, Einbrecher, Abzocker, Geldwäscher und andere üble Dinge. Sie nehmen uns in Beschlag und benebeln uns durch die Überfülle, das Zuviel (des Schlechten). Wie viel Leid können wir ertragen? 5 Kriege, 6 Abzocker, 3 Kindsmörder und sechs tragische Unfälle. Und dies alles in 15 Minuten Hauptnachrichten! Nur ein einziger Fall, der uns persönlich betreffen würde, genügte, um uns für Tage, Wochen, Monate in eine tiefe Krise zu führen…

Bei alledem fragt man sich schon, welchen Wert diese Informationsfülle hat? Was wir „Denken“ nennen, ist eben normalerweise nicht ein aktives, innerlich beteiligtes Verstehen wollen, sondern ein passives Hinnehmen von Bildern und Vorstellungsfluten, die (meistens) ungefiltert an uns herantreten. Unsere Wahrnehmung geht dahin und dorthin, streift durch die Schaufenster, Bildschirme und Objekte unserer Umgebung. Und gleichzeitig läuft innerlich, in uns, ein Film ab von Assoziationen und Erlebnissen: Dinge, die wir noch zu erledigen haben oder die wir hinter uns gebracht haben und die einen fahlen Nachgeschmack hinterließen. Dies alles füllt unser „Bewusstsein“ und lässt wenig Raum übrig für das Wesentliche! Über das, was hinter dieser Fassade eines getrübten Blickes lebt und seinen Anspruch an uns fordert, ein Leben lang. Jedoch von uns nicht gesehen wird, weil unser Blick dafür verdeckt ist…

Und alles nennen wir „denken“. Und die Forderung nach etwas Neuem, unentdecktem ist sicherlich nicht ungerechtfertigt! Aber deswegen das Kind mit dem Bade ausschütten? Wie sollen wir denn zu diesem Neuen finden, wenn wir das Denken einfach ausschalten? Wir können träumen oder schlafen, einerlei, da haben wir es tatsächlich ausgeschaltet. Manche nennen es Meditation. Was aber tun sie anderes, als mit herabgedämpftem Bewusstsein in den Tag hinein zu träumen.

Allein, das Verwoben sein, das verhaftet sein mit den Vorstellungen, die uns passiv ständig belagern, macht es uns unmöglich, hinter die Fassade unserer Persönlichkeit zu blicken. Aber hinter der Fassade lebt etwas in jedem Menschen, was er nie mehr missen möchte, wenn er es einmal „gesehen“ oder gefühlt, entdeckt hat!

Das Denken ist eine menschliche Kraft, die es uns ermöglicht, solche Wege zu beschreiten. Deshalb ist es nicht nur wichtig, sondern absolut unerlässlich. Das heißt aber nicht, dass das Denken selbst schon das Geistige ist! Es ist vielmehr eine Brücke zum Geistigen Ganzen in uns. Das Problem besteht im Erkennen dessen, was uns an Gedanken tagtäglich durchzieht. Die, ganze oder teilweise, Verhaftung mit den Vorstellungen und Bildern führt dazu, dass wir die Motive für unser Handeln nicht mehr erkennen können. Es gibt sicherlich Extremfälle, Affekthandlungen, die dies ziemlich krass dokumentieren und jedem verständlich machen. Das wird auch niemand abstreiten können. Aber sonst? Was geht das mich an? Ich habe doch alles im Griff? Sobald wir anfangen, ein wenig wacher zu sein in dem, was uns an Vorstellungen stets durchzieht, merken wir, dass es durchaus nicht so ist, dass wir „alles im Griff“ hätten. Schon die ersten Bemühungen in diese Richtung werden uns wachrütteln. Wären wir tatsächlich immer der eigene „Herr im Haus“, dann hätten wir keine Probleme mehr, die uns seelisch bedrängen würden. Die Statistik zunehmender psychiatrischer Leiden zeigt indessen etwas anderes…

Bereits in den ersten Kapiteln von Rudolf Steiners Einweihungsbuch mit dem etwas antiquierten Titel: „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“, steht, dass man versuchen soll, sich wie ein Fremder gegenüberzustehen. Im Prinzip läuft dies (zunächst) auf eine „Gedankenkontrolle“ hinaus. Das heißt, wir sollen versuchen, dadurch, dass wir uns selbst Inhalte schaffen, uns von den automatisierten Vorstellungen mehr und mehr zu lösen. Die Kraft, die dann erwächst, wenn man sich in solcher Art und Weise, wie von Steiner beschrieben, für eine Weile auf einen bestimmten Gedanken konzentriert, wird uns befähigen, später, wenn wir uns einige Übung darin erschaffen haben, auch diesen selbst geschaffenen Inhalt wieder wegzumachen. Und dann befinden wir uns in einem „geistigen Raum“, der nun nicht mehr am Gedanken „klebt“, sondern dahinter, darüber oder wie auch immer steht, ihn im Grunde, zeit- und „raumlos“, umfasst. Dass nun zu dieser Schulung eine Grundhaltung der Ehrfurcht und Achtung gehört, versteht sich fast von selbst. Das Wesentliche in solchem Erleben aber ist das betreten einer höheren Dimension, in der sich alles auflöst, was uns sowohl an die Vergangenheit wie an die Zukunft bindet. Es ist ein Zustand absoluter Geistes-Gegenwart…

Die Brücke, die das Denken schafft, ist das Hinweisen und Hinführen an diese Erlebnisse. Deswegen ist es nicht etwa wegzumachen oder zu verdrängen, sondern im Gegenteil, zu stärken! „Lob dem Denken“ also… und dies in gedanklicher Art und Weise… sei an dieser Stelle mein Credo!

