Dämonen im Mantel des Heiligen

DämonEs ist wieder Faschingszeit. Da passt das Thema doch bestens. Dämonen sind wohl ein althergebrachter Begriff. Meine Definition dafür lautet: Dämonen sind Energien, die uns von unserem wahren Selbst abziehen wollen. Das können Gedanken sein, aber auch Gefühle und Vorstellungen, Wünsche. Goethe sah die Ideen. Er hat es aufs Wunderbarste geschafft, die Dinge in ihrem Wesen zu erfassen.

Dadurch löst sich das eigene, hinein interpretierte Denken vom eigentlichen Beobachtungsgegenstand. Das Denken fließt sozusagen in die Gegenstände und erfasst sie aus deren Art und Gesetzmäßigkeit heraus. Man hat Goethes wissenschaftliche Bemühungen nie gewürdigt und begriffen – und man begreift sie wohl auch heute nicht. Als Dichter wurde und wird er nach wie vor geehrt. Doch wieviel könnte gewonnen werden, wenn seine Art zu schauen Schule machen würde. Das so geartete Bewusstsein löst sich vom passiven Vorstellungsinhalt quasi ab, entsubjektiviert es. Oder noch besser: es verbindet Subjekt und Objekt in geheimnisvoller Art und Weise. Das ist gerade die größte Schwierigkeit im Begreifen des Denkens selber. Dadurch wird oft das Kind (Vorstellungsinhalt) mit dem Bade (Denkakt) ausgeschüttet.

Entdogmatisierung

Der Mensch neigt dazu, alles zu dogmatisieren. Das (gesunde) Leben ist eine andauernde „Entdogmatisierung“. Denn das Dogma bildet sich ohne aktive Gegenleistung von alleine. Automatismus und Verhärtung passieren ständig und ohne unser Zutun. Verhärtung ist Formkraft. Formale Kraft. Formulierung. Begriffe und Wissen werden durch unsere Gehirne gespeichert und wiederverwertet. Das Lernen (im Sinne von Auswendiglernen) ist zuweilen mühsam. Wenn wir uns die Inhalte eingetrichtert haben, werden wir uns fortan gerne an das einmal erlernte halten. Denn das macht weniger Mühe, als stete Erneuerung. Je mehr ein Begriff eingehämmert wird, umso stärker wird er wieder erinnert, aufgerufen. Das gilt für alle Inhalte. Auch für Spirituelle! Selbst Begriffe wie „Achtsamkeit“, „Erleuchtung“, „Jetzt“ usw., die hoch in Mode gekommen sind, bilden da keine Ausnahme. Was einmal Zauber eines Erlebnisses war oder ist, wird bald zerstampft, zerpflückt, zergliedert, zertrümmert durch die ewige Wiederholung. So verliert es den Zauber des Reinen allmählich.

Man erlebt es oft, wenn man Satsangs verfolgt. Auf YouTube gibt es ja massenhafte Selbstdarsteller dieser Art, wenn auch manch Gutes darunter sein mag. Die immergleichen Inhalte verwässern mit der Zeit, werden zu Phrasen zerdroschen, zu einem sinnlosen, egozentrischen Gehabe, und sie veröden das Erlebnis. Dämonisches zeigt sich häufig im Mantel des Heiligen. Solch Wiedergekäutes wird ausgelaugt, bleibt irgendwo zwischen Verstand und Traum hängen. Es ist weder die „Achtsamkeit“, noch das „Jetzt“, welches es zu erreichen gilt. Nichts ist zu erreichen, als ein vollbewusstes Erleben! Egal welche Begriffe dafür verwendet werden. Zunächst sind wir nur im Denken vollbewusst.

Aber gerade dieses Denken ist es auch, welches den Teufel in sich trägt. Wo am meisten Licht, da ist auch der größte Schatten. Und der Schatten, die Schattenwelten sind die Dogmen. Sie bilden den Schleier, den wir nur schlecht wahrnehmen. Es sind die Trugbilder, die sich vor das Erlebnis stellen, bevor es sich noch wirklich einstellt. Dadurch wird die Beobachtung des Dinges getrübt. Es wird durch unser vorgestelltes Hinzufügen verzerrt. Ein Zerrbild entsteht, welches nicht dem Wesen des Dinges an sich entspricht! Man sieht es oft an Erzählungen oder auch an Zeichnungen dessen, was „wahr“ genommen wird. Zeichnen zehn Menschen dasselbe, so könnte der Unterschied zwischen den Werken oft nicht grösser sein. Wenn man bedenkt, wieviel Mist, leider oft gerade in spirituellen Kreisen, (notabene gedanklich) über das Denken gesprochen wird, wird man sehr nachdenklich!

Geist der Zerstörung

Im Denken (vor allem im Inhalt) wohnt auch der Geist der Zerstörung. Darin verbirgt sich eine Wirklichkeit, die man nicht bestreiten darf. „Gehirnwäsche“ ist die Folge. Die Werbung tut es vorzüglich. Sie kennt die Mittel, direkt in unser Unbewusstes einzuwirken besonders gut! Werbung ist aber auch dort, wo wir sie vielleicht nicht so sehr vermuten. Das Missionieren für oder gegen irgendetwas ist da nur die Spitze vom Eisberg. Dazu gehören auch jegliche Formen von Sektiererei, Parolen von Parteien, blinder Glaube und jede Form von kritiklose Anhängerschaft. Dabei spielen die Gebiete, wo dies auftritt keine Rolle. Dasselbe kann, wie bereits erwähnt, im Spirituellen ebenso der Fall sein, wie auch in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in Kultur, Kunst, Religion usw. Lernen bringt eine gewisse Routine. Im Alltag oder Berufsalltag macht das Sinn. Beim Autofahren, am Computer, beim Handwerk usw. Keine Frage. Dort werden Abläufe vereinfacht und strukturiert.

Das immerwährende beweglich bleiben, das stete Eintauchen in die Erlebnisse und dessen Verarbeitung durch das Denken sollte stets neue Begriffe schaffen, kreieren, die aus dem herausgeholt sind, was unmittelbar erlebt wurde und in welchen dieses Erlebte noch enthalten ist, sichtbar ist, sodass die Ideen sichtbar werden! Und damit sind wir natürlich wieder an diesem vielzitierten Begriff des „Jetzt“ angelangt. Denn das reale Erleben passiert selbstverständlich nur im Jetzt. Alles andere sind passive Vorstellungen, die uns in der Zeitskala hin und her bewegen. Man kann natürlich auch „aktiv“ Vorstellungen schaffen, Bilder schaffen und sie durch Selbstbeobachtung mit Erleben füllen. Damit überwinden wir den passiven Fluss in jeder Handlung, in jedem Gedanken, jedem Gefühl.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

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