Die Illusion vom Glück

GlückViele Menschen streben vor allem nach einem im Leben, nach Glück. Es ist der meist gehegte und genannte Wunsch nebst der Gesundheit. Glücklich zu sein ist für sie die größte Errungenschaft ihrer persönlichen Entwicklung. Nur, was heißt es eigentlich, glücklich zu sein, und wie wird man es?

Viele Menschen meinen, das Glück hänge irgendwo als süße Frucht an einem Baum und könne dort jederzeit gepflückt und gegessen werden. Glück in der Funktion des Geldes, was man eben besitzt oder nicht besitzt, ist ebenso absurd. Beides sind Illusionen. Ebenso wenig wird einem (normalerweise) das Geld tatenlos zuströmen, wie das Glück. Und wenn es tatsächlich tatenlos zufließt, was ja bei manchen Menschen mit klugen Tricks möglich zu sein scheint, so werden sie damit auch nicht wirklich glücklicher. Das Gegenteil scheint sogar der Fall zu sein, wenn man die Selbstmordstatistiken zur Kenntnis nimmt. Vergessen Sie also, tatenlos glücklich werden zu wollen! Tun Sie, wonach Sie getrieben werden, wonach Ihre ethisch-moralischen, sittlichen, kulturellen und/oder sozialen Ziele Sie hinbewegen und Sie werden im Nebeneffekt ein Übermaß von diesen Früchten genießen können! 

Glück ist auch nur ein Wort, ein Begriff, dessen Inhalt erst gefunden werden muss. Glück ist etwas abstraktes, unterschiedlich und subjektiv definiertes, nach dem Menschen zu trachten scheinen. Im Grunde genommen ist es aber nicht ein solches undurchsichtiges „Glück“, nach dem wir streben, sondern die Erfüllung unserer konkreten Träume, Wünsche, Begehren. Wir streben im Leben nach ganz konkreten Dingen. Wir möchten dieses oder jenes erreichen oder bewegen, auf welchem Gebiete auch immer. Eine Art Triebfeder in uns zielt auf konkrete Taten hin. Ob diese Taten unserer persönlichen Entwicklung zuträglich oder abträglich sind, muss jeder Mensch mit sich selber abmachen. Kein äußeres Urteil wird ihn abhalten, wenn er wirklich von dem überzeugt ist, was diesem individuellen Trieb entsprechend das richtige ist. Er wird dabei möglicherweise viel Leid und Unlust erfahren und in Kauf nehmen müssen, weil ihm sein Ziel würdig genug erscheint, dies zu ertragen. Triebe sind dabei nicht zum vornherein etwas Schlechtes, wie man oft glaubt. Darunter kann man ebenso gut den Naturtrieb verstehen, wie auch das Trachten nach Entfaltung, Entwicklung oder Erkenntnis. Im gleichen Atemzug aber auch andere, egoistische Triebe nach Macht (was immer dies auch sein mag), nach Ansehen, Status oder Geld. Den moralischen Maßstab muss sich im Sinne der Freiheit jeder Mensch selber geben!

Der Wille, etwas zu verwirklichen, sei es eine soziale Aufgabe, die uns wesentlich und wichtig erscheint, oder irgendeine andere Tat, „treibt“ uns an, entsprechende Hebel in Bewegung zu setzen, die für deren Verwirklichung notwendig sind. Die Erfüllung des angestrebten Ziels bringt uns primär Lust und Freunde. Wenn es als Folge auch noch Geld bringt, umso besser. Was wir als die Erfüllung dieser Lust empfinden, mag Glück genannt werden. Aber dieses „Glück“ hängt immer mit der vorausgegangenen Tat zusammen oder mit der Erreichung des vorgegebenen Ziels. Glück in diesem Sinn, ist auf keinen Fall gleichzusetzen mit Abwesenheit von Unlust und Leiden und diese können auch nicht im buchhalterischen Sinne gegen die Lust abgewogen werden, um deren Übermaß, wenn es denn eines gibt, „Glück“ zu nennen. Selbst die pessimistische Lebenshaltung, die in Allem und Jedem ein Übermaß am anderen, am Leid erkennen will, bleibt an der Tatsache hängen, dass die Erreichung eines Zieles oftmals selbst größere Mengen solcher Unlust in Kauf nimmt, um es dennoch zu erreichen. Warum tut man es trotzdem? Weil die Qualität des Erreichten alles übertrifft, was man dafür an Ungutem in Kauf nehmen musste. Übrigens – man kann auch am Leiden Lust entwickeln! Genauso wie man an der Lust irgendwann leiden kann.

Glück ist im Grunde auch kein Produkt von jahrelanger Meditation, auch wenn das Erleben einer absoluten Geistesgegenwart im Jetzt große Befriedigung bringen kann. Mag man diese Glück nennen oder nicht. Letztlich erscheinen sie dennoch sinnlos, wenn daraus nicht immer wieder Taten folgen! Geschieht das Ganze nicht im Sinne eines Beitrags zum Wohle aller, so kann diese Form der Meditation sogar etwas sehr egoistisches an sich haben, ganz im Sinn einer Art von Selbstbefriedigung! Sie hilft niemandem, nicht einmal sich selbst. Denn wir sind keine abgetrennten Wesen. Diese Trennung ist gerade das Charakteristikum des Egos.

“Wer die Lust an der Befriedigung des menschlichen Begehrens ausrotten will, muss den Menschen zum Sklaven machen, der nicht handelt, weil er will, sondern nur, weil er soll. Denn die Erreichung des Gewollten macht Lust. Was man das Gute nennt, ist nicht das, was der Mensch soll, sondern das, was er will, wenn er die volle wahre Menschennatur zur Entfaltung bringt. Wer dies nicht anerkennt, der muss den Menschen erst das austreiben, was er will, und ihm von außen das vorschreiben lassen, was er seinem Wollen zum Inhalt gegeben hat.“ Aus Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ im Kapitel über Pessimismus und Optimismus.

Wirklich Lust bereitet nur, was man selber will. Was man soll, bereitet Unlust. Das Glück aber ist genau dies: die Befriedigung dieser Lust. Deshalb ist es manchmal von kurzer Dauer! Je edler die Triebfeder, umso umfassender und dauerhafter wird das Glück, und desto weiter wird der individuelle Impuls getragen. Deshalb kann wahres Glück nie aufgezwungen werden. Man kann niemals niemanden „zu seinem Glück zwingen“!

Die Quintessenz des Ganzen ist die, dass es weder um die Frage der Lust, noch um die Frage der Unlust geht, wenn wir glücklich sein wollen, weder um das Lust-Prinzip noch um das Unlust-Prinzip, sondern immer um die Triebfedern, die uns bewegen etwas zu tun oder zu unterlassen. Lust und Unlust sind ein Produkt unserer Erfahrungen, die wir aus dem Leben ziehen. Wir haben meinetwegen die Erfahrung gemacht, dass uns eine bestimmte Handlung Lust bereitet. Dies brennt sich in unserer Seele ein und erzeugt immer wieder neue Befriedigungswünsche dieser Lust. Das muss bei der Triebfeder nicht unbedingt der Fall sein! Die Lust selber kann natürlich ebenfalls Antrieb für unser Tun werden. Damit kaschiert sie dahinterliegende, wirkliche und tiefer liegende Impulse, die näher am Wesentlichen unserer Individualität wären! Dies ist ein wahrer Teufelskreis! Eine Art „automatisierter Zombie“ erwacht, der diese Lust zu seinem einzigen Herrn macht. Das wahre Wesen erlischt dadurch in seinem Wirt, dem Ego.

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

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