Vom Wesen der Heilung

Heilung

„Heilsam ist nur, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.“

Dieser Spruch Rudolf Steiners wird gebetsmühlenartig in tausenden von anthroposophischen Institutionen in der ganzen Welt, an vielen Sitzungen, Arbeitsgruppen usw. gelesen. Wie viel darin steckt, wird sich kaum jemand bewusst, der nicht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit dieser Aussage daraus herauszulesen. Betreten steht man davor. Dabei geht es wohl um etwas Wesentliches, wenn nicht um das Wesentlichste der anthroposophischen Geisteswissenschaft.

Heilen als innerer Impuls

Die Ausschliesslichkeit, mit der Rudolf Steiner dieses „nur“ hinstellt, ist es, was betroffen macht. Heilsam ist also etwas NUR dann, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft. Was ist denn dieses Spiegeln? Was spiegelt sich? Doch nur die Wahrheit, die absolute Wahrheit! Oft kommt sie verzerrt daher, zum Beispiel, wenn sich etwas im welligen, gekräuselten Wasser spiegelt. Aber dennoch ist es NUR das, was schon IST, was sich spiegelt. Dass es gewellt oder gekräuselt erscheint auf der Wasseroberfläche liegt nicht am sich spiegelnden Objekt, sondern am Empfänger, dem Abbildenden sozusagen.

Übertragen auf die Gemeinschaft kann man gewiss sagen, es ist die Wahrheit dieser Gemeinschaft, die sich im Einzelnen spiegeln soll. Die Wahrheit ist das All Eine, etwas Übergeordnetes, nenne man es „Gott“ oder anders. Es geht also um das Göttliche im Menschen. Dieses Göttliche lebt in jedem Menschen gleichermassen als Wahrheit. Und diese Wahrheit spiegelt sich in jedem Einzelnen. Sie ist sowohl in meinem Mitmenschen, als auch in mir gleichermassen wirksam.

Zugang zur inneren Quelle

Nur der Zugang zu dieser Quelle des All Einen wirkt heilsam. Dieses Ausschliessliche, was Rudolf Steiner in dem kleinen NUR betont – denn es ist sicher kein Zufall oder eine unbeabsichtigte Floskel, die sich darin ausdrückt – ist sehr bedeutsam. Es zeigt eben auch, wo Heilung NICHT stattfinden kann! Überall wo diese Quelle des All Einen nicht Zugriff hat in die Taten der Menschen, findet KEINE Heilung statt. Was findet denn dort statt? Und wie merkt man, dass man den Zugriff hat oder nicht? Dies sind die wichtigsten Fragen für die Therapie, für die Therapeuten, aber auch für alle, die sich mit Menschen beschäftigen und den Anspruch haben, heilen zu wollen.

Alles Wissen, alle Erfahrung, die wir im Leben anhäufen und ansammeln, bilden so etwas wie einen kleinen Kosmos, der sich dem Grossen gegenüberstellt. Es ist ein individueller Kosmos. Es ist der kleine Himmel ähnlich dem Himmel, der ein Kücken hat, wenn es in seinem Ei drin sitzt. Dieser Himmel ist nichts anderes, als die Eischale! Aber das Kücken denkt (wenn es denken könnte), das ist meine Welt! Das ist alles, was es gibt. Erst in dem Moment, wo es diese Schale durchbricht, sieht es eine neue, andere Welt.

Lernprozesse und Wissen

In einem ähnlichen Zustand befindet sich der normale Alltagsmensch. Nur dass diese „Schale“ nicht so offensichtlich ist. Sie ist gewoben aus eben diesen Erfahrungen und dem daraus resultierenden Wissen. Dieses Wissen ist sehr wichtig! Das kleine Kind erfährt irgendwann, dass eine Herdplatte auch dann heiss sein kann, wenn man es von aussen nicht sieht. Durch die Erfahrung des Berührens wird diese Tatsache überdeutlich und eindrücklich erlebbar. Dieses Kind wird es nicht ein zweites Mal tun. Es hat aus der Erfahrung gelernt. Das Lernen ist verbunden mit Gedanken, die man sich im Nachhinein über die erlebte Situation gemacht hat. Wenn nun eine neue, ähnliche Situation auftritt, wird es vielleicht die Hand erst ein paar Centimeter über der Platte halten, um langsam abzuspüren, ob die Platte noch heiss ist oder nicht. Das Kind wird aus diesem Lernprozess heraus vorsichtiger. Der Gipfel dieser Art von Wissen ist die Weisheit, die aus Klugheit resultiert.

Und so gibt es selbstverständlich in einem Menschenleben Millionen von Eindrücke, die man „lernt“. Das Erfahrene wird konserviert und „abgespeichert“. In manchen Fällen ist das gut, in anderen weniger gut. Man stelle sich vor, wie wir Autofahren würden, wenn wir uns jedes Mal überlegen müssten, wo das Gaspedal, wo die Kupplung und wo die Bremse ist! Das wäre natürlich fatal! Die Handlungen werden durch Wiederholung automatisiert oder besser „einverleibt“. Dies geschieht im „Ätherleib“.

Spiegel in der Gemeinschaft

Was also zu unserem Besten dient, indem es zur Routine wird, ist andererseits auch eine Klippe, eine Hürde. Durch das Konservieren, schaffen wir einen Mantel um uns herum, der die Erfahrungen ihrer Reinheit entzieht. Und dies wiederum bewirkt, dass wir uns im Laufe eines Lebens wie ein Kokon einhüllen in unsere eigene Welt, die Welt unserer persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse. Daraus bilden wir unser Gedankenleben, bilden unsere Vorstellungen. Danach richten sich all unsere Gefühle und Handlungen. Das Fatale daran ist nicht, DASS es so ist, sondern, dass wir es nicht bemerken! Das ist das Fatale, dass wir es nicht bemerken! Wir identifizieren uns immer stärker mit diesem Kokon und meinen, das seien WIR, das sei „ICH“. Aber dieses Ich ist nicht ein reines Ich, es ist ein personifiziertes, individualisiertes Ich. Es ist ein Ich, was sich eben NICHT spiegelt in der Gemeinschaft! Denn in dieser Gemeinschaft hat jeder in dieser Beziehung ein anderes Ich! Keiner von uns ist gleich. Das ist eine Binsenwahrheit, denn jeder wird es bestätigt finden.

Befreiung aus dem Kokon

Es ist äußerst schwierig, sich aus diesem Kokon zu befreien, weil er, ähnlich dem Kücken, meint, dies sei die ganze Welt. Ich bin die ganze Welt, so meint im Grunde jeder. Auch wenn er es niemals zugeben würde, verhalten tut er sich doch meistens so. Und man wird gereizt, wenn der andere eine andere Meinung hat. Achten Sie gerade JETZT darauf, wie Sie auf diese Gedanken reagieren! – Halten Sie inne. Schauen Sie für einmal nicht auf meine Gedanken, die ich hier entwickle, sondern auf Ihre Reaktion darauf, gerade in dem Moment, wo Sie dies lesen! Vielleicht haben Sie das eine oder andere Mal den Kopf geschüttelt und waren gar nicht meiner Meinung?

Sehen Sie, das „meine“ ich. Wir leben nur noch in einer abgeschlossenen Welt unserer persönlichen Meinungen. Die Gedanken, die in uns kreisen, beziehen sich zum grössten Teil auf unsere persönliche Erfahrungswelt. Und aus DIESER Welt heraus, ist HEILUNG unmöglich!

Heilsam ist nur…

Heilsam ist nur, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft (also die GANZE Wahrheit) und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft. Letzteres tut sie nur, wenn ersteres der Fall ist, das heisst, wenn es ihr gelingt, aus der persönlichen Verhaftung herauszutreten, auf Distanz zu diesem „kleinen Ich“ zu gehen. Dies aber ist das Wesen der „Selbstbeobachtung“! In ihr ERKENNT man, welcher Herren Diener man gerade ist. Denn hinter dieser Welt stecken andere „Wesen“, die uns antreiben. Sie haben freie Bahn, solange wir sie nicht erkennen. Im wahren Ich bin Ich erst „Wahrheit und Leben“. Im kleinen Ich bin ich das nicht. Das kleine Ich kann nicht „heilen“! Denn es erreicht die andere Seele nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar. Es ist gefangen in der eigenen Identität. Heilen kann es nur sich selbst und zwar in dem Moment, wo es Selbst bewusst wird!

Konsequenz Selbsterkenntnis

Konsequenz dieser Gedanken ist, dass wir nur heilsam wirken können, wenn wir uns entwickeln. Diese Entwicklung hat nur EIN Ziel. Es ist das Finden des All Einen in uns! Der Weg geht über einen Schulungsweg, der von der Imagination über die Inspiration zu der Intuition reicht. Im letzteren schaffen wir erst den Raum, der Heilung bewirkt. Das schliesst alles bosse Wissen aus. Wissen ist IMMER sekundär. Wer das Wissen zum Primaten erhebt, verleugnet sich selbst. Wissen ist ein Trittbrett der Seele, ein Entwicklungshelfer. Es kann zur wahren Weisheit führen im Akt der Selbsterkenntnis. Wieviele Philosophen, Weise, Initiierte haben dies schon gesagt und geschrieben! Selbst dies hat man immer nur als Wissen aufgenommen und so weiter vermittelt, ohne die Tat! Es steht als Wissen neben anderem Wissen und man ist froh es manchmal zitieren zu dürfen.

Ein Ruck muss durch die Gesellschaft gehen! Bis wir zu dieser Gemeinschaft heranreifen, in der sich das All Eine spiegelt. Aber TUN können wir es jederzeit, in jedem Augenblick. Denn passieren tut es immer nur im JETZT.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Woher kommen künstlerische Ideen?