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Artikel zum Anhören

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Das „heilige“ Feuer

FeuerflammeWie oft rennt man seinen täglichen Pflichten hinterher und bereitet sich durch ein blosses Aktion-Reaktionsverhalten viele selbst geschaffene Probleme und Konflikte. Dabei erlebe ich mich als Menschen in einer gewissen Abgeschlossenheit und Ratlosigkeit diesem Phänomen gegenüber. Die persönlichen Vorstellungen, die ich mir im Laufe des Lebens geschaffen habe spielen eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Rolle.

Vorstellungen sind der Motor des Agierens. Sie sind verantwortlich, ob Emotionen und Gefühle im Inneren wach, bedrängend oder befreiend wirken. Die Vorstellung löst einen Impuls im Gefühlsleben aus, welches meinen Willen antreibt und die entsprechende Handlung einleitet. Das ist Inhalt vieler Aufsätze dieses Blogs. Was hat das mit dem „inneren Feuer“ zu tun? Und warum nennt es C. F. Meyer „heilig“? Der Schweizer Dichter und Erzähler hat in einem Gedicht mit dem Titel „Das heilige Feuer“ einen Zustand des menschlichen Bewusstseins zu beschreiben vermocht, der sich über alltägliches erhebt. Ich frage mich, was dieser Erfahrung Meyers zugrunde gelegen haben mag und möchte seinem Erlebnis nachspüren.

Jeder kennt Vincent van Gogh und sein Schicksal. Er lebte in einer Welt, die sich nicht immer wohlwollend um ihn kümmerte. Er suchte sich künstlerisch und privat die schwierigsten Aufgaben aus, arbeitete z.B. längere Zeit als Prediger in den belgischen Kohlebergwerken unter ärmlichsten Verhältnissen und unter grösster Belastung seiner Gesundheit.
Aus einer Theologenfamilie stammend, wurde in ihm allmählich eine soziale Ader geweckt. Ein eifriger Kampf um das Gute in der Welt begann. Wenngleich dieser Kampf mit vielen persönlichen Moralvorstellungen verbunden war, wie aus seinen Augen eine „gute Welt“ auszusehen habe, suchte van Gogh als Künstler doch immer weiter. Er war ein Mensch, der sich nicht allzulange an einem Ort verweilen konnte. Das gilt physisch ebenso wenig, wie ideologisch.
Er tauchte ab in das, was man „Unterwelt“ nennen könnte, erlebte alle Facetten des Lebens, die man sich vorstellen kann. Und aus dieser leidenden und ringenden Natur seines Wesens heraus entstand in ihm der innere Drang zu malen! Farben! Er frass sie förmlich, berauschte sich an ihnen.

Aber Van Gogh war in den Augen der meisten Künstler seiner Zeit, alles andere als ein Talent! Er wurde von vielen Kollegen der damaligen Zeit verachtet, wurde als Stümper, als Dilettant gesehen ohne Zukunft. An Kunstschulen fand er keinen Zutritt, weil seine Werke und Zeichnungen deren Vorstellungen nicht genügten. Es fehlte an „Professionalität“ nach damaligen Massstäben, und, gemäss dem Urteil seiner Zeit, an Begabung. Van Gogh glaubte das schliesslich selbst auch. Und er litt sehr darunter!
In seinen Tagebüchern und Briefen gibt er diese Leiden eindrucksvoll an seinen Bruder Theo weiter: „In jenen Tagen der Mühle (er spricht von einem frühen Erlebnis mit Theo) – wie sympathisch mir diese Zeit auch immer bleiben wird – wäre es mir doch unmöglich gewesen, das, was ich sah und fühlte, aufs Papier zu bringen. Ich sage daher, daß die Veränderungen, welche die Zeit zuwege bringt, mein Gefühl im Grunde eigentlich nicht verändern, ich denke, daß es nur in einer anderen Form entwickelt wird. Mein Leben, und vielleicht après tout auch das Deinige, ist nicht mehr so sonnig wie damals, aber ich will dennoch nicht zurück, gerade weil ich infolge einiger Mühen und Widerwärtigkeiten etwas Gutes auftauchen sehe, nämlich die Fähigkeit, mein Gefühl ausdrücken zu können.“ (van Gogh Briefe, erster Teil, S. 596)

Das Leid, welches durch vermeintliches „Nichtkönnen“ entstanden ist, schmiedete an jener inneren Qualität des Charakters, welche ihn zum grössten Maler des vergangenen Jahrhunderts, ja bis in die Gegenwart hinein machte. Er gab entscheidende Impulse weiter, die, Jahre nach seinem Tod, ein neues Kunstverständnis weckten. Nicht das Talent und die bloße handwerkliche, (sogenannt professionelle) Fähigkeit waren also das entscheidende bei van Goghs Erfolg, sondern die Fähigkeit „Gefühle ausdrücken zu können“! Diese Fähigkeit verbindet sich mit einem Aspekt seines Inneren, welche über das Alltägliche Können und über das technische Knowhow hinausgeht. Es wird etwas geweckt, was normalerweise im Verborgenen bleibt. Deswegen konnte er auch die Motive seiner Handlungen oft schwer nachvollziehen. Es brauchte eine neue Wahrnehmungsfähigkeit, die sich seinem Alltagsbewusstsein zunächst entzog. Ein Blick nach innen, ein innerer Beobachter in ihm erwachte allmählich.
In diesem Zustand erkennt er neue Aspekte seiner gesamten Biographie, erkennt die Facetten seiner Persönlichkeit. Vincent van Gogh befreite sich durch die Malerei aus der Gefangenschaft seiner verworrenen, inneren Welt, stückweise allerdings und unvollkommen und leider nicht bis zum Ende, wie bekannt ist…

