Liebe kennt keine Kontrolle

LiebeKontrolle ist die Abstimmung eigener Inhalte/Vorstellungen/Gedanken/Gefühle mit anderen Inhalten: Mit jenen von Freunden, Bekannten, von Zeitungen Medien, Büchern usw. Sind sie kompatibel mit den eigenen, werden sie angenommen, sind sie damit nicht kompatibel, werden sie abgelehnt.
Mag etwas krass formuliert sein, gewiss, ist aber dennoch die alltägliche Praxis unserer Begegnungen und Konfrontationen im sozialen Umfeld. Lob den Ausnahmen kann ich hier nur sagen!

Der streng katholische Christ, der sich plötzlich in der Mitte seines Lebens der buddhistischen Lehre hingezogen fühlt, wird bald geneigt sein, ständig solche inneren Abgleichungen mit dem früher gelebten vorzunehmen. Jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl in ihm werden bewertet und abgeglichen. Wird ein Bezug zu seinem „alten Denken“ festgestellt, so wird korrigiert. Bemerkt man’s selber nicht, wird man oft von Gleichgesinnten darauf angesprochen. Dies bedingt Kontrolle. Dasselbe kann dem politisch konvertierten Genossen geschehen, wenn er durch irgendeine äußere Begebenheit die Parteizugehörigkeit gewechselt hat, ganz unter dem Motto: Kontrolle ist besser als Vertrauen.

Jegliche Verhaftung hat die Tendenz, kontrolliert werden zu müssen.
Das heißt, wir haben die unrühmliche Tendenz, einmal gewonnene Einsichten stets mit den alten oder früher gemachten abzugleichen und/oder zu korrigieren. Alte Verhaftungen werden zwar immer wieder gelöst durch die eigene seelische Entwicklung, die fast jeder/jede in irgendeiner Art und Weise wohl anstrebt. Aber sie werden in der Regel lediglich durch neue ersetzt. Dies bedingt die stete Kontrolle und Selbstkontrolle um das System aufrecht zu erhalten.

„Selbstbeobachtung“, wie ich sie immer wieder erwähne in meinen Aufsätzen und Büchern, hat niemals den Charakter der Kontrolle. Kontrolle bedarf der Vorstellungen. Sie sind Kopfsache. Wenn wir uns jedoch den Verhaftungen mit den Gedanken entziehen wollen (was notwendig ist, um ein freies Ich in uns zu entdecken),  dann müssen wir eine neue Bewusstseinsebene außerhalb des Denkens finden. Das hat nichts zu tun damit, das man nicht mehr denken soll! Die Ebene des inneren Beobachters kann aber nicht wieder eine denkende sein. Nicht Denken über das Denken ist also gemeint, sondern reines Beobachten des steten Gedankenstroms.

So erst werde ich mir einer anderen Instanz – dem freien Ich – gewahr. Das heisst, ich beobachte das „Wesen“ /“Teilselbst“, (Voice dialogue/Transaktionsanalyse usw.), welches im Gedanken wirksam und gegenwärtig ist. Das kann nicht wieder ein Gedanke sein, aber es bleibt dennoch eine Form von Bewusstsein. Und es ist ein liebendes Bewusstsein, denn es urteilt nicht, verurteilt nicht, beurteilt nicht und – kontrolliert nichts. Dennoch ist es stärker als das „Gedankenwesen der Teilselbste“. Es hat die Kraft und die Macht, sich jederzeit, jedem Gedanken – und damit auch jedem Gefühl, „guten“ wie „schlechten“ – zu entziehen, weil es erkennend ist. Dies geschieht  durch die Liebekraft in uns.

Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. (Paulus 1. Korinther 13)

Damit sind wir aber außerhalb jeglicher Konformität, jeglicher Konditionierung und jeglicher Dogmatik. Und außerhalb jeglicher Konfessionen oder Weltanschauungen. Dieser freie „Gesichtspunkt“ vereinigt alles durch die Kraft der Liebe.
Wer liebt kontrolliert nicht und wer kontrolliert, der liebt nicht.
In diesem Zustand ist es nicht mehr wichtig, welchen Namen unsere Lehre hat…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

2 Gedanken zu „Liebe kennt keine Kontrolle“

  1. Lieber Urs Werth,
    schön, dass es unter den Anthroposophen Menschen gibt, die erkannt haben, dass es ohne Selbstreflexion und Beobachtung der (vermeintlich eigenen) Gedanken, kein Voranschreiten in der eigenen Erkenntnis gibt.
    Ich habe bisweilen das Gefühl des völligen Ausgeliefert-Seins dieser konditionierten Gedankenwelt und frage mich, ob es wirklich einen dauerhaften „Ausstieg“ hieraus geben kann. Klar, ich habe diese Einzelerlebnisse, die mir zeigen, dass es punktuell gelingen kann. Die Welt aber insgesamt frei von Subjekt, Objekt und meinem Innern betrachten zu können, ist so ein großes und hehres Ziel, dass es dem Wunsch nach Erleuchtung gleichkommt. Und ist Erleuchtung nicht Gnade und somit nur zu erreichen durch Demut und Vergebung?
    Meine Freude ist jedenfalls groß, Dich hier im Dschungel des Internets entdeckt zu haben. Du hast ja bereits viele Texte verfasst; und so mache ich mich denn mal auf weitere Entdeckungsreise um abermals vertraute, sympathische Gedanken wieder zu erkennen und wieder und wieder mich im Kreise zu drehen…
    Ein erkenntnisreiches Neues Jahr wünsche ich von ganzem Herzen, soweit mir dass möglich ist.

    Ralph Eggelsmann

    1. Lieber Ralph, danke für Dein Feedback und die interessanten Gedanken. Gerne möchte ich die darin liegende Problematik demnächst in einem Aufsatz zum Thema machen, wenn Du damit einverstanden bist. Ich bitte also um ein wenig Geduld. Grundsätzlich ist mir einiges sehr wesensverwandt, was Du schreibst. Bis bald also und herzliche Grüsse, Urs

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