IdeenSeit langer Zeit beschäftige ich mich mit Themen des menschlichen Bewusstseins. Als Kunstschaffender und Kunsttherapeut bin ich gleichzeitig immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie Urteile und Impulse in der Kunst entstehen, und woher der Künstler seine „Ideen“ bezieht. Damit meine ich natürlich nicht das Internet oder irgendwelche Bücher, die er nachschlägt, wenn er keine Einfälle mehr hat.

„Ideen“ entstehen natürlich vorzugsweise im Kopf eines Künstlers. Sie äussern sich als „Einfall“, Assoziationen oder zuweilen auch als Vorstellungs-Konstrukte. Es sind innere Wahrnehmungsbilder, welche Ideen (und Ideale) schaffen. Diese sind meistens Produkte der persönlichen Wahrnehmung der Welt. Und die Wahrnehmung der Welt nimmt ihrerseits Bezug darauf, wie die Welt um sich herum erlebt wird! Es sind nicht die (versteckten, vermeintlichen) Vorzüge anderer Künstler, die man als ehrlicher Kunstschaffender nachzuahmen sucht, auch wenn sie zu den grossen Werken der Weltgeschichte inspirierten.

De facto geht es immer um Erlebnisse

Die Crux bei der Sache ist immer wieder dieselbe Frage; jene nach der inneren Freiheit und danach: „Wie frei ist der Kunstschaffende und im Prinzip jeder Mensch, wenn er „nur“ erlebt (…und dann daraus seine Werke oder seine Taten schöpft) ?“ Gewiss: mann/frau muss ja nicht zwingend den Anspruch haben, in der Kunst frei zu werden. Viele denken gar nicht über diese Frage nach oder es ist ihnen vollkommen egal, wie es sich damit verhält. Meine persönliche Intention ist es auf jeden Fall! Das Gefühl von Freiheit unterscheidet sich von der Realität, die viele allerdings kaum wahr nehmen.

Andere Kunstschaffende behaupten deshalb, sie schaffen selbstverständlich aus „freien Stücken“, sie sind ja „Frei-Schaffende“ Künstler! Viele erkennen dabei nicht, woher die Impulse ihres Schaffens wirklich kommen. „Gesellschafts-konform“ sind in ihrem Sinne die Werke dann, wenn sie von dieser begehrt und geachtet werden. Mit anderen Worten: Wenn sie sich verkaufen lassen. Kunst als blosser Job, um mit den Ideen und Vorstellungen, Geld zu verdienen. Hier liegt der berühmte „Hase im Pfeffer“.

Gibt es dennoch eine tiefere Ebene, die uns als Kunstschaffende bewegen könnte?

Ich meine: Ja! Würde ich mit meinem Bewusstsein so tief eindringen können, dass ich quasi über die Ebene des blossen, alltäglichen Denkens/Vorstellens, woraus in der Regel unsere Ideen genährt werden, hinauskommen, dann würde ich erkennen, woher „meine“ (vermeintlichen) Gedanken (und damit auch die Ideen) kommen und welchen Motiven sie entspringen. Ein solcher Anspruch darf sich niemals nach den äußeren Kriterien der Gesellschaft und der Wirtschaftlichkeit richten, sondern nur nach den inneren Gesetzen des auf diese Weise erlebten. Der äussere Erfolg darf diese Ebene nicht verdecken. Es darf keine „künstlerische Genügsamkeit“ entstehen.

Der Anspruch in die Tiefe zu dringen ist gegenwärtig nicht so vielen Künstlern eigen, wie man es in der Vergangenheit vielleicht noch eher erleben konnte. Leider, muss man sagen, wird diese Genügsamkeit des Erfolgs einhergehen mit zunehmender Dekadenz. Denn die Kunst wird gefärbt von den Ideen der Menschen. Und die Ideen der Menschen richten sich nach den Idealen einer Gesellschaft, nicht mehr nach dem Individuum. Man kann durchaus Verständnis haben für die oft desolate Situation in Sachen Finanzen vieler Künstler. Man müsste über den Schatten der äußeren Verpflichtungen springen können, und über sein Tun und Schaffen nachdenken . Vielmehr geht es in die andere Richtung. Man verweigert oft das Denken im höheren Sinn! Das ist insofern noch schlimmer, weil es eine Illusion ist, denn man verweigert damit eigentlich nicht das Denken, sondern die Bewusstmachung der eigenen Gedanken und das ist ein grosser Unterschied! Was daraus entsteht, ist unübersehbar.

Zum Denken anregen…

Oft wird das Nicht-Denken mit der Intuition verwechselt. Aber mit Intuition hat das leidlich wenig zu tun, denn diese liegt nicht unterhalb des Denkens, sondern darüber! Das heisst, sie schöpft zwar aus dem Gedankenleben, erhebt dieses aber ins volle Bewusstsein. Urteile sind in der Kunst üblich, trotz all diesen Parolen von: „Alles ist Kunst“ usw. „Dein Bild stimmt nicht in der Komposition“, heisst es zum Beispiel, „es hat zuviel Schwere, zieht nach unten, fliesst aus, hat kein Zentrum“ usw. Sind diese Urteile objektiv, oder haben sie oft mehr mit dem Betrachter zu tun, als mit dem Künstler? Haben sie den Anspruch der Allgemeingültigkeit? Und woher kommen sie? Das sind die Fragen, die sich jeder Urteilende stellen muss, der sie fällt. Denn nicht immer ist es so leicht zu unterscheiden, was mit mir, dem Urteilenden, zu tun hat, und was das Werk in Wirklichkeit betrifft, das ich beurteile (oder verurteile) . Gibt es überhaupt solche Urteile und wenn ja, woher kommen sie: das ist eine schwierige und zugleich spannende Frage… sie „soll vorerst zum Nachdenken anregen“…;-), was ja oft das alles schlagende Argument ist von vielen Künstlern für ihre skurrilen Objekte.

PS: Mein Bestreben gilt grundsätzlich nicht der Durchsetzung meiner eigenen Ideen, sondern dem wach werden für die zentralen Fragen des Lebens. Und zu denen rechne ich jene nach der Freiheit (auch in der Kunst) definitiv mit…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Sind Illuminaten Erleuchtete oder Verschwörer?

BabelViele Dinge in der Weltgeschichte sollen unter dem Deckmantel eines mysteriösen Ordens, der von Adam Weishaupt im 18. Jahrhundert gegründet wurde, zu einflussreichen geschichtlichen Taten und Macht-Manipulationen geführt haben. Es gibt Begriffe, die einen ominösen (Ver-) Ruf haben. Zu ihnen gehört auch der Begriff der „Illuminaten“. Eigentlich bedeutet er „Erleuchtete“! Der Wolf versteckt sich bekanntlich gerne im Schafspelz. Man nennt sich humanistisch, sozial, menschenfreundlich usw., versteckt und vertuscht damit aber die eigentlichen hintergründigen Absichten, nämlich deren Gegenteil!

Natürlich kann man wahren Erleuchteten mit Bestimmtheit keine solchen Absichten unterstellen. Verdreht man geistige Tatsachen, so münden sie oft in eine Falle. Ob Weishaupt, Goethe, Herder und wie sie alle hiessen, die dem „Orden“ angehört haben sollen, nun „erleuchtet“ waren oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ob sie böse Absichten gehabt haben sollen im Sinne einer „teuflischen“ Manipulation der Weltgeschichte? Ich bezweifle es. Meines Wissens waren es redliche, ehrliche und durchaus aufrichtige Menschen mit hohen und hehren humanistischen Zielen.

Wie würden denn wirkliche Erleuchtete die Welt verändern wollen?

Natürlich hätte dies hohe Ziel, möchte man es mit anderen Menschen ehrlich teilen, zur Folge, einen Weg aufzuzeigen, der selbst zur Erleuchtung jedes weiblichen wie männlichen „Schülers“ führen müsste. Wer wirklich erleuchtet ist, der diese Gedanken hier liest, der weiss, dass durch die „neue Perspektive“ der Weltbetrachtung im erleuchteten Zustand sich sämtliche moralischen Werte und Vorstellungen in Luft auflösen! Es würde daraus niemals böse Absicht erwachsen können. Gerade nicht. Es gibt aber auch keine „gute“ Moral im Sinne eines festgefahrenen, konfessionellen oder sonstwie gearteten Konzeptes. Es gibt gar keine Moral! Wenn Sie den Mitmenschen und überhaupt die ganze Natur, jede Blume, jeden Stein, jedes Tier so wahrnehmen und fühlen, wie Sie Ihren eigenen Finger wahrnehmen und fühlen, dann werden Sie ihm nichts mehr antun wollen!

Die Erfahrung des All-Seins

Die Erfahrung genau dessen, einer Art All-Eins-Seins, die den erleuchteten Zustand ausmacht, durchzieht ein „neues Sehen“. Daraus gebiert keine Moral, kein gutes oder schlechtes Gewissen, sondern die einzige und wirkliche Freiheit eines Menschen. Eine Schule, die dahin führen soll, dass Menschen den Zustand der Erleuchtung erfahren sollen/können, hat bestimmte geistige Gesetzmässigkeiten zur Folge, die verhindern, dass der spirituelle Weg entweder in eine Verirrung oder in krankhafte Erscheinungen führen. Das wissen alle wahrhaftigen Einweihungs-Schulen. Es versteht sich von selbst, wer auf dem Weg dahin der eigentliche „Feind“ ist. Es ist das eigene Ego jedes Menschen! Die eigene Unzulänglichkeit des Verstandes, die Konditionierung der Vorstellungen in unserer eigenen Biografie, verhindert jede erfolgreiche Erweiterung der Sicht. Das mögen auch Weishaupt, Goethe und co. gewusst haben. Deshalb legten alle Lehrer, die etwas davon verstanden haben und hatten, einen so grossen Wert auf die Charakterschulung eines Menschen, der diesen Weg gehen wollte. Die Regeln waren zuweilen streng.