Er spürte beim Malen, daß er nicht Herr in seinem Hause war und daß er im künstlerischen Prozeß an diesem verletzten inneren Menschen arbeiten konnte. Die Dramatik seines Todes (der bekanntermassen im Suizid endete) ist eine Folge des phasenweisen Verlustes einer Feuerkraft, die zunehmend erlosch, bedingt durch seine psychische Struktur.
Im künstlerischen Prozeß entfaltete er neue Möglichkeiten, die ihn an diese Erlebnisse heranbringen konnten. Van Gogh war zeit seines Lebens ein Unbekannter. Er wurde erst nach seinem Tod berühmt. Er selbst erntete keinen Ruhm mehr! Er stand inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs und war einer der geistigen Träger und Säulen seiner Zeit. Aber er wurde nicht erkannt, weil er in seiner Kunst etwas Zukünftiges verwirklichte, was man damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, weder nachvollziehen, noch verstehen konnte. Das ist die Tragik seines Lebens.

Auch gegenwärtig stehen wir in einer solchen Umbruchphase. Aber die Zeichen der Zeit werden von der breiten Masse nie erkannt. Das „innere Feuer“, welches auch Vincent van Gogh inspirierte, dieses innere, heilige Feuer, was er aber nicht restlos verwirklichen konnte in seinem Leben kann uns in jedem Augenblick beflügeln! Es ist permanent anwesend. Es leuchtet und wärmt in jedem Menschen im Hintergrund und wartet nur auf seine Ent-Deckung.
Dieses innere Feuer enthüllt sich an der aktiven, bewußten Beobachtung eigener seelischen Strukturen, „Teilselbsten“ und verhärteten Vor-Stellungen. Die Zeit fordert Erkenntnis! Die Gesellschaft ist an einem Kulminationspunkt angelangt, einem „spiritual peak“, wo sie entweder an den eigenen, geschaffenen Strukturen zugrunde geht, oder die Herausforderung einer inneren Entwicklung uneingeschränkt annimmt.

Es ist das heilige Feuer, welches sich am Holz einer jeden Persönlichkeitsstruktur (sprich Ego) entzündet und dieses in Asche verwandeln kann. Diesem Ego geben wir Nahrung durch unsere konditionierten Vorstellungen und Gefühle, bedienen sie freundlich mit allen möglichen (geistigen, psychischen und physischen) „Stoffen“, ohne den „Herrn im Hause“ zu erkennen. Neid, Eifersucht, Hass, Aggression, Angst, Bedrängnis, Rachsucht, Eitelkeit und wie sie alle heißen, die so erzeugten Kinder: sie fordern früher oder später ihre Rechte ein…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

 

Willkommen im Club der Unbelehrbaren!

UnbelehrbareGehören Sie, wie ich, zu den Menschen, die sich im Laufe der Jahre zwar recht viel Wissen angeeignet haben, aber in der Umsetzung des Gelernten oft schlicht zu faul sind? Zwar kennen Sie alle möglichen Einwände, die man zu gewissen Handlungen, Konzepten, Anschauungen machen könnte, wissen auch, dass Ihr Verhalten Sie in manchen Situationen nicht weiter bringt, tun es aber trotzdem immer wieder (oder gerade nicht)?

Willkommen im Club der Unbelehrbaren! Ich kenne diese Pleite zur Genüge und mache stets von neuem wieder Vorsätze in Richtung Besserung (nicht nur am Jahresende). Doch wie Sie ebenfalls wohl wissen: der Weg zur Hölle ist genau damit gepflastert…

Warum nur tut man sich so schwer damit, einmal Erkanntes wirklich und radikal umzusetzen? Warum fällt man immer wieder auf dieselben Tricks und Trotts herein?
Wissen befriedigt offenbar unser Gemüt so sehr, dass wir – trotz Einsicht – keinen Bedarf mehr haben, tiefer zu gehen und vor allem, in die Tat zu schreiten. Wir leiden vielleicht an einer Krankheit und plötzlich erfahren wir vom Arzt, wie die Krankheit heißt, nur das. Allein der Name befriedigt uns scheinbar zur Genüge. Das Wissen darum, wie die Krankheit heißt und vertrauen zu dem ganzen Heilungsapparat, der bestimmt ein Mittelchen dagegen hat, genügt offensichtlich den meisten. Die Hoffnung darauf entlastet uns sehr, obwohl das Leiden dadurch nicht weniger geworden ist. Vielleicht laufen die Prozesse ähnlich in unserem Geldsystem, deren natürlicher Zerfall sich “auf Teufel komm raus“ und entgegen jeder Vernunft, verzögert und verlängert durch raffinierte finanztechnische Methoden. Doch lassen wir diesen Aspekt beiseite. Die Grundsatzfrage lautet: Warum verfallen wir immer wieder denselben Mustern, Lastern und Eigenheiten und lassen uns von ihnen leiten.

Vielleicht haben Sie gelernt Auto zu fahren? Dann kennen Sie den Unterschied von Wissen und Erleben sehr gut! Würden Sie noch heute, nach vielen Jahren in der Praxis, mit dem Verstand fahren und an jede Hand- oder Fußbewegung denken während des fahrens und lenkens, dann hätten Sie wohl bald einen Totalschaden! Müssten Sie jedes mal überlegen, wo das Brems- und wo das Gaspedal ist, kämen Sie sehr schnell in oberbrenzlige Situationen! Und genauso ist es mit allen unseren Handlungen, unseren gelernten Verrichtungen. So geht es dem Maurer und dem Schreiner ebenso, wenn sie ihr Handwerk ausüben. Was man sich anfangs erst mühsam über den Kopf aneignen musste, geht nach einiger Zeit in eine Art lebendigen Tuns über, prägt sich in „Leib und Seele“ ein, wie man so schön sagt. Diese Art von „gelebtem Handwerk“ geht dem rein intellektuellen Tun mit „lockerer Hand“ voran!

So ist es mit allen Dingen, egal ob sie die praktischen Taten betreffen oder unser Gedankenleben. Nur, in gewissem Sinne sind auch die Gedanken praktische Taten. Auch hier gibt es immer beide genannten Ebenen, die intellektuelle, rein vom Kopf her verstandene und die in tiefstem und wahrstem Sinne begriffene! So können die unterschiedlichsten Konzepte entstehen, wie wir die Welt anschauen und verändern möchten. Immer geht das Erlebte tiefer, weiter als das intellektuelle, rein vom Kopfe her gesteuerte Wissen.

So ging es mir mit manchen Büchern, die mir wirklich am Herzen lagen. Anfangs waren es nur Texte/Gedanken anderer. Man las den Inhalt, verstand einiges, anderes wiederum nicht. Es mag sein, dass von Anfang an eine Art Zauber darin lag, den man aber noch nicht so recht zu deuten wusste. Aber er ließ uns die Texte immer wieder von neuem lesen. Und mit jedem lesen, mit jedem verflossenen Zeitabschnitt gewann der Inhalt mehr und mehr an Tiefe. Irgendwann ist die Verbindung damit so groß geworden, dass man damit zu Leben beginnt. Es ist mit Bestimmtheit nicht mehr dasselbe Buch, derselbe Inhalt, wie das dogmatische Aufnehmen von Wissen davor! Wenn Gedanken lebendig werden, verlieren sie jeden Staub und jede Trockenheit eines “aufgetörnten“ Verstandes. So lebendig erging es mir persönlich nur mit sehr wenigen Büchern. Die meisten liest man ohnehin nur einmal oder gar nicht zu Ende. Gerade die angesprochene Erfahrung aber zeigt, wie viel mehr Tiefe die „Gedanken“ haben können, jedenfalls viel tiefer, als wenn man sie nur oberflächlich aufnimmt. Und dies gilt natürlich in allen Belangen, nicht nur bei Büchern, Texten, sondern auch in Begegnungen, Erfahrungen, „Erlebtem“!

Für Außenstehende ist es nicht immer leicht herauszufinden, ob jemand Gedanken/Taten wirklich (nach-) erlebt oder nur trocken wiedergibt. Die Erfahrung dessen geschieht oft intuitiv, aber zuweilen unbewusst. Dennoch haben erlebte Gedanken wesentlich mehr Kraft und Energie in sich, als die trockenen, auch wenn die Worte die gleichen bleiben. Das erkennt man durchaus. Denn man kann es eben selbst nacherleben! Die Kraft der gelebten Gedanken überträgt sich auf den Leser und insbesondere auf den Zuhörer. Auf der anderen Seite bewirken trockene Gedanken oft das Gegenteil: zuweilen schläft man dabei ein. Dies wäre wohl der Glücksfall.
Die Unbelehrbarkeit jedenfalls hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir nicht bereit sind, uns auf die tiefere Ebene der Dinge einzulassen. Auf der Oberfläche spielen immer Argumente gegen Argumente, Tatsachen gegen andere Tatsachen. Das Verweilen auf dem einmal Erlernten konserviert unser Bewusstsein, trocknet es aus. Vielleicht geschehen die wirklich wichtigen Dinge sogar ausserhalb dieser Gedankenwelt. Vielleicht ereignet sich das Wesentliche zwischen den Gedanken?

Gedankenschnippsel vom Sonntagnachmittag, den 13. September 2015…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wir meißeln ein Leben lang an „unserem Stein“

SklaveOkay, heutzutage von Sklaverei zu sprechen, mag etwas reisserisch klingen. Denn immerhin können wir – in der westlichen Welt zumindest – einige Vorzüge genießen und unser Leben noch relativ autonom bestreiten und einrichten, relativ… Dass es andernorts nicht so aussieht wie bei uns, muss wohl nicht begründet werden!

Viele Menschen fühlen sich auch in der vermeintlich “freien“ westlichen Welt, nicht mehr wirklich frei. Sie fühlen sich in ihren persönlichen Interessen und Initiativen immer stärker eingeschränkt. Zweifellos ist die Welt sehr komplex geworden und die harten Strukturen und Gesetze blocken viele Aktivitäten schon im Ansatz ab. Rechtssysteme zwingen uns unterschiedlichste Hindernisse und Barrikaden auf, die wir nicht wirklich durchschauen können. Sklaverei sehe ich aber viel mehr an einem ganz anderen Ort, als dem von aussen aufgedrängten! All die abstrakten Ideen und Inhalte, die wir uns in unserem Leben schaffen, bilden in uns klare Vorstellungen von der Welt: wie sie zu sein hat und wie nicht. Wir schaffen Prinzipien und zementieren Meinungen. Und von diesen Prinzipien lassen wir uns letztlich mehr versklaven als von allen äußeren Einflüssen, die uns begegnen. Ich persönlich habe nicht mehr so viel Angst vor der „bösen Welt“, die außerhalb von uns wirkt und uns zu Sklaven machen will.  Wir meißeln ein Leben lang an „unserem Stein“ weiterlesen