Der Schalk treibts an die Oberfläche

Wenn die Ziele einer (Verschwörer-) Macht, welche auch immer es sein soll, darin bestehen soll, sich selber zu erhöhen und den Fluss des Geldes – und damit auch die allgemeine Macht – auf sich zu ziehen, dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass dies nichts mit wirklicher „Illumination“ zu tun hat! Im Gegenteil! Dann hätten wir eben den Schafspelz, hinter dem sich der Wolf versteckt, indem er vordergründig hohe Ziele anpreist, die das Wasser letztlich auf seine eigene Mühle bringen. Das persönliche Ego jedes Menschen wird durch Massenbeeinflussung angetrieben, die kleine Welt des persönlichen Besitztums so geregelt und beeinflusst, dass er kontrollierbar bleibt, im Glauben des vermeintlichen Eigners, es sei dessen Besitz.

Gold wird mit Blei geschürft. Und dem kleinen Volk reicht das Blei durchaus, weil es meint, dass es Gold sei. Auch wenn es als Abgas aus den Motoren ihrer kleinen pseudoautonomen Fahrzeuge (genannt Auto) verpufft. Spirituell gesehen, nützen da auch jegliche „Filter“ nichts. Sie meinen, sie hätten das Gold und sterben schliesslich an ihrer (inneren) Bleivergiftung. Den Mächtigen solls recht sein, denn es gibt sowieso zu viele Nichtsnutze aus ihrer Sicht, die letztlich nur Geld kosten. In diesem Sinne gibt es wohl tatsächlich eine Art „Verschwörung“. Es ist die Verschwörung unseres Egos, die sich im Inneren jedes Einzelnen vollzieht. Die „Machthaber“ sind lediglich die Nutzniesser davon, eine Art „Super-Ego“, denn sie tun dies auch nur um ihrer selbst willen. Das ist im höchsten Zustand der grösste Reichtum durch alle weltlichen Güter. Diese Intention ist zugleich der grösste Feind wahrer Erleuchtung und am weitesten von dieser entfernt. Deren Seele ist im höchsten Mass verdunkelt, nicht erhellt. Kein Grund, ihnen nacheifern zu wollen.

Mein Fazit: Es gibt also mit Sicherheit keine wahren Illuminaten, die die Welt beherrschen wollen…

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Mein therapeutisches Konzept

TherapieAls junger Therapeut oder junge Therapeutin hat man sich nach der Ausbildung ein Arsenal von Werkzeugen, Methoden und Wissensstoff angeeignet, welches quasi auf seinen Einsatz wartet. Man hat – in einer guten Ausbildung – zudem viele Erfahrungen mit Menschen gesammelt, die dazu beitragen, das Gelernte in entsprechender Weise um- und einzusetzen. Wird man dann endgültig in die praktische Tätigkeit entlassen, steht man dennoch oft vor vielen neuen Rätseln.

Fehlendes Wissen kompensieren | Ich selbst versuchte das Fehlende stets mit neuem Wissen zu kompensieren. Ich las viele Bücher, die mir die Lösung der vielen Rätsel „Mensch“ zu enthüllen versprachen. Dabei stiess ich auf allerlei interessante Zusammenhänge, entwarf immer neue „Verlaufsblätter“ daraus und übertrug das Neuerlernte in den therapeutischen Alltag. Es war mir wichtig, so klar und bewusst wie möglich an den Therapieauftrag heranzugehen. Ich schrieb fleissig und akribisch Rapporte von jeder Stunde und dokumentierte den Verlauf gewissenhaft. Trotzdem stiess ich immer wieder auf neue Rätsel. Die „Fälle“ (sprich Menschen), deren Diagnose ich zu kennen glaubte, verhielten sich nie genau so, wie es aufgrund der Indikation zu erwarten war, selbst wenn nach dem Krankheitsbild zu urteilen, ähnliche Sachverhalte vorlagen. Klar, kein Depressiver ist gleich wie der andere Depressive. Ich entdeckte das Mysterium des Individuums kennen. Die Folge war, dass ich mich immer weniger auf die kreierten Verlaufsblätter verlassen konnte und immer weniger in das Wahrgenommene hineininterpretierte. Dabei durchbrach ich eine Mauer, die mir bisher trotz alles Wissens und aller „Erfahrung“ unbekannt geblieben war. Es enthüllte sich vor mir ein neuer Mensch.

Ein neues Instrument entdecken | Fortan begann ich mehr und mehr, mich auf ein anderes Instrument in mir zu verlassen und dieses allmählich auszubilden und reifer werden zu lassen. Vielmehr waren (und sind es noch) Erkenntnis-Werkzeuge, die einzig und alleine wirksam sind in der Begegnung mit Menschen und die ihnen mehr bringen, als alles andere äussere Wissen. Das wichtigste bleibt die Selbst-Beobachtung und Selbst-Erkenntnis. Jede wesentliche Begegnung bedeutet im tieferen Sinne eine heilende Begegnung. Dies begriffen zu haben, ist für mich eine der bedeutendsten Erfahrungen meiner bislang 25-jährigen Tätigkeit als Kunsttherapeut.

Evidenzbasierte Therapie | Es wird gegenwärtig viel von „evidenzbasierter Therapie“ gesprochen. Das heißt, man hat eine möglichst exakte und effiziente Kontrolle über die Beziehung von Indikation und daraus folgender therapeutischer Handlung: Fall A bedingt Behandlung B, Fall F bedingt Behandlung S usw. Zauberwort „Fallpauschale“ Dies reduziert die Behandlungsdauer radikal und damit natürlich auch die Kosten. Ob dies auch für die Krankheit selbst gilt, sei in Frage gestellt. Feste, quantifizierbare Größen, Konzepte und Rezepte sind dabei unabdingbar. Medikamente stehen im Zentrum solchen Wirkens. Die biochemischen Reaktionen im physischen Organismus sind klar und relativ objektiv ermittelbar mit Inkaufnahme gewisser „Nebenwirkungen“. Letztere sind allerdings auch ein Beweis für den Mangel an individueller Bezugnahme auf den einzelnen Menschen.

Feste Regeln geben den PatientInnen zwar eine gewisse Sicherheit und das gute Gefühl, „etwas getan zu haben“, in guten Händen zu sein. Dies mag, insbesondere bei klaren, eindeutigen Diagnosen, gewiss sehr erfolgreich sein. In erster Linie geht es da um Schmerzbeseitigung und Symptombekämpfung. Der Heilbegriff definiert sich über diese Grundhaltung. Bei psychischen Krisen und Konflikten stellt sich die berechtigte Frage, wie umfassend diese Denkweise sein kann. Inwiefern werden solche vorgegebenen, pauschalen Antworten dem individuellen Anspruch eines Menschen noch gerecht?

Mein persönliches therapeutisches „Konzept“ wenn man so will, ist, als Antwort darauf, die Anwendung einer „situationsangepassten Intuition“. Wobei ich mir nicht einbilde, zu wirklichen Intuitionen im Sinne Rudolf Steiners, vorzudringen. Das Entscheidende ist der eigene innere Weg, den man zu beschreiten gewillt ist, in diese Richtung zu wirken, mit allen entsprechenden Konsequenzen. In einer therapeutischen Situation, die auf Einzelbasis geführt wird, stehen sich zunächst zwei Individuen, TherapeutIn und KlientIn gegenüber. Der oder die letztere hat ein Ziel vor Augen. Irgendetwas hat sie oder ihn in die Therapie-Situation geführt. Die Intervention kann auf verschiedene Weise geschehen. Grundsätzlich haben die Klienten bereits vor der Kontaktaufnahme einen Teil des Weges selbst vorgegeben. In meinem Fall möchten sie ihr Ziel in einem künstlerischen Prozess und dem damit sich ergebenden verbalen Austausch angehen. In andern Fällen suchen sie den Konflikt oder das Problem allein im Gespräch zu lösen.

Ein guter therapeutischer Verlauf zeigt sich in grundsätzlich vier Stufen. Die erste ist die eigentliche Kontaktaufnahme, das gegenseitige „innere Abtasten“ und sich finden. Die zweite Stufe ist der Aufbau einer Basis, die den weiteren Prozess trägt und fördert. Sie ergibt sich aus dem Vertrauen. Eine dritte Stufe kann darauf aufbauend die grundlegende Thematik sichtbar machen. Und die vierte Stufe schließlich ebnet den Weg zur Umsetzung in die Tat. Meistens folgt darauf eine fünfte Stufe, die ich als Stabilisierungs-Phase bezeichnen möchte. Eingerahmt werden in meinem Fall die fünf Stufen jeweils von einem Erstlingswerk und einem Abschlusswerk.

Das größte Hindernis im ganzen Prozess ist die Tatsache, dass wir einen Menschen immer in seiner Doppelnatur erkennen und begreifen müssen. Sowohl der Therapeut, wie auch der Klient/die Klientin müssen in die Verhältnisse dieser Doppelnatur Klarheit bringen, um im wahren Ich angesprochen werden zu können. Hier liegt meines Erachtens das größte Konfliktpotential. Ein Teil des Selbstes möchte sich entfalten, sich weiter entwickeln, der andere ist oft bequem oder verdrängt viele Tatsachen oder Verhaltensweisen der eigenen Persönlichkeit. Dieser Tatbestand verlangt großes Einfühlungsvermögen, vor allem von Seiten des Therapeuten/ der Therapeutin. Die Gefahr besteht darin, dass mögliche Interventionen geblockt werden und in dieser Verhinderung ein Spiegelungsprozess, eine Projektion stattfindet, die tragischerweise oft von beiden Seiten nicht durchschaut wird!