Kunst kommt von Kopf

Moderne Kunst„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgend etwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können“
(Christoph Schlingensief)

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“
(J. W. Goethe)

Alle Jahr wieder – ist ART in Basel. Eine der renommiertesten, wenn nicht DIE Kunstmesse der Welt, ist seit gestern eröffnet. Zeit, sich wieder einmal mit dem Thema auseinander zu setzen. Die Bilder der Werke gleichen sich immer, genauso wie die kuriosen Gestalten, die das Stadtbild Basels erfrischen. Solche und ähnliche Installationen und Performances überwiegen das Geschehen der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler. Manche inszenieren sich selbst als (nackte) Tatsache auf den Plätzen der Stadt. Zum Glück im Kontext der Kunst, ansonsten würden sie wohl schnell von den hiesigen Ordnungshütern abgeführt. Aber so finden das alle obercool. Sicher, das sind die Ausnahmen, denn das Überwiegende sind, zunehmend, und im weiteren Sinne aufgefasst, „Installationen“. Die Installation ist eine Zusammenstellung von möglichst alltäglichen Gegenständen in einem ungewöhnlichen Rahmen.  Kunst kommt von Kopf weiterlesen

Die Illusion vom Glück

GlückViele Menschen streben vor allem nach einem im Leben, nach Glück. Es ist der meist gehegte und genannte Wunsch nebst der Gesundheit. Glücklich zu sein ist für sie die größte Errungenschaft ihrer persönlichen Entwicklung. Nur, was heißt es eigentlich, glücklich zu sein, und wie wird man es?

Viele Menschen meinen, das Glück hänge irgendwo als süße Frucht an einem Baum und könne dort jederzeit gepflückt und gegessen werden. Glück in der Funktion des Geldes, was man eben besitzt oder nicht besitzt, ist ebenso absurd. Beides sind Illusionen. Ebenso wenig wird einem (normalerweise) das Geld tatenlos zuströmen, wie das Glück. Und wenn es tatsächlich tatenlos zufließt, was ja bei manchen Menschen mit klugen Tricks möglich zu sein scheint, so werden sie damit auch nicht wirklich glücklicher. Das Gegenteil scheint sogar der Fall zu sein, wenn man die Selbstmordstatistiken zur Kenntnis nimmt. Vergessen Sie also, tatenlos glücklich werden zu wollen! Tun Sie, wonach Sie getrieben werden, wonach Ihre ethisch-moralischen, sittlichen, kulturellen und/oder sozialen Ziele Sie hinbewegen und Sie werden im Nebeneffekt ein Übermaß von diesen Früchten genießen können!  Die Illusion vom Glück weiterlesen

Buddhismus oder Christentum?

Christus„Was soll der Streit zwischen Buddhisten und Christen? Machen Sie sich doch einfach „leer“ und sehen Sie, ob was übrig bleibt…“

Als mir der Gedanke kam, lachte ich zunächst schallend! Es trifft einen Nerv, den ich nie bedacht hatte, obwohl er ein wenig salopp daher kam. Aber er hat dennoch eine ungeahnte Tiefe, die ich nicht vermutet hätte, als ich ihn jemandem lachend an den Kopf geworfen hatte…
„Der Satz beruht auf der alles verbindenden Kraft des Erlebens selbst. Alles andere sind Streitereien, die ins Abseits führen, sprich weg von der Erfahrung der Einheit…“ ergänzte ich noch und erntete nur Kopfschütteln…

Hier der Nachklang dieser Erfahrung | Gerade die Erfahrung ist es aber, die viele Diskussionen zunichte machen könnte. Doch wenige wollen sich wirklich darauf einlassen. Besonders in spirituellen Fragen scheint es wenig Bereitschaft zu geben, die Erfahrung dem blossen Wissen, oder dem Glauben, vorzuziehen.
Warum eigentlich?
Weil es mühsam ist und eine Fähigkeit verlangt, die uns nicht zum Vornherein gegeben ist, eine gewisse Konzentration und Ausdauer. Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit z.B. lange auf einen Gegenstand zu lenken, ein Bild, einen Menschen, einen Gedanken, eine Pflanze und vieles andere. Dabei stößt man bald an Grenzen. Es kommt immer „etwas“ dazwischen. Ein Gedanke wie dieser: „Was bringt das denn“, oder: „Ich habe doch wichtigeres zu tun, als mich mit solchen Dingen herumzuschlagen“, oder „Es warten so viele wirkliche Probleme auf mich zu Hause, lieber sollte ich mich denen widmen…“ usw.

Erfahrung ist Arbeit | Manchmal Schwerstarbeit! Wissen, welches schnell verfügbar gemacht werden kann, ist oft schon vorhanden, zu allen möglichen Themen. Es ist schnell recherchierbar, jederzeit online abrufbar. Wir hatten vielleicht schon das Vergnügen, einmal einen Buddhisten zu treffen und haben uns mit ihm über Religion unterhalten, dasselbe mit einem Christen, einem Hindu, einem Moslem, Juden usw. Wir waren vielleicht geteilter Meinung. Uns widerstrebte manches, was geäussert wurde und wir zimmerten uns eine entsprechende Antwort zurecht. Diese Antwort taucht nun jedesmal aus dem Untergrund unserer Persönlichkeit auf und ist präsent, wenn das entsprechende Stichwort fällt. Es ist uns zuwider und wir gehen auf Konfrontationskurs. Dasselbe geschieht mit der uns wenig sympathischen Partei, mit Fragen des Alltags usw.

Das ist der Automat in uns | Und der ist ziemlich resistent. Er ist immer präsent und verteidigt SEIN oder „UNSER“ (wessen?) Weltbild, oft vehement, starrköpfig und unnachgiebig.
Sämtliche Unterteilung in Konfessionen, Religionen, politische Parteien usw. ist eine persönliche Abstraktion von einem Ganzen, eine Abtrennung von einer Einheit, die alles umfasst und verbindet. Es sind Standpunkte, Weltanschauungen, die immer aus persönlichen Geschichten heraus konstruiert (und, je nachdem vermarktet) werden. Selbst Religionen, Sekten, werden vermarktet (Stichwort Scientology). Nicht, dass die Erfahrungen der Begründer aller dieser abstrakten Konstrukte zum vornherein falsch sein müssen. Oft sind sie absolut echt und wahrhaftig (Buddha, Christus u.v.a.). Der Bruch passiert nachher, bei denen, die die Erfahrung nicht mehr nacherleben können. Das Wesentliche geht verloren und ein Rinnsal dieser Weisheiten ergiesst sich in den Schriften der Nachfolger (Apostel, Päpste, Priester usw.). Jeder neue Abdruck (und deren mannigfaltige Interpretation) verwässert die reale Erfahrung des Urhebers über Jahrtausende hinweg solange, bis nur noch dürres, brüchiges Geäst übrig bleibt, welches bestenfalls noch als Grundlage für ein Feuer dient…
Ein religiöser Zugang muss immer wieder neu gewonnen werden. Er kann nur durch die persönliche Anbindung an das Ganze gefunden werden. Und das ist das Erlebnis… Vielleicht treffen wir sie dann alle bald wieder: den Buddha, den Christus und alle anderen?

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mann oh Mann

Mann seinDas Bild des Mannes ist relativ geklärt, zumindest war es das bis vor vier, fünf Jahrzehnten. Das Rollenbild sieht indessen auch beim größten Teil der heutigen Familien noch ähnlich aus, Mann als Hauptverdiener, Frau mit Haushalt und Kindern beschäftigt. Mit Ausnahme einer kurzen Revolution in den 60ern/70ern, hallen die traditionellen Verhältnisse auch heutzutage wieder nach wie in alten Zeiten, so scheint es. Trotz Alice Schwarzer und nachfolgender Kämpferinnen in Sachen Frauenfrage scheint sich am althergebrachten Rollenverständnis kaum etwas verändert zu haben. Viele Frauen, auch „emanzipierte“, fühlen sich erfüllt in ihrer Aufgabe in „Haus (Hof?) und Herd“.

Dennoch hört man hier und da Unmut. Vor allem, wenn das Ende der „ersten Phase“ (wenn die Kinder ausser Haus sind) naht. Ist die chronische Selbst-Überschätzung des Mannes oder jene der ständigen Selbst-Unterschätzung der Frau und ihrer beider Rollen charakterlich vorgeprägt und auf ewig in die Steine der Menschheitentwicklung gemeißelt? Und die noch wichtigere Frage, oder ist es schon eher ein Rätsel, schließt sich daran an: wann beginnt das Mann-Sein? Oder das Frau-Sein, also das geschlechtliche Leben überhaupt? Und was ist davor? Auf der physischen Ebene kann man zumindest die erste Faktenlage relativ exakt bestimmen. Ein Chromosom prägt schon früh die geschlechtliche Ausrichtung. Davor sind wir offensichtlich geschlechtslos. Zwar behaupten ja viele, es gäbe kein Davor, aber die Frage des Woher bleibt dennoch offen. Betrachtet man die psychischen Faktoren, so wird die Sache aber auch danach erheblich schwieriger zu fassen sein. Und um letztere geht es primär, wenn man ein wenig Licht in die anfangs gestellten Fragen bringen will.

In Fachkreisen tendiert man dahin, dass die geschlechtliche Rollenprägung vor allem in der Kindheit entsteht. Der Begriff der „Rolle“ ergibt sich aus einer gewissen Ausrichtung der erzieherischen Massnahmen und Interventionen sowie dem familiären Rollenverständnis. So beeinflussen sowohl die Verhaltensweise, wie auch das Selbstverständnis der jeweiligen Rolle des Vaters und der Mutter, Geschwister usw. auch die soziale Ausrichtung der Kinder bezüglich deren Rollenbild. Diese adaptieren wie ein Prägestempel deren Bild auf das ihre und tragen es durch ihr Leben. So „funktioniert“ in der Regel Erziehung nach dem allgemeinen Verständnis.
Dabei wird wiederholt von „Rolle“ und von „Funktionen“ gesprochen. Die Rolle im üblichen Sinn ist ein vorgeprägtes Verhaltensmuster, welches in unserem Leben handlungsleitende Impulse impliziert. Das Muster kann auch nachgeahmt und als Kunstmittel eingesetzt werden. Dies genau tun die Schauspieler. Ähnlich „funktionieren“ aber die meisten „normalen“ Menschen. Dadurch handeln und wirken wir in der Gesellschaft gemäß deren Normen, Konventionen, Sitten, Pflichten und Rechten. Eine Rolle kann aber nie das Wesentliche sein! Die Frage taucht immer auf: Was steckt dahinter? Wer ist es, der die Rolle spielt, der hinter der Maske steckt!
Oder anders: Was ist das Wesentliche? Das ist die zentrale Frage. Inwiefern müssen wir unser Verhalten an den Prägungen der Gesellschaft ausrichten oder wieviel persönliche Freiheit steckt darin?

Frau sein, Mann sein sind unzweifelhaft entscheidende Faktoren in den Betriebsrädern einer äußeren Ordnung. Die Gesellschaft, unsere Freunde, Bekannten, Verwandten sehen uns gerne im geschlechtlichen Kontext und beurteilen uns nicht selten ausschliesslich danach. Die Rolle prägt uns, ohne Zweifel. Und wir prägen mit ihr wieder die Gesellschaft. Denn auch wir sehen uns oft gerne im Mantel des Geschlechts und handeln danach. Aber was oder wer steckt dahinter?

Wir umgehen immer wieder uns selbst, das Wesentliche, das Zentrum, den Ausgangspunkt. Das ist die innere Ausrichtung jenseits jedes Rollenbildes. Hier entscheiden nicht Kriterien des Mannseins, Frauseins, noch jeglicher anderer Aspekte, sondern einzig und allein die Schöpferkraft unserer Intuitionen. Mein Fazit: der Kern des Menschen ist ungeschlechtlich und wir sollten auch danach beurteilt werden. Die Clichées, die den Geschlechtern anhaften, bewirken viel Leid und Unrecht. Um dies aufzuzeigen muss man nicht weit ausholen: Stichwort Lohnfragen, Gleichstellung etc. Aus der Sicht des Mannes erlebt man die Welt, das Umfeld anders als aus der Sicht der Frau. Dies ist kein Widerspruch zu dem eben gesagten. Eine Neuorientierung in der Genderfrage müsste tiefer in die menschliche Natur eindringen können. Da nützen oberflächliche Paragraphen und Gesetzeskämpfe nicht viel. Das Bewusstsein reicht auf diesem Niveau nur bis zu äusserlichen, rein zweckmässigen Argumenten. Mit Emanzipation kann letztlich nicht nur jene vom anderen Geschlecht gemeint sein, sondern eine von der geschlechtlichen Abhängigkeit überhaupt…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Machen Gesetze bessere Menschen?

Mann drückt Paragraph-SymbolIndividualismus wird oft mit Egoismus verwechselt. Letzterer verlangt nach einschränkenden Maßregeln, der erste die bedingungslose Freiheit, wenn es sie denn gibt. Die große Frage lautet: Führen Gesetze näher an die individuelle Freiheit des Menschen heran oder von ihnen weg? Und: Was bezwecken Gesetze eigentlich?

Ist der „ethische Individualismus“, wie Rudolf Steiner jene Geisteshaltung nennt, die den Menschen zur Freiheit führen soll, geeignet, sich über Gesetze und Richtlinien zu verwirklichen? Das heißt, anders gefragt: wird der sittliche Mensch durch die Gesetze besser – oder gar schlechter? Lässt sich die Frage vom Standpunkt eines „naiven Realismus“ überhaupt beantworten? Welch Drama steckt in der Beurteilung dieser Frage! Und wie existentiell ist sie, heute mehr denn je, geworden!

Der (fortgeschrittene) „naive Realist“ sagt: ich glaube nur an das, was ich sehe! Und ich sehe, wie sich die Menschen verhalten! Sie sind, leider, moralisch so labile Geschöpfe, dass sie ohne äußere Einschränkungen (Gesetze, Sittengebräuche, Normen usw.) masslos werden und ihrem Zerfall entgegen steuern würden. Wir können durch die Gesetze diesen Zerfall ein Stück weit aufhalten. Deshalb müssen wir besorgt sein, dass wir die Lücken immer dichter schließen und das System durch Kontrolle und einem “gesunden“ Misstrauen gegenüber diesen Kriminellen, „Freidenkern“ und Anarchisten, aufrecht erhalten. Dies dient dem Wohle aller! Ansonsten werden wir gnadenlos ausgenutzt. Es braucht dafür wohl keine Beweise! Du findest das Übel an jeder Strassenecke und auf den Titelseiten jeder Tageszeitung. Im besten Fall werden die Gesetze von einer demokratischen Mehrheit des Volkes bestimmt (dafür gibt es leider nur wenige Beispiele auf der Welt). Im schlechteren Falle durch ein paar hundert Parlamentarier (was der Norm eines “westlichen“ Staates entspricht). Und im allerschlechtesten Fall von einem Monarchen oder, vielleicht noch schlimmer, von einem Diktator (was faktisch leider noch die meist praktizierte Staatsform auf dieser zivilisierten Welt ist). In dieser Bandbreite bestehen die Entwicklungspotenziale. Mehr liegt nicht drin!

Da kann man nur sagen: ja, sicherlich, deine Analyse ist klar, sachlich und verständlich und, von deinem Standpunkt aus betrachtet, unausweichlich! Aber dann müssen wir auch nicht weiter über die Freiheit reden. Eine höhere Form der Freiheit als die des tun und lassen Könnens, was jeder und jede will zur Erlangung egoistischer Ziele, kann und wird es nicht geben – und letzteres ist ja wohl kaum erstrebenswert. Was übrig bleibt, ist das oben erwähnte „System“. Es garantiert einen relativen Frieden auf Erden. Wenngleich im besten Fall (dem der Volksdemokratie) immerhin ein Quäntchen Individualismus hängen bleibt, so kann er zumindest kaum ethisch genannt werden, sondern unterliegt der steten Gefahr einer riesigen Maschinerie von professioneller Gehirnwäsche durch Werbung, Marketing und Machtdemonstrationen der Regierenden und jenen, die es werden wollen.

Dann kommt der „metaphysische Realist“ auf die Bühne und sagt: hört mir zu! Die Gesetze sind doch niemals alles! So kann man keine „sittlichen Menschen erziehen“! Es gibt doch eine innere Stimme in uns, in jedem von euch allen, nenne sie die „Stimme des Gewissens“, „Gottes Stimme“ oder anders! Sie sagt uns, was richtig oder falsch, gut oder böse ist. Wir müssen nur lernen, auf sie zu hören, dann werden wir auch in rechter Weise handeln können!

Ja!
…aber die Stimme des Gewissens ist an deine persönliche Moral gebunden. Sie ist das Produkt, die Essenz deiner Glaubenssätze und Ideale, die du dir aus deiner Lebensgeschichte zusammen geschustert hast! Die Freiheit bleibt also auch hier auf der Strecke. Sie ist keine wirkliche Freiheit, sondern resultiert aus einem ewigen, reibungsvollen Kampf: dem Gewissenskampf mit dir selbst. Du bist ihm ausgeliefert bis ans Ende deiner Tage. Es bleibt dir keine Wahl, du kannst bestenfalls als kleines, elendes Würmchen des Kosmos in der Erde herumwühlen und so elendiglich krepieren.
Auch hier müssen wir kaum weiter über Freiheit diskutieren. Die egoistische Variante wäre, dass Du glaubst, du seist alleinig Gott selbst und somit das Zentrum der Welt! Dein Gewissen sei die objektive Wahrheit, nach der sich alle anderen Menschen zu richten haben!

Freiheit, die auf Kosten anderer erkämpft wird, nennt man Egoismus | Und damit sind wir wieder bei den Gesetzen angelangt. Anders ist keiner dieser Varianten beizukommen, als durch Gesetze, will man sich nicht in äußere Knechtschaft einzelner „Autonomen“ begeben. Zwar sind die Gesetze auch nicht zwingend objektiv und allgemein gültig, aber sie resultieren, wie wir gesehen haben, im besten Fall nicht nur aus wenigen oder aus einer Stimme (Monarchie, Diktatur), sondern aus der (vermeintlichen) Mehrheit. Zwar ist auch diese „Mehrheit“ oftmals ein Trugschluss, aber es genügt vorläufig, bei diesem Gedanken zu bleiben, denn auch aus ihr wird die Frage der Freiheit nicht befriedigend beantwortet werden können. Der Fokus wird nur immer wieder auf die äußeren Verhältnisse hingelenkt. Man bedenke die oftmals als „Gegenbeweis“ der Freiheitsphilosophie aufgeführten Beispiele eines Verbrechens als Ausdruck einer solchen “freien individuellen Handlung“. Es sei hier nochmals deutlich ausgesprochen: sie haben allesamt nichts mit der Individualität im genannten Sinn zu tun, sondern entspringen immer einem egoistischen Trieb und der ist das objektivste im Menschen!

Zu einer inneren, wirklichen Freiheit kommen wir auf diesem Weg nie. Eingeleitet wird dieser Schritt nur immer durch die ehrliche und konsequente Selbstbeobachtung. Im Akt der Selbsterkenntnis erst, durchschaut der Mensch die Motive seines eigenen Handelns. Dazu reicht die rein analytisch reflektierte Rückschau nicht aus, weil wir dadurch auf der Gedankenebene bleiben. Wir beurteilen (und verurteilten) dabei die eigene oder fremde Sachlage lediglich aus einem anderen Blickwinkel heraus – und umgehen dabei elegant das eigentliche Zentrum unseres Seins. Erst im gegenwärtigen Augenblicke vermögen wir sie anschauend zu verlassen.

Darauf kommt es an und nur darauf! Im Jetzt “erwischen“ wir die wahren Motive und zwar nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren! Erstere bestimmen den naiven Realismus, letztere den metaphysischen. In diesem Selbst beobachten haben wir den Standpunkt „erhöht“. Wir sind aus uns selbst herausgetreten. Heraus aus dem verhafteten, automatisierten Schablonenmenschen. An diesem haftet unser Ego. Der neu gewonnene Standpunkt vermag uns aus diesem zu befreien. Wir erleben jetzt eine neue Bewusstseinsqualität, die Intuition genannt werden kann! Die wahren, menschenfreundlichen Gesetze und Erfindungen sind allesamt aus solchen Intuitionen heraus entstanden! Durch die „Erhebung“ des Bewusstseins auf diesen Punkt, verbinden wir uns sozusagen mit der einheitlichen Welt, mit dem All-Einen, aus dem heraus solche bewusstseinsübergreifende Intuitionen entstehen, an denen alle Menschen mitwirken. Die Erfahrung bringt es zutage! Wir haben Anteil an einer gemeinsamen Welt eines großen geistigen Ganzen. Hier, und nur hier, wohnt die wahre Natur der Freiheit! Sie ist bedingungslos und ein im höchsten Grade sittlicher Zustand. Wäre der ganzen Menschheit diese Erfahrung präsent, oder besser: gegenwärtig, dann würden sämtliche Gesetze und Vorschriften hinfällig. Die Motive der Handlungen jedes Menschen entsprächen einem ethischen Individualismus (siehe „Philosophie der Freiheit“, Rudolf Steiner) und würden von jedes Menschen spezifischer Form, durch seine individuelle moralische “Technik“ verwirklicht und realisiert. So verwandeln wir den zweckbestimmten Naturmenschen zum freien Geistmenschen.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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