Dies kann in „positiver“ oder „negativer“ Weise geschehen. Beides wird in Anführungszeichen gesetzt. Denn „positiv“ bedeutet lediglich, dass das Gefühl positiv „genährt“ wird, zum Beispiel dadurch, dass sich der eine oder die andere verliebt oder die Autorität zum tragenden Faktor wird. „Negativ“ in diesem Sinne hat das Gegenteil zur Folge und kann zum Abbruch der Therapie oder zur inneren Blockade führen. Im ersten Fall entsteht eine ungünstig zu bewertende Abhängigkeit, im zweiten Fall bleibt das Erreichen des Zieles durch Abbruch oder Selbst-Behinderung aus. In beiden Fällen wird der eigene innere Zustand auf das gegenüber projiziert, statt im eigenen Selbst ausgetragen zu werden. Wir wollen den bequemen und zur Verdrängung neigenden Teil eines Menschen einmal das „Ego“ nennen. Meines Erachtens wird dieses bedient und gefördert im erstgenannten Verfahren. Dabei werden die Menschen im schlechten Sinn nur „behandelt“. Viele Menschen wollen „nur“ „behandelt“ werden. Es ist einfacher, als in sich selber „etwas in Bewegung“ zu bringen.

Persönlichkeitsanteile | Beide, sowohl Therapeut wie KlientIn kennen und nähren jenen Anteil in ihrem Alltag und handeln aus ihm heraus. Die therapeutischer Kompetenz gegenüber den meisten Klienten besteht lediglich darin, dass sie im Idealfall ein höheres Bewusstsein von den darin laufenden Mechanismen, Prozessen und Automatismen entwickelt hat als es der Normalfall ist. Dadurch ist er oder sie besser in der Lage, diese auch bei anderen Menschen zu erkennen und zu benennen. Die Hauptaufgabe einer Therapie besteht aus meiner Erfahrung und Sichtweise darin, dass man besser und bewusster bei sich mit diesen Anteilen umgehen kann – und lernt, sie im Alltag zu erkennen. Es kann aber auch geschehen, dass gerade jene Anteile genährt und gefördert werden – und somit das Ego des Klienten gestärkt wird! Obwohl sich dies für diesen zunächst sehr gut anfühlen kann, man kann das sehr gut auch bei Kindern beobachten, so wird es sich längerfristig dennoch als Trugschluss entlarven. Damit einher geht nämlich eine Ablenkung oder Eindeckung des zentralen Anliegens meines Heil-Verständnisses.

Das Problem wird dadurch „gelöst“ (oder eben nicht gelöst), dass es von einem Lust- oder Triebaspekt des eigenen Egos überdeckt und zubetoniert wird. Dazu zählen alle möglichen Verhaltensregeln oder Anweisungen, die dies unterstützen. Durch Konditionierung im Verhalten befriedigt man das Konsumverhalten vieler Menschen und den Drang nach einfachen Lösungen („ich hab ja schließlich bezahlt, also habe ich dies oder jenes zugute!“). Ein Patentrezept zum Umgang in diesem oder jenem Konflikt erleichtert durch entsprechende Maßnahmen das Muss einer tieferen Auseinandersetzung mit sich selbst und bedient den zur Bequemlichkeit neigenden Anteil des eigenen Ego.

Fazit | Für meinen Begriff ist eine solche Intervention untherapeutisch oder sogar antitherapeutisch. Der andere Weg ist immer mühsamer und fordernder, dafür jedoch einschneidender, nachhaltiger und ehrlicher. Auch wenn hier der Therapeut manchmal ratlos erscheinen mag und stärker in den Verwandlungprozess miteinbezogen ist als im andern Fall, so ist dieser Weg doch letztlich der einzig wahrhaftige. Es gibt nie Patentrezepte oder generalisierte Lösungen. Diesen Teil der Medizin überlasse ich gerne den sogenanntem „evidenzbasierten“ Interventionen. Jeder Mensch hat, selbst wenn er äußerlich von derselben Diagnose betroffen ist, einen individuellen und originalen Weg zur Konfliktlösung bereit. Diesem Umstand muss unbedingt Rechnung getragen werden. Es gibt keine „Fälle“, sondern immer nur individuelle Menschen mit ihren jeweils vorhandenen spezifischen Ressourcen. Ich habe den allergrößten Respekt vor dem Bestehen in ungewissen Situationen, in die sich Therapeuten und Therapeutinnen immer wieder begeben, die diesen schwierigeren Weg beschreiten. Die Kunst bietet ein herausragendes Mittel auf diesem Weg!

Wirkstatt Basel… Kunst erleben…

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

 

Sind Gesetz und Freiheit unvereinbar?

Konzentration LagerIm Leben eines Menschen zeichnen sich viele unterschiedliche Phasen ab. Die Frage nach der Freiheit schwingt bei den meisten Menschen im Hintergrund mit. Der Jugendliche, oder der junge Erwachsene, fühlen sich ebenso mit dieser Frage konfrontiert, wie alte Menschen. Die Konsequenzen, die aus den Erfahrungen diesbezüglich gezogen werden, sind im Allgemeinen sehr unterschiedlich.

Der junge pubertierende Mensch pocht häufiger auf seine Rechte, auf sein wahrgenommen werden in der Welt. Was im hohen Alter eher befremdend daherkommt, ist in diesem Alter quasi legitim! Dabei sieht er/sie sich in größter Konfrontation mit seiner Umwelt. Das Gefühl der Autonomie gegenüber der Welt ist in jugendlichem Alter sehr wichtig für die weitere Entwicklung. Es gibt genügend Gründe, sich am Widerstand der äußeren Welt zu stärken, um so Selbstvertrauen und Durchsetzungswille zu schulen.

Im späteren Alter, so nach den Dreißigern, vielleicht Vierzigern, treten ganz andere Erfahrungen und Bedürfnisse auf den Plan. Das Zerrieben werden an der Welt, der ewige Widerstand, kann sich wie eine seelische Lähmung auswirken und zu Resignation und Depression führen. Man nimmt nur noch eine rücksichtslose und machtgierige Welt um sich herum wahr und fühlt sich entweder davon abgestoßen oder taucht selbst so tief darin ein, dass jede Selbstwahrnehmung diesbezüglich verloren geht.

Im Jugendalter muss das als gesund und normal angesehen werden, auch wenn sich das Erleben der Freiheit hier wohl in seiner egoistischsten (sprich autonomsten) Form zeigt. Das spätere Entwicklungsstadium lässt oft nachhaltige Spuren hinter sich, welche die Hoffnung auf eine mögliche Befreiung von dieser Marter des Menschen bestreitet. Oder man verkennt selbst die Unfreiheit darin. Das ist der Normalzustand vieler Menschen in fortgeschrittenem Alter. Beide, die Überbetonung einer egoistischen Freiheit, die natürlich nicht als solche entlarvt wird, und jene der Resignation und Leugnung der Freiheit machen den größten Teil der gegenwärtigen Lebensgrundstimmung in der Welt aus. Das Resultat können wir jeden abend in den Nachrichten sehen. Deshalb bleibt oft nur ein müdes Lächeln übrig, wenn man, wie hier in diesem Blog, immer wieder für eine Art „drittes Erlebnis“ aufmerksam machen will, einer „individuellen Freiheit“ sozusagen, die jenseits von Egoismus und Resignation gefunden werden kann, beziehungsweise schon da ist.

Was aber wären die Konsequenzen, wenn man den Gedanken der Unfreiheit des Menschen zum Dogma macht, ohne ihn gründlich zu Ende zu denken? Wie würde oder müsste sich z.B. das Rechtswesen konsequenterweise verändern, wenn man davon ausgeht, dass es eine solche Freiheit nicht gibt? Dieses Rechtswesen und die Gesetze bauen weitestgehend auf der Maxime einer egoistischen Variante von Freiheit auf. Um die einseitige Übersteigerung, die auf eine extreme Selbstbehauptung gegenüber anderen Menschen baut, auf ein normales, sozialverträgliches Maß herab zu brechen, müssen sogenannte „Normen“, eigentlich besser „Verhaltensnormen“ definiert und aufgestellt werden. Die Umgehung dieser Gesetze muss in der Folge drastisch und vehement kontrolliert werden. Kontrolle geht in diesem Kontext über Vertrauen; denn ein wirkliches und bedingungsloses Vertrauen würde schon eher zu der dritten, von mir gemeinten Freiheit gehören. Da sie als inexistent angenommen wird, zumindest gemäß dem allgemeinen Verhalten der Menschen zufolge, muss das Werkzeug der Kontrolle und des Misstrauens als Gesetzesbasis eingesetzt werden. Dadurch entsteht die Knechtschaft, aber nicht nur jene nach aussen, in Abhängigkeit dieser Gesetze folgende, sondern auch die eigene, nach innen gerichtete, die dahinter nicht erkannt wird!

Die Konsequenz ist die Entmündigung des Menschen und vor allem, eines möglichen freien Menschen. Er wird gar nicht als existent wahrgenommen: die letzte Konsequenz daraus ist die totale Entmündigung. Die Freiheit hat jedoch nicht nur äußere Aspekte, sondern auch Innere. Sie hängen unter anderem auch mit dem Triebleben zusammen. Ein Wolf, der ein Schaf reißt, kann dafür kaum verantwortlich gemacht werden, dass er dies tut. Man könnte ihn zwar abschießen. Damit hat man ein Problem beseitigt, den (entmündigten) Täter beseitigt. Aber da es noch viele andere Wölfe (Wölfinnen) gibt, bleibt der Naturtrieb an sich dennoch am Leben erhalten und es wird auch in Zukunft immer wieder Schafe reißende Wölfe (Wölfinnen) geben. Der Trieb stirbt nicht aus. Das Tier ist existentiell von ihm abhängig und kann dafür auch nicht bestraft werden. Da auch der Mensch Triebe hat, muss davon ausgegangen werden, dass er oder sie, sie nicht immer unter Kontrolle haben kann. Aber was heißt nicht immer? Gibt es denn eine Möglichkeit, sie zu kontrollieren? Eben darin zeigt sich ein Aspekt der dritten Art von Freiheit. Wäre sie im Menschen nicht latent vorhanden, dann könnte man ihn ebenso wenig bestrafen, wie den Wolf. Hier stecken wir in einem Zwiespalt. Das Gesetzt selber ist der Zwiespalt…

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Ist alles Kunst?

PapierknäuelZur Zeit (Dezember 2015) findet in der Basler Messe eine Ausstellung von Ben Vautier statt. Der Performer und Künstler stellt die provokative, jedoch mittlerweile gesellschaftsfähig gewordene Frage: “Ist alles Kunst?“
Bereits Joseph Beuys, der sich sehr mit der Anthroposophie Rudolf Steiners verbunden fühlte, implizierte in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Diskussion um die künstlerischen Intentionen und argumentierte in diese Richtung.

Glaubenssätze

Die Frage kann existenziell sein. Sie ist es jedenfalls für mich. Sie rechtfertigt oder vernichtet meine künstlerischen Ausbildungen, meine ganze Erfahrung, meine Talente (und Schwächen?), meine Präferenzen. Damit hängen viele Dogmen und Glaubenssätze, aber auch viel Leid und Freud zusammen, die in den letzten 5000 Jahren Kunstgeschichte kaum jemals so deutlich hinterfragt wurden wie heute. Jetzt ist die Zeit scheinbar gekommen, alles zu zertrümmern, was uns prägte, stärkte, schwächte, kurz unsere ganzen Ziele und Vorstellungen, denen wir unser bisheriges Leben zu „verdanken“ haben, nach denen wir uns richteten, über Bord zu werfen. Müssen wir deshalb gleich das Kind mit dem Bade ausschütten? Ist das “Alles ist Kunst“-Dogma nicht auch wieder ein neues Gefängnis unserer Vorstellungen in das wir hineintrampeln ohne es zu bemerken und welches uns den letzten Todesstoss gibt?

Tod der Kunst

Dass die Bejahung der so gestellten Frage gleichzeitig den Tod der Kunst bedeutet, wird den meisten Normaldenkern nicht klar sein. Zu jovial, zu locker, zu wenig gewichtig betrachten die meisten Menschen grundsätzlich die Tragweite und den Wert der Kunst. In vielen Fällen wird sie bestenfalls als wichtige Nebenbeschäftigung, als (oft brotloser) Sonntagsjob, angesehen. Jedoch, sie ist es gewiss nicht, behaupte ich jedenfalls; sie ist sogar das Wichtigste was es gibt für die Entwicklung der Menschheit und der Menschen! Die Tatsache, dass alles Kunst sei, entwertet die Gewichtigkeit derselben in Ihren Grundfesten und erschüttert überhaupt jede künstlerische Bemühung. So werden gerade diejenigen, die sich heute Kunstschaffende, Künstler nennen und die mit der Flagge des banalen, alltäglichen oder gar unterschwelligen, rein subjektiven „Sauglattismus“ oder einem blossen „Provokatismus“ auftreten, zu den grössten Feinden der Kunst (…viele tun es aus dem Verständnis dieser Paradoxie heraus unbewusst schon gar nicht mehr…). Ein Begriff der ALLES ist, ist generell absurd. Darin besteht ja gerade der Sinn und Zweck eines Begriffs, dass er sich von anderen Begriffen abhebt, unterscheidet. Wenn ALLES Kunst ist, dann ist Kunst ALLES und es gibt nichts mehr ausser Kunst. Aber es gibt auch sie selber nicht mehr! Schon aus diesem Grund ist die Frage sinnlos, denn sie schliesst ALLES mit ein. Sie wäre, philosophisch gesehen, der letzte Satz der menschlichen Geschichte vor ihrem Untergang, wenn sie ernst genommen würde. Ist es demnach nicht nur absurd, sondern sogar blosse Zeitverschwendung, sich überhaupt damit zu beschäftigen?

Kunstrealität

Und dennoch scheint es heute so etwas wie eine geschichtliche Bestätigung im Sinne einer Bejahung dieser Frage zu geben! Man wird das Gefühl nicht los, dass Jahr für Jahr immer mehr Argumente für die Beurteilung des im echten Sinne Künstlerischen bachab gehen. Nicht diese oder jene Argumente und Kriterien, sondern Kriterien generell. Argumente oder Aspekte wie Schönheit, Wahrheit, Echtheit, Können usw. verkümmern mittlerweile immer mehr, verwässern sich, werden unklarer denn je oder sie werden gar belächelt, wenn nicht sogar bekämpft und verpönt. Im Grunde gibt es gar keine solchen Kriterien mehr. Jeder ist sein eigenes Zentrum mit den ihm oder ihr eigenen Sichtweise und verteidigt diese aufs Blut gegenüber den “Mitstreitern“. So gewinnt der stärkere und der Darwinismus, den man doch vielerorts überwunden haben will, ist neu auferstanden. Ästhetische Aspekte sind sowieso verpönt oder werden in ein ALLES umgepolt. Unsinnigerweise werden gerade sie vom “Alles-ist-Kunst“-Dogmatiker ausgeschlossen! Der Subjektivismus beherrscht kein anderes Gebiet so sehr, wie die Kunst. Gerade deshalb ist sie zum Gradmesser, zum Thermometer unserer Gesellschaft geworden! Ein tragisches emotionales Zeugnis, wie ich meine und zugleich paradox zu einer Alles-ist-Kunst-Doktrin

Kunst als Königsdisziplin

Die Kunst war einstmals eine Königsdisziplin. Der Künstler gehörte zu den angesehensten Bürgern des Landes. Sein Können wurde bewundert oder gar verklärt. Die Kompetenzen und Fähigkeiten und das handwerkliche Geschick, wurden beispielsweise in der Renaissance sehr hoch bewertet. Diese Hochachtung hatte noch lange Bestand, im Grunde bis in das letzte Jahrhundert hinein, wenngleich ein Zerfall, ein Auseinanderbrechen einer tragenden zentralen Kraft, schon damals spürbar wurde. Trotzdem: Kunstschulen waren hochwertige Akademien, auch wenn Sie zuweilen antiquiert daher kamen. Ihre Lehrer waren selbst angesehene Künstler im Sinne von Könnern. Die Kriterien der Professionalität wurden hoch bewertet. Sie beinhalteten lange Zeit objektivierbare Maßstäbe. Auch wenn dabei die Gefahr einer Konservierung und Verkrustung, sowie einer Dogmatisierung der künstlerischen Anschauung durchaus bestand.

Kriterien der Kunst

Dennoch kann man die Frage einmal laut stellen: Welche künstlerischen Kriterien kann denn eine moderne Kunstschule überhaupt noch haben, wenn deren Philosophie in die oben gestellte Richtung zielt? Was soll an den heutigen Fachhochschulen für Kunst überhaupt noch gelehrt werden, wenn doch alles Kunst ist und grundsätzlich schon Kleinkinder kompetent sind? Es gibt dereinst keine angemessene, objektivierbare oder messbare Professionalität mehr! Die Kunst disqualifiziert sich selbst. Die geringste menschliche Handlung, sogar die tierische; jede Tätigkeit überhaupt, genügen dem so gearteten künstlerischen Anspruch, wenn man ihn konsequent nimmt.

Fachkompetenzen in der Kunst

Kein anderer Bereich als die Kunst, verlangt weniger fachliche Kompetenzen. Handwerker, Kaufleute, Wissenschaftler, Forscher, Lehrer, Köche, Bundeskanzler… innen immer mit eingeschlossen… erfordern höchste Ansprüche, um ihrem Fach gerecht zu werden. Ihnen allen wird akribisch auf die Finger geschaut. Und wehe, sie begehen Fehler! Ein Künstlertum dieser ART kennt keine Fehler, zumindest wird man dieses Gefühl in den bildenden Künsten nicht los. Alles ist gut, richtig – (nur unterschiedlich teuer).
Braucht es noch mehr Argumente um die gestellte Frage endgültig abzuhaken?
Wenn nein, so muss die nächste und entscheidende Frage lauten: Welche Kriterien hat ein Werk zu erfüllen, um dem Anspruch Kunst in professioneller Art und Weise zu genügen?
Problematisch wird es, wenn die Freiheit in der Kunst im Grundgesetz verankert ist, wie es in Deutschland zum Beispiel der Fall ist. Abgesehen vom “Alles ist Kunst“-Dogma, weiss ja keiner mehr, wo die Grenzen zu ziehen sind zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Das wäre aber durchaus empfehlenswert und notwendig. Ansonsten wird es gefährlich. Denn allein die Definition “Kunst“ vermag den bis zur absoluten Dekadenz neigenden sogenannten “künstlerischen Akt“, was immer dies sein mag, in jeder Handlung zu decken. Wer entscheidet dann, ob es gegebenenfalls wirklich Kunst ist und somit der Freiraum gewährleistet werden muss, oder ob das nicht der Fall ist? Ein Richter?

Und was soll denn Kunst nun sein?

Sicher werden Sie vermuten, dass ich nun derjenige bin, der mit der weltumfassenden Lösung des Problems kommt und Ihnen die hyperkompetente Definition der Kunst gebe? Ich werde mich hüten. Dennoch beschreibe ich Ihnen gerne, wie meine Sicht und meine Erfahrung aussieht. Dazu braucht man ein wenig Bauchpinselei, denn sonst glaubt einem ja niemand mehr. Dass ich bereits seit 30 Jahren aktiver Kunstschaffender bin usw., dass ich künstlerische Prozesse intus kenne durch jahrelange Arbeit mit Kindern und Erwachsenen, denen ich ebensolche Kriterien nahebringen will, weil sie mit Fragen und Erwartungen an mich herantreten, weil sie sogar Heilung aus der Kunstbetätigung erhoffen, dies alles soll nur am Rande erwähnt werden. Am eindringlichsten sind meine eigenen Intentionen in Malerei und Plastik, im eigenen künstlerischen Versuch, entstanden. Dort zeigen sich immer quasi die Reflexionen meiner Selbst als Abbild ausser mir! Wer sich damit zufrieden gibt, eine tote Idee, z.B. eines Papierknäuels, die in seiner konditionierten Vorstellung wurzelt, als Kunstprodukt anzuerkennen und damit leben kann, dem seis gegönnt! Mir genügt es nicht. Mich langweilt es. Meine konditionierten Vorstellungen langweilen mich, weil ich mich in ihnen nicht wirklich als Mensch erkenne. Weil sie im Erkenntnisakt lediglich die vielen, unsagbar vielen, Teilaspekte meiner Selbst spiegeln und mir eine Freiheit vorgaukeln, die irrsinnig und absurd ist. Allein, durch diese (Selbst-) Erkenntnis setzen andere Maßstäbe, andere Ansprüche ein, die den Kunstgenuss erfüllen möchten. Es sind Intentionen, die immer mit dem innersten Wesenskern zu tun haben, der durch vielerlei Schichten verdeckt ist. Darin also besteht in erster Linie meine eigene Bemühung: Das Abdecken/Aufdecken dieser eigenen Schichten durch die Kunst, durch die künstlerische Betätigung. Aus diesem Wunsch heraus leiten sich alle Schritte und Kompetenzen ab, die Kunst für mich zur Kunst machen. Und dadurch ist auch Heilung im künstlerischen Prozess mit eingeschlossen! Der wahre, tiefere Kern einer Kunsttherapie! Leider ist an den gegenwärtigen Kunstschulen wenig davon zu finden. Und auch in den meisten Kreisen der gegenwärtigen Kunst Szene. Es ist zu hoffen, dass sich die Abgründe des Subjektivismus allmählich wieder zu schliessen beginnen und eine Selbsterkenntnis in diesem erweiterten Sinn wieder Fuss fast, um die Kunst wieder dorthin zu bringen, wo sie hingehört, zu einer, im umfassendsten Sinn, spirituellen Tätigkeit.

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und ein KinderbuchUrsli und der Traum vom Schiff

Der Beitrag als Audio-Datei: Ist alles Kunst?

Lob des Denkens…

…mit gedanklichen Einwänden

DenkenZuweilen wird gestritten, ob das menschliche Denken nicht mehr zerstöre, als es aufbaut. Es wird manchmal über die Intellektualität der westlichen Gesellschaft gewettert und deutlich gemacht, dass wir mehr menschliche Wärme benötigen und unsere Gefühle stärken sollen, anstatt alles zu analysieren und zu zerpflücken. Dabei gibt es sehr große Meinungsverschiedenheiten darüber, was denn Denken überhaupt sei… und alles dies, mit Verlaub, geschieht mit demselben Werkzeug, welches menschliche Kommunikation auszeichnet: dem Denken! Allein dies zeigt schon die Unmöglichkeit, das Denken streitig zu machen.

Wie auch immer die Einwände dagegen sind; sie können nur immer wieder durch Gedanken vermittelt werden. Sicher, das ist eine Binsenwahrheit und man kann sich darüber ärgern, dass das Denken zum Thema eines Artikels wird, zum wiederholten Male. Überhaupt, was will der ständig mit seinen Aufrufen zur Bewusstseinsentwicklung! Soll das doch mal etwas lockerer nehmen. Sich ein bisschen gehen lassen, gelassener werden. Einwände, die ich gelegentlich zu hören bekomme… es gibt doch so viele andere, schönere Geschichten. Zum Beispiel, wie drollig meine Katze sich wieder am Fußende meines Bettes wälzt. Oder der neueste Song von dieser oder jener Gruppe, auch schön. Vielleicht auch gerade nicht schön. Lässt sich doch so wunderbar streiten darüber, ob der Song nun schön ist oder nicht schön ist.

Auch andere Geschichten wälzen und belasten uns tagtäglich. Wir hören sie, sehen sie am Radio, im Fernsehen: Informationsfluten über Kriege, Schlachten, Mord und Totschlag, Einbrecher, Abzocker, Geldwäscher und andere üble Dinge. Sie nehmen uns in Beschlag und benebeln uns durch die Überfülle, das Zuviel (des Schlechten). Wie viel Leid können wir ertragen? 5 Kriege, 6 Abzocker, 3 Kindsmörder und sechs tragische Unfälle. Und dies alles in 15 Minuten Hauptnachrichten! Nur ein einziger Fall, der uns persönlich betreffen würde, genügte, um uns für Tage, Wochen, Monate in eine tiefe Krise zu führen…

Bei alledem fragt man sich schon, welchen Wert diese Informationsfülle hat? Was wir „Denken“ nennen, ist eben normalerweise nicht ein aktives, innerlich beteiligtes Verstehen wollen, sondern ein passives Hinnehmen von Bildern und Vorstellungsfluten, die (meistens) ungefiltert an uns herantreten. Unsere Wahrnehmung geht dahin und dorthin, streift durch die Schaufenster, Bildschirme und Objekte unserer Umgebung. Und gleichzeitig läuft innerlich, in uns, ein Film ab von Assoziationen und Erlebnissen: Dinge, die wir noch zu erledigen haben oder die wir hinter uns gebracht haben und die einen fahlen Nachgeschmack hinterließen. Dies alles füllt unser „Bewusstsein“ und lässt wenig Raum übrig für das Wesentliche! Über das, was hinter dieser Fassade eines getrübten Blickes lebt und seinen Anspruch an uns fordert, ein Leben lang. Jedoch von uns nicht gesehen wird, weil unser Blick dafür verdeckt ist…

Und alles nennen wir „denken“. Und die Forderung nach etwas Neuem, unentdecktem ist sicherlich nicht ungerechtfertigt! Aber deswegen das Kind mit dem Bade ausschütten? Wie sollen wir denn zu diesem Neuen finden, wenn wir das Denken einfach ausschalten? Wir können träumen oder schlafen, einerlei, da haben wir es tatsächlich ausgeschaltet. Manche nennen es Meditation. Was aber tun sie anderes, als mit herabgedämpftem Bewusstsein in den Tag hinein zu träumen.

Allein, das Verwoben sein, das verhaftet sein mit den Vorstellungen, die uns passiv ständig belagern, macht es uns unmöglich, hinter die Fassade unserer Persönlichkeit zu blicken. Aber hinter der Fassade lebt etwas in jedem Menschen, was er nie mehr missen möchte, wenn er es einmal „gesehen“ oder gefühlt, entdeckt hat!

Das Denken ist eine menschliche Kraft, die es uns ermöglicht, solche Wege zu beschreiten. Deshalb ist es nicht nur wichtig, sondern absolut unerlässlich. Das heißt aber nicht, dass das Denken selbst schon das Geistige ist! Es ist vielmehr eine Brücke zum Geistigen Ganzen in uns. Das Problem besteht im Erkennen dessen, was uns an Gedanken tagtäglich durchzieht. Die, ganze oder teilweise, Verhaftung mit den Vorstellungen und Bildern führt dazu, dass wir die Motive für unser Handeln nicht mehr erkennen können. Es gibt sicherlich Extremfälle, Affekthandlungen, die dies ziemlich krass dokumentieren und jedem verständlich machen. Das wird auch niemand abstreiten können. Aber sonst? Was geht das mich an? Ich habe doch alles im Griff? Sobald wir anfangen, ein wenig wacher zu sein in dem, was uns an Vorstellungen stets durchzieht, merken wir, dass es durchaus nicht so ist, dass wir „alles im Griff“ hätten. Schon die ersten Bemühungen in diese Richtung werden uns wachrütteln. Wären wir tatsächlich immer der eigene „Herr im Haus“, dann hätten wir keine Probleme mehr, die uns seelisch bedrängen würden. Die Statistik zunehmender psychiatrischer Leiden zeigt indessen etwas anderes…

Bereits in den ersten Kapiteln von Rudolf Steiners Einweihungsbuch mit dem etwas antiquierten Titel: „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“, steht, dass man versuchen soll, sich wie ein Fremder gegenüberzustehen. Im Prinzip läuft dies (zunächst) auf eine „Gedankenkontrolle“ hinaus. Das heißt, wir sollen versuchen, dadurch, dass wir uns selbst Inhalte schaffen, uns von den automatisierten Vorstellungen mehr und mehr zu lösen. Die Kraft, die dann erwächst, wenn man sich in solcher Art und Weise, wie von Steiner beschrieben, für eine Weile auf einen bestimmten Gedanken konzentriert, wird uns befähigen, später, wenn wir uns einige Übung darin erschaffen haben, auch diesen selbst geschaffenen Inhalt wieder wegzumachen. Und dann befinden wir uns in einem „geistigen Raum“, der nun nicht mehr am Gedanken „klebt“, sondern dahinter, darüber oder wie auch immer steht, ihn im Grunde, zeit- und „raumlos“, umfasst. Dass nun zu dieser Schulung eine Grundhaltung der Ehrfurcht und Achtung gehört, versteht sich fast von selbst. Das Wesentliche in solchem Erleben aber ist das betreten einer höheren Dimension, in der sich alles auflöst, was uns sowohl an die Vergangenheit wie an die Zukunft bindet. Es ist ein Zustand absoluter Geistes-Gegenwart…

Die Brücke, die das Denken schafft, ist das Hinweisen und Hinführen an diese Erlebnisse. Deswegen ist es nicht etwa wegzumachen oder zu verdrängen, sondern im Gegenteil, zu stärken! „Lob dem Denken“ also… und dies in gedanklicher Art und Weise… sei an dieser Stelle mein Credo!

[wysija_form id=“1″]

Artikel zum Anhören

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Brief eines Lehrers an seine Schüler

Lehrer

Liebe Schülerinnen und Schüler

In den letzten Jahren habe ich mit mir und mit Ihnen gekämpft und gerungen. Mühsam versuchte ich, es Ihnen in allen Belangen recht zu machen, Ihnen den Stoff so zu vermitteln, dass er Lust bereitet und motiviert. Dies tat ich im besten Glauben, damit etwas Gutes zu tun, nämlich Ihnen etwas auf Ihren Lebensweg mitzugeben, um alle Grunderfordernisse zu erfüllen, die in der heutigen komplexen Welt – vielleicht leider – erforderlich sind und verlangt werden.

Je mehr und je länger ich mich um solches bemühte, umso weniger vermochte ich Ihre Motivation zu spüren, Ihre Bereitschaft auszumachen, das anzunehmen, was ich Ihnen geben wollte. Doch nicht nur die Motivation schien zu schwinden, sondern auch die Achtung voreinander und das gegenseitige Vertrauen. Dass auch die Leistungen unter dem grossen, allseitigen Druck, bedenklich in den Keller fielen, ist eigentlich nur folgerichtig und wenig verwunderlich. Die Grundbedingungen, das Fundament schien zerbrochen, weil der Zusammenhang immer mehr fehlte.

So habe ich mich nach langem Ringen mit mir selbst, entschlossen, diese Situation ab dem heutigen Tage und mit sofortiger Wirkung zu ändern! Ich verlange nichts mehr von Ihnen! Sie können gehen! Ich erwarte auch nicht, dass Sie wiederkommen sollen. Ich bin Ihnen deswegen auch gar nicht böse, weil ich weiss, wie schwer Sie es haben. Einigen wird diese Situation nicht so sehr gefallen. Die meisten von Ihnen – so bin ich überzeugt, sind aber sehr froh darüber. Ich selber bin nicht froh, aber auch nicht traurig.

Sie können eine Woche ausbleiben; Sie können zwei, drei, vier oder mehr Wochen ausbleiben: Solange Sie wollen! Ich gebe Ihnen eine Liste mit, was die Lernziele dieses Jahres sind. Am Ende des Schuljahres dürfen Sie ungeniert zu mir kommen und die Prüfungen ablegen. Sie können aber auch jederzeit bei mir Hilfe anfordern, ja Sie können auch weiterhin den Unterricht regelkonform besuchen. Ich bin immer für Sie da. Sie können es halten, wie Sie wollen. Wenn Sie gar keine Schule mehr haben möchten, dann müssen Sie es vor sich und Ihren Angehörigen selber verantworten und alle daraus entstehenden Folgen gut überdenken.

Rechnen Sie damit, dass Sie früher oder später in eine Krise geraten. Aber diese Krise muss wohl sein. Erst durch sie kann der gegenwärtige Nullpunkt durchschritten werden. Wie es weitergehen soll, liegt also ganz in Ihren Händen!

Hochachtungsvoll,
Ihr Lehrer

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Intuition und Selbstbeobachtung

intuitionIm Alltag orientieren wir uns gewöhnlich an den sinnlich wahrnehmbaren Objekten der Welt und verarbeiten sie. Wir erleben diese Dinge als getrennt von der Außenwelt, in unserem Inneren sich vollziehende Tätigkeit. Solange wir unser orientiert sein nur danach ausrichten, entsteht alles, was aus einer solchen Trennung immer wieder geschehen muss: Das kann Zweifel, Zwist, Zwiespalt und Schmerz, eine Entzweiung meiner subjektiven Welt mit dem wahrgenommenen Inhalt sein. Es kann aber auch ein Gleichklang, eine Einstimmung, Einverständnis zum Objekt entstehen. Je nachdem, wie unsere Beziehung dazu ist.

Dennoch schließt uns das subjektive Erleben von unsrer Außenwelt ab, immer mit der Hoffnung auf ein adäquates Erleben, welches sich durch Zustimmung ähnlich denkender Mensch kundtut. Die Realität ist das Trennende, weil sich unsere eigenen Vorstellungen dieser Außenwelt entgegenstellen oder zumindest relativ gegenüberstellen. Man wird versuchen das Trennende – und damit den Schmerz – zu überwinden. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist grundsätzlich die Suche nach einer alles umfassenden Einheit. Manche nennen sie Gott, andere Geist, wieder andere sonst irgendwie.

Solange sich das Denken immer wieder selbstzweifelnd an der bloßen äußeren Wahrnehmung orientiert, werden sich keine solchen Einheitserfahrungen einstellen. Das egoistische „ichlein“ wird eine solche Einheit mit Vehemenz bestreiten, weil sie sein Bewusstsein nicht berührt. Die linke Hirnhälfte behauptet sich gegenüber der rechten. Die Brücke zu einer neuen Erkenntnis liegt in der Überwindung des subjektgebundenen Denkens. Dieses subjektgebundene Denken ist jene Kraft, die von den meisten spirituell orientierten Menschen immer wieder (und dies wohl zu Recht) abgewertet wird. Das Erleben der Denktätigkeit in einem abgeschlossenen persönlichen Innenraum behindert die Erfahrung anderer, neuer Erkenntnisräume. Ein solcher «Raum» wird dann erschlossen, wenn wir uns den Wahrnehmungen und Erlebnissen gegenüber aufschließen können. Dafür brauchen wir aber einen «neuen Blick», welcher sich aus der Anschauung heraus den Rätseln der Welt gegenüberstellt. Aber was heißt das? An einem Beispiel aus meiner Praxis mit künstlerischen Prozessen wird dies erfahrbar.

Wenn Sie eine Skulptur betrachten, kommen Ihnen bestimmte Wahrnehmungen entgegen. Sie sehen zunächst alles einfache, was mit dem Material zusammenhängt. Sie sehen, dass es sich meinetwegen um Granit handelt, und Sie sehen solche Dinge, wie die roh behauene Oberfläche oder die Konsistenz des Steines, seine Härte und seine Kompaktheit. Sie entdecken Verästelungen und Maserungen in der Steinoberfläche und finden sie vielleicht schön. Sie sehen die Farbe und sonst noch einige Attribute, deren Begriffe Ihnen aus dem Alltag bekannt sind. Sie sind froh «alles wieder zu erkennen»! Damit haben Sie sich einen ersten Blick für das Kunstwerk erschlossen, der Sie erfüllt, sind aber dem Wesentlichen an der Form noch nicht begegnet!
Das Objekt steht Ihnen gegenüber (im Außen) und Sie haben entsprechende Begriffe, die Sie ihm entgegenstellen (innen). Damit geben sich die meisten Menschen zufrieden. Und am Schluss, wenn sie die Galerie verlassen haben und man Sie fragt, wie ihnen die Skulpturen gefallen haben, wissen Sie etwa gleichviel wie vorher. Sie wurden von trennenden Begriffen geleitet, die Ihnen zum Vornherein bekannt waren. Diese Begriffe sind Produkte der eigenen Biografie. Sie haben sie in all den Jahren gebildet und sich damit verbunden. Sie bilden letztlich das, was wir unsere Persönlichkeit nennen.

Wenn Sie auf diese Skulptur eingehen wollen, müssen Sie zunächst alle bekannten Begriffe mit grosser Offenheit hinter sich lassen.
Die Formen zeigen sich dann bald in einem anderen Licht und stellen sich uns wesenhaft gegenüber. Hier liegt der Schlüssel einer neuen Erfahrung, die erkannt werden will. Wir erkennen das Lebendige, die Gesten und Gebärden darin. Wir erkennen vielleicht eine aufrichtende Kraft oder wir entdecken etwas Schwerfälliges, eine gewisse Dumpfheit.
Genauso gut könnten wir aber etwas Wärmendes und Lichthaftes, Raumes- und Stoffkräfte in der Form erleben. Mit anderen Worten: Die Form beginnt mit Ihnen zu «sprechen», sie wird lebendig und sie bekommt einen wesenhaften Charakter. Es findet ein lebendiger Austausch zwischen dem Objekt und Ihnen statt. Daraus ergeben sich vielleicht Aufschlüsse eines Typus, welcher sich ähnlich in anderen Formen wieder finden lässt, uns eine neue Qualität erschließt, die sich physisch-sinnlich nicht festmachen lässt.

Begrifflichkeit verwandelt sich in etwas organisch-bewegliches und entfernt sich vom persönlich-subjektiven Standpunkt. Solches Anschauen öffnet den «neuen Blick» und neue Erkenntnisfelder.
Subjekt und Objekt verschmelzen in einer anschauenden Urteilskraft. Sie kann Intuition genannt werden. Die Art des Schauens bestimmt den Inhalt der Erfahrung. Es gibt für die Intuition kein innen und kein außen, wie sie es für das intellektuelle Denken gibt. In der intuitiven Urteilskraft, die zugleich eine «anschauende» ist, fließen Innenwelt und Außenwelt in eins zusammen. Hier befinden Sie sich auf einer Ebene, die Ihnen das Erlebnis eines «All-Eins-Sein», mit einem neuen Gedankenraum nahe bringt. Sie erfahren ihn gewissermassen wie eine Art «Substanz», die um Sie herum lebt und dort erlebbar wird!

Sobald der «Gegenstand» der Betrachtung nicht mehr eine außenstehende, sichtbare (oder auch unsichtbare) Form ist, sondern WIR SELBST, fallen das Objekt und das Subjekt zusammen. Wir richten diese anschauende Urteilskraft auf uns selbst. Diese Form der Intuition erfahren wir durch Selbstbeobachtung. Dabei lösen wir das persönliche Individuum aus seiner Umgebung heraus und erkennen es in Geste, Haltung, Tätigkeit oder jeglicher «Form» des Ausdrucks als spezifische Individualität wieder. Die «Form» ist (in der Selbstbetrachtung) nicht als ein übergeordneter Typus erfahrbar, sondern wird ein Typus für sich, oder auch eine Gattung für sich: ein Individuum.

In dem Buch: «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der goetheschen Weltanschauung» schreibt Rudolf Steiner folgendes zum psychologischen Erkennen, beziehungsweise zu einer wissenschaftlichen Methode der psychologischen Erkenntnis, auf die sich dieses Erlebnis bezieht:

„Was Intuition ist wird hier (…in der psychologischen Methode…) Selbstbetrachtung. Das ist bei der höchsten Form des Daseins sachlich auch notwendig. Das, was der Geist aus den Erscheinungen herauslesen kann, ist die höchste Form des Inhaltes, den er überhaupt gewinnen kann. Reflektiert er dann auf sich selbst, so muss er sich als die unmittelbare Manifestation dieser höchsten Form, als den Träger derselben selbst erkennen. Was der Geist als Einheit in der vielgestaltigen Wirklichkeit findet (…im Betrachten der organischen Natur…) das muss er in seiner Einzelheit als unmittelbares Dasein finden. Was er der Besonderheit als Allgemeines gegenüberstellt, das muss er seinem Individuum als dessen Wesen selbst zuerkennen. Man sieht, dass man eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht…“

Und weiter:
„…man hat in unserer Zeit (…er schreibt dies 1885!) an die Stelle dieser Methode eine andere setzen wollen, welche die Erscheinungen, in denen sich der Geist dar lebt, nicht diesen selbst, zum Gegenstande der Psychologie macht. Man glaubt, die einzelnen Äußerungen desselben ebenso in einen äußerlichen Zusammenhang bringen zu können, wie das bei den unorganischen Naturtatsachen geschieht. So will man eine „Seelenlehre ohne Seele“ begründen. Aus unseren Betrachtungen ergibt sich, dass man bei dieser Methode gerade das aus den Augen verliert, auf das es ankommt. Man sollte den Geist von seinen Äußerungen loslösen und auf ihn als Produzenten derselben zurückgehen. Man beschränkt sich auf die ersteren (…die Äußerungen…) und vergisst den letzteren (…Produzenten…). Man hat sich eben auch hier zu jenem… Standpunkte verleiten lassen, der die Methoden der Mechanik, Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will.“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Willkommen im Club der Unbelehrbaren!

UnbelehrbareGehören Sie, wie ich, zu den Menschen, die sich im Laufe der Jahre zwar recht viel Wissen angeeignet haben, aber in der Umsetzung des Gelernten oft schlicht zu faul sind? Zwar kennen Sie alle möglichen Einwände, die man zu gewissen Handlungen, Konzepten, Anschauungen machen könnte, wissen auch, dass Ihr Verhalten Sie in manchen Situationen nicht weiter bringt, tun es aber trotzdem immer wieder (oder gerade nicht)?

Willkommen im Club der Unbelehrbaren! Ich kenne diese Pleite zur Genüge und mache stets von neuem wieder Vorsätze in Richtung Besserung (nicht nur am Jahresende). Doch wie Sie ebenfalls wohl wissen: der Weg zur Hölle ist genau damit gepflastert…

Warum nur tut man sich so schwer damit, einmal Erkanntes wirklich und radikal umzusetzen? Warum fällt man immer wieder auf dieselben Tricks und Trotts herein?
Wissen befriedigt offenbar unser Gemüt so sehr, dass wir – trotz Einsicht – keinen Bedarf mehr haben, tiefer zu gehen und vor allem, in die Tat zu schreiten. Wir leiden vielleicht an einer Krankheit und plötzlich erfahren wir vom Arzt, wie die Krankheit heißt, nur das. Allein der Name befriedigt uns scheinbar zur Genüge. Das Wissen darum, wie die Krankheit heißt und vertrauen zu dem ganzen Heilungsapparat, der bestimmt ein Mittelchen dagegen hat, genügt offensichtlich den meisten. Die Hoffnung darauf entlastet uns sehr, obwohl das Leiden dadurch nicht weniger geworden ist. Vielleicht laufen die Prozesse ähnlich in unserem Geldsystem, deren natürlicher Zerfall sich “auf Teufel komm raus“ und entgegen jeder Vernunft, verzögert und verlängert durch raffinierte finanztechnische Methoden. Doch lassen wir diesen Aspekt beiseite. Die Grundsatzfrage lautet: Warum verfallen wir immer wieder denselben Mustern, Lastern und Eigenheiten und lassen uns von ihnen leiten.

Vielleicht haben Sie gelernt Auto zu fahren? Dann kennen Sie den Unterschied von Wissen und Erleben sehr gut! Würden Sie noch heute, nach vielen Jahren in der Praxis, mit dem Verstand fahren und an jede Hand- oder Fußbewegung denken während des fahrens und lenkens, dann hätten Sie wohl bald einen Totalschaden! Müssten Sie jedes mal überlegen, wo das Brems- und wo das Gaspedal ist, kämen Sie sehr schnell in oberbrenzlige Situationen! Und genauso ist es mit allen unseren Handlungen, unseren gelernten Verrichtungen. So geht es dem Maurer und dem Schreiner ebenso, wenn sie ihr Handwerk ausüben. Was man sich anfangs erst mühsam über den Kopf aneignen musste, geht nach einiger Zeit in eine Art lebendigen Tuns über, prägt sich in „Leib und Seele“ ein, wie man so schön sagt. Diese Art von „gelebtem Handwerk“ geht dem rein intellektuellen Tun mit „lockerer Hand“ voran!

So ist es mit allen Dingen, egal ob sie die praktischen Taten betreffen oder unser Gedankenleben. Nur, in gewissem Sinne sind auch die Gedanken praktische Taten. Auch hier gibt es immer beide genannten Ebenen, die intellektuelle, rein vom Kopf her verstandene und die in tiefstem und wahrstem Sinne begriffene! So können die unterschiedlichsten Konzepte entstehen, wie wir die Welt anschauen und verändern möchten. Immer geht das Erlebte tiefer, weiter als das intellektuelle, rein vom Kopfe her gesteuerte Wissen.

So ging es mir mit manchen Büchern, die mir wirklich am Herzen lagen. Anfangs waren es nur Texte/Gedanken anderer. Man las den Inhalt, verstand einiges, anderes wiederum nicht. Es mag sein, dass von Anfang an eine Art Zauber darin lag, den man aber noch nicht so recht zu deuten wusste. Aber er ließ uns die Texte immer wieder von neuem lesen. Und mit jedem lesen, mit jedem verflossenen Zeitabschnitt gewann der Inhalt mehr und mehr an Tiefe. Irgendwann ist die Verbindung damit so groß geworden, dass man damit zu Leben beginnt. Es ist mit Bestimmtheit nicht mehr dasselbe Buch, derselbe Inhalt, wie das dogmatische Aufnehmen von Wissen davor! Wenn Gedanken lebendig werden, verlieren sie jeden Staub und jede Trockenheit eines “aufgetörnten“ Verstandes. So lebendig erging es mir persönlich nur mit sehr wenigen Büchern. Die meisten liest man ohnehin nur einmal oder gar nicht zu Ende. Gerade die angesprochene Erfahrung aber zeigt, wie viel mehr Tiefe die „Gedanken“ haben können, jedenfalls viel tiefer, als wenn man sie nur oberflächlich aufnimmt. Und dies gilt natürlich in allen Belangen, nicht nur bei Büchern, Texten, sondern auch in Begegnungen, Erfahrungen, „Erlebtem“!

Für Außenstehende ist es nicht immer leicht herauszufinden, ob jemand Gedanken/Taten wirklich (nach-) erlebt oder nur trocken wiedergibt. Die Erfahrung dessen geschieht oft intuitiv, aber zuweilen unbewusst. Dennoch haben erlebte Gedanken wesentlich mehr Kraft und Energie in sich, als die trockenen, auch wenn die Worte die gleichen bleiben. Das erkennt man durchaus. Denn man kann es eben selbst nacherleben! Die Kraft der gelebten Gedanken überträgt sich auf den Leser und insbesondere auf den Zuhörer. Auf der anderen Seite bewirken trockene Gedanken oft das Gegenteil: zuweilen schläft man dabei ein. Dies wäre wohl der Glücksfall.
Die Unbelehrbarkeit jedenfalls hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir nicht bereit sind, uns auf die tiefere Ebene der Dinge einzulassen. Auf der Oberfläche spielen immer Argumente gegen Argumente, Tatsachen gegen andere Tatsachen. Das Verweilen auf dem einmal Erlernten konserviert unser Bewusstsein, trocknet es aus. Vielleicht geschehen die wirklich wichtigen Dinge sogar ausserhalb dieser Gedankenwelt. Vielleicht ereignet sich das Wesentliche zwischen den Gedanken?

Gedankenschnippsel vom Sonntagnachmittag, den 13. September 2015…

[wysija_form id=“1″]

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

RSS
Follow by Email
LinkedIn
Share
%d Bloggern gefällt